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Heike Binne, Jörn Dummann et al. (Hrsg.): Handbuch Intergeneratives Arbeiten

Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 12.03.2014

Cover Heike Binne, Jörn Dummann et al. (Hrsg.): Handbuch Intergeneratives Arbeiten ISBN 978-3-8474-0132-2

Heike Binne, Jörn Dummann, Annemarie Gerzer-Sass, Andreas Lange, Irmgard Teske (Hrsg.): Handbuch Intergeneratives Arbeiten. Perspektiven zum Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2013. 460 Seiten. ISBN 978-3-8474-0132-2. D: 39,90 EUR, A: 51,30 EUR, CH: 66,90 sFr.

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Thema

Mehrgenerationenhäuser haben den Auftrag, intergenerationelle außerfamiliäre Begegnungen zu ermöglichen und damit zum Teil nicht-gegebene Beziehungen zu kompensieren. Sie wirken im und für das Gemeinwesen und haben, je nach lokalem Bedarf und vorhandener Wechselwirkung mit den Sozialraumakteuren, ganz unterschiedliche Profile entwickelt. Das intergenerative Arbeiten ist kein Selbstläufer; es braucht – und dies ist eine wesentliche Botschaft des Handbuchs in der Schlussphase des Aktionsprogramms – ein „innovatives Setting“ (S. 217). Kurz gesagt, „doing generation“ muss sozialpolitisch gewollt sein!

HerausgeberInnen

Die Runde der Herausgeber und Herausgeberinnen setzt sich aus folgenden Akteursgruppen zusammen: vertreten sind die Leiterin eines Mehrgenerationenhauses, Hochschulprofessoren und -professorinnen sowie die Leiterin der Serviceagentur Mehrgenerationenhäuser. Während die zuerst Genannten jeweils eigene Beiträge beisteuern, motivierte Letztere als Schöpferin des Expertennetzwerkes der Mehrgenerationenhäuser die Fachgruppen, ihre Erfahrungen einzubringen. Insofern repräsentieren die beteiligten Gruppen jeweils eine eigene Perspektive der insgesamt dem Titel „Handbuch“ verpflichteten anwendungsnahen Herangehensweise.

Entstehungshintergrund

Inspiriert durch die allenthalben präsente, vorwiegend mit dem demografischen Wandel kontextierte Generationenrhetorik, und infolge einer „Publikationsflut“ (S. 14) zu Generationenaspekten entwickelte die Herausgeber/-innenrunde die Idee für dieses Handbuch. Dabei verging nach deren Ansicht für die systematisierende und kanonisierende Arbeit zwischen „Buchkonzeption und Erscheinen“ (S. 13) mehr Zeit als gedacht. Alle Beiträge im fünften Teil des Handbuchs beziehen sich auf das Mehrgenerationenhaus Aktionsprogramm I (Laufzeit 2006 bis 2011). Aktuell läuft das Aktionsprogramm II (2012 bis 2014), so dass die Ergebnisse noch anschlussfähig sind.

Aufbau

Das Handbuch umfasst 32 durchschnittlich zehnseitige Einzelbeiträge, ein Vorwort, eine Einführung und ein Autorenverzeichnis. Die Einzelperspektiven wurden von den Herausgeberinnen und Herausgebern in ein Gerüst eingebunden, das aus fünf Teilen besteht. Gekennzeichnet ist die Einteilung von der in der Einführung erwähnten „gegenseitigen Bereicherung von Theorie und Praxis“.

  • Im „Teil 1: Gesellschaft des langen Lebens – Analysen und Problemdimensionen“ sind demografische, soziologische und gerontologische Aspekte zusammengefasst.
  • „Teil 2: Intergenerative Bildung und intergenerative Arbeit“ beinhaltet bildungs- und lerntheoretische sowie didaktische Facetten.
  • Während der dritte Abschnitt „Ökonomische Modelle der Finanzierung generationenbezogener Interventionen in Kommune, Land und Bund“ den (volkswirtschaftlichen) Nutzen generationensolidarischen Denkens und Handelns für die Regional- und Kommunalentwicklung fokussiert, werden konkrete Finanzierungsaspekte von Mehrgenerationenhausmodellen
  • in „Teil 5: Facetten des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser“ integriert. Ferner umfasst dieser Abschnitt konkrete Angebotsschwerpunkte und Besonderheiten in der Ausrichtung von Mehrgenerationenhäusern, behandelt das bürgerschaftliche Engagement und die Vernetzung sowie das Marketing.
  • In „Teil 4: Traditionslinien der Gemeinwesenarbeit und Gemeindepsychologie“ sind Beiträge zusammengefasst, die die sozialarbeiterischen Kernelemente, wie z.B. Partizipation, Selbsthilfe, Teilhabe und Sozialraumbezug behandeln.

Zu Abschnitt I

Teil I des Handbuchs ist mit „Gesellschaft des langen Lebens: Analysen und Problemdimensionen“ überschrieben; er umfasst sieben Beiträge, die sich dem Sachverhalt wissenschaftlich-analytisch und interdisziplinär nähern.

Die ersten beiden Aufsätze entstammen der Feder von Andreas Lange. Der Autor verwehrt sich gegen die Diagnose, den Austausch zwischen den Generationen generell als „bedroht“ einzustufen und die Potenziale nicht wahrzunehmen. Danach stellt er eine Fülle an soziostrukturellen und soziokulturellen „Fakten der Gesellschaft des langen Lebens“ (S. 30) zusammen, um im Anschluss daran Leitlinien und Herausforderungen zu präsentieren: Dazu zählen die Generativität, Pflege und Betreuung, Erwerbsarbeit und die „Neuformatierungen sozialstaatlicher Angebote und sozialer Dienste“ (S. 36). Im zweiten Beitrag fasst er, quasi als einführende Wissensbasis, empirische Befunde zu den familialen Generationenbeziehungen zusammen und bezieht auch europäische Vergleichsdaten mit ein. Dem Gender and Generation Survey (GGS) entnimmt er die wichtigsten Erkenntnisse zu Eltern-Enkel- und Großelternbeziehungen; Eltern-Kind-Beziehungen werden neben den individuellen Faktoren besonders durch die Wohnentfernung, die Kontakthäufigkeit, die Geschlechterbeziehungen und die Lebensphase bestimmt. Daneben sind kulturell-kontextuelle Strukturen und die vorhandenen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements von Bedeutung. Lange extrapoliert einige „Profile von Austauschbeziehungen“ (S. 47): Frauen als Hauptakteurinnen bei „praktischer Hilfe und Pflege“ und „finanzielle Transfers und Erbschaften“ mit einem jeweils implizierten „Matthäus-Effekt“ sowie die Großeltern-Enkel-Beziehung als spezielle Form.

Barbara Thiessen untersucht die „Schnittstelle von Generation, Milieu und Gender“ (S. 58) und fördert sehr professionskritisch (mit Bezug zur Sozialen Arbeit) zu Tage, wie sich in den Angeboten von Familienbildung Leitbilder einer geschlechtlich segregierten Arbeitsteilung fortsetzen, obwohl gesellschaftlich Veränderungen stattgefunden haben. Care-Zuständigkeiten sind fast ungebrochen an die Frauen gebunden. Sie plädiert dafür, Normalitätsvorstellungen insbesondere bezüglich sozialarbeiterischer Interventionsprogramme mit einem genauen gender- und generationensensiblen Blick zu prüfen – dies gilt auch für die Mehrgenerationenhäuser und die von ihnen ausgehenden Wirkungen in den Sozialraum.

Ausgewählte Aspekte zum Thema „Integration und das Zusammenleben der Generationen“ (S. 67) greifen Josef Strasser und Leonie Herwartz-Emden auf. Weil es nicht die Einwanderer gibt, sondern sehr heterogene Gruppen mit höchst verschiedenen Lebenswirklichkeiten, lassen sich in der Kürze nur wenige generalisierte Aussagen präsentieren. Eine wesentliche ist, dass Bildung eine „zentrale Voraussetzung gelungener Integration“ (S. 69) darstellt. Die intergenerativen Beziehungen sind in den im Einwanderungsland lebenden Familien sehr belastbar; kultur-konfliktbedingte Differenzen können mehrheitlich nicht bestätigt werden. Der Fokus wird noch stärker auf die verschiedenen Migrationsgenerationen zu legen sein.

Andreas Kruse blickt mit der „gerontologischen Brille“ auf das intergenerative Arbeiten und fundiert es theoretisch-konzeptionell und anthropologisch. Gekennzeichnet ist der Alternsprozess von „Veränderungs- und Selbstgestaltungspotenzialen“ (S. 75), die für intergenerative Dialoge von Relevanz sind. Dabei werden Dimensionen angesprochen, die ein erweitertes Verständnis von Bildung voraussetzen: individuelle Reifungsprozesse, lebensaltersspezifische Entwicklungsaufgaben, sozialer Wandel und gesellschaftlicher Fortschritt werden gleichermaßen anvisiert. Im Weiteren beschreibt er die Kategorien Bezogenheit, Generativität, Ich-Integrität und die Gerotranszendenz und die jeweils dahinter liegenden Theoreme.

Bei Kurt Lüscher finden sich viele Klärungen dazu, welche bildnerischen Qualitäten die zahlreichen „Generationenprojekte und Generationendialoge“ (S. 87) beinhalten. Die Aktualität und Brisanz des Themas liegt darin, dass „die Gestaltung der Generationenbeziehungen“ (S. 88) ein sehr lernintensiver Prozess ist – in der Praxis wie in der Forschung. Nach der Klärung der Schlüsselbegriffe definiert er die „generative Sozialisation“ als „Erwerb von Facetten sozialer Identität in den Prozessen des Lernens zwischen Angehörigen unterschiedlicher Generationen und der kritischen Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erbe“ (S. 94). Generationenarbeit muss nach Lüscher eingebettet sein in eine auf Gerechtigkeit zielende Generationenpolitik.

Den Abschluss dieses Abschnitts bildet der Bericht von Cornelia Seitz zur „Entwicklung einer neuen Unternehmenskultur zum demografischen Wandel“, die sie im Rahmen von HR-Aktivitäten mit einer Demografieanalyse und Dialogrunden auf den Weg gebracht hat. Sie beschreibt die mit der Geschäfts- und Personalleitung abgestimmte Vorgehensweise und die daraus entstandenen Maßnahmen. Zusätzlich resümiert sie aus guten Beispielen Impulse für ein „altersgerechtes Personalmanagement“ (S. 107).

Zu Abschnitt II

Um „Intergenerative Bildung und intergenerative Arbeit“ geht es in Abschnitt II.

Insa Fooken eröffnet das Kapitel mit der Darstellung von verschiedenen Zugangswegen: Den Anfang bildet der Generationenbegriff und die damit einhergehenden Implikationen; im Anschluss daran eruiert sie den „Mehrwert“ (S. 114) der Mehrgenerativität bezogen auf verschiedene Lebenszusammenhänge, bevor sie auf die von ihr als „dunkle Seite“ (S. 116) bezeichnete „soziale Vererbung“ zu sprechen kommt und damit z.B. die transgenerationale Wirkung von Tabus und Traumata anführt.

Julia Franz und Annette Scheunpflug beschreiben das „Voneinander, übereinander und miteinander lernen“ und entwickeln kombiniert mit dem genealogischen, dem pädagogischen und dem historisch-soziologischen Generationenbegriff eine „heuristische 9-Felder-Matrix“ (S. 122). Für die Planung intergenerationeller Bildungsangebote stellt sie ein Instrument dar, mit dem kriteriengestützt vorgegangen werden kann. In einem zweiten Beitrag fassen sie sechs „Gelingensbedingungen intergenerationeller Bildungsarbeit“ zusammen: Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungswelten der Generationen sind sie – wie bereits die o.g. Matrix – das Resultat eines Forschungsprojekts zum intergenerationellen Lernen. Auch sie dienen einer reflektierten Planung von intergenerationellen Bildungsarrangements.

Wie Medienarbeit dazu beitragen kann, die häufig als generationenspaltend kolportierten Medien als Potenzial und Schnittstelle der Generationen zueinander zu instrumentalisieren, zeigt Anja Klimsa anhand mehrerer Projekte auf. Medien sind ein Mittel, um einen sog. „Dritten Generationenraum“ (S. 130) zu generieren: Dieser dient dazu, die Differenzen und Spannungen individuell auszuhandeln, sich kritisch mit Mediennutzung und eigenem Verhalten auseinander zu setzen, auch Teilhabe zu ermöglichen. Medienarbeit ist nicht auf das Erlernen medienpraktischer Fertigkeiten zu reduzieren.

Jörn Dummann verdeutlicht, wie „Methoden zur Vermittlung intergenerationellen Arbeitens im Studium der Sozialen Arbeit“ (S. 143) verankert werden können. Obwohl intergenerative Arbeit bisher noch keine „gesetzlich verankerte Handlungsdomäne“ (S. 143) ist, betrachtet er sie proaktiv bereits als obligatorisches Element des Studiums und stellt ein Modell dar, mit dem sie in der Studieneingangsphase, in einem Praxisprojekt und in einer Vertiefungsphase realisiert werden kann.

Am Beispiel der vielen Maßnahmen im Mehrgenerationenhaus „Haus der Zukunft“, angesiedelt in Bremen-Lüssum, einem vom Soziale-Stadt-Programm geförderten Stadtteil, verdeutlicht Heike Binne, welche berufschancen-, qualifizierungs- und beschäftigungsfördernden Impulse in das Portfolio aufgenommen werden können. Dabei spielen die Partner des Hauses, ortsansässige Unternehmen, die Agentur für Arbeit, die gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, Bildungs- und Frauenvereinigungen und andere Akteure eine enorme Rolle für den strukturellen Aufbau; die Region und die in ihr ansässigen Einrichtungen profitieren, weil viele Dienstleistungen (z.B. gesunder Mittagstisch, Kinderbetreuung usw.) angeboten werden.

Wie mit einem Planspiel Generationendialoge simuliert werden können, beschreiben Erik Flügge und Udo Wenzl. Diese aktivierende Methode ist nicht Selbstzweck, sondern sie modelliert bereits, weil Menschen einbezogen werden, im Gespräch bleiben und vieles im Dialog aushandeln. Der Beitrag umfasst die Beschreibung der Methode mit ihrem übergeordneten Ziel der Kommunalentwicklung und thematisiert die Kunst, Angehörige verschiedener Generationen einzubeziehen. Ein konkretes Planspiel wird kurz vorgestellt.

Zu Abschnitt III

Teil III fasst drei Aufsätze unter der Überschrift „Ökonomische Modelle der Finanzierung generationenbezogener Interventionen in Kommune, Land und Bund“ zusammen.

Paul-Stefan Roß und Hille Tries zeigen anhand eines ausgewählten Projekts des Modellprogramms „Neue Generationennetzwerke für Familien“ (2007-2009) den Benefit intergenerativer Arbeit auf, wobei sie den individuellen und den gesellschaftlichen Nutzen gleichermaßen anzielen. Erst im Austausch zwischen den Generationen ist für sie die Qualität der intergenerativen Arbeit gegeben. Die Herstellung solcher Begegnungen, die auf Verschiedenheit basieren, ist daran gebunden, dass in den Kommunen Gelegenheitsstrukturen inszeniert werden, gleichberechtigte Partner miteinander agieren und freiwillig Engagierte beteiligt sind.

Karl Bronke gelingt es auf überzeugende Art und Weise, die fiskalische Bedeutung „intergenerativer Ansätze in Zeiten knapper Kassen“ auf den Punkt zu bringen. Zunächst verdeutlicht er die fiskalischen Auswirkungen intergenerativer Ansätze auf der individuellen, der Gruppen- und der institutionellen Ebene. Der fiskalische Gewinn steigert sich, je stärker die intergenerative Arbeit als Planungs- und Zielgröße für Quartiere systematisch eingesetzt und mit entsprechenden lokalen politischen Strukturen gefördert wird.

Welche Rolle Mehrgenerationenhausprojekte für eine „zukunftsweisende Quartiersentwicklung“ übernehmen können, greift Nicolas Albrecht-Bindseil auf und fokussiert die zwei Aspekte Inklusion und Pflege. Neben den professionellen Helfern und Diensten braucht es neue Formen von Nachbarschaften, die von Moderatoren zu gestalten sind. Mit einem Wohlfahrtsmix aus Staat, Markt, Zivilgesellschaft und Sozialraum, der von den Mehrgenerationenhäusern orchestriert werden könne – vorausgesetzt deren Existenz ist gesichert –, sei es vorstellbar, langfristige Veränderungen zu erzielen.

Zu Abschnitt IV

Abschnitt IV des Handbuchs ist mit „Traditionslinien der Gemeinwesenarbeit und Gemeindepsychologie“ überschrieben und bildet die Klammer für fünf Einzelbeiträge.

Heike Binne und Irmgard Teske betten die Mehrgenerationenhäuser in die „Tradition der Gemeinwesenarbeit“ ein, wobei sich die Frage stellt, ob sie als deren Renaissance oder konsequente Weiterentwicklung zu betrachten sind. Indem die noch jungen Mehrgenerationenhäuser mit ihren nützlichen Dienstleistungen der Kommune als wichtiger Kooperationspartnerin zugute kommen, die Standortattraktivität steigern, Potenziale nutzen, neue Formen von Vergemeinschaftung entstehen lassen, die Selbsthilfekräfte steigern und Netzwerke initiieren, sind sie unter Nutzung der Prinzipien der Gemeinwesenarbeit eine Weiterentwicklung, so das Resümee der Autorinnen.

Auch Dieter Oelschlägel rekurriert auf die Prinzipien der Gemeinwesenarbeit, wenn er „die Bedeutung des sozialen Nahraums in Zeiten ‚virtueller Nachbarschaften‘“ erklärt. Für ihn sind die virtuellen Möglichkeiten dazu da, die Menschen einzubinden, sie zu erreichen, ihnen Informationen verfügbar zu machen und ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln; innovative Technologien sind Hilfsmittel, um die Lebensverhältnisse zu verbessern und die Lebensqualität zu steigern.

Bernd Röhrle bezeichnet die Mehrgenerationenhäuser in der Tradition gemeindepsychologischer Perspektiven als „innovatives Setting“ (S. 217), für das er „Partnerschaft, Kooperation und Solidarität als Voraussetzung für eine gelingende Vernetzung“ definiert. Mit vielen einzelnen Studien weist er die Auswirkungen solidarischer und kooperativer intergenerationeller Beziehungen nach, geht auf die Voraussetzungen intergenerationeller Solidarität und Kooperation ein und weist auf Interventionen zu deren Herstellung hin. Seines Erachtens mangelt es bisher sowohl an wissenschaftlich evidenten Studien wie an einer Sozialpolitik, die sich zur intergenerationellen Solidarität und Kooperation bekennt.

Die „zivilgesellschaftlichen Wurzeln und Impulse der Mehrgenerationenhäuser“ eruiert Heiner Keupp, indem er Stücke von Primärerfahrung an Nachbarschaftshilfe einfließen lässt. Eigennutz und Gemeinwohlorientierung, Selbst- und Fremdsorge, Geben und Nehmen sind Prozesse, die in Prototypen des Mehrgenerationenhauses stattfinden, alltäglich, selbstorganisiert, alltagssolidarisch und innovativ. Was mit der Familienselbsthilfe als „sozialer Experimentierbaustelle“ (S. 238) begann, konnte in eine zeitgemäße Familienförderung transferiert werden und findet in den Mehrgenerationenhäusern eine Fortsetzung auf „neuem Niveau“ (S. 242).

Die Elemente „Partizipation – Beteiligung – Teilhabe“ beleuchtet Mike Seckinger: Sie sind das Herzstück der Mehrgenerationenhäuser, verändern das Individuum, das Umfeld und die Gemeinde. Der Autor grenzt „echte“ Partizipation von Formen ab, die nur „so tun als ob“, und zeigt Faktoren auf, die „Beteiligung begünstigen oder erschweren“ (S. 248).

Zu Abschnitt V

Die „Facetten des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser“ (Teil V) beginnen mit einem Beitrag von Christopher Gess, der u.a. mit der Wirkungsforschung des Aktionsprogramms I betraut war. Der Autor stellt ausgewählte Indikatoren zur Messung der Sonderstellung der Mehrgenerationenhäuser als soziale Anlaufstellen sowie zum Nachhaltigkeitspotenzial vor. Der „offene Treff“ als weit verbreitete Begegnungsform, der Generationenindex und die Kontakthäufigkeit zwischen den Generationen sowie die Anzahl von freiwillig Engagierten geben viel über die Wirkung preis. Differenziert nach projekt-, nutzen-, system- und verhaltensorientierter Nachhaltigkeit lassen sich fünf Häusertypen unterscheiden. Es verwundert kaum, dass Mehrgenerationenhäuser, die sich als soziale Anlaufstellen etablieren konnten, auch ein hohes Nachhaltigkeitspotenzial zeigten.

Inga Draeger gibt einen Überblick über die „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Mehrgenerationenhäuser“. Zunächst stellt sie die klassischen Instrumente (Pressegespräch, persönliche Einladung, Redaktionsbesuch, Medienkooperation, Pressekontakte) und deren Nutzung für die eigene Publizität dar. Im Anschluss daran gibt sie Hinweise zur Nutzung des Internets und von Social Media, um sich den Zielgruppen zu präsentieren.

In den nachfolgenden vier Beiträgen kommen die Fachgruppen zu Wort:

  • Fachgruppe Ländlicher Raum: „Besondere Herausforderungen des demografischen Wandels auf dem Lande“
  • Fachgruppe Nachhaltige Finanzierungsstrategien: „Vom Sinn finanzieller Nachhaltigkeit: Mehrgenerationenhäuser als Baustein einer strategischen Sozialpolitik für die Zukunft“
  • Christa Burkhardt und Fachgruppe Nachhaltige Finanzierungsstrategien: „Finanzierungsmix – ein Baustein zum Erfolg“
  • Fachgruppe Kommunale Vernetzung: „Zukunftsmodell Kommune – Mehrgenerationenhäuser als Impulsgeber und Partner für sozialen Zusammenhalt“

In den Fachgruppen haben sich Experten und Expertinnen zusammengeschlossen, die ihre Erfahrungen während der Programmlaufzeit I z.T. an konkreten Beispielen dokumentiert und mit dem Ziel systematisiert haben, Praxisempfehlungen für die zweite Laufzeit abzuleiten.

Die Spezifika der Mehrgenerationenhäuser in Salzgitter, Dülmen/Westfalen und Köln/Kalk werden in den folgenden drei Aufsätzen präsentiert: Den Anfang macht die Konzeption eines „offenen Hauses für alle Menschen“ in der Trägerschaft des SOS-Kinderdorfvereins Salzgitter, bei der Willkommen sein, in Kontakt treten, Fürsorge und Sich-Kümmern fokussiert werden. Das Dülmener Modell der Ausbildung von ehrenamtlichen Seniorenbegleitern begann seine Erfolgsgeschichte im Jahr 1999. Bis heute wird es nach den jeweiligen Bedarfen kopiert und abgewandelt. Aktuell verändert es sich in Richtung einer modularisierten Ausbildung zur Betreuungsassistentin und zum Demenzbegleiter. Schwerpunkte des Mehrgenerationenhauses in Köln/Kalk sind das transkulturelle und interreligiöse Arbeiten, der Umgang mit gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt, Integration und Teilhabe.

Das Buch schließt mit einem Ausblick in die „soziologische Kristallkugel“ (S. 333). Konrad Hummel und Andreas Lange riskieren eine Prognose zur Familie und zu den Generationen 2030: Familie und die sozialen Ökologien um sie herum werden sich weiter diversifizieren, so dass im Jahr 2030 ein „gekonntes Schnittstellenmanagement“ (S. 338) zu den „Basisanforderungen erfolgreichen Familienlebens“ (S. 338) gehören wird.

Diskussion

Wer sich mit intergenerativem Arbeiten oder intergenerationeller Bildung beschäftigt, erhält mit diesem Handbuch viel Wissen, dessen man sich bedienen kann – bevor weitere Schreckensszenarien publiziert werden oder die Flucht in den Aktionismus gesucht wird. In der Verbindung von theoretischen Aspekten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Auswertungen praktischer Erfahrungen liegt seine Stärke. Gerade deshalb gehört es in jede Einrichtung und Organisation, die Generationenfragen thematisiert: Die Beiträge ermöglichen es, Planungen für intergeneratives Handeln verschiedentlich zu beleuchten und zu einer reflektierten Entscheidung zu gelangen. Ein weiterer Vorzug des Handbuchs liegt in der starken Anbindung der intergenerationellen Arbeit an die Sozialraumorientierung, was mit der Bezugnahme auf die Mehrgenerationenhäuser zu legitimieren ist. Soziale Anlaufstellen – wie die Mehrgenerationenhäuser genannt werden – intendieren auch individuelle Hilfestellungen, sie sind aber nicht zu denken, ohne sozial-, kommunal-, generationenpolitische und bürgergesellschaftliche Implikationen. Was sich heute als selbstorganisiertes generatives Bewusstsein bei allen Altersgruppen regt, appelliert auch an die strukturellen Gegebenheiten. Insofern ist der Generationendialog ein Querschnitts-Megathema, das den Wohlfahrtsmix und die öffentlichen Gebilde, wie in vielen Beiträgen angesprochen, noch weiter verändern wird.

Die meisten Textbeiträge geben den aktuellen Stand der Literatur wieder; sie wurden für das Handbuch geschrieben. Wenige Beiträge erwecken den Anschein, dass sie aus Komponenten bestehen, die um den intergenerativen Aspekt angereichert wurden: Indizien dafür sind veraltete Quellenangaben oder dass sich der thematische Bezug nicht durchwegs im Text finden lässt, sondern „angeklebt“ wirkt. Ein Handbuch dieses Umfangs mit 32 einzelnen Aufsätzen in eine Form zu gießen, ist ein Kraftakt, den die Herausgebergruppe, wie in der Einführung erwähnt, mit Geduld gemeistert hat. Die von ihr verfasste Einführung verschafft eine sehr gute Orientierung. Obwohl man sich an der einen oder anderen Stelle eine Straffung z.B. zur Erklärung des Generationenbegriffs gewünscht hätte, sind die Wiederholungen letztlich kein Manko, da immer wieder neue Facetten beleuchtet werden, der Einzelbeitrag eines Handbuchs ja auch unabhängig von den anderen verstanden werden muss.

Beim Layout des Textes fällt negativ ins Gewicht, dass die Lesbarkeit häufig durch zu geringe Wortzwischenräume beeinträchtigt wird. In einigen Beiträgen sind auffallend viele Schreibfehler festzustellen.

Fazit

Das Ziel der Herausgeber und Herausgeberinnen, mit dem Handbuch eine „generational literacy“ zu erzeugen, ist gelungen. Die Leser und Leserinnen werden mit Erkenntnissen verschiedener Disziplinen versorgt, um „die Multidimensionalität der Gesellschaft des langen Lebens adäquat beschreiben und analysieren zu können (…) und diese Einsichten in das eigene darauf bezogene Handeln zu integrieren“ (S. 13). Die Kompositionsleistung hat sich gelohnt, denn viele Professions- und Disziplinvertreter/-innen können sich wertvolle Anregungen holen, um eine Basis für ihr berufliches Handeln oder ihre wissenschaftliche Neugier zu erhalten. An vielen Stellen sind Verweise darauf zu finden, worüber noch zu wenig gesichertes Wissen vorhanden ist und worauf beim intergenerativen Arbeiten besonders zu achten ist, um unliebsame „Risiken und Nebenwirkungen“ zu vermeiden.

Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Es gibt 84 Rezensionen von Irmgard Schroll-Decker.

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ISSN 2190-9245