Patrícia Andréa Freire Tenzer: Innovationen in der Erwachsenenbildung
Rezensiert von Prof. Dr. Erich Schäfer, 14.07.2014
Patrícia Andréa Freire Tenzer: Innovationen in der Erwachsenenbildung. Eine Sozialweltanalyse des Innovationspreises des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) von 1997 bis 2005.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2013.
319 Seiten.
ISBN 978-3-8474-0131-5.
D: 39,90 EUR,
A: 41,10 EUR,
CH: 53,90 sFr.
Studien zur qualitativen Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung - ZBBS-Buchreihe.
Autorin
Dr. phil. Patrícia Andréa Freire Tenzer, Postdoktorandin an der Fakultät für Betriebswirtschaft der Bundesuniversität UFBA Salvador – Bahia, Brasilien
Entstehungshintergrund
Das Buch ist in der ZBBS-Buchreihe „Studien zur qualitativen Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung“, herausgegeben von Werner Fiedler, Jörg Frommer, Werner Helsper, Heinz-Hermann Krüger, Winfried Marotzki, Ursula Rabe-Kleberg und Fritz Schütze erschienen.
Die Arbeit wurde an der Goethe-Universität Frankfurt als Dissertation angenommen. Betreuer/innen der Arbeit waren Prof. Dr. Dieter Nittel und Prof. Dr. Eveline Wuttke.
Aufbau und Inhalte
Die Publikation gliedert sich in vier Teile, die sich wiederum in insgesamt 20 Kapitel unterteilen.
Im ersten Teil geht es unter dem Stichwort „Einleitung und Forschungsgegenstand“ um die Anlage der Arbeit, Definitionen und Merkmale von Innovationen sowie den Preis für Innovation in der Erwachsenenbildung des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) von 1997 bis 2005. In der Arbeit wird Innovation „als eine Veränderung verstanden, die in der Sozialwelt der jeweiligen Projekte und Initiativen eingetreten ist, die durch ihre Umsetzung … als Neuerung in diesen Kontext eingebettet ist“ (S. 32). Innovation soll sowohl als Instrument von Dynamisierung im organisationalen Umfeld als auch Katalysator von Lernprozessen verstanden werden.
Im zweiten Teil der Arbeit wird die methodische Herangehensweise ausführlich beschrieben. Das qualitative Forschungsdesign besteht aus einer Kombination von 20 qualitativen Experteninterviews mit Preisträgern und Preismitbegründern, einer Dokumentenanalyse sowie einer Sozialweltanalyse. Die Auswertung der Daten orientiert sich an der Grounded Theory. Die Datenerhebung, -auswertung und -analyse ist durch eine ethnologische Sichtweise geprägt. Das theoretische Sampling beruht auf drei Eckfällen; diese stehen für die Diversifizierung, die regionale Tradierung sowie die Auflösung der Innovation.
Der dritte Teil der Arbeit ist der empirischen Analyse gewidmet. Hier wird zunächst der Prozess der Institutionalisierung des Innovationspreises des DIE anhand einer Dokumentenanalyse nachgezeichnet. Es erfolgt eine Einteilung in die Phasen der Exploration, Konstitution, Stabilisierung und Transformation. Anschließend werden die Eckfälle ausführlich vorgestellt und einer eingehenden Analyse unterzogen. Kondensiert wird dieser Teil in den jeweiligen analytischen Abstraktionen der Prozessstrukturen der drei ausgewählten Innovationen.
Im vierten Teil präsentiert uns die Verfasserin in zehn Kapiteln die Ergebnisse der empirischen Analyse. Am Anfang steht eine Typologie der preisgekrönten Innovationen anhand der Kategorien Diversifizierung, Tradierung, Auflösung oder Deaktivierung sowie zeitliche Limitierung. In einem zweiten Schritt identifiziert die Autorin – wiederum durch Beispiele untersetzt – neun Phasen der Prozessstrukturen; dies sind die folgenden: Problem- bzw. Bedarfsfeststellung, Inkubation, konzeptionelle Umsetzung, Durchbruch, Weg in die Öffentlichkeit, Veränderung, Nobilitierung, Etablierung sowie Vorbereitung für die deutschlandweite Ausdehnung; während einige Phasen als obligatorisch charakterisiert werden, sind andere lediglich fakultativ. Die Frage nach den innovationsförderlichen Bedingungen wird auf vierfache Weise beantwortet; erstens die gesellschaftlichen Bedingungen, zweitens Bedingungen im Organisationsrahmen, drittens Bedingungen in der Berufskultur und viertens biographiebezogene individuelle Bedingungen.
Neben den Bedingungen der Entstehung von Innovationen fragt die Autorin auch nach den Entstehungskontexten und entdeckt hier die Einrichtungen der Erwachsenenbildung und speziell die Volkshochschulen als Ausgangspunkte nicht ohne einschränkend gleichzeitig zu konstatieren, dass die Themen der Innovationen „nicht unbedingt von der Sozialwelt der Erwachsenenbildung abhängig“ sind (S. 251). Mit Blick auf den Beitrag der pädagogischen Fachkultur zur Entwicklung der preisgekrönten Innovationen stellt die Verfasserin fest, dass diese „direkt durch die Handlung von Pädagogen oder indirekt durch die Einbindung von pädagogischen Tätigkeiten in den Kernaktivitäten von Nicht-Pädagogen von Bedeutung“ sind (S. 260).
Abschließend geht die Verfasserin noch auf die Erfolgsfaktoren der preisgekrönten Innovationen ein. Dabei definiert sie diese als „Merkmale, die die Umsetzung Tradierung und Diversifizierung positiv beeinflussen“ (S. 293). Wie die Analyse des Samples zeigt, sind es primär die Kompetenzmerkmale der Innovatoren, die als relevante Bedingungen für die Nachhaltigkeit der Innovationen gelten können, aber auch die Verfügbarkeit von fachlicher Unterstützung und finanziellen Ressourcen können hier Erfolgsgaranten sein.
Diskussion
Seit 1997 existiert der Preis für Innovation in der Erwachsenenbildung des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung. Dass dieser wichtigste Preis im Bereich der Erwachsenenbildung in Deutschland bisher noch nicht einer wissenschaftlich fundierten Analyse unterzogen wurde, erstaunt. Es ist das Verdienst von Frau Tenzer, einen relevanten Beitrag geleistet zu haben, diese Lücke mit ihrer Analyse für den Zeitraum von 1997 bis 2005 mit einer Sozialweltanalyse zu schließen.
Die Autorin geht den Fragen nach, wie die preisgekrönten Innovationen umgesetzt werden, welchen Rahmenbedingungen sie unterliegen, welche Diffusionsstrategien verfolgt werden und wie es um die Nachhaltigkeit der Initiativen und Projekte steht und gibt dabei interessante Einblicke in die Welt der Preisträger. Demgegenüber wird die Seite der Entscheidungsfindung in den Strukturen des DIE bei der Auswahl der Preisträger lediglich im Spiegel der Ausschreibungen durch die Dokumentenanalyse betrachtet. Auch wenn es nicht die Zielstellung der Arbeit von Frau Freire Tenzer war, diesen Aspekt in den Blick zu nehmen und der empirische Zugang zu den internen Auswahlprozessen sicherlich schwieriger gewesen wäre, so bleibt hier doch ein Untersuchungsfeld für die Zukunft.
Auf der Suche nach den institutionellen Entstehungsbedingungen der Innovationen werden zwei zentrale Phänomene identifiziert: „die Interdependenz zwischen gesellschaftlichen Bedingungen, Organisationsrahmen, Berufskultur und Biographie sowie die Dominanz der Innovationsförderbedingungen von Berufskulturen und Organisationskulturen“ (S. 296). Letztere sind in den untersuchten Fällen vorherrschend. Interessant ist der Hinweis der Autorin, dass die Entstehung von Innovationen durch die persönlichen Einstellungen der Innovatoren beeinflusst wird (vgl. S. 240); diese Einschätzung deckt sich mit der zentralen Bedeutung von Haltungen auf die C. Otto Scharmer (2009) in seiner „Theorie U“ hinweist.
Die Beobachtung, dass viele der untersuchten Innovationen nicht unbedingt von der Sozialwelt der Erwachsenenbildung abhängig sind, als eine gewisse Offenheit und Flexibilität des DIE-Innovationspreises zu interpretieren (vgl. S. 251), ist durchaus plausibel. Wenn jedoch diese Analyse so gedeutet wird, „dass eine pädagogische Ausbildung eine verzichtbare Bedingung für die Ausübung von Tätigkeiten oder eine Festanstellung in der Sozialwelt der Erwachsenenbildung sein kann“ (S. 258), so konterkariert dies die Bemühungen um eine konsequente Professionalisierung der Erwachsenenbildung. Vor diesem Hintergrund ist es dann auch wenig überraschend, dass die „Anerkennungsmechanismen von Innovationen nicht unbedingt an die jeweiligen Sozialwelten gebunden sind, zu denen sie gehören“ (S. 278).
Neben der erziehungswissenschaftlichen Perspektive ist Frau Freire Tenzer auch um eine betriebswirtschaftliche bemüht. Dies zeigen nicht nur der Rückgriff auf Schumpeter bei der Auseinandersetzung mit dem Innovationsbegriff, sondern auch die Hinweise auf die Bedeutung von Kommunikations- und Marketingstrategien bei der Durchsetzung von Innovationen. Die Autorin weist hier auf ein Defizit im Bereich der Erwachsenenbildung hin, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, „dass eine fachgerechte Diffusion der Innovation mit Planung, Umsetzung und Evaluation von innovationsbezogenen Kommunikations- und Marketingstrategien eher die Ausnahme war“ (S. 299). Hieraus lässt sich für den Stifter des Preises die Empfehlung ableiten, dass mit der ideellen Anerkennung durch die Preisverleihung auch eine Beratungsleistung in Bezug auf die nachhaltige Implementierung der Innovation einhergehen sollte.
Fazit
Die vorgelegte Arbeit über den DIE-Innovationspreis zeichnet sich durch ein qualitativ ausgerichtetes Forschungsdesign aus. Es wird eine Fülle von Einzelbefunden detailreich entfaltet, die interessante Aufschlüsse bezüglich Entstehungsbedingungen, Durchsetzungsstrategien sowie Gelingensbedingungen von Umsetzungsstrategien der ausgezeichneten Innovationen gewähren. Die 319 Seiten der Arbeit sind prägnant strukturiert und vermitteln für den Experten, der sich im Feld der Erwachsenenbildung und der ausgezeichneten Ideen und Projekte auskennt, aufschlussreiche Einblicke.
Rezension von
Prof. Dr. Erich Schäfer
Studiengangsleiter des berufsbegleitenden Masterstudienganges Coaching und Führung an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena
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Zitiervorschlag
Erich Schäfer. Rezension vom 14.07.2014 zu:
Patrícia Andréa Freire Tenzer: Innovationen in der Erwachsenenbildung. Eine Sozialweltanalyse des Innovationspreises des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) von 1997 bis 2005. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2013.
ISBN 978-3-8474-0131-5.
Studien zur qualitativen Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung - ZBBS-Buchreihe.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16461.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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