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Klaus Menne, Jacqueline Rohloff: Sexualität und Entwicklung

Rezensiert von Ulrike Koch, 14.04.2014

Cover Klaus Menne, Jacqueline Rohloff: Sexualität und Entwicklung ISBN 978-3-7799-0776-3

Klaus Menne, Jacqueline Rohloff: Sexualität und Entwicklung. Beratung im Spannungsfeld von Normalität und Gefährdung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2014. 360 Seiten. ISBN 978-3-7799-0776-3. D: 34,95 EUR, A: 35,90 EUR, CH: 45,90 sFr.
Reihe: Veröffentlichungen der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung.

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Thema

Die Herausgeberin und der Herausgeber erläutern in ihrer Einleitung (S. 7 – 31), dass Sexualität als ein selbstverständlicher Teil der kindlichen Entwicklung (S. 7f.) wenig in fachlichen Diskursen, in der Praxis von Erziehungs- und Familienberatung und in therapeutischen Settings Beachtung findet. In diesem Sammelband werden Sexualität und die Entwicklung des Kindes daher in einem Spektrum von theoretischen Grundlagen (S. 34 – 136), über den Bereich Sexualität in Kindheit, Jugend und Familie (S. 138 – 226) bis hin zum Thema Sexuelle Gewalt (230 – 338) besprochen. Das Spektrum der Betrachtung findet sich in der Breite der vertretenen Disziplinen und Professionen von Soziologie, Psychologie, Sexualwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Ethnologie, Pädagogik und Sozialpädagogik wieder.

Herausgeberin und Herausgeber

Klaus Menne ist Diplom Soziologe und langjähriger Geschäftsführer der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. (im Weiteren mit bke benannt). Jacqueline Rohloff ist Diplom Psychologin, Heimerzieherin und leitet für die bke den Bereich Fort- und Weiterbildung.

Entstehungshintergrund

Die Mitglieder der bke veranstalteten im Dezember 2012 eine Fachtagung in Frankfurt am Main zum Thema Sexualität und Entwicklung. Zentrales Anliegen war (S. 9), Sexualität als einen selbstverständlichen Teil der kindlichen Entwicklung in den Fokus zu rücken. Im vorliegenden Sammelband wurden die einzelnen Beiträge der teilnehmenden Expertinnen und Experten zusammengetragen.

Aufbau

Neben einer ausführlichen Einleitung (S. 7 – 31), ist der Sammelband in drei Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel (S. 34 – 136) und das dritte Kapitel (S. 230 – 338) umfassen jeweils fünf, das zweite Kapitel (S. 138 – 226) sechs Beiträge, die unterschiedlich lang sind. Abschluss bilden Ausführungen zu den einzelnen Autorinnen und Autoren (S. 339 – 341).

Zum Ersten Kapitel: Grundlegungen

Die Autorinnen und Autoren befassen sich mit der Theorie des Themas Sexualität.

Sven Lewandowski (M.A., Soziologe): Die moderne Sexualität und das Lustprinzip (S. 34 – 57). Der Fokus liegt auf den Wandel der Orientierung von Sexualität in einer modernen Gesellschaft. Aus soziologischer Perspektive nimmt er insbesondere das Lustprinzip in den Blick. Bei seinen Ausführungen greift der Autor auf das Konzept der Leitunterscheidungen (S. 37) zurück. Hiermit gemeint sind Unterscheidungen wie Ehre und Schande (S. 38), Tugend und Sünde (S. 39) oder ehelich und unehelich (S. 41). Im Weiteren geht der Autor auf die Genese der modernen Sexualität (S. 42 ff.) ein. Vor allem die sozialstrukturellen Bedingungen (S. 46 – 51) einer modernen Gesellschaft nimmt Lewandowski in den Blick.

Ilka Quindeau(Dr., Diplom-Psychologin und Diplom-Soziologin): Wie kommt die Lust in den Körper? (S. 58 – 71). Die Psychologin und Soziologin stellt die psychosexuelle Entwicklung des Menschen in den Mittelpunkt. Quindeau knüpft hierbei vor allem an Sigmund Freud an. Sie stellt das Sexuelle in einen Interaktionszusammenhang menschlicher Beziehungen (S. 58f.). Bei ihren Ausführungen zur Entstehung des Sexuellen (S. 59f.) nimmt sie die Mutter-Kind-Beziehung in den Blick. Im Verlauf geht es zudem um die „[…] genetisch angelegte körperliche Ausstattung […]“ (Quindeau, S. 63ff.). Entlang des von Freud entfalteten Konzepts der Nachträglichkeit von Sexualität (S. 65) erklärt die Autorin die verschiedenen Phasen der psychosexuellen Entwicklung (S. 66ff.). Beachtung finden auch die „[…] Veränderungen im körperlichen und affektiven Bereich […]“ (Quindeau, S. 68 f.).

Peter Fiedler (Dr., Diplom-Psychologe): Sexualitäten (S. 72 – 93). Zentrales Thema ist die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten (Hetero-, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität) und darüber hinaus auch mögliche Störungsbilder. Fiedler nimmt vor allem Möglichkeiten der Beratung und Therapie in den Blick. Neben sexuellen Präferenzen (S. 74f.) und der sexuellen Orientierung (S. 75f.) legt er weiterführend einen Schwerpunkt auf affirmative (bejahende) beraterische und therapeutische Möglichkeiten (S. 80 – 92). Hierbei geht der Autor jeweils von den gegebenen Geschlechtsidentitäten, Präferenzen, Orientierungen und Bedürfnissen aus.

Konrad Weller (Dr., Diplom-Psychologe): Erziehungsberatung und Sexualität (S. 94 – 115). Der Psychologe plädiert dafür, dass das Thema Sexualität – mit allen Fragen, Sorgen, Problemen – in die Praxis der Erziehungsberatung integriert wird. In seinen Ausführungen (S. 95ff.) folgt der Autor der Frage: „[…] Erziehungs- und Sexualberatung unter einem Dach?“ (Weller, S. 95). Darüber hinaus wendet er seinen Blick auf bestehende integrative Beratungsangebote (S. 98ff.). Weller beschließt seine Ausführungen mit einem Blick auf Perspektiven für eine integrative Praxis (S. 112f.).

Ina-Maria Philipps (u.a. Paar- und Sexualtherapeutin): Kindliche Sinnesfreuden (S. 116 – 136). Sie zeichnet zunächst den Wandel der Einstellung zur Sexualität – beginnend mit der sexuellen Revolution der 1970er Jahre bis hin zum aktuell anhaltenden Gefährdungsdiskurs – nach (S.118 – 125). Im Weiteren thematisiert sie die Reaktion Erwachsener darauf, wenn Kinder sich als sexuelle Wesen entdecken und dieser ihrer Genussfreude folgen. Hierbei blickt sie nicht allein auf die Eltern-Kind-Beziehung, sondern auch auf professionelle Beziehungen zwischen Kind und Erwachsenen in Kindertageseinrichtungen (S. 127 – 133).

Zum Zweiten Kapitel:Sexualität in Kindheit, Jugend und Familie

Insbesondere in diesem Kapitel wird Sexualität als ein selbstverständlicher Teil der Entwicklung in den Ausführungen der Autorinnen und Autoren verdeutlicht.

Kirsten von Sydow (Dr., Diplom-Psychologin): Sexualität in der elterlichen Paarbeziehung (S. 138 – 149) Zentral hinterfragt die Autorin die Paarzufriedenheit und die Sexualität von Eltern. Der Titel verweist gleichfalls auf den Schwerpunkt der Ausführungen. Die Autorin greift im Verlauf auf eigene Studien zurück. Neben begünstigenden Faktoren für Scheidungen (S. 138f.) richtet sich ihr Blick vor allem auf die Zeitspanne von Schwangerschaft, über die Geburt des Kindes, bis hin zur ersten Zeit der Elternschaft (S. 141 – 145). Abschließend und vertiefend geht es um die verschiedenen Situationen, die sowohl als auch einen Informations- oder Beratungsbedarf begründen (S. 145 – 148).

Ina-Maria Philipps: Wie sexuell ist kindliche Sexualität? (S. 150 – 157) In ihrem zweiten Beitrag geht es um die kindliche Entwicklung. Die Autorin beginnt mit Erläuterungen zum kindlichen Entdeckungsinteresse (S 151ff.) und zu den kindlich-emotionalen Bedürfnissen und deren Befriedigung (S. 154f.). Insbesondere die Reaktivität des kindlichen Handelns steht hier im Mittelpunkt. Neben Sinnlichkeit (S. 152f.) und dem Verständnis für die Geschlechtsunterschiede (S. 153f.) wird auch das Thema Verbalisierung des Sexuellen (S. 154f.) eingegangen. Philipps beschließt ihre Ausführungen mit einem Blick auf für sie notwendige „Pädagogische Konsequenzen“ für die Praxis in Kindertageseinrichtungen (S. 155f.).

Martin Gnielka (Pädagoge und Sexualpädagoge): „Lasst mich einfach in Ruhe!“ (S. 158 – 170). Der Pädagoge befasst sich hier mit möglichen Hürden und Problemen für das Gespräch zwischen Eltern und ihren Kindern zum Thema Sexualität. Zu Beginn geht der Autor auf die sexualitätsbezogenen Sorgen von Eltern ein (S. 159f.). Hiernach folgen Erläuterungen über die Erwartungen der Pubertierenden (S. 160ff.) und über die Bedeutung von Sexualerziehung für die Sexualitätsentwicklung (S. 162ff.). Als wesentlich wird darüber hinaus der Aspekt familiäre Gesprächskultur thematisiert (S. 164). Auch auf die Frage vieler Eltern, was denn für eine gelungene Sexualentwicklung der eigenen Kinder wichtig ist (S. 167), geht Gnielka ein.

Silja Matthiesen (Dr., Diplom-Soziologin): Was machen Jugendliche mit Internetpornografie? (S. 171 – 190). Die Autorin zeichnet den Umgang Jugendlicher mit Internetpornografie nach. Entlang der Ergebnisse einer Internetstudie geht sie der Frage nach, in wie weit sich pornografische Skripte auf das sexuelle Handeln von Jugendlichen auswirkt. Befragt wurden 160 Jugendliche beider Geschlechter, im Alter von 16 bis 19 Jahren. Entsprechende Geschlechtsunterschiede werden durchgängig berücksichtigt, beginnend mit der Frage nach der Nutzung und Bewertung von Pornografie (S. 173ff.). Jeweils separat beschrieben, folgt Matthiesen den weiteren Fragen der Studie: „Finden Jugendliche Pornografie erregend?“ (S. 176ff.) „In wieweit werden pornografische Skripte als reale Wirklichkeit eingeschätzt?“ (S. 181f.) „Werden Pornos als Informationsquelle“ bzw. als „[…] Medium der Sexualaufklärung […]“ (Matthiesen, S. 185) genutzt? (S. 185 – 188).

Hans-Jürgen von Wensierski (Dr., Diplom-Pädagoge, Diplom-Sozialpädagoge): Zwischen islamischer Tradition und säkularer Moderne (S. 191 – 212). Von Wensierski stützt seine Ausführungen auf die Ergebnisse eines Forschungsprojektes mit entsprechender Fragestellung und Zielführung. Zielgruppe des Projektes waren junge – in Deutschland lebende – Muslime im Alter von 20 bis 30 Jahren. Alle Befragten stammen aus Migrantenfamilien. Ausgehend von der Frage nach der sexuellen Aufklärung muslimischer Jugendlicher (S. 193ff.) geht der Autor ausführlich auf die Sexualmoral in islamischen Familien ein (S. 197 – 200). Die Situation junger muslimischer Frauen stellt einen zentralen Punkt dar, wobei die Unterschiede von religiösen Muslima (S. 200f.) und säkularen muslimischen Frauen (202f.) aufgezeigt werden. Ebenso beschreibt er die Situation muslimischer Männer (S. 203ff.)

Karin Jacob (Diplom-Psychologin) und Constanze Körner (M.A., Musikethnologin und Kommunikationswissenschaftlerin): Homosexualität und Familie (S. 213 – 227) Nach einem Überblick auf den historischen Kontext (S. 214ff.) und der Beschreibung des Comin-Out-Prozesses (S. 217ff.) gehen die Autorinnen auf die Entwicklungsrisiken homosexueller Jugendlicher (S. 219f.) ein. Anschließend stehen Modelle und Möglichkeiten für eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft mit Kindern (S. 220ff.) im Mittelpunkt der Darstellung. Jacob und Körner zeichnen im Hinblick auf das Thema Homosexualität und Kinder(-wunsch) die Situation in der Erziehungs- und Familienberatung (S. 223ff.) nach.

Zum Dritten Kapitel: Sexuelle Gewalt.

Die Autorinnen und Autoren blicken auf Faktoren und Aspekte der Gefährdung und der Realität sexueller Gewalt.

Sophinette Becker (Dr., Sexualwissenschaftlerin): Kinder, Erwachsene und Sexualität (S. 230 – 243). Im Zentrum des Beitrages steht die Sicht auf die realen Situationen von Opfern und Tätern im Kontext von Gesellschaft. In ihren einleitenden Worten (S. 230ff.) betont Becker die Schwierigkeit in der Praxis „[…] einen kühlen Kopf zu behalten […]“ (Sophinette Becker, S. 230). Die Autorin beschreibt mit Blick auf die Täter unter anderen den Unterschied zwischen einem pädosexuell fixierten Täter und einem Täter, dem es vorwiegend um ein „[…] schwaches, leicht zu beherrschendes Sexualobjekt […]“ geht (Sophinette Becker, S. 233). In ihren Ausführungen zur Situation der Opfer stehen die Folgen des sexuellen Missbrauchs im Vordergrund (S. 234ff.). Neben der Opfer- und Täterperspektive zentrieren sich die Ausführungen von Becker auch um strukturelle Aspekte (S. 236f.).

Marianne Rauwald (Dr., Diplom-Psychologin): Vererbung sexuellen Missbrauchs (S. 244 - 261). Schwerpunkt ist der Vorgang einer unbewussten transgenerationalen Weitergabe traumatischer Erfahrungen durch Missbrauch. Der Einblick in eine Fallvignette verdeutlicht die Ausführungen (S. 246f.). Die Autorin geht zunächst auf die Folgen für das ursprüngliche Opfer des Missbrauchs ein (S. 248ff.). In welcher Weise und mit welchen Folgen sich die Weitergabe der Traumatisierung an Kinder und Kindes-Kinder vollzieht, erläutert Rauwald im Weiteren (S. 251- 259).

Daniel M. Deggelmann (Diplom-Sozialpädagoge): Junge Täter (S. 262 – 294). Im Mittelpunkt stehen Sexualdelikte von Minderjähriger an Minderjährigen. Im ersten Teil beschreibt der Autor grundlegende Sachverhalte sexueller Grenzverletzungen von Minderjährigen (S. 262 – 268). Nach einer ersten Annäherung an das Thema geht Deggelmann auf die spezifischen Merkmale solcher Taten ein: Unfreiwilligkeit, Machtgefälle, Überschwung und sexuelle Erregung (S. 268ff.). Der Autor unterscheidet deutlich zwischen Kindern und Jugendlichen. Im zweiten Teil stehen Behandlungsansätze und Behandlungsperspektiven im Mittelpunkt (278 – 291).

Verena Bartels (Diplom-Psychologin): Eine gemeinsame Sprache finden für Unaussprechliches (S. 295 – 316). Hinter dem Titel verbirgt sich die – nicht immer freiwillige – Sprachlosigkeit der Opfer sexueller Gewalt (S. 295). Grundlage bilden zwei Fallvignetten. Im ersten Fall geht es um den Missbrauch in einer pädagogischen Institution (S. 296ff.). Neben den fallbezogenen institutionellen Strukturen (S.298ff.) und den Strategien der Täter (S. 300f.) zeichnet die Autorin das weitere Vorgehen in diesem Fall nach (S. 302 – 307). Beachtung finden sowohl die Bedeutung fester Handlungsrichtlinien und eines funktionierenden Netzwerkes (S. 302ff.) als auch die Bedeutung einer interdisziplinärer Kooperationen (S. 305f.). Sprachlosigkeit findet sich auch im zweiten Fall wieder, der Täter ist hier ein Großvater (S. 307ff.). Bartels geht auf verschiedene Faktoren und Aspekte, die die Sprachlosigkeit bedingen, ein (S. 309ff.). Hierbei nimmt die Autorin neben der betroffenen Familie auch die Helfersysteme näher in den Blick (S. 314ff.).

Ariane Schlicher (Diplom-Psychologin): Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen (S. 317 – 338). Im Mittelpunkt stehen die Erfahrungen aus dem Praxisalltag der kommunalen Beratungsstelle für Familie und Jugend des Landkreises Heilbronn, hierzu gehört auch die Fachstelle für Beratung bei sexuellem Missbrauch an Jungen und Mädchen (S. 317). Nach einem Blick auf die Grundlagen (317 – 322) folgen Erläuterungen zur Auftragsklärung und zum Anlass für eine Beratung (S. 323 – 329). Thematisiert wird zudem der Umgang mit falschen Anschuldigungen (S. 325ff.). Schlicher zeigt auch Spannungsfelder auf (S. 327ff.), z.B. bei der Frage, ob eine Verdachtsabklärung und damit der Beginn der Strafverfolgung die Situation eines Kindes verbessert oder verschlechtert (S. 327). Im Weiteren geht es um Beratung und therapeutische Interventionsformen für Kindern und Jugendlichen (S. 330) und um die Beratung von Eltern betroffener Kinder (S. 331).

Diskussion

In ihrer Einleitung fragen Klaus Menne und Jacqueline Rohloff (Hrsg.), was zum Thema Sexualität noch Neues zu sagen wäre und erläutern, dass das Thema kindliche Sexualität in Theorie und Praxis wenig aufgegriffen worden sei, außer da wo es um die Perspektive der Gefährdung gehe (S. 7 f.). Die Beiträge im vorliegenden Sammelband werden an dieser Stelle als Kern einer Fachtagung beschrieben (S. 9), in deren Rahmen der Fokus auf dem Thema Sexualität als ein selbstverständlicher Teil der kindlichen Entwicklung lag. Die Autorinnen und Autoren des ersten Kapitels bieten Ein-blick in den Wandel der Zeit (Sven Lewandowski) und den Wandel der Sicht auf Sexualität (Ilka Quindeau). Darüber hinaus geht es um entwicklungstheoretische Aspekte (Ilka Quindeau) und sexuelle Ubiquität (Peter Fiedler). Ausgehend von der Intension der Fachtagung bieten Konrad Weller und Ina-Maria Philipps (erster Beitrag) für Beratungsfelder und die Praxis pädagogischer Einrichtungen einen integrativen Ansatz an. Kernthema des zweiten Kapitels ist Sexualität als ein selbstverständlicher Teil in Kindheit, Jugend und Familie. Deutlich wird dies vor allem im zweiten Beitrag von Ina-Maria Philipps und in den Beiträgen von Martin Gnielka und Silja Matthiesen. Mit einem Einblick in die Situation junger Muslime und Muslima greift Hans-Jürgen von Wensierski hier ein auch gesellschaftskulturelles Thema auf. Die Beiträge im dritten Kapitel zentrieren sich um Aspekte sexueller Gewalt. Die Autorinnen und Autoren geben Einblick in aktuelle Diskurse sowie auf die Opfer- und Täterperspektive (Sophinette Becker), auch mit Blick auf minderjährige Sexualstraftäter (Daniel Deggelmann). Der Alltag von Beratung, Therapie und Pädagogik findet sich in den Beiträgen über die Folgen eines sexuellen Missbrauchs für Kinder und Kindes-Kinder (Marianne Rauwald), im Hinblick auf die meist nicht freiwillige Sprachlosigkeit der Opfer (Verena Bartels) und insbesondere im Erfahrungsbericht aus einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle (Ariane Schlicher). Ob es durchgängig Neues zu erfahren gibt, hängt davon ab, in wieweit sich Leserinnen und Leser aus Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Sozialpädagogik und anderen Professionen bisher mit dem Thema kindliche Sexualität befasst haben.

Fazit

Insbesondere vor dem Hintergrund der Aussage von Klaus Menne und Jacqueline Rohloff (Hrsg.), dass sich dem Thema kindliche Sexualität „[…] offenbar leichter […] unter der Perspektive ihrer Gefährdung […]“ angenähert werden kann (Hrsg., S. 7), hatte ich mir erhofft, dass diese Thematik im vorliegenden Sammelband ausgespart wird und dem hier als Anliegen der bke betonte Kernthema „Sexualität als ein selbstverständlicher Teil kindlicher Entwicklung“ mehr Raum gegeben wird.

Als besonders möchte ich aber folgende Beiträge bezeichnen und dies auch begründen:

Erstes Kapitel: Konrad Weller: Erziehungsberatung und Sexualität. Ein Plädoyer für integrierte Beratung. Insbesondere der Gedanke eine Brücke zwischen Erziehungs- und Sexualberatung zu erstellen, finde ich als Schulsozialarbeiterin erstrebenswert. In meiner beruflichen Praxis kommen sowohl Schülerinnen und Schüler und ebenso Eltern häufig mit sich überschneidenden Problem- und Fragestellungen zu mir in die Beratungsstunden. Gerade die praxisnahe Darstellung und hier gerade der Einblick in bereits gelingende Konzepte ist das besondere an diesem Beitrag.

Zweites Kapitel: Die Beiträge von Martin Gnielka (Gespräche zwischen Eltern und Kindern über Sexualität) und Hans-Jürgen von Wensierski (Situation muslimischer junger Muslime) haben meiner Meinung nach einen besonderen Bezug zu aktuellen Fragestellungen an Gesellschaft und Politik. Gerade weil viele Eltern heute mit dem Thema Sexualität offener umgehen, haben es Pubertierende schwer, ihre eigenen Grenzen aber auch Bedürfnisse im Elternhaus zu thematisieren. Da wo Eltern dem Thema nicht so offen entgegen stehen, erscheint ein Gespräch für beide Seiten oft unmöglich. Gnielka gelingt es vor allem aufzuzeigen, wie bedeutend der Umgang zwischen Eltern und Kinder – beginnend mit dem Kleinkindalter – ist. Von Wensierski greift hier ein Thema auf, dass tiefgehender in einen offenen Diskurs eingebracht werden sollte. Die Sicht auf die Situation junger Muslime zum Thema Sexualität hat für eine multikulturelle Gesellschaft – wie in Deutschland gelebt – gesellschaftskulturell und schulpädagogisch eine große Bedeutung.

Rezension von
Ulrike Koch
M.A., Zusatzqualifikationen als Systemische Beraterin und Kulturpädagogin. Zwischen 2009 und 2018 tätig in den Bereichen Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Beratung von Familien, vertiefende Berufsorientierung, Jobcoaching und zum Schluss als Sozialarbeiterin im Kinderschutz.
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ISSN 2190-9245