Nina Alexandra Roser: Inszenierung des Alter(n)s
Rezensiert von Prof. Dr. Helmut Diederichs , 29.09.2014
Nina Alexandra Roser: Inszenierung des Alter(n)s. Die Darstellung von Senioren in deutschen Kinospielfilmen von 1999 bis 2009.
Leipziger Universitätsverlag
(Leipzig) 2013.
249 Seiten.
ISBN 978-3-86583-735-6.
D: 24,00 EUR,
A: 24,70 EUR,
CH: 34,50 sFr.
Reihe: Media-Studien - Band 16.
Thema
Ältere Menschen sind durchaus im Fokus der diversen Abteilungen der Kommunikations- und Medienwissenschaften, wenn es um die vielfältige Nutzung immer zahlreicher werdender Medientechniken und -produkte geht. Senioren als Gegenstand und Protagonisten – vor allem der audiovisuellen Medien – sind deutlich weniger erforscht. Hier füllt das vorliegende Buch eine Lücke, wenn auch in geringem Maße.
Autorin und Entstehungshintergrund
Das Buch von Nina Alexandra Roser ist eine Leipziger Magisterarbeit, geschrieben am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft bei Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz, in dessen Reihe „Media-Studien“ es auch erschien.
Die Sitte, sehr gute universitäre Abschlussarbeiten (unterhalb der Dissertation) als gedrucktes Buch zum Kauf anzubieten, scheint mir in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen zu haben. Dabei wäre es ein Leichtes, die entsprechenden PDF-Dateien auf den Hochschul-Webseiten einem studentischen Publikum kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Aufbau und Inhalt
Die
Arbeit besitzt eine sehr klare Struktur: Sie teilt sich auf der
obersten Ebene in eine theoretische und eine empirische Hälfte. Der
theoretische Teil ist wiederum dichotomisiert in einen Überblick zur
Lebenswelt der Senioren, der gleichzeitig der Kategorien-Entwicklung
für die empirische Analyse dient, und eine Darstellung des
Forschungsstandes zu Altersbildern in Fernsehen und Film.
Die
Empirie beginnt mit der Methodenauswahl (quantitative Inhaltsanalyse
plus hermeneutische Interpretation) und der Hypothesenbildung. Es
folgt die detaillierte Darstellung der zu den fünf ausgewählten
deutschen Kinofilmen erhobenen Ergebnisse. Der ausführliche Anhang
mit Sequenzprotokollen, Codebögen und Feinanalysen zu den
analysierten Filmen ergänzt und beschließt den empirischen Teil.
Im
Einzelnen: Die Autorin entwickelt zunächst neun „Dimensionen der
Lebenswelt von Senioren“ (und nutzt sie sowohl als Kategorien für
die inhaltsanalytischen Auswertungen als auch als Struktur der
Ergebnisdarstellung): Identität, Familie, soziales Netzwerk,
Partnerschaft und Sexualität, Gesundheit und Krankheit, Übergang in
den Ruhestand, Materielle Situation, Wohnsituation, Psychologische
Aspekte. Dies ist eine kurz gefasste, aber gründliche
Zusammenfassung der wesentlichen Fakten und Probleme der Lebensphase
Alter, die Studierenden verschiedenster Fachrichtungen einen guten
Überblick bietet.
Das zweite Theoriekapitel über
„Altersstereotype und Altersbilder in Fernsehen und Film“ kommt –
materialbedingt – vergleichsweise mager daher. Altersbilder im
Fernsehen wurden offenbar bisher nur in Bezug auf Werbung und
Serien/Soaps untersucht, nicht aber bei
Fernsehspielen/Fernsehkrimis/Fernsehkomödien etc. – was
verwunderlich ist, gab es doch in den vergangenen 15 Jahren eine
ganze Reihe wirklich lohnenswerter Titel. Zu Kinofilmen mit
Seniorenprotagonisten konnte die Autorin einige kleinere Studien
finden, weil sie die Beschränkung auf das deutsche Kino aufgab.
Methodisch erkennt die Autorin selbst, dass es mit dem quantitativen Auszählen von Merkmalen auf Codebögen nicht getan ist und ergänzt dieses durch die „hermeneutische Interpretation“ von Schlüsselszenen des jeweiligen Filmes. Wie und warum sie die folgenden fünf Kinofilme als Untersuchungsobjekte ausgewählt hat, wird trotz Begründung nicht völlig schlüssig: „Jetzt oder nie – Zeit ist Geld“ (Lars Büchel 2000), „Schultze gets the Blues“ (Michael Schorr 2003), „Kirschblüten – Hanami“ (Doris Dörrie 2008), „Wolke 9“ (Andreas Dresen 2008), „Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus!“ (Leander Haußmann 2009). Da verraten die Hypothesen, vor allem in ihrer Abfolge, schon mehr. Überprüft werden solle, ob Senioren-Lebenswelt in filmische Realität integriert werde; ob die „Heterogenität der Identität im Alter“ gezeigt werde; ob die Protagonisten „außergewöhnliche Lösungsstrategien“ verfolgten. Außergewöhnlich ist es sicherlich: wenn drei Seniorinnen eine Bank überfallen, ein frischgebackener Rentner einem Musikstück in die USA hinterherreist und dort stirbt, ein bayrischer Witwer die japanische Kleidung seiner Frau anzieht und durch Tokio spaziert, eine Endsechzigerin ein sexuelles Verhältnis mit einem Endsiebziger beginnt (das explizit gezeigt wird) und sich der gehörnte Gatte umbringt, eine Gruppe von Senioren diverse illegale Aktionen unternimmt, um den Herzenswunsch eines Gruppenmitglieds zu erfüllen. Da fragt man sich: Sind das realistische Beispiele für die Lebensphase Alter – oder Alters-„Freaks“. Es verwundert nicht, dass die Autorin ihre Hypothesen offenbar den vorgefundenen Filmbeispielen angepasst hat.
Zielgruppe und Diskussion
Die Zielgruppe der Kommunikationswissenschaftler, Soziologen und Psychologen bekommt eine saubere, vorbildliche empirische Methodenanwendung demonstriert. Die Zielgruppe der Studierenden der Sozialen Arbeit wünschte sicherlich einen repräsentativen Überblick über Altersdarstellungen im Kino – das kann aber eine Magisterarbeit nicht leisten. (Die Überblicke der Autorin über die Lebensphase Alter und über die Altersbilder in den Medien sind jedoch informativ.)
Für cineastisch und filmwissenschaftlich orientierte Leser lohnt sich der Kauf des Buches nicht: Werk-Zusammenhänge der fünf RegisseurInnen, Leistungen der DarstellerInnen, Besonderheiten filmischer Formen interessieren die Autorin nicht; DrehbuchautorInnen, als die eigentlich Verantwortlichen für Filminhalte, Handlungsrecherche und dramaturgische Bearbeitung, sind nicht mal in den Filmlisten der Arbeit aufgeführt.
Eingangs wird die Realität der Lebensphase Alter als Maßstab für die Filmanalyse propagiert, die Darstellung des Alters „so wie es ist“, „typische Aspekte und Themen aus der Lebenswelt von Senioren“ (21) sollten in den Filmen enthalten sein. Am Ende sind es dann doch die Alters-‚Freakfilme‘ des Kinos und nicht die realistischen Darstellungen von Altersproblemen in den vielen Fernsehspielen der vergangenen Jahre (siehe SozPäd-Movie-Datenbank – Liste Altenarbeit: www.asw.fh-dortmund.de/diederichs), die im Fokus der Analysen stehen. In ihrer Mehrzahl waren die RegisseurInnen der fünf analysierten Filme da weniger scheu, das Fernsehen als Partner zu akzeptieren, wie ein Blick in deren Filmographien zeigt.
Fazit
Eine vorzügliche Magisterarbeit, die vor allem für Kommunikationsstudierende mit Interesse an exemplarischer empirischer Forschung (quantitative Inhaltsanalyse) von Nutzen sein kann. Für Studierende und PraktikerInnen der Sozialen Arbeit, die sich mit der Lebensphase Alter beschäftigen, lohnt der Blick jedoch kaum: Die Fakten zum Arbeitsfeld kennen sie schon und die analysierten Filme sind nicht repräsentativ.
Rezension von
Prof. Dr. Helmut Diederichs
(i.R.)
Dipl.-Volkswirt, Dipl.-Soziologe, Dr. phil., habilitierter Film-Soziologe,
lehrte bis 2013 Medienpädagogik am FB Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund, lebt und forscht in Neu-Isenburg
Website
Es gibt 6 Rezensionen von Helmut Diederichs .
Zitiervorschlag
Helmut Diederichs . Rezension vom 29.09.2014 zu:
Nina Alexandra Roser: Inszenierung des Alter(n)s. Die Darstellung von Senioren in deutschen Kinospielfilmen von 1999 bis 2009. Leipziger Universitätsverlag
(Leipzig) 2013.
ISBN 978-3-86583-735-6.
Reihe: Media-Studien - Band 16.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16816.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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