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Andreas Gut: Aufsuchen, Unterstützen, Beraten

Rezensiert von Prof. Dr. Matthias Müller, 16.09.2014

Cover Andreas Gut: Aufsuchen, Unterstützen, Beraten ISBN 978-3-89670-985-1

Andreas Gut: Aufsuchen, Unterstützen, Beraten. Lebensweltorientierung und Familientherapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2014. 330 Seiten. ISBN 978-3-89670-985-1. D: 27,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,90 sFr.

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Thema

Andreas Gut setzt sich in seinem Buch mit dem Zusammenspiel von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit in der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) und der Familientherapie auseinander. Er tut dies in Form einer pädagogischen Kasuistik. Als Fall wählt er einen SPFH-Fall aus seiner eigenen Praxis. Das ist insofern interessant, weil er an einem einzigen Fall sehr deutlich macht, wie breit das Spektrum des fachlichen Anforderungsprofils in der SPFH sein kann. Andreas Gut macht sich und seine Praxis damit zum Forschungsgegenstand und macht darüber hinaus etwas interessantes, denn er untersucht, inwiefern zwei unterschiedliche Ansätze der Hilfen für Familien in der Person des Helfers zusammenfließen und eben nicht so abgegrenzt gehandhabt werden, wie es der fachliche (Abgrenzungs)Diskurs gerne suggeriert. Mit Blick auf die Praxis wird so die Nutzung zweier unterschiedlicher Ansätze nicht auf Grund ihrer vermeidlichen Widersprüchlichkeit beschrieben, sondern jeweils vor dem Hintergrund der je spezifische Fallsituation hinsichtlich ihrer spezifischen Nützlichkeit dargestellt. Da es in der SPFH durchaus üblich ist, dass die Helfer_innen Fachkräfte der Sozialen Arbeit und Familientherapeut_innen sind, wendet er sich einem relevanten Praxisthema zu und widmet sich der Forschungslücke zu diesem Thema.

Autor

Andreas Gut ist Dr. phil., Diplom-Sozialpädagoge, Diplom-Theologe und Familientherapeut (DGSF); er war in der Jugend- und Heimerziehung sowie in mobilen Jugendhilfe in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien beschäftigt. Derzeit arbeitet er bei den Martin-Bonhoeffer-Häusern (Tübingen) in der Vermittlung und Beratung von Erziehungsstellen. Darüber hinaus ist er als Lehrbeauftragter im Studiengang Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg tätig.

Entstehungshintergrund

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um seine Dissertation aus dem Jahr 2013 mit dem Titel: „Lebensweltorientierte Soziale Arbeit und Familientherapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Eine Einzelfallstudie zum Zusammenspiel der Disziplinen“ zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Department Erziehungswissenschaft, Psychologie der Fakultät II/ Universität Siegen.

Aufbau

Das Buch gliedert sich in drei Teile und elf Kapitel:

I. Theoretischer Teil: Das Verhältnis von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit und Familientherapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe – zum Stand der Fachdiskussion

  • 1. Sozialpädagogische Familienhilfe
  • 2. Alltagsorientierte Soziale Arbeit und Therapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe
  • 3. Lebensweltorientierte Soziale Arbeit und Familientherapie

II. Empirischer Teil: Fallstudie Familienhilfe Bergmann

  • 4. Forschungsdesign
  • 5. Zusammenfassung der Fallgeschichte
  • 6. Handlungselemente Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit
  • 7. Familientherapeutische Interventionen
  • 8. Langfristige Entwicklungen
  • 9. Zentrale Ergebnisse: Formen des Zusammenspiels von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit und familientherapeutischer Beratung

III. Auswertungsteil: Bilanz aus den theoretischen und empirischen Untersuchungen

  • 10. Das Verhältnis von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit und Familientherapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe – Hypothesen zur Generalisierung der Ergebnisse
  • 11. Zusammenfassung

Inhalt

Im I. Teil (Theoretischer Teil: Das Verhältnis von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit und Familientherapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe – zum Stand der Fachdiskussion) des Buches wird von Andreas Gut in das Thema eingeführt. Dafür erläutert er die Sozialpädagogische Familienhilfe (1. Kapitel) hinsichtlich ihrer Ziele und Aufgaben, Adressaten und Problemspektren, die mit der Hilfe bearbeitet werden, der Abgrenzung zu anderen Hilfeformen und letztlich hinsichtlich einiger unterschiedlicher Konzepte sowie den sich daraus ableitenden unterschiedlichen Handlungsweisen der Hilfe. Das 2. Kapitel (Alltagsorientierte Soziale Arbeit und Therapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe) dient dann insbesondere der Abbildung und Pointierung der Kontroversen in der Fachliteratur zur Bedeutung bzw. der Abgrenzung von Alltagsorientierter Sozialer Arbeit und Familientherapie in der SPFH. Dafür werden insbesondere einige SPFH-Konzepte kurz hinsichtlich ihrer Therapienähe bzw. -fern dargestellt. Das 3. Kapitel führt dann die Lebensweltorientierung und die Familientherapie thematisch zusammen und macht vor allem deutlich, warum die Konzepte für die SPFH relevant sind. Darüber hinaus wird das Forschungsthema an sich plausibilisiert.

Im II. Empirischen Teil (Fallstudie Familienhilfe Bergmann) legt Andreas Gut sein Forschungsdesign (4. Kapitel) dar, erläutert die von ihm verwendet kasuistische Methode in dem Dreischritt Fallbeobachtung, Falldarstellung sowie Fallanalyse (110-111) und stellt vier Fragenkomplexe vor, die für seine Forschung leitend sind. Die Fragenkomplexe (107-109) lauten wie folgt:

  1. Handlungsansätze von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit und Familientherapie und deren praktisches Zusammenspiel
  2. Verortung der Konzepte im Alltag und der Lebenswelt
  3. Verhältnis des Familienhelfers zur Familie
  4. Wertmaßstäbe und familiäre Lebenswirklichkeit.

Diese werden dann am Ende des Buches der kasuistischen Methode entsprechend, in Form von Arbeitshypothesen beantwortet (10. Kapitel). Ziel der Forschung ist es also nicht, Wissen zu generalisieren, sondern Wissen zur Verfügung zu stellen, dass von der Leser_in in Form eines „Fall-zu-Fall-Transfers“ (137) immer wieder aktiv und neu an ihre jeweilige eigene Praxissituation modifizierend angepasst werden kann. In der Zusammenfassung der Fallgeschichte (5. Kapitel) wird der Fall anschaulich und verständlich in Form der Falldarstellung entfaltet. Die Kapitel 6 (Handlungselemente Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit), 7 (Familientherapeutische Interventionen) und 8 (Langfristige Entwicklungen) dienen der differenzierten Fallanalyse in Form von Merkmalen, die den zwei zu analysierenden Konzepten, also der Lebensweltorientierung und der Familientherapie in der SPFH zuzuordnen sind. Dafür unterzieht der Autor sich einerseits der Frage inwiefern er im Sinne der Lebensweltorientierung gearbeitet hat (Kapitel 7). Dies macht er ausführlich entlang der Strukturprinzipien der Lebensweltorientierung plausibel deutlich. Andererseits analysiert er – eher auf der Methodenebene – seine familientherapeutischen Aktivitäten und zeigt an seinem Datenmaterial die konkrete Praxis von familientherapeutischen Elementen in der SPFH. Das 8. Kapitel (Langfristige Entwicklungen) rundet die Fallanalyse ab, indem die Veränderungen bezogen auf die wesentlichen Hilfebeteiligten dargestellt werden. Die Fallanalyse hinsichtlich der Zusammenhängen, die sich aus dem Fall ergeben, werden dann im 9. Kapitel (Zentrale Ergebnisse: Formen des Zusammenspiels von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit und familientherapeutischer Beratung) vorgenommen. Analytische Zusammenhänge findet Andreas Gut hinsichtlich der folgenden sieben Bereiche:

  1. „Das methodische Zusammenspiel: Ergänzung von Lebensweltorientierung Methodenoffenheit und familientherapeutischer Methodenvielfalt
  2. Das inhaltliche Zusammenspiel: Gegenseitige Anregung und Unterstützung von familientherapeutischer Beratung und Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit
  3. Das Zusammenspiel auf der Ebenen der Angebotsstruktur: Lebensweltorientierte Soziale Arbeit als Türöffner für familientherapeutische Beratung
  4. Das präventive Zusammenspiel: Familientherapeutische Beratung als Präventionsbaustein innerhalb einer lebensweltorientierter Sozialpädagogischer Familienhilfe
  5. Das Zusammenspiel im Umgang mit Wertmaßstäben: Familientherapeutische Beratung und Lebensweltorientierte Soziale Arbeit als provokative, normative und flexible Orientierungshilfe
  6. Das Zusammenspiel in der Kooperation mit den Adressaten: Partizipation und die Vorläufigkeit fachlicher Hypothesen
  7. Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Rollen: Familienhilfe zwischen tatkräftiger Unterstützung und (familien-)therapeutischer Zurückhaltung“ (291).

Im III. Teil (Auswertungsteil: Bilanz aus den theoretischen und empirischen Untersuchungen) des Buches werden im 10. Kapitel (Das Verhältnis von Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit und Familientherapie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe – Hypothesen zur Generalisierung der Ergebnisse) die bereits angekündigten Arbeitshypothesen bezogen auf die im 4. Kapitel dargestellt Fragenkomplexe aufgestellt. In diesem Kapitel schließt sich also die Fallanalyse mit Bezug zu den ursprünglich formulierten Fragen und eröffnet in Form von Arbeitshypothesen die Möglichkeit des Fall-zu-Fall-Transfers für die Leser_in. Die halbseitige Zusammenfassung (11. Kapitel), die das Buch abschließt, hat eher den Charakter eines Abstracts.

Diskussion

Das Buch von Andreas Gut ist aus mehreren Gründen ein interessantes und wichtiges Buch. Zu nächst thematisiert es mit der Lebensweltorientierung und der Familientherapie zwei Konzepte, die nicht nur von hoher Praxisrelevanz sind, sondern in dieser Kombination vermutlich auch häufiger praktiziert werden als es den Protagonisten, die von einem gegenseitigen Ausschluss der Konzepte ausgehen, lieb ist. Außerdem liefert das Buch eine sehr facettenreiche und detaillierte Fallbeschreibung eines SPHF-Falles. Der Nutzen einer solchen differenzierten Einzelfalldarstellung liegt aus meiner Sicht darin, dass überhaupt deutlich wird, welche Leistungsfähigkeit in der SPFH liegt, wenn sie auf einem fachlich hohen Niveau durchgeführt wird. Dabei wird auch deutlich, dass die Helfer_innen in der Lage sein müssen, mit einer hohen Komplexität umgehen zu können, ohne selbst dabei die Orientierung zu verlieren.

Die Arbeit von Andreas Gut zeigt sehr deutlich auf, wie hilfreich familientherapeutisch Kompetenzen dabei sein können. Gerade weil der beschriebene Fall so deutlich an der Familiendynamik anknüpft, scheint zumindest die Vermutung nahe, dass die Fachkräfte hier für eine gelingende Praxis Kompetenzen aufbauen sollten. In der Analyse wird aber eben auch deutlich, dass eine familientherapeutische Engführung der SPFH nicht gerecht wird, weil sie letztlich nicht ohne die Fokussierung der Verhältnisse auskommt, in der die Familien leben. Die tendenzielle Methodenferne der Lebensweltorientierung scheint hier allerdings für die Praxis nicht sonderlich hilfreich. Der lebensweltorientiere Begriff der „strukturellen Offenheit“, den der Autor nutzt, um familientherapeutische Methoden lebensweltlich zu integrieren und zu legitimieren, ist vor dem Hintergrund dessen, was alles in der SPFH zu leisten ist, alles andere als eine methodische Hilfe. Die Lebensweltorientierung scheint hier weniger Antworten für das komplexe Anforderungsprofil der Helfer_innen zu liefern, als die familientherapeutischen Konzepte. Dieses macht ja auch nicht zuletzt die Attraktivität von familientherapeutischen Weiterbildungen für Familienhelfer aus.

Die abschließenden Arbeitshypothesen zum Verhältnis von Lebensweltorientierung und Familientherapie in der SPFH liefern einen Orientierungsrahmen, wie die Konzepte für die Praxis integriert und produktiv genutzt werden können. Beim Lesen der Entwicklung der Arbeitshypothesen hat man jedoch das Gefühl, dass eine weitere methodische orientierende Konkretisierung für die Praxis wünschenswert gewesen wäre und hier noch Potentiale gelegen hätten. Von den Arbeitshypothesen aus können allerdings aus meiner Sicht gut weiterführende Forschungen angeschlossen werden.

Fazit

Insgesamt zeigt die Forschung von Andreas Gut wie anspruchsvoll die Praxis der SPFH ist. Er bietet einen interessanten Einblick in die Gestaltung einer lebensweltlich-familientherapeutisch fundierten SPFH. Die Arbeit zeigt deutlich, auf welchem fachlichen Niveau in der SPFH gearbeitet werden sollte. Schade ist, dass der Forschungszugang nicht mehr als bloße Arbeitshypothesen und keine weiteren Konkretisierungen für die Praxis liefert. Praktiker_innen können sich aber dennoch an diesen gut orientieren sowie sich entlang dieser in ihrer Handlungspraxis reflektieren und Forscher_Innen können hier wichtige Anregungen für ihre Forschungen finden. Das Buch selbst und die zuvor genannten Potentiale für die Praxis und Wissenschaft können die Professionalisierung in der SPFH weiter voran zu treiben. Es handelt es sich somit um interessantes Buch, das sich den Phänomenen der SPFH weiter annähert und die Hilfeform weiter fundiert.

Rezension von
Prof. Dr. Matthias Müller
Professor für Pädagogik, Sozialpädagogik, Hilfen zur Erziehung an der Hochschule Neubrandenburg
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Es gibt 4 Rezensionen von Matthias Müller.

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ISSN 2190-9245