Maria Funder (Hrsg.): The Gender Cage - Revisited
Rezensiert von Dr. Barbara Stiegler, 22.04.2014
Maria Funder (Hrsg.): The Gender Cage - Revisited. Handbuch zur Organisations- und Geschlechterforschung. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2014. 480 Seiten. ISBN 978-3-8487-0018-9. D: 49,00 EUR, A: 50,40 EUR, CH: 69,90 sFr.
Thema und Herausgeberin
Dieses Handbuch ist der erste Band einer Schriftenreihe, die theoretische und empirische Beiträge zu „Arbeit, Organisation und Geschlecht in Wirtschaft und Gesellschaft“ versammeln will. Die Herausgeberin dieses Bandes ist Professorin für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Sie legt ein Handbuch vor, das ein sehr ambitioniertes Ziel verfolgt, nämlich eine Brücke zwischen Organisationstheorie/Organisationsforschung und Geschlechtertheorien/Geschlechterforschung zu schlagen.
Aufbau und Inhalt
Der Band umfasst 16 verschiedene Beiträge:
- der erste Teil gibt einen Überblick über klassische und feministische Organisationsforschung,
- der zweite Teil versammelt Beiträge, die Organisation und Geschlecht aus der Perspektive von Gesellschaftstheorien betrachten,
- im dritten Teil geht es um die Sichtweisen der Organisationsforschung auf die Geschlechterverhältnisse.
- Der vierte Teil greift aktuelle Diskussionen um Interventionsstrategien auf und umfasst zukünftige Perspektiven der Weiterentwicklung des Denkens über und Verändern von Organisationen.
Maria Funder bewertet in ihrer Einführung die klassischen theoretischen Konzepte der Organisationsforschung aus der Geschlechterperspektive: sie arbeitet die verbreitete Geschlechtsblindheit heraus und sieht sie am ehesten im Neoinstitutionalismus überwindbar. Edeltraud Ranftl gibt einen gehaltvollen Überblick über die feministische Organisationsforschung. Auch von dieser Perspektive wird deutlich, dass es notwendig wird, sich mit Organisationstheorien auseinanderzusetzen. Welche der vielen Theorietraditionen aber zu einem „tragfähigen Brückenfeiler“ (S.81) werden könnte, ist ihrer Meinung nach noch nicht ausgemacht.
Im zweiten Teil geben die verschiedenen Autor_innen zunächst eine Skizze der jeweiligen Theorie oder Forschungsrichtung, um die es ihnen geht, und anschließend loten sie aus, ob und wie die Erkenntnisse der Gendertheorien/Forschung anschlussfähig wären. Als erster diskutiert Ralf Wetzel das Verhältnis von Systemtheorie und Genderdiskurs: Systemtheoretisch ist die Ungleichheit der Geschlechter in Organisationen „antiquiert“ und ihre Permanenz zunächst „etwas Überraschendes“, das es ohne schnelle Festlegungen zu erkunden gilt. Roswitha Hofmann arbeitet die Schnittstellen zwischen dem Foucault´schen Konzept, der Organisations- und Geschlechterforschung heraus: sieht man mit Foucault Organisationen als Regierungsdispositiv, so lassen sich geschlechterbezogenen Organisationspathologien auch als Pathologien der Gesellschaft begreifen. Den „Bourdieuschen Werkzeugkasten“ sichtet Johanna Hofbauer. Bordieu steht der Genderforschung bei weitem nicht so fern wie andere, hat er doch selbst eine Theorie männlicher Herrschaft als Paradefall symbolischer Herrschaft entwickelt. Die Autorin sieht dann auch in der Analyse von Machtbeziehungen, in der feldanalytischen Rekonstruktion von Organisationen und in der Verbindung von Makro- Meso- und Mikroebene einen Gewinn für die empirische Organisationsforschung zu der Frage, warum die Ungleichheit der Geschlechter in Organisationen perpetuiert wird. Steffen Dörhöfer referiert die strukturationstheoretische Organisationsanalyse von Antony Giddens, der selbst keinerlei bezug auf Geschlecht vornimmt: Die Anschlussfähigkeit sieht der Autor aber darin, dass ausgehend von der Frage, wieso trotz eines diskursiven „Gleichheitsbewußtseins“ Akteure in ihrem praktischen Handeln keine Gleichstellung herstellen, ein strukturationstheoretischer Analyserahmen in der Lage ist, Widersprüchlichkeiten, Ambivalenzen und Ungleichzeitigkeiten zu erhellen.
Im dritten Teil greifen Maria Funder und Florian May noch einmal den Neoinstitutionalismus auf und seine Inspirationspotentiale für die Geschlechterforschung: In dem Erfassen von „Egalitätsmythen“ und „Gleichheitsfassaden“ sehen sie eine konzeptionell ertragreiche Ergänzung der empirischen Organisationsforschung. Edeltraud Hanappi-Egger und Helga Eberherr stellen prozessorientierte Organisationstheorien vor und finden in deren Focus auf organisatorische Praktiken der Sinn- und Bedeutungskonstruktion den Anknüpfungspunkt für die Genderforschung. Dabei kommen statt der Annahme einer Omnirelevanz von Geschlecht vielmehr kontextabhängige Aktualisierungs- und Deaktualisierungsprozesse in den Blick. Daniela Rastetter und Christiane Jüngling diskutieren die Leistungsfähigkeit des mikropolitischen Ansatzes, indem sie ihn mit dem Konzept der Emotionsarbeit von Arlie Russel Hochschild verbinden: Am Beispiel des Drehtüreffektes, der beschreibt, dass immer mehr qualifizierte Frauen zwar in Karrierelaufbahnen einsteigen aber auch wieder aussteigen, erläutern sie die Fruchtbarkeit dieser Verbindung: So können die belastenden, paradoxen Anforderungen an Gefühlsäußerungen für Frauen, die es für Männer so nicht gibt, als Karrierehemmnis erkannt werden. Brigitte Liebig beschreibt das Konzept der Organisationskultur als wertvolles Mittel, um Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse zu begreifen. Auch die Verwobenheit mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit sowie mit Konstrukten wie Arbeit, Leistung, Zeit und Erfolg kann mit diesem Konzept analysiert werden. Der Beitrag einer feministischen-kritischen Geschlechterforschung für eine Organisationskulturforschung besteht nach ihrer Meinung in dem Aufweis, dass asymmetrische Geschlechterkulturen das organisationelle Lernen verhindern. Maja Apelt und Sylka Scholz zeigen die Anschlussfähigkeit der soziologisch fundierten Männlichkeitsforschung zur Organisationsforschung auf: Männlichkeit ist demnach ein Element der Organisationskultur, das auch als Ressource in mikropolitischen Auseinandersetzungen um Macht und Status fungieren kann.
Im vierten Teil stellt zunächst Gertraude Krell in diskurs-geschichtlicher Weise die verschiedenen Positionen zu Diversity (Management) und Gender Mainstreaming dar und plädiert für vielfältige Verbindungen von Geschlechterpolitik in Organisationen. Demgegenüber setzen sich Nathalie Amstutz und Regula Spaar sehr kritisch mit der tatsächlichen Wirksamkeit des Diversity Managements auseinander. In vielen Fällen sehen sie in Diversity eher eine rhetorische Modernisierung, geben dem Konzept aber doch eine Chance zu „mimetischen Veränderungen“, wenn es mit dem Ansatz der Intersektionalität verknüpft würde. Von einer zunehmenden Bedeutung der Intersektionalität für die beiden Forschungsrichtungen, Genderforschung und Organisationsforschung, geht Helga Eberherr aus. Mit der prinzipiellen Offenheit gegenüber der Relevanz der verschiedenen Kategorien,- auch Geschlecht- für die ungleichheitsgenerierenden Prozesse und Praktiken in Organisationen kann diese Perspektive dazu beitragen, widersprüchliche empirische Phänomene zu erklären. Roswitha Hofmann diskutiert aus einer queer-theoretischen Perspektive verschiedene auf Gleichstellung und Antidiskriminierung gerichtete organisationalen Strategien. Sie kommt zu dem Schluss, dass Organisationen danach untersucht werden müssen, ob sie Veränderungen fördern, die einen Abbau von exkludierenden Normalitätsregimen bewirken, die wiederum auf der Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität beruhen. Elke Wichmann beschäftigt sich zunächst mit den geltenden Rechtsnormen zur Gleichstellung in Organisationen und konfrontiert diese mit der tatsächlichen Gleichstellung: zwar gibt es einen Wandel aber die Gleichstellungsprozesse in politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Organisationen gestalten sich doch sehr langsam. Das liegt auch an der mangelhaften Schärfe der Regelungen. Dennoch setzt die Autorin verhalten optimistisch auf die junge Frauengeneration, die bestens ausgebildet und vor allem mit einem starken Selbstbewusstsein ausgestattet ist.
Diskussion
Das Handbuch bietet einen ausgezeichneten Überblick und Einblick über den Stand der Organisationstheorie/ Forschung und den Stand der Gendertheorien/Forschung, aber auch den Diskussionstand zu geschlechterpolitischen Strategien. Den meisten Autor_innen gelingt es, die jeweils sehr spezifischen, theoretischen Sprachen so zu benutzen, dass sie auch den in den Theorien jeweils „Nicht Eingeweihten“ nützliche Erkenntnisse bringen. Besonders die Möglichkeit und der Ertrag gegenseitiger Befruchtung von Organisationstheorien und Gendertheorien werden deutlich: wer Organisationen als geschlechtsneutral untersucht, ist auf einem Auge blind, wer aber Organisationen nur als „Rahmenbedingung“ versteht, sieht auch nicht das Ganze. Dies mag für viele Praktiker eine Provokation sein, mit den Beiträgen des Handbuches gibt es aber eine ausreichen vielfältige Begründung für die Notwendigkeit der beiden Perspektiven. Die Absicht, Strukturen, Prozesse und Praktiken in Organisationen zu erklären, um sie dann auch mit dem Ziel der Gleichstellung zu verändern, vereint viele Forschungsansätze. Auch wenn der Titel etwas befremdlich erscheint, wer das Buch in die Hand nimmt, findet darin spannende, gut aufgearbeitete Vorlagen für eine weitere Verknüpfung von Geschlechterperspektive und Organisationsforschung, sicher auch viele gute (Denk) Anregungen für die Praxis der Organisationsberatung.
Fazit
Das Handbuch bietet für jede_n etwas: theoretisch Vorgebildete führt es weiter, weniger Spezialisierte führt es in die Problematik ein: Organisationen können nur hinreichend verstanden und untersucht werden, wenn Geschlechterverhältnisse als Teil der Probleme einbezogen werden.
Rezension von
Dr. Barbara Stiegler
Bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung
Friedrich Ebert Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
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Es gibt 47 Rezensionen von Barbara Stiegler.
Zitiervorschlag
Barbara Stiegler. Rezension vom 22.04.2014 zu:
Maria Funder (Hrsg.): The Gender Cage - Revisited. Handbuch zur Organisations- und Geschlechterforschung. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2014.
ISBN 978-3-8487-0018-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16542.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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