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Erhard Fischer (Hrsg.): Heilpädagogische Handlungsfelder

Rezensiert von Prof. Dr. Manfred Jödecke, 25.09.2014

Cover Erhard Fischer (Hrsg.): Heilpädagogische Handlungsfelder ISBN 978-3-17-023073-6

Erhard Fischer (Hrsg.): Heilpädagogische Handlungsfelder. Grundwissen für die Praxis. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2014. 297 Seiten. ISBN 978-3-17-023073-6. 39,90 EUR.
Reihe: Heil- und Sonderpädagogik.

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Thema

Heil- und Sonderpädagogik verstehen sich als Einheit von Aktion und Reflexion. Heil- und Sonderpädagogen können nicht kühl- beobachtend beiseite stehen und sich darauf beschränken, das sich vollziehende Geschehen allein zu registrieren und einzuordnen. Mit ihrem Denken und Handeln nehmen sie Einfluss auf das, was sich mit und um Menschen mit Beeinträchtigungen ereignet. Dazu benötigen sie ein Grundverständnis dessen, was im Bereich dieser ihrer Verantwortlichkeit liegt- eine erste disziplinäre Verortung, die sie im interdisziplinären Austausch bestehen und auf Augenhöhe kooperieren lässt, oder wie es auf dem hinteren Buchrücken des vorliegenden Sammelbandes heißt: „Das Buch liefert das Grundwissen für zentrale heilpädagogische Handlungsfelder, die Menschen mit individuellen Bildungs- und Unterstützungsbedarf ein professionelles Hilfsangebot bieten.“

Obwohl der Begriff „Handlungsfeld“, so im einführenden Beitrag von Erhard Fischer, „nicht allzu eng und trennscharf umschrieben“ (S.8) sei, wäre doch eine systematische Einteilung und Gliederung entlang von „Lebensbereichen, sozialen Feldern und Situationen“, in denen „Hilfen und Unterstützung erforderlich sind“ möglich.

Nun geriete eine derartig räumlich strukturierte Ordnung leicht in Gefahr, in Statik zu erstarren, wäre da nicht das Moment von Zeit und Veränderung. Die heilpädagogischen Handlungsfelder werden als in Bewegung befindlich beschrieben und darüber hinaus danach befragt, ob sie in ihrer trandisziplinären Verfasstheit, mit ihrer „Orientierung an aktuellen Leitideen wie z.B. Selbstbestimmung oder Inklusion…den Bedürfnissen und Bedarfslagen der betroffenen Personen“ (S. 12) wirklich entsprechen.

Aufbau und ausgewählte Inhalte

Auf dieser Grundlage eröffnen sich dem interessierten Leser in allen nachfolgenden Beiträgen und damit Handlungsfeldern vielfältige Einsichten:

  • Heilpädagogik. Rechtliche Grundlagen und -fragen (Arnold Köpcke-Duttler)
  • Frühe Diagnose und Therapie bei Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten (Hans Michael)
  • Frühe Bildung und Erziehung (Christina Kießling)
  • Mobile Sonderpädagogische Dienste: Inklusion durch Kooperation (Walter Goschler)
  • Bildung und Unterstützung von blinden und sehbehinderten Menschen (Markus Lang)
  • Bildung und Unterstützung von gehörlosen und schwerhörigen Menschen (Frauke Engert)
  • Schule für Kranke (Wichern-Schule) (Gunter Adams, Andreas Warnke, Paul- Gerhardt -
  • Schlegel, Wolfgang Beckmann & Angelika Langenstein)
  • Berufliche Bildung und Arbeit (Manuela Heger & Desiree Laubenstein)
  • Wohnen (Peter Groß)
  • Freizeit im Leben von Menschen mit Behinderungen (Reinhard Markowetz)
  • Behinderung im Alter (Maximilian Buchka)
  • Vernetzung, Kooperation und Inter- bzw. Transdisziplinarität (Erhard Fischer)

So etwa in dem Beitrag von Arnold Köpcke- Duttler, wenn dieser zum (transdisziplinären) Gespräch von Sonderpädagogen und Juristen schreibt: „Gerechtigkeit verlangt, sich wechselseitig als Andere anzuerkennen, die jeweiligen Fähigkeiten zu entdecken und der autoritären Fürsorge konkrete Solidarität entgegenzurichten… Auch wenn es manchen Juristen schwerfällt, die freie Entfaltung des einen Menschen zu verbinden mit der freien Entfaltung des anderen Menschen (und nicht nur die durch Gesetze gezogenen Grenze zwischen beiden Freiheitssphären zu ziehen), so könnte das Sozialrecht herausfordern zu der Erfahrung, dass Freiheit mit anderen Menschen, miteinander geteilte Freiheit zu tun hat mit Zugehörigkeit und dass die ‚Erfahrung der Mit- Menschlichkeit‘ auch konstitutiv ist für das Recht und den Geist der Gesetze“ (S. 39).

Oder in der von Manuela Heger & Desiree Laubenstein hinsichtlich wesentlicher Bestandteile und Wirkfaktoren bei der gezielten Gestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf zitierten Aussage „einer Unterstützerin im Feld der beruflichen Rehabilitation.“: …die Jugendlichen scheitern nicht „weil sie Tomaten nicht vernünftig vierteln. Die fliegen irgendwo raus oder kriegen keinen Arbeitsvertrag, weil sie nicht nachgefragt haben, wenn sie etwas nicht verstanden haben, weil sie ausrasten, wenn sie kritisiert werden und und und„…“ (S. 201).

Besonders aufschlussreich und den ganzen Band vermittelnd erweist sich der Gedanke der „Vernetzung und Kooperation der verschiedenen Disziplinen in den Handlungsfeldern“ (vgl. den Beitrag von Erhard Fischer, S. 271f.), die ihren Ausdruck im paradigmatischen Knoten von Transdisziplinarität finden. Die verschiedenen Disziplinvertreter halten sich dabei nicht einfach bei den Händen und der gemeinsame Gegenstand ihrer Zusammenarbeit fällt mittendurch, sondern sie schaffen es, von den „Experten in eigener Sache“ oder in eigener Zuständigkeit (auch unter den Bedingungen schwerster Beeinträchtigungen) zu lernen und deren Bedürfnisse sowie Fähigkeiten als allgemeinmenschliche anzuerkennen, respektive zu erfüllen. Auf diese Weise gelingt es zukünftig vielleicht noch besser die gut gemeinte advokatorische Dimension „aller Handlungen, Bildungs-, Erziehungs- und Hilfsangebote“ (S. 292) der letztlich doch „autoritären Fürsorge“ solidarisch zu transzendieren.

Zielgruppen

Ideal (nicht nur wegen der klaren Struktur der Beiträge, stringenten Zusammenfassungen und aussagekräftigen „Literaturempfehlungen zum Einstieg“) für angehende Heil-, Sonder- und Behindertenpädagogen, aber auch für alle Studienanfänger „angrenzender“ sozialwissenschaftlicher Disziplinen

Fazit

Den Leser erwartet eine Schrift, die die gegebenen z.T noch exkludierenden Gegebenheiten heil- und sonderpädagogischer Handlungsfelder als solche annimmt und benennt, ohne sie damit auf- oder abzuwerten, im Gegenteil: Allen Autoren geht es offensichtlich darum, den Möglichkeitssinn wachzuhalten und kritischer Nachfrage Nahrung zu geben.

Rezension von
Prof. Dr. Manfred Jödecke
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Es gibt 32 Rezensionen von Manfred Jödecke.

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Zitiervorschlag
Manfred Jödecke. Rezension vom 25.09.2014 zu: Erhard Fischer (Hrsg.): Heilpädagogische Handlungsfelder. Grundwissen für die Praxis. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2014. ISBN 978-3-17-023073-6. Reihe: Heil- und Sonderpädagogik. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16664.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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