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Christine Albrecht, Daniel Perrin: Zuhören im Coaching

Rezensiert von Wolfgang Witte, 14.08.2014

Cover Christine Albrecht, Daniel Perrin: Zuhören im Coaching ISBN 978-3-531-19780-7

Christine Albrecht, Daniel Perrin: Zuhören im Coaching. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 91 Seiten. ISBN 978-3-531-19780-7. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 50,00 sFr.

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Thema

Zuhören ist für alle Formen der Beratung, sei es Coaching oder Supervision, auch für Fachberatung, die zentrale Kunst der Beraterin bzw. des Beraters. Die Untersuchung von Christine Albrecht und Daniel Perrin nimmt die Tätigkeit des Zuhörens am Beispiel eines konkreten Beratungsprozesses in den Blick und möchte anhand der daraus geschöpften empirischen Ergebnisse Hinweise für gelingende, lösungsorientierte Beratung geben.

Autorin und Autor

Christine Albrecht arbeitet als Coach und Therapeutin mit spiritueller Basis, Daniel Perrin ist Professor für angewandte Linguistik und arbeitet als Schreibcoach. Beide leben in Zürich.

Inhalt

„Zuhören im Coaching“ ist in drei Teile gegliedert.

Der erste Teil „Zuhören im Coaching erforschen und verbessern“ erläutert das Anliegen der vorliegenden Arbeit. Die Autoren gehen davon aus, dass im Gegensatz zur Bedeutung des Zuhörens im Coaching systematische Überlegungen weitgehend fehlen obwohl Nachbar- und Grundlagendisziplinen wie Psychotherapie, Gesprächslinguistik, Kommunikationsdidaktik aber auch praktische Philosophien wie der Buddhismus entsprechende Konzepte entwickelt haben. Ziel ist es, aus der Reflexion theoretischer Konzepte und der Analyse einer Fallstudie Hinweise für die Optimierung achtsamen Zuhörens zu gewinnen.

Unter Coaching verstehen Christine Albrecht und Daniel Perrin „… ein Beratungsformat, bei dem eine Beraterin einen Kunden methodisch professionell, ko-aktiv und dialogisch im Prozess unterstützt, im Spannungsfeld von Person, Rollen und Organisation selbst seine Ausgangslage zu klären, Ziele zu setzen, funktionale Ziele zur Zielerreichung zu entwickeln, die Mittel einzusetzen und die Ziele zu erreichen.“ (S. 24) Als konzeptionellen Bezug benennen sie insbesondere die integrative Sozialtheorie von Giddens u.a..

Unter Gespräch im Coaching wird „… eine emergent sinnhafte abgeschlossene Wechselrede, bei der sich zwei oder mehrere Teilnehmende mit ihren Sprechhandlungen regelhaft und schrittweise aufeinander beziehen“, verstanden (S. 28). Alle Elemente dieser Definition werden konzeptionell und theoretisch hergeleitet. Kritisch wird im Ergebnis konstatiert, dass keine der aufgeführten Studien auf die Funktion des Zuhörens fokussiert.

Besondere Aufmerksamkeit widmen die Autoren, ohne die übrigen Elemente zu vernachlässigen, der Emergenz, der Herausbildung eines Ergebnisses, das mehr ist als die Summe seiner Teile, so dass neuer Sinn entsteht, eine „dritte Sicht, die bisherige Widersprüche aufhebt.(…) Emergentes Zuhören wird erlebt als fokussiertes Sehnen nach dem bald Greifbaren.“ Eine zentrale Aufgabe des Coachs besteht darin, zuhörend auf eine höhere Ebene oberhalb der Problemebene zu fokussieren und den Coachee zu motivieren, sich auf die Haltung des emergenten Zuhörens einzulassen. Wichtige Voraussetzung für Emergenz ist das nonduale Zuhören, das sich auf den Erkenntnisprozess des Coachees einlässt und Inkongruenzen in den Beratungsprozess so zurückspiegelt, dass diese ihr bewusst werden.

Die vorliegende Gesprächsanalyse benennt als konzeptionellen Bezugsrahmen ethnomethodologische Konversationsanalyse, ethnografische Methoden, Konstruktivismus und Hermeneutik. Eine besondere Herausforderung stellt der Umstand dar, dass es sich um eine auto-ethnografische Analyse handelt, weil die Coach zugleich forschende Person ist. Dem wurde dadurch entsprochen, dass die Beratung audiovisuell aufgezeichnet und durch eine zweite forschende Person begleitet wurde.

Der analysierte Coachingprozess bezog sich auf die arbeitsfeldbezogene Einzelberatung, bei der es um die Lösung einer beruflichen Krise der Coachee ging. Er gliederte sich in die Phasen Rollenklärung, Standortbestimmung, Visionen aufspannen, Entwicklung von Problemlösungsstrategien und der Analyse des Prozesses und seiner Ergebnisse. Den Prozess des aufmerksamen Zuhörens durch den Coach wird exemplarisch analysiert, wobei die schwyzerdeutschen Gesprächssequenzen nach den Regeln des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems (GAT) anschaulich dokumentiert sind.

Im Schlussteil diskutieren Christine Albrecht und Daniel Perrin die Bedeutung ihrer Ergebnisse. Sie heben hier die Bedeutung der Haltung des Coachs gegenüber schriftlichen Verhaltensregeln und Methoden hervor. Ein Modell achtsamen Zuhörens finden sie in buddhistischer Meditation, deren Bedeutung wissenschaftlich zu wenig anerkannt sei.

Diskussion

„Zuhören im Coaching“ bereichert die umfangreiche Literatur zum Coaching durch eine fundierte Untersuchung. Dabei werden die Phasen des Coachings systematisch dargestellt und untersucht. Coaching steht hier für eine berufswegbezogene Einzelberatung, unterscheidet sich damit implizit von Definitionen, die sich u.a. auf die Beratung von Führungskräften beziehen. Die Autoren grenzen sich ab von einer Praxis, die Coaching als Training versteht und dem oder der Coachee Ratschläge erteilen möchte.

Der Annahme, dass Zuhören im Berufsfeld Coaching wissenschaftlich und praktisch unterbestimmt sei, kann allerdings nur bedingt gefolgt werden. Zumindest diejenigen Konzeptionen, die einen Bezug zu systemischen oder psychoanalytischen Feldern haben, befassen sich intensiv mit dem „aktiven Zuhören“ und haben hierfür methodisches Handwerkszeug entwickelt. Eine in der Untersuchung kaum behandelte Frage ist, wie der bzw. die Coach zu ihren Annahmen über Bedeutungen von Aussagen kommt, welche Deutungsmuster, Vor-Annahmen, Übertragungen und Gegenübertragungen im Spiel sind. Dass derartige Fragen wenig Beachtung finden, liegt möglichweise an dem durch spirituelle Ansätze einerseits und Linguistik andererseits geprägten Instrumentarium der Untersuchung.

Fazit

Der Titel des Buches könnte die Erwartung wecken, eine umfassende Darstellung von Theorie, Praxis und Methoden des professionellen Zuhörens in der Beratung zu erhalten. Einen solchen Anspruch kann das knapp einhundertseitige Buch nicht erfüllen. Das mindert seinen Wert jedoch nicht. „Zuhören im Coaching“ ist die lesenswerte, erhellende Untersuchung eines Coachings auf fundierter und systematischer Basis. Es zeigt beispielhaft Phasen einer lösungsorientierten Praxis, die insbesondere Beraterinnen und Beratern die Möglichkeit professioneller Reflexion bietet.

Rezension von
Wolfgang Witte
Pädagoge M.A., Supervisor und Coach (DGSv/SG)
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Es gibt 9 Rezensionen von Wolfgang Witte.

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Zitiervorschlag
Wolfgang Witte. Rezension vom 14.08.2014 zu: Christine Albrecht, Daniel Perrin: Zuhören im Coaching. Springer VS (Wiesbaden) 2013. ISBN 978-3-531-19780-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16789.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.


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