Forum für Community Organizing e.V. (FOCO), Stiftung Mitarbeit (Hrsg.): Handbuch Community Organizing
Rezensiert von Prof. Dr. Andreas Schwarz, 12.11.2014

Forum für Community Organizing e.V. (FOCO), Stiftung Mitarbeit (Hrsg.): Handbuch Community Organizing. Theorie und Praxis in Deutschland.
Stiftung MITARBEIT
(Bonn) 2014.
248 Seiten.
ISBN 978-3-941143-15-9.
D: 12,00 EUR,
A: 12,40 EUR,
CH: 17,90 sFr.
Reihe: Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen - Nr. 46.
Thema
Community Organizing (CO) gibt es mehr als 20 Jahre in Deutschland. Dieses Handbuch zeigt die Fülle der Projekte, die zivilgesellschaftlichen Zusammenhänge sowie Theorie und Entwicklung der organisierten Bürgerbeteiligung auf. Ursprünglich aus den USA kommend, hat sich eine ‚bunte Praxis‘ in der Bundesrepublik herausgebildet. Dieser Sammelband verdeutlicht die Chancen für das Gemeinwohl durch die Wirkweise von Community Organizing. „Alinsky (Saul Alinsky, der Begründer des Handlungsfeldes CO, d.Verf.) macht deutlich, dass das Versprechen einer demokratischen Lebensweise nicht nur im Großen, etwa in Verfassungen festgeschrieben gehört. Die Demokratie muss vielmehr im Kleinen und vor Ort erfahrbar werden“ (Handbuch Community Organizing, S.6). Der Sammelband richtet sich demnach an eine breite Leserschaft, die solidarisches Miteinander als Kernprozesse der Demokratie verstehen.
Herausgeber
Das ‚Forum Community Organizing e.V.‘ (FOCO) hat sich zur Aufgabe gemacht, ein Forum für Menschen und Organisationen aus Praxis, Lehre und Wissenschaft zu bieten, um CO in Deutschland zu verbreiten.
Die ‚Stiftung Mitarbeit‘ legt in ihrer Arbeit einen besonderen Schwerpunkt darauf, alle Bevölkerungsgruppen in Beteiligungsprozesse einzubeziehen.
Aufbau
- Der erste Teil führt in die ‚Theorie und Geschichte des Community Organizing‘ ein. Dabei wird besonders auf die Geschichte von CO in Deutschland eingegangen.
- Der zweite Teil ‚Organizing im Prozess‘ stellt CO als vielfältigen Entwicklungspfad dar. Hier werden u.a. die verschiedenen Erscheinungsformen, etwa in Bürgerplattformen, in der Sozialen Arbeit oder in der Gewerkschaftsarbeit reflektiert. Ergänzend werden Verbindungen zwischen Selbstorganisation und Fundraising aufgezeigt und ein knapper Überblick über Inhalte von CO-Trainings gegeben.
- Unter dem Titel ‚Bunte Praxis des Community Organizing‘ werden im drittel Teil ausführlich verschiedene Projekte, Kampagnen und Initiativen präsentiert. Hier bekommen die Leser und Leserinnen einen Einblick in die vielfältige Praxis des Organizing in Deutschland und darüber hinaus.
- Der vierte Teil stellt die Realisierung der Arbeitsweise von CO am Beispiel des Verfassens eines Sammelbandes dar: die Erfahrungen der Akteurinnen und Akteure - der CO-aktiven – werden hier in ‚Interviews‘ gebündelt und nutzbar gemacht.
- Ein ‚Ausblick‘ auf die Zukunft des CO in Deutschland beschließt mit Teil fünf das Handbuch.
Zum 1. Teil
Im ersten Teil Theorie und Geschichte des Community Organizing werden in fünf Beiträgen ausgebreitet. Die amerikanischen Wurzeln um Saul Alinsky werden dabei ebenso verdeutlicht, wie die deutsche Entwicklung des CO in zwei Beiträgen wiedergegeben wird. Zwei Artikel seien an dieser Stelle näher erläutert.
Zum einen gehen Carsten Müller und Peter Szynka der Frage nach: ‚Community Organizing – was ist das?‘. Ausgehend von der Feststellung, dass CO in Sprache, Denken und Handeln in Deutschland noch immer etwas fremd wirken, veranschaulichen die Autoren Grundbegriffe des Ansatzes: Macht, öffentliche Beziehung, Organisation, Strategie und Taktik. In Anlehnung an Saul Alinsky und dessen Regelkanon werden der ethische und demokratische Rahmen, sowie der methodische Ablauf skizziert. Die diesem Ablauf zugrunde liegende Organisationsspirale ist differenziert in den einzelnen Phasen (persönliches Gespräch, Versammlung – Machtanalyse – Nachforschungen, Aktionen, Reflexion – Organisationsaufbau) dargestellt. Am Ende des Kapitels gibt Carsten Müller ein kurzes Statement zu seinem Verständnis von CO. Bei den meisten Beiträgen steht eine Positionierung der Autorinnen und Autoren zu CO am Ende, dadurch wird die Fülle von Zugangsmöglichkeiten zu Community Organizing lebendig.
Ein weiterer hier zu erwähnender Artikel in diesem ersten Teil des Handbuches ist von Michael Rothschuh. Er verknüpft CO mit dem Begriff der Sozialer Bewegungen und spannt den Bogen vom Empowerment in der Gemeinwesenarbeit über die Organisation der Zivilgesellschaft bis zu den Chancen einer Vitalisierung von Parteien durch CO. Er postuliert, dass CO kaum in das Blickfeld der Bewegungsforschung gelangt und plädiert dafür, dass Community Organizing in die praktischen und wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhänge Sozialer Bewegungen geführt werden.
Zum 2. Teil
Organizing im Prozess wird im zweitenTeil durch sechs Beiträge beleuchtet. Community Organizing wird hier in Beziehung zu unterschiedlichen Feldern, Ansätzen und Traditionen gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse gesetzt. Gewerkschaftsarbeit und CO wird in diesen Beiträgen ebenso behandelt, wie das gegenseitige Lernen zwischen Fundraising oder Campaining mit CO.
Ein Beitrag zum Community Organizing in Bürgerplattformen von Leo J. Penta und Frank Düchting beschreibt die Entwicklungsprozesse, die in eine lebendigen Zivilgesellschaft münden. „Das Herzstück des Community Organizing sind die Bürgerplattformen auf sehr breiter gesellschaftlicher Basis. Sie beruhen auf einer intensiven Beziehungsarbeit, die die zivilgesellschaftlichen Gruppen und die dazugehörigen Menschen über Grenzen hinwegverbünden. Aus diesen starken Zusammenschlüssen geht seit jeher die besondere Handlungsfähigkeit und Macht dieser Form der politischen Teilhabe aus. Durch ihre qualifizierte professionelle Begleitung, Unabhängigkeit und Hartnäckigkeit beim Bearbeiten ihrer Themen stellen also Bürgerplattformen eine besonders effektive Form der Partizipation dar“ (Handbuch Community Organizing, S.50). Mit dieser Skizzierung verdeutlicht Leo Penta die Reichweite des Operierens mittels CO in Bürgerplattformen. Er ist Begründer und Leiter des Deutschen Instituts für Community Organizing (DICO), das sich als Kompetenzzentrum für CO versteht. Penta und Düchting greifen das deutsche Missverständnis auf, Community Organizing sei eine Methode der Sozialen Arbeit. Mit dieser Sichtweise, so die Autoren, gehe die politische Motivation verloren. Sie beschreiben vier Punkte, in denen CO systematisch entfalten wird: CO versteht die Bürgergesellschaft als politisch im weitesten Sinne; Bürgergesellschaft ist kein Wirkungsfeld der Eliten und der ohnehin Einflussreichen und gut Integrierten; Zivilgesellschaftliche Akteure sollen sich ohne Bevormundung durch den Staat oder Wirtschaft, wohl aber mit deren materieller Unterstützung selbständig vor Ort Organisieren können; ferner, CO versteht Demokratie und demokratische Partizipation nicht als harmonischer Gleichklang. Das Arbeiten in Bürgerplattformen wird im Anschluss mittels vierer Ergebnisse in Deutschland dargestellt.
Dem in dem Beitrag von Penta und Düchting aufscheinenden Missverständnis zwischen CO und Sozialer Arbeit geht Oliver Fehren in seinem Artikel nach. ‚Community Organizing und Soziale Arbeit – eine Annäherung an ein ambivalentes Verhältnis‘ klärt zunächst die Rezeption des CO-Begriffes in der deutschen Landschaft der Sozialen Arbeit. Die Übernahme der unpolitischen Variante des CO, der Gemeinwesenarbeit, in den USA als dritte sozialarbeiterische Methode im Deutschland der 1950er Jahre und die damit einhergehende Gleichsetzung von CO und GWA führt Fehren in die Auseinandersetzung und Kritik an der Profession und Disziplin Sozialer Arbeit in den 1970er bis 1990er Jahre über. Daran anschließend zeigt er Impulse auf, die aus dem CO in der Sozialen Arbeit wirken.Befähigung von Menschen als Bürger/innen zu handeln und die Verbesserung der zivilgesellschaftlichen Umfeldbedingungen sind hier beispielhaft zu nennen. Die Frage, ob Community Organizing Soziale Arbeit sei, wird bei Fehren, anders als bei Penta, stärker aus der deutschen Wahrnehmung und Vorstellung von Sozialstaatlichkeit beantwortet. Der Beitrag von Hermann Schaaf ‚Den aufrechten Gang organisieren. Community Organizing und Gemeinwesenarbeit: frühe Erfahrungen in der Tradition von Saul Alinsky‘ zeigt – auch als Entgegnung zu Fehren – wie CO-Elemente gewinnbringend in die Praxis Sozialer Arbeit, besonders der Gemeinwesenarbeit integriert werden können. Anhand von drei Praxisbeispielen verdeutlicht Schaaf die Methodik mit CO-Elementen in der Gemeinwesenarbeit zu operieren. Er stellt die Gewinne aus dieser Verknüpfung auch die problematischen Aspekte gegenüber: „Handicaps entstehen insbesondere dadurch, dass die/der Berater/in sich selbst und die beteiligten Akteure überfordert, indem sie/er die Entwicklungsmöglichkeiten und Kräfteverhältnisse falsch beurteilt oder die (scheinbaren) Mächte überbewertet“ (ebd., S.75). Mit den von ihm vorgestellten Strategien im Kontext der GWA zeigt Schaaf wie unterschiedliche Ausgangslagen erfolgreich zusammengeführt werden können.
Zum 3. Teil
Die bunte Praxis des Community Organizing wird in 13 Beispielen aus Deutschland und drei aus europäischen Ländern veranschaulicht. Die verschiedenen Beiträge sind an einem Frageraster ausgerichtet: Ausgangslage/Rahmenbedingung, Organisation, Finanzierung, Ziele, methodisches Vorgehen – was wurde dabei von CO gelernt, Aktionsformen/Aktionsbeispiele, Erfolge, Besonderheiten. Dadurch werden die verschiedenen Beispiele vergleichbar, dennoch bleiben die Eigenarten in der Anwendung zu erkennen. Das Handbuch bietet den Service, dass jeweils Kontaktpersonen und Adressen angefügt sind, um sich mit den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort auszutauschen oder weiteres Informationsmaterial beziehen zu können. Die Bandbreite reicht in den Vorstellungen von Stadtteilarbeit und Nachbarschaftsaktivierung über Bürgerplattformen bis zu spezifischen Feldern wie der Arbeit im Gewerkschaftskontext. Daneben sind auch Beispiele des Community Organizing mit Kindern, Erwerbslosen oder Bürgerinnen und Bürgern, die gegen Rechtsextremismus aktiv sind, aufgeführt.
Zum 4. Teil
In den anschließenden Interviews schildern zwölf Menschen, die sich von CO begeistern ließen, ihre persönlichen Erfahrungen mit Community Organizing und die erlebten Geschichten in der Praxis. Es werden die verschiedenen Zugänge zu CO und Fragestellungen an Gesellschaft skizziert. Die Möglichkeiten der Nutzung des Community Organizing und des Reichweiten werden aufgezeigt, aber auch kritisch die Entwicklungspotenziale in Deutschland hinterfragt.
Zum 5. Teil
Dies wird auch im letzten Beitrag des Handbuches, im Ausblick, durch Dieter Oelschlägel unternommen. Er geht anhand der von ihm befundenen gesellschaftlichen Herausforderungen (zunehmende soziale Ungleichheit und Substanzkrise des Politischen) der Frage nach, wie CO und GWA zusammenarbeiten können. Über der Darstellung der Entwicklung von Community Organizing und Gemeinwesenarbeit in Deutschland skizziert er die momentane gesellschaftliche Situation: „In gewisser Hinsicht gleicht die heutige Situation der Lage der 1960er Jahre. Wie damals häufen sich die Zeichen für einen gesellschaftlichen Aufbruch. Die Entwicklungen, die heute unter dem Begriff ‚Postdemokratie‘ gefasst werden – Konzentration einer ungeheuren Machtfülle bei internationalen Konzernen und Finanzunternehmen, Kontrolle der öffentlichen politischen Diskussion … haben über Jahre hinweg eien starken Veränderungsdruck aufgebaut. Proteste und Bürgerinitiativen sind zu einem Bestandteil unseres politischen Lebens geworden und nicht mehr wegzudenken“ (ebd., S.235). Für das weitere Tun sieht er zwei Prämissen – Parteilichkeit und Solidarität. Dabei müssen die Hemmnisse der Entwicklung und des Handelns für Einzelne oder Gruppen analysiert werden und dabei auch die Soziale Arbeit kritisch hinterfragt werden. Der Aufbau von Unterstützungsnetzen, das Zurverfügungstellen von sanktionsfreien Räumen und das Bereitstellen von persönlichen Ressourcen sind für Oelschlägel der Weg um eine gemeinsame Machtbasis herstellen zu können.
Diskussion
Das Handbuch Community Organizing – Theorie und Praxis in Deutschland ist ein gelungener Beitrag die Methode, bzw. den Ansatz des CO in Deutschland umfassend zu beschreiben. Die Vielfalt dieser Arbeitsweise wird durch das Handbuch deutlich, die Reichweiten veranschaulicht und die Möglichkeiten der Umsetzung skizziert. Gerade der hohe Praxisbezug ist hervorzuheben. Für all diejenigen, die bereits in Bürgerplattformen, Netzwerken oder Kampagnen unterwegs sind, wird dieses Handbuch eine Bereicherung sein. Aber auch Leserinnen und Leser, die neu an die Thematik der Zivilgesellschaft und deren Arbeitsprinzipien herangehen, dient dieses Handbuch als Ideengeber, als Mutmacher. Es mag verwundern, dass nicht mehr zu den Strukturen der Verfahren, zu den kleinteiligen Arbeitsschritten und zu den detaillierten Vorgehensweisen zu lesen ist. An dieser Stelle sei auf den Beitrag von Hille Richers im Handbuch verwiesen: Wie man Community Organizing lernen kann – und warum es hier keine Trainingsunterlagen zu lesen gibt. Das Handbuch kann eine fundierte Basis für das eigene Tun darstellen. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten, die Anforderungen vor Ort und die eigenen (oder institutionellen) Ressourcen sind aber so vielfältig, dass das Handbuch nicht als Rezeptbuch zu verstehen ist. Somit bleibt der Leserin und dem Leser nur das eigene Aktivwerden, das Engagement und die Beteiligung im politischen Raum um den Gewinn des Community Organizing ergründen zu können.
Für diejenigen, die sich wissenschaftlich-theoretisch mit Zivilgesellschaft, Bürgerbeteiligung und Community Organizing befassen bietet das Handbuch fundierte Beiträge. Auch dass verschiedene Akteure der Szene im Handbuch Platz gefunden haben, spricht für die Herausgeber. So wird sich dem Ziel, Community Organizing in Deutschland bekannter zu machen und dadurch einen Beitrag zur Stärkung der Demokratie zu leisten, genähert.
Fazit
Das Handbuch Community Organizing ist eine umfassende Darstellung dieses Partizipationsansatzes. Die Praxisbeispiele und die Theorierahmung ermöglichen eine vertiefte Auseinandersetzung. Dabei wird die Entwicklung auf Deutschland fokussiert. Der Zugang zum CO z.B. aus der Sozialen Arbeit wird dadurch erleichtert. Gleichzeitig wird durch das Handbuch ein Beitrag zur zivilgesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland zur Diskussion gestellt.
Rezension von
Prof. Dr. Andreas Schwarz
Professor für Politikwissenschaften an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München
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Es gibt 2 Rezensionen von Andreas Schwarz.
Zitiervorschlag
Andreas Schwarz. Rezension vom 12.11.2014 zu:
Forum für Community Organizing e.V. (FOCO), Stiftung Mitarbeit (Hrsg.): Handbuch Community Organizing. Theorie und Praxis in Deutschland. Stiftung MITARBEIT
(Bonn) 2014.
ISBN 978-3-941143-15-9.
Reihe: Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen - Nr. 46.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16579.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.
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