Ruth Seliger: Positive Leadership. Die Revolution in der Führung
Rezensiert von Thomas Reinhardt, 18.06.2014

Ruth Seliger: Positive Leadership. Die Revolution in der Führung.
Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
(Stuttgart) 2014.
200 Seiten.
ISBN 978-3-7910-3267-2.
D: 39,95 EUR,
A: 41,10 EUR,
CH: 54,00 sFr.
Reihe: Systemisches Management.
Thema und Entstehungshintergrund
Um es vorweg zu nehmen: Dieses Buch fasziniert durch die Verbindung aktueller Führungstheorie mit dem systemischen Denken und der Positiven Psychologie auf der Grundlage einer Haltung, die ausgezeichnete Leistung, Zufriedenheit, Sinnstiftung und Glück am Arbeitsplatz anstrebt.
„Positive Leadership“ setze dort an, wo das „Dschungelbuch der Führung“ von Ruth Seliger aufgehört habe, schreibt die Autorin in ihren „Vor-Gedanken“. Sie möchte im vorliegenden Band das „breite Feld von Positive Leadership vertieft“ vorstellen und „Anregungen zum Tun“ geben. Dabei definiert sie sich als eine „Praktikerin, die auf dem Boden der Theorie steht“. Ruth Seligers „Leidenschaft für den Ansatz von Positive Leadership wurzelt“ in ihrer „Hoffnung, dass wir uns selbst und damit vielleicht die Welt in eine gute Richtung verändern können, wenn wir mit Wertschätzung und Respekt mit uns selbst und der Welt umgehen.“ Sie betont die grosse Aufgabe und Chance, die Führung dabei hat.
Appreciative Inquiry nach David Cooperrider und Diana Whitney ist eine der Quellen aus denen Ruth Seliger schöpft und diese mit dem Konzept der Positiven Psychologie von Martin Seligman zusammenfliessen lässt. Sie stellt Methoden und Instrumente vor, die die Selbstorganisation und die „organisationale Energie“ befördern und betont die Bedeutung der Selbstführung und Selbsterkenntnis für Führungsmenschen.
Autorin
Die Autorin Ruth Seliger ist geschäftsführende Gesellschafterin der Beratungsfirma „trainconsulting“ und arbeitet als Organisationsberaterin in Veränderungsprozessen. Zum Thema systemische Führung liegen einige Publikationen von ihr vor.
Aufbau
Das Buch ist übersichtlich in zwei Teile gegliedert: Teil 1 widmet sich den Konzepten und methodischen Grundlagen von Positive Leadership und in Teil 2 folgen die praktischen Methoden für die Umsetzung. Literaturverzeichnis, Stichwortregister und Kontaktadresse der Autorin sind hilfreich, online-Materialien gibt´s nicht, was aber dem spannenden Buch keinen Abbruch tut. Fallbeispiele und wenige Illustrationen sind Bereicherungen.
Inhalt
Zu Beginn leitet Bertolt Brechts Galileo Galilei das 1. Kapitel „Der Paradigmenwechsel“ ein. Ruth Seliger zitiert Jeremy Rifkin, „genialer Vordenker“, der unsere Zeit als „dritte industrielle Revolution“ versteht. Vorstechendes Merkmal sei der Wandel weg von einer vertikalen, also hierarchischen, zu einer horizontalen, also kooperativen Weltsicht. Einen Ausflug in die Geschichte zeigt die Eruptionen des Wandels ins naturwissenschaftlich-technische Zeitalter ab dem 15. und 16. Jahrhundert und legt offen, wie die in diesem Umbruch entstandenen Glaubenssätze heute brüchig werden und an Gültigkeit verlieren. Sie ortet einen Beginn des Bruchs der Glaubenssysteme in der Forschung von Poincaré zur Bahn des Mondes um die Erde die in der Unschärferelation von Heisenberg fortgesetzt wurde: Der Glaube an die Gültigkeit, Realität genau messen zu können, ist verloren gegangen. Heute steht die Wissenschaft im Zeichen der Erforschung nichtlinearer Systeme. Die Disziplinen der Neurowissenschaft, der Komplexitäts- und der Kommunikationsforschung werden wichtig. Da Führung immer ein Produkt der gesellschaftlichen Umstände ist, findet auch dort zwangsläufig ein Paradigmenwechsel statt. Positive Leadership ist ein Ausdruck davon. Dieser Wandel begann im letzten Jahrhundert und führt dazu, dass Organisationen, wie sie heute noch üblich sind, zunehmend an der komplexen Wirklichkeit scheitern. Ruth Seliger betont, dass der Ursprung der traditionellen Organisationsformen beim römischen Heer und dem Role-Model der katholischen Kirche zu suchen ist und als „Command and Control“ beschrieben werden kann.
Neue Wege zwängen sich auf, doch es sind die „Vanguard-Organizations“ die die Zeichen der Zeit erkannt und bereits Umsetzungsschritte unternommen haben, um lebendigen und komplexen Systemen gerecht zu werden und um diese funktionsfähig zu halten. Als Beispiel führt die Autorin in ihrer „Case Study“ das Unternehmen „Gore“ an, das für ihre atmungsaktiven Textilien bekannt ist. Dort muss Führung sich ihre Anhängerschaft suchen, was sich darin ausdrückt, dass nur „Leader“ ist, der oder die es schafft, Leute an die Meetings zu holen, die er oder sie einberufen haben. Weitere Merkmale dieser avantgardistischen Organisationsformen sind: direkte Kommunikation, Nutzen eines Teils der Arbeitszeit zur Entwicklung neuer Ideen, Auswahl der Mitarbeitenden durch die Kolleginnen und Kollegen, Koppelung der Gehaltssysteme an den Erfolg und schliesslich eine Unternehmenskultur, die sich an Fairness, Freiheit, Commitment, Konsultation orientiert.
Im 2. Kapitel behandelt Ruth Seliger die theoretischen Grundlagen von Positive Leadership und spannt einen weiten Bogen von der Systemtheorie (Maturana und Varela) zur Positiven Psychologie (Seligman) hin zur Forschung des Glücks (Ciompi, Csikszentmihalyi), um sich dann den interdisziplinären Fragestellungen zuzuwenden: Was hält gesund? Welches sind die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung? (Hüther ) Ausgehend von Keynes, der in Abgrenzung zu Smith den Menschen als ein emotionales Wesen begreift, wendet Ruth Seliger sich den Fragen zu, die Gefühle in der Ökonomie spielen. Sie streicht die Bedeutung der Erzählung von Ereignissen hervor, die sinnstiftend für die Gemeinschaft sind und dadurch als emotionaler Treiber der Wirtschaft wirken. Die Verknüpfung all dieser Erkenntnisse aus Psychologie, Hirnforschung und Ökonomie miteinander verändern schliesslich auch unser Bild vom Menschen.
Im 3. Kapitel wird Positive Leadership als Welt- und Menschenbild festgelegt. Ruth Seliger beginnt, wie meist, wenn sie Begriffe definiert, mit der Analyse der etymologischen Bedeutung, hier zunächst von „Positive“. Sie grenzt davon den Begriff, der so gerne in der Managementliteratur genutzt wird, ab: nämlich den Begriff der „Ziele“. Ziele beschreibt sie als Ausdruck eines Mangels. „Positive“ dagegen bedeutet: „gesetzt“ und beschreibt das Gegenwärtige. Das was ist, ist. „Führung“ bedeutet etwas in Bewegung und in eine Richtung zu bringen und bewegt sich in den drei Aufgabenfeldern: Sich selbst führen, Menschen führen, die eigene Organisation führen. Sie wendet sich dem Begriff „Arbeit“ zu, die „entfremdet“ (Marx) sein kann und, ich zitiere den Satz, der mich zum Nachdenken brachte: „Der Begriff der ‚entfremdeten Arbeit‘ ist aus der öffentlichen Diskussion verschwunden, obwohl er sehr präzise definiert, woran vieles heute krankt.“ Abgerundet wird das 3. Kapitel mit einer Einführung in die Theorie der organisationalen Energie (Bruch) und der Bedeutung der entscheidenden Prinzipien: Sinn, Zuversicht und Einfluss.
Der erste Teil des Buches wird mit der Vorstellung zentraler Elemente von Positive Leadership abgeschlossen. Beginnend bei den lösungsorientierten Fragestellungen behandelt die Autorin das Konzept Appreciative Inquiry und die „Positiven Abweichungen“ um mit Methoden der Grossgruppenmoderation und des „Strengths based Managements“ (hier z.B. der Stärkenkatalog von Gallup) den „Flow“, also den Fluss, das Glück, die Energie zu fördern.
Der zweite Teil dient der Umsetzung und der Orientierung für Praktiker, die Positive Leadership in ihren Führungsalltag aufnehmen wollen. Ausgehend von der basalen Notwendigkeit, „sich selbst“ zu führen, um Menschen und Organisationen zu führen, erhält der Leser, die Leserin eine Übersicht hilfreicher Methoden und bedient sich dabei altbewährter Modelle zu den Grundwerten (Riemann) oder der positiven Selbstreflexion um dann in das Konzept der Positiven Abweichung (Cameron) einzuführen und mit einer Reflexionsübung von Csikszentmihalyi zur Unterstützung des eigenen Flows ein weiteres praktisches Hilfsmittel an die Hand zu geben. Ebenso erhält der Leser, die Leserin in den folgenden Unterkapiteln zu Menschen und Organisationen führen einen Katalog aktueller und geprüfter Werkzeuge, die illustrieren, wie weit gefasst Positive Leadership ist. Aktuelle „Case Studies“ illustrieren auf lebendige Weise den Nutzen bei der Anwendung einzelner Werkzeuge.
Um schliesslich Positive Organisationen zu schaffen ist ein Organisationsdesign Voraussetzung, das diese Zielsetzung unterstützt. Dabei folgen Pionierorganisationen den Prinzipien „5 F“ nach Moos Kanter und focusieren auf: Fokus (Werte und Prinzipien), Flexible, Fast, Friendly, Fun. Mit reflexartig verwendeten Mitteln, wie z.B. die Mitarbeitendenbefragung wird aufgeräumt und positive Prinzipien, wie z.B. Appreciative Inquiry, werden eingesetzt und mit Fallbeispielen nachvollziehbar gemacht. Dieser Teil wird mit einem Abschnitt zum Positive Change abgeschlossen.
Im 9. und letzten Kapitel reflektiert Ruth Seliger auch die Grenzen von Positive Leadership und würdigt diesen Ansatz. Sie gibt Anregungen für die Umsetzung und bedient sich dabei ihrer langjährigen Erfahrung in der Gestaltung von Führungslernen.
Diskussion
Ausgehend von den Veränderungen und Erschütterungen unserer Zeit, der dritten industriellen Revolution und des Paradigmawechsels stellt die Autorin die Bedeutung der Gestaltung nicht-linearer Systeme in den Mittelpunkt. Der Komplexität ist mit Lebendigkeit und Kreativität zu begegnen. Führung ist nicht mehr vertikal zu denken, sondern beruht auf Vertrauen, Vermittlung von Sinnhaftigkeit und der Ermöglichung Einfluss nehmen zu können. Ruth Seliger folgt konsequent dem Menschenbild, das den Menschen als prinzipiell engagiert und an seiner Entwicklung interessiert betrachtet. Das Buch bietet die theoretischen Grundlagen für die Entwicklung von „Positive Leadership“ als Antwort auf die Herausforderung einer vernetzten Welt, in der die Abhängigkeit aller von allen für alle zur Überlebensfrage geworden ist. Wir erhalten in diesem Werk Instrumente, Modelle, Fallbeispiele mit dem Spirit nachdenklicher Begeisterung vorgetragen, die jedoch nicht am Management- und Führungsalltag vorbeizielen, sondern tatsächlich Hilfestellung für unzählige alltägliche Führungsfragen bieten können.
Gefahren des Ansatzes: Ruth Seliger, positiv denkend, weist nur an einer Stelle darauf hin, dafür aber deutlich im letzten Kapitel auf Seite 230: „4. Positive Leadership braucht eine ethische Einrahmung. Ohne eine ethische Rahmung kann sich Positive Leadership in sein Gegenteil verkehren. Möglicherweise hat auch ein Mafiosi Freude an seiner Arbeit, ist im Flow und tut seine Arbeit, weil er darin seine besonderen Stärken sieht. Man muss immer auch die gesellschaftlichen und ethischen Rahmenbedingungen mitdenken, um zu entscheiden, ob es hier um Positive Leadership geht. Positive Leadership ist kein moralisches Konzept, aber getragen vom Respekt für alle lebenden Systeme und ihren Anspruch auf Würde und Unversehrtheit.“
Fazit
Dieses Buch ist unbedingt lesenswert! Spannend von vorne nach hinten oder auch als Nachschlagewerk geeignet für einzelne Modelle, Methoden, Beispiele. Ruth Seliger steckt mit ihrem Engagement an. Es wird schwer sein, sich dem Gedanken von Positive Leadership zu entziehen, wenn man das Buch gelesen hat. Es ist zu hoffen, dass dies die „Entscheidungsträger und -trägerinnen“ tun.
Rezension von
Thomas Reinhardt
Diplomierter Berater für Organisationsentwicklung. Arbeitet als interner Coach im Universitätsspital Basel und freiberuflich in den Bereichen Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement, Konfliktmoderation, Coaching für Führungsverantwortliche, Teamentwicklung und Supervision. Schwerpunkte: Gesundheit und Führung, Change Management, Leadership, Kommunikation, Psychohygiene und Glück.
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