Thomas Claus, Ottmar Döring u.a.: Gender Management im Unternehmen
Rezensiert von Dr. Barbara Stiegler, 28.04.2014

Thomas Claus, Ottmar Döring, Brigitta Freckmann, Isabell Klingert: Gender Management im Unternehmen. Bedarf, Implementierungsstrategien, Perspektiven.
W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG
(Bielefeld) 2014.
52 Seiten.
ISBN 978-3-7639-5289-2.
D: 22,90 EUR,
A: 23,60 EUR,
CH: 32,90 sFr.
Reihe: Leitfaden für die Bildungspraxis - 59.
Entstehungshintergrund und Thema
Diese Veröffentlichung besteht aus einem Leitfaden, der in dem Projekt „Entwicklung von Methoden und Instrumenten des Gender Management für Unternehmen“ (2011-2013) erarbeitet worden ist. Projektbeteiligte waren G/I/S/A Gender Institut Sachsen- Anhalt, RKW Sachsen AnhaltGmbH und Berufliche Fortbildungszentren der bayrischen Wirtschaft gGmbH.
Zielgruppe
Der Leitfaden richtet sich an Fach- und Führungskräfte in KMU, die für die Integration der Genderperspektive in betriebliche Prozesse interessiert und motiviert werden sollen.
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau des Leitfadens folgt dem Prozess einer systematischen Integration mit den Schritten:
- Vorbereitung,
- Durchführung und
- Auswertung.
Dabei gibt es für jeden Schritt eine systematische Erörterung der vielfältigen Möglichkeiten und je ein konkretes Beispiel aus einem Unternehmen.
Im ersten Schritt (Initiierung und Planung) geht es um Handreichungen für eine Analyse der betrieblichen Ausgangssituation, also für eine Genderanalyse, die durch die Erhebung objektiver (struktureller) und subjektiver Daten (Stimmungsbarometer) erfolgt. Anschließend werden hilfreiche Fragen und Hinweise für die Bewertung der geschlechtsdifferenzierten Daten, die Definition des Handlungsbedarfs und die Formulierung betrieblicher Zielsetzungen vorgestellt.
Im nächsten Schritt( Integration der Genderperspektive in Handlungen) werden vier betriebliche Handlungsfelder definiert, in denen Chancengerechtigkeit hergestellt werden kann. Es werden die entsprechenden Methoden und Instrumente beschrieben und an Beispielen aus der Praxis verdeutlicht. Im ersten Handlungsfeld „Unternehmensführung“ werden Phasen einer gendersensiblen Leitbildentwicklung erläutert. Im zweiten Handlungsfeld „Arbeitsorganisation“ geht es um die geschlechtergerechte Gestaltung vor allem der Arbeitszeit (Flexibilisierung, Wiedereinstiegsmöglichkeiten) und den Wissenstransfer (kollegiale Fallberatung).
Die Identifizierung von Nachwuchskräften und die Erarbeitung von Qualifizierungskonzepten werden im dritten Handlungsfeld „Personalentwicklung“ unter Genderaspekten bearbeitet: es gibt Vorschläge zur Formulierung von Kompetenzprofilen, Kompetenzbilanzen und zur Planung entsprechender Seminarstrukturen und -inhalte.
Im vierten Handlungsfeld „Produkt-und Dienstleistungsentwicklung“ wird das Gender Marketing, also eine geschlechterdifferenzierende Form der Marketingstrategie, der Kundenzufriedenheitsanalyse und der Werbestrategie vorgestellt.
Der dritte Schritt des Gender Managements ist seine Auswertung und Verstetigung. Zur ersten Evaluation des Umsetzungsprozesses wird ein Fragebogen angeboten. Zum Schluss gibt es weiterführende Informationen durch eine kurze annotierte Bibliographie, Weblinks und sechs Instrumente.
Diskussion
Diese Veröffentlichung versteht sich als Leitfaden für die Bildungsarbeit von Fach- und Führungskräften. Sie bietet eine Einführung in einige Genderbezüge betrieblichen Handelns sowie deren Gestaltung. Sie ist klar gegliedert und übersichtlich, bietet anschauliche Schemata und praktische Beispiele. Kritischen Nutzer_innen aus der Bildungsarbeit wird sich allerdings die Frage stellen, ob ein neuer Managementstil, also anders Handeln, nicht auch anderes, komplexeres Denken, etwa über Geschlecht, voraussetzt. Dazu bietet der Leitfaden wenig. Stattdessen führt er die in der Geschlechterforschung etwas ungewöhnliche Unterscheidung zwischen „funktionalen“ und „dysfunktionalen“ Differenzen zwischen Männern und Frauen aus: die funktionalen Differenzen sind danach solche Differenzen, die allen Beteiligten nutzen, die dysfunktionalen solche, die langfristig allen schaden. Die Autor_innen definieren Gender Management als „funktionale Gestaltung aller betrieblich relevanten Geschlechterverhältnisse“. Diese Gestaltung sollte systematisch, top-down und nachhaltig erfolgen. Sie gehen dabei von einer sogenannten „win-win“ Situation aus und argumentieren: Betriebe erhalten sich dadurch wertvolle Fachkräfte, Beschäftigte können eine bessere Work-life Balance und speziell die Frauen eine verbesserte Aufstiegsperspektive erreichen.
Die Charakterisierung des Gender Managements ist ambitioniert: Die Autor_innen halten Gender Management für eine Integration von zwei Strategien: dem Gender Mainstreaming und dem Diversity Management. Vom Gender Mainstreaming entliehen ist die Top-Down Strategie und die systematische Integration der Geschlechterperspektive, mit Managing Diversity wird die essentielle Definition von Geschlecht und die betriebliche Nutzenperspektive geteilt. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dieser „Integration“ findet allerdings nicht statt, die Grenzen des Gender Management werden nicht benannt. Sie liegen aber auf der Hand: z.B. betriebliche Entlohnung, Arbeitsbewertungsprozesse und bezahlte Zeiten für private Carearbeit für Kinder und Pflegebedürftige müssen aus den betrieblichen Handlungsfeldern ausgeblendet werden, liegen sie doch nicht im Interesse des Unternehmens. Insofern ist es nicht einsichtig, wenn Gender Management als „weitreichender“ Ansatz vorgestellt wird, eher zeichnet er sich durch eine hohe Anpassung an die gegebenen Bedingungen in KMU aus.
Fazit
Der Leitfaden ist eine anschauliche, praxisnahe Darstellung einiger Veränderungsmöglichkeiten im Sinne von mehr Geschlechtergerechtigkeit in Betrieben. Fach- und Führungskräfte werden in der Beschreibung des Managementprozesses vieles aus der Managementlehre wiedererkennen. Für Bildungspraktiker_innen im Bereich Führungskräfte allerdings reicht das hier vorgelegte Reflexionsniveau über Gender und geschlechterpolitische Strategien nicht aus.
Rezension von
Dr. Barbara Stiegler
Bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung
Friedrich Ebert Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
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Es gibt 44 Rezensionen von Barbara Stiegler.
Zitiervorschlag
Barbara Stiegler. Rezension vom 28.04.2014 zu:
Thomas Claus, Ottmar Döring, Brigitta Freckmann, Isabell Klingert: Gender Management im Unternehmen. Bedarf, Implementierungsstrategien, Perspektiven. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG
(Bielefeld) 2014.
ISBN 978-3-7639-5289-2.
Reihe: Leitfaden für die Bildungspraxis - 59.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16567.php, Datum des Zugriffs 30.11.2023.
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