Margrit Schenk, Richard Löhr: Musiktherapie in der Palliativ- und Hospiz-Arbeit
Rezensiert von Dr. Frank Henn, 21.05.2014
Margrit Schenk, Richard Löhr: Musiktherapie in der Palliativ- und Hospiz-Arbeit. 21. Musiktherapietagung am Freien Musikzentrum München e. V. (2. bis 3. März 2013).
Dr. Ludwig Reichert Verlag
(Wiesbaden) 2014.
56 Seiten.
ISBN 978-3-89500-988-4.
D: 18,00 EUR,
A: 18,50 EUR,
CH: 25,90 sFr.
Reihe: zeitpunkt musik.
Herausgeberin und Herausgeber
Die Herausgeber – M. Schenk und R. Löhr – sind ausgebildete und praktizierende Musiktherapeuten. R. Löhr arbeitet in der Palliativmedizin. Die Autoren: Martina Baumann, Dr. Barbara Dehm-Gauwerky, Anna Ebner, Annette M. Kiesewetter sind in PalliativCare und/oder Hospizarbeit als Musiktherapeutinnen tätig. Dr. med. Susanne Vogel arbeitet als Palliativmedizinerin. Beate Augustyn ist Trauerbegleiterin.
Entstehungshintergrund
Dem Buch „Musiktherapie in der Palliativ- und Hospizarbeit“ liegt die 21. Musiktherapie-Tagung am Freien Musikzentrum-München e.V. vom 2.-3.März 2013 zu Grunde. Es stellt einen Tagungsband dar.
Aufbau
Fünf Beiträge von sechs Autorinnen werden als jeweils für sich abgeschlossene und nicht zwingend aufeinander folgende Berichte präsentiert. Die unterschiedlichen Perspektiven zur Sache „Sterbeprozess“, „Trauerarbeit“ können vom Leser in freier Form der Folge studiert werden.
Neben einem Vorwort der Herausgeber, in dem mit wenigen Sätzen die Autorinnen und deren Bezug zur Thematik vorgestellt werden und die Notwendigkeit der bestmöglichen Versorgung von progredienten Patienten herausgehoben wird, enthält der Band fünf Beiträge:
- von Annette Kiesewetter mit dem Titel: Musik und Spiritualität – Musiktherapie und Seelsorge: Neue Wege für die Kooperation in der Sterbebegleitung
- von Dr. Barbara Dehm-Gauwerky mit dem Titel: Einen Menschen braucht man hier
- von Martina Baumann mit dem Titel: Begrüßung gleichzeitig mit Musik
- von Anna Ebner und Dr. med. Susanne Vogel mit dem Titel: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ Zur Kommunikation der Berufsgruppen (Medizin, Musiktherapie)
- von Beate Augustyn mit dem Titel: Trauern hat System. Der Tod beendet ein Leben. Er beendet nicht die Beziehung.
Der Band schließt mit den beruflichen Kurzvita der Autorinnen.
Ausgewählte Inhalte
M. Schenk & R. Löhr stellen Erfahrungs- und Forschungsberichte von professionellen Kräften – hauptsächlich Musiktherapeuten – im Arbeitsfeld „Palliativ- und Hospizarbeit“ vor. Sie legen den Fokus auf deren sozialen Umgang (Nähe – Distanz zu Betroffenen), deren Haltung (im Disziplinen übergreifenden Team) und Methoden (Lieder singen, Improvisation) mit Sterbenden und Angehörigen dar.
Erfolgreiche Vorgehensweisen und auf dem Weg dorthin zu bewältigende Hürden (etwa erste Ablehnungen von Sterbenden gegenüber therapeutischen Angeboten – Selbstbestimmung und späteres Zulassen) offerieren dem Leser stützende Möglichkeiten für eigene respektvolle Begegnungen in diesen Momenten.
Die Bedürfnisse der Patienten nach kommunikativen Zugängen außerhalb der medizinisch-pflegerischen Versorgung, werden durch die vorgestellten Forschungsergebnisse (Entspannung, Abwechslung, Lebensrückblick) beleuchtet. Der Einsatz von Musikinstrumenten (Saiteninstrumente, Stimme, Klanginstrumente) zeigt auf, wie den kommunikativen Wünschen der Patienten von der musiktherapeutischen Auswahl her tendenziell begegnet wird.
Dr. Barbara Dehm-Gauwerky greift aus ihrem Berufserleben heraus den Titel: „Einen Menschen braucht man hier“, als Ausspruch einer dementen Frau, von einer gerontopsychiatrischen Station auf. Das Bedürfnis nach „mehr als medizinischer Grundversorgung“ wird hierdurch angesprochen. Der drängende Bedarf von zwischenmenschlichen Begegnungen wird in seiner tiefen Bedeutung hervorgehoben.
Es wird betont: „Was aber bedeutet es, einem sterbenden Menschen menschlich zu begegnen?“ Ernst Cassirers „animal symbolicum“ wird aufgegriffen und die Problematik unserer „Nicht-ineinander-Aufgehen(den)“ Existenz zwischen den Welten von Natur und Kultur beschrieben, die durch das Symbolische (Resonanz, Empathie und Bedeutung) eine fundamentale identitätsbildende Brücke der Vermittlung erhalten.
Damit hochgradig demente Menschen diesen Brückenschlag weiterhin oder überhaupt in einem Miteinander ausleben können, ist es notwendig, „dass wir in uns selber Szenen wachrufen können, die denen unserer Patienten ähnlich sind“. (Übertragung und Gegenübertragung). Doch: Wie mag das Einfühlungsvermögen beim Thema „Sterben“ möglich sein? Frau Dr. Dehm-Gauwerky zeigt mit drei Beispielen aus ihrer Praxis, wie sie diesem Dilemma begegnet.
Die eindrucksvollen Beispiele, mit soziobiographischen Hinweisen, veranschaulichen, wie musiktherapeutisch tiefe traumatische Erlebnisse, wie die „geographischen Entwurzelung“ oder „Missbrauchserfahrungen“ selbst im hohen Alter würdig angegangen und behandelt werden können, so dass sich die Lebensqualität der Protagonisten „erhellt“. Musik bzw. Musiktherapie ist dabei eine -nicht die alleinige- hervorragend dienliche Methode.
Martina Baumann betont in ihrem Beitrag die Fähigkeiten „stimmig zu sein, taktvoll zu handeln, in der Balance zwischen dem Ich und den Anderen“ zusammengefasst als „atmosphärische Intelligenz“ (Udo Loda). Martina Baumann betrachtet Musik als Urerfahrung und als Muttersprache, als Lebensbegleiter, Trostspender, u.v.m. Sie weist darauf hin, dass alle Kulturen Musik einsetzen und Rituale (wie Hochzeit, Beerdigung) durch Musik versinnlicht werden. Musik dient dabei, um die Verbindung zur nicht fassbaren Welt besser, oder überhaupt, zu verstehen. Die Emotionalität und Urerfahrung des Musikerlebens wird z.B. durch die Hörerfahrungen im Mutterleib, oder Kindheitserinnerungen begründet.
Der Absatz „Musiktherapeuten in der Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen nutzen die Wirkkraft der Musik und Verbindung mit ihren therapeutischen Fähigkeiten“ widmet sich der praktischen Vorgehensweise. Musiktherapie ereignet sich in einem Hospiz oder auf einer Palliativstation am Krankenbett oder im öffentlichen Raum. Sie ist beziehungsorientiert und darf auch Kunst sein. Synonyme wie Musikfürsorge, -seelsorge sind möglich.
Für Martina Baumann sind als Herz des Handelns beispielsweise wichtig: „Die Haltungen hinter dem Tun“ wie:
- die „Absichtslosigkeit“, als Lösung vom Erwartungsdruck.
- die „aufsuchende Haltung“, als Hinweis auf die aktive Realität des Musiktherapeuten, die den Auftrag des Handelns bewusst machen soll.
- die „Flexibilität in Raum und Zeit“, als zu akzeptierende spontan mögliche Veränderung, oder Abweichung vom Setting im sozialen Geschehen hin.
- Die „Freie Improvisation im Schwebezustand“, als Begegnungsform.
Mit Bezug auf eine elementare Erfahrung im Hospiz schildert Martina Baumann, dass sie gelernt hat, den Gästen auch Zeit zu geben, bzw. zu bestimmen wann diese Musiktherapie möchten oder zulassen können. Hier dient ihrer Erfahrung nach ein „Atmosphärisches Spielen im öffentlichen Raum“, wie z.B. Klavierspielen im Aufenthaltsraum, um verschiedenen Menschen eine Option anzureichen die Person der Musiktherapeutin aus der gesicherten Distanz ein wenig kennen zu lernen. Dass dieses atmosphärische Spielen auch die Mitarbeiter des Hauses erreichen kann und dort für „Gesundheit“ sorgen kann, ist ein erfreulicher „Nebeneffekt“ am Rande.
Ihren Beitrag schließt Martina Baumann mit „Gedanken zur Gesundheit und Lebenskunst am Lebensende“. Selbst am Lebensende kann Musik unheilbar kranken „Lebenskünstlern“ dazu verhelfen ihre Schaffenskraft durch Musikerleben zu fördern.
Diskussion
Die prinzipiell als Vorträge konzipierten Berichte zeichnen sich durch eine hohe fachliche Verbundenheit aus. Dazu gehören auch offen geschilderte und selbstoffenbarende Zweifel, die zur Diskussion gestellt werden. Das hochsensible Terrain „Sterbeprozess“ weist einmal mehr auf seine, der Sache immanente, Unmöglichkeit eines stets geltenden Handlungsmusters auf. Perspektivische Mittel der Autorinnen, wie die Fragen zur Verhältnismäßigkeit von Natur und Kultur, von Bedeutung gebenden Symbolen (präsentativ/diskursiv), Sehnsüchten nach Heimat, Tendenzen zur Trauerbewältigung oder Versinnlichung von Übergangsritualen durch Musik, reichen dem Leser dienliche Haltungen als persönliche Ausrichtungen an, die es auf die spezifischen Fälle anzupassen gilt. Die vorgestellten Beispiele, aus dem meist musiktherapeutischen Setting, sind nachvollziehbar. Neben religiösen, meist christlichen Liedern, die häufig in der Palliativ- und Hospizarbeit von Musiktherapeuten herangezogen werden, ist insbesondere der kulturelle Wandel „Migration“ auch in diesem Bereich angesprochen worden. Der Aspekt „Sehnsucht nach Heimat“ (Türkei) ist aufgegriffen und gibt eine engagierte Variante zum Umgang mit Menschen, die einen Migrationshintergrund haben und die durch Musiktherapie eine Option erhalten, ihrem speziellen emotionalen Bedürfnis nachkommen zu können.
Fazit
Der Begegnung mit unheilbaren Patienten, deren Sterbeprozess in vielen Fällen eingetreten ist, erwartet von Musiktherapeuten enorme Fachlichkeit, soziale Sensibilität, Kraft und Reflexionsfähigkeit. Die Autorinnen trumpfen mit diesen Fähigkeiten bzw. Tugenden auf. Ein Querschnitt von einigen musiktherapeutischen Methoden und sozialen Voraussetzungen der Patienten ermöglichen dem Leser Einblicke in finale Begegnungen zu erhalten. Das Ziel, dem Protagonisten Lebensqualität zu bescheren, wird mittels gezeigter Haltung, als persönliche Ausrichtung angegangen und bestmöglich umgesetzt. Der Wermutstropfen dieses Buches ist im Verhältnis von geringem Seitenumfang zum Preis zu suchen.
Rezension von
Dr. Frank Henn
Erziehungswissenschaftler, Sozialpädagoge, Musikpädagoge, Musiktherapeut DMtG zertifiziert), Heilpraktiker – Psychotherapie
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Es gibt 6 Rezensionen von Frank Henn.
Zitiervorschlag
Frank Henn. Rezension vom 21.05.2014 zu:
Margrit Schenk, Richard Löhr: Musiktherapie in der Palliativ- und Hospiz-Arbeit. 21. Musiktherapietagung am Freien Musikzentrum München e. V. (2. bis 3. März 2013). Dr. Ludwig Reichert Verlag
(Wiesbaden) 2014.
ISBN 978-3-89500-988-4.
Reihe: zeitpunkt musik.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16562.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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