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Daniel Bauerfeld, Lukas Clemens (Hrsg.): Gesellschaftliche Umbrüche und religiöse Netzwerke

Rezensiert von Pfarrer Michael Lehmann-Pape, 03.06.2014

Cover Daniel Bauerfeld, Lukas Clemens (Hrsg.): Gesellschaftliche Umbrüche und religiöse Netzwerke ISBN 978-3-8376-2595-0

Daniel Bauerfeld, Lukas Clemens (Hrsg.): Gesellschaftliche Umbrüche und religiöse Netzwerke. Analysen von der Antike bis zur Gegenwart. transcript (Bielefeld) 2014. 277 Seiten. ISBN 978-3-8376-2595-0. D: 33,99 EUR, A: 35,00 EUR, CH: 44,60 sFr.
Reihe: Sozialtheorie.

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Thema

Ändern sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, hat dies deutlichen Einfluss auch auf die je bestehenden Träger religiöser Verkündigung. Gerade bei Umbrüchen unter Konflikten sind diese Auswirkungen auf den religiösen Bereich manches Mal frappant und mit harten Brüchen verbunden. Aber auch bei „weicheren“ Veränderungen bleiben diese auf Dauer nicht ohne Folgen auf die Träger religiöser Verkündigung. Auch im Verhältnis untereinander.

Unter der Leitfrage, ob bei solchen Umbrüchen und den damit generierten Veränderungen die „Bildung von neuen Netzwerken eine gute Konfliktlösungsstrategie“ darstellt, wenden sich die Herausgeber und die diversen Autoren in einem breiten zeitlichen Feld von der Antike bis zur Gegenwart der Betrachtung der Entstehung je „neuer Beziehungsgeflechten“ in Form von „neuen Netzwerken“ zu.

Herausgeber

Daniel Bauerfeld ist Historiker und Kunsthistoriker und Geschäftsführer des Foschungsclusters „Gesellschaftliche Abhängigkeit und soziale Netzwerke“. Seine Schwerpunkte sind u.a. mittelalterliche Stadtgeschichte und die Landesgeschichte der Region Trier.

Lukas Clemens ist Professor für mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität zu Trier und Sprecher des obengenannten Foschungsclusters mit u.a. Schwerpunkten in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

Entstehungshintergrund

Aus Beiträgen einer Tagung 2010 in Trier zur Frage gesellschaftlicher Abhängigkeiten als Resultat kulturell-religiöser Verschiedenheit wurden die Beiträge des Buches entnommen. Beziehungsgeflechte standen im Blickfeld, die aus dem „Neben- bzw. Miteinander sowohl von polytheistischen als auch monotheistischen Religionen sowie den unterschiedlichen christlichen Glaubensrichtungen erwachsen“. Die Ausgangsbasis in sämtlichen Untersuchungsfeldern stellen gesellschaftliche Umbrüche dar. Bei diesen war durchgehend zu beobachten, dass, bedingt durch das aufbrechen bestehender Strukturen und Hierarchien deutliche Reaktionen auch auf Seiten religiöser Träger stattfanden. „Neue Netzwerkbeziehungen“ entweder zur Überbrückung, in Teilen aber auch zur Markierung der religiösen Differenz.

Aus diesen Beobachtungen heraus stellen sich die Autoren mit ihren Beiträgen im Buch der Frage, wie sich Träger religiöser Überzeugungen in konkreten gesellschaftlichen Umbruchsituationen versucht haben oder versuchen, sich den veränderten Lebensverhältnissen anzupassen (und dies im Blick auf verschiedene religiöse Netzwerkformen. Solche die durch da Auftreten neuer Religionen unter Druck gerieten, solche, die von Beginn an in der Diaspora sich bildeten und solche, die sich mit bestimmten Zielsetzungen innerhalb verschiedener Glaubensrichtungen neu bildeten).

Aufbau

Der zeitliche Rahmen des Buches erstreckt sich von der Spätantike bis in die Gegenwart hinein. Das Buch ist dabei grob chronologisch aufgebaut – bis auf die beiden letzten, sich der chronologischen Struktur des Buches nicht durchgehend anpassend.

Beginnend mit einer allgemeinen Einleitung zum Verhältnis von gesellschaftlichen Umbrüchen und religiösen Netzwerken schießt sich ein erster, konkreter Beitrag zur Frage der „Netzwerke der spätrömischen Aristokratie“ an, gefolgt von „religiösen Netzwerken im frühen Christentum“.

Die „Rolle kirchlicher Netzwerke im Nordafrika des 5. Jahrhundert“ wird im Folgenden ebenso diskutiert, wie das „Netzwerkmanagement im Ostgotenreich“ (als „Verweigerung des religiösen Konfliktes durch Theoderich“), bevor „das Ende muslimischen Lebens im mittelalterlichen Süditalien“ im Buch dargelegt wird.

Die „Netzwerker der Katharer im beginnenden Spätmittelalter“ und das „Kommunikationswege und soziale Netzwerke am Beispiel des Waldkirchner Ritualmordverfahrens“ aus den Jahren 1504-1505 folgen im weiteren Verlauf dem chronologischen Ablauf der Artikelanordnung.

Hier schließt sich eine Darstellung des „Projekt Gunpowder Plot“ an, ein Einschub zur methodischen Erläuterung in Bezug auf die „digitale Visualisierung von Netzwerken in der Geschichtswissenschaft“.

Zwei breiter gefasst Themen schließen dieses Werk ab. Zum einen eine Darstellung von „Konversionsagenten und sozialen Netzwerken im 17. Jahrhundert“ und zum anderen ein Beitrag zum „Pilgern im Spiegel soziologischer Forschung“.

So stellt sich die Struktur des Buches zweiteilig dar, bei der die ersten acht Kapitel sich dem Thema im engeren Verständnis zuwenden und die letzten drei Kapitel einen erweiterten Rahmen betrachten, der eher eine soziologische Methode und breitere soziologische Themen in den Fokus rückt und sich daher nur bedingt mit dem engeren Thema der „religiösen Veränderung von Netzwerken als Folge sozialer Umbrüche“ beschäftigt (soweit man einen „spirituellen Tourismus“ eben auch nur bedingt als Folge „gesellschaftlichen Umbrüchen“ bewertet).

Bedauerlicherweise fehlt am Ende des Sammelbandes ein strukturiertes Literaturverzeichnis, der Leser muss so während der Lektüre stark auf die Fußnoten achten, um u.U. Themen weitergehend nachverfolgen zu können.

Inhalt

Interessant dargestellt und verständlich formuliert findet sich im ersten thematischen Kapitel des Buches, der Annäherung an den Senator Q. Aurelius Symmachus als historisches Beispiel einer Vergemeinschaftung, in komprimierter Form zunächst eine methodische Grundlegung zum Verhältnis von Soziologie und Geschichtswissenschaft und, vor allem, zu den Grundlagen und Konzepten der Methode der „Sozialen Netzwerkanalyse“ (SNA). Grundlegendungen, derer es bedarf, um die Arbeitsweise auf der Basis dieser Methode zu verstehen (Inhalte, die besser gesondert im Buch vorweg gestellt worden wären).

Im Weiteren bietet dieses Kapitel in sehr übersichtlicher Form einen fundierten Eindruck zur grundlegenden Fragestellung des Buches, gerade weil die Zeit der Spätantike unter dem Aspekt eines sehr starken und breiten „religiösen Wandels“ zu betrachten ist und Symmachus „als einer der letzten Vorkämpfer eines im Untergang begriffenen Heidentums gesehen wurde“.

Die Veränderung von Netzwerken innerhalb und unterhalb von Trägern religiöser Überzeugungen kann hier somit hervorragend betrachtet werden. Die saubere Darlegung der Methode der SNA steht allerdings stärker im Vordergrund dieses Kapitels, mündet aber dennoch in eine prägnante Darstellung der sozialen und politischen Realität der Spätantike konkret in Bezug auf den Kaiserhof und in vielfache Anknüpfungspunkte für eine weitere Untersuchung gerade auf Basis der Person des Symmachus.

Sehr viel deutlicher werden die religiösen Netzwerke und ihre dynamisches Veränderungspotential in den weiteren Einzelbetrachtungen, von denen die „religiösen Netzwerke im frühen Christentum“ samt ihrer Kommunikationsmittel detailliert dargestellt werden. Anhand der „christlichen Kontroversen des 4. Jahrhunderts“ wird für den Leser die Dynamik religiöser Netzwerke und ihre Reaktionen auf gesellschaftliche Umbrüche greifbar.

In der Darstellung der Netzwerke der Personen Hieronymus Paulinus von Nola und Augustin (für sich und im Vergleich betrachtet) wird diese Dynamik auch in den konkreten Abläufen und Bedeutungen ersichtlich. „Die Knoten des Netzwerks werden von zahlreichen Individuen gebildet, aber auch von sogrannten „kollektiven Akteuren“, falls die Überlieferung keine Binnendifferenzierung zulässt oder diese die Betrachtung nur unnötig komplex werden ließe“.

So wechseln sich in den einzelnen Kapiteln die Darstellung der Methode und inhaltliche Betrachtungen ein stückweit ab, immer wieder werden digitalisierte Schaubilder von Netzwerkverbindungen eingebracht und zugrunde gelegt.

Einen guten Einstieg in Buch und Thema bildet die Darlegung der sozialen Netze „zwischen Rom und Mainz in der Mitte des 17. Jahrhunderts“. Dieses stellt sich als durchweg dem Thema des Netzwerks zugewendet dar, weist die „Wirkung und Ausgestaltung“ des katholischen Netzwerks (gerade in der sehr konkreten Frage der Konversionsstrategien) auf und bietet vielfache Hinweise auf das Zusammenspiel gesellschaftlicher Entwicklungen, Veränderungen und der Reaktion religiöser Netzwerke auf diese.

Sehr griffig wird die Auswirkung von Veränderungen im Netzwerk durch die sorgfältige Betrachtung und Begründung des „Untergangs muslimischen Lebens in Süditalien“ eben fast alleine aufgrund von Änderungen in der Netzwerkkonstellation.

Diskussion

Insgesamt richtet sich der Inhalt auf die Darlegung der Methode und die, teils sehr kleinteilige, Darstellung (weniger Interpretation) von Verbindungen und Beziehungen.

Wieweit zudem der Exkurs über moderne Formen des Pilgerns überhaupt dem engeren Thema des Einflusses gesellschaftlicher Umbrüche auf religiöse Netzwerke zuzuordnen ist, bleibt fraglich.

Neben sehr interessanten, konkreten Darstellungen der Verbindung von gesellschaftlichen Veränderungen, Konflikten aus diesen heraus auch auf der religiösen Ebene der Gesellschaft und Reaktion dieser Ebene in den jeweiligen religiösen Netzwerken verbleibt doch in Teilen der Lektüre eine zu starke Beschäftigung mit der Methode im Vordergrund.

Die Ausgangsfrage ist als „roter Faden“ nicht immer erkennbar in den einzelnen Teilen des Buches.

Wie stark aber eine Veränderung des religiösen Netzwerkes, sei es in der „Binnenkultur“, sei es in der Relation zu anderen religiösen Netzwerken und/oder weltlichen „Mächten“ sich auf das gesamte Netzwerk auswirken, mit Folgen bis zur Auflösung eines solchen religiösen Netzwerkes, das ist in einigen Teilen des Buches allerdings durchaus eindrucksvoll dargestellt und lässt vielfache Bezüge auch für die Gegenwart in den Raum treten.

Die vielleicht mit anderen „Umbruchsituationen“ als jener der „Pilgerbewegung“ nachhaltiger und plakativer hätten dargestellt werden können (Veränderung des „katholischen“ Systems, Veränderung der kritischen Haltung gegenüber dem Islam im Westen, Arabischer Frühling, um nur einige Stichworte zu nennen).

Fazit

Alles in allem eine verständliche, wenn auch teils überwertige Darstellung der Methode der SNA und zugleich in Teilen eine fundierte und interessante Darlegung der Reaktion religiöser Netzwerke auf gesellschaftliche Umbrüche auf der Basis in den Beiträgen aufgezeigter, vielfacher Verflechtungen dieser Netzwerke.

Rezension von
Pfarrer Michael Lehmann-Pape

Es gibt 23 Rezensionen von Michael Lehmann-Pape.

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Zitiervorschlag
Michael Lehmann-Pape. Rezension vom 03.06.2014 zu: Daniel Bauerfeld, Lukas Clemens (Hrsg.): Gesellschaftliche Umbrüche und religiöse Netzwerke. Analysen von der Antike bis zur Gegenwart. transcript (Bielefeld) 2014. ISBN 978-3-8376-2595-0. Reihe: Sozialtheorie. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16721.php, Datum des Zugriffs 24.03.2023.


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