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Mario Candeias, Eva Völpel: Plätze sichern!

Rezensiert von Prof. Dr. Ruth Simsa, 22.08.2014

Cover Mario Candeias, Eva Völpel: Plätze sichern! ISBN 978-3-89965-551-3

Mario Candeias, Eva Völpel: Plätze sichern! Über Occupy, Indignados, Syntagma und die Lernfähigkeit des Mosaiks Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. VSA-Verlag (Hamburg) 2013. 144 Seiten. ISBN 978-3-89965-551-3. D: 10,80 EUR, A: 11,10 EUR, CH: 16,50 sFr.

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Thema

Seit 2011 hat in Europa und den USA mit den »Empörten« und »Occupy Wall Street« ein neuer, transnationaler Bewegungszyklus eingesetzt. Mit Blick auf unterschiedliche „Krisenländer“ werden die Entstehung und die Strategien der einzelnen Bewegungen dargestellt.

Autor und Autorin

Mario Candeias, Politikwissenschaftler und Ökonom, ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sein Standardwerk »Neoliberalismus. Hochtechnologie. Hegemonie. Grundrisse einer transnationalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise« erschien 2009 in einer verbesserten Neuauflage beim Argument Verlag.
Eva Völpel studierte in Bonn und Berlin Geschichte, Politik und Soziologie, seit 2009 ist sie Redakteurin im Inlandsressort der taz und berichtet über die Themenfelder Arbeit und Soziales.

Das Buch entstand unter Mitwirkung von Lara Hernández und Robert Ogman.

Entstehungshintergrund

Ausgehend von der diagnostizierten strukturellen Schwäche der neuen Protestbewegungen, die Plätze und Themen nicht halten konnten, thematisiert das Buch Lernprozesse und strategische Neuorientierung der Bewegungen.

Mit der Räumung der zentralen Camps in New York, Madrid und fast überall schien sogar das vorzeitige Ende der Bewegungen gekommen. Nun scheinen sie sich zu reorganisieren, zu lernen und transnational fortzusetzen. Aufbauend auf den organischen Kooperationen mit anderen Organisationen und Bewegungen der Subalternen in der Zeit der Platzbesetzungen konnte ein Strategiewechsel vorgenommen werden, der das Überleben und die Entwicklung der Bewegung sicherte: Sie streute in die Viertel, ohne sich zu zerstreuen.

Diese Prozesse werden in dem Band untersucht, wobei insbesondere die Ereignisse in den USA, Spanien und Griechenland näher untersucht werden. Der Impuls der Bewegung ergreift auch Linksparteien und Gewerkschaften. Die gesellschaftliche Mobilisierung wird somit als Prozess der ReOrganisierung der gesamten gesellschaftlichen Linken interpretiert.

Aufbau und Inhalt

Die Einleitung umschreibt den Bogen „Vom erfolgreichen Scheitern und der Geschichte des Subalternen“. Letzteres wird definiert im Sinne Gramscis zur Beschreibung gesellschaftlicher Gruppen geprägt hat, denen der Zugang zu hegemonialen Teilen der Gesellschaft verschlossen ist.

Kapitel 1. beschreibt unter dem Titel Resonanzen des Unabgegoltenen und Remaking of Class Hintergründe der Bewegungen, die v.a. als organischer Ausdruck des Prekariats im informationstechnologischen Kapitalismus charakterisiert werden. Danach werden die Bewegungen in den drei vorrangig untersuchten Ländern USA, Spanien und Griechenland in ihrer Entstehung und Weiterentwicklung charakterisiert.

Kapitel 2 „Occupy Wall Street: Ereignis, Verdichtung und strategische Neuorientierungen“ schildert etwa Momente der Verdichtung, organische Kooperationen und transformative Formen der Organisation, sowie erfolgreiche neue Knoten und Zerstreuung.

Kapitel 3. „Die Indignad@s des 15M: Molekulare Organisierung und Radikalisierung hin zur gesellschaftlichen Mobilisierung“ beschreibt die Entwicklung in Spanien, von molekularer Organisierung und Radikalisierung hin zu einer breiten gesellschaftlichen Moilisierung

Hintergrund waren tiefgehende Prekarisierungen. Auch Reformen der Sozialisten unter Zapatero griffen zu wenig in ökonomische Strukturen ein: „Im Gegenteil, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wurde ebenso vorangetreiben wie Privatisierungen.“ (96) In der Folge insbesondere der massenhaften Delogierungen entstand breite Akzeptanz der Proteste in der Bevölkerung.

Kapitel 4. „Syntagma & Syriza: Emergenz des Mosaiks jenseits von Vereinheitlichung und Differenz“ beschreibt die Entwicklung in Griechenland. Auch hier wird neoliberale Modernisierung mit ihren gravierenden sozialen Folgen als Hintergrund beschrieben. Neben ersten Streiks und Demonstrationen kam es nach 2008 rasch zu Boykott-Bewegungen, massenhafter Besetzung von Plätzen und Widerstand gegen die Privatisierungspolitik. Es werden Räume sozialer Transformation bzw. neuer Organisationsformen beschrieben, etwa selbstverwaltete Solidaritätsstrukturen, Betriebsbesetzungen mit dem Versuch neue (Re-) Produktionsformen anzuwenden. Als Perspektive wird der Bruch mit der Austeritätspolitik und die Transformation im und über den Staat hinaus skizziert.

Kapitel 5 „Eine Situation schaffen, die noch nicht existiert“ analysiert die Situation der Linken insgesamt, von ihrer Fragmentierung zum linken Mosaik und von der Mosaik- zur Transformationslinken (210) bzw. von der verbindenden zur strategischen Partei

Kapitel 6. »Wo bitte geht´s zum Winterpalast?« diskutiert transnationale Resonanzen und blockierte Transformation, es fragt, ob die Empörung verpufft, bzw. die Macht ergriffen wird, ohne die Welt zu verändern? (232) Ausgehend von den Impulsen der Arabellion hat demnach seit 2011 auch in Europa und den USA, Chile, der Türkei oder Brasilien mit den »Empörten« und »Occupy Wall Street« ein transnationaler Bewegungszyklus eingesetzt, getragen von einem besser denn je ausgebildeten urbanen Prekariat. Immer wieder eröffnen sich Räume für Protest und Organisierung. Es wird beschrieben, dass die Bewegungen nach ersten Räumungen der Plätze in die Viertel streute, ohne sich zu zerstreuen. Neue Kraft gewannen sie, indem auf eher lokaler Ebene konkrete Probleme angegangen wurden, etwa der Kampf gegen Zwangsräumungen in Spanien und den USA oder der Aufbau von lebendigen Solidarnetzen für Gesundheit und Ernährung in Griechenland oder der Kampf um den staatlichen TV-Sender ERT in Griechenland. Trotz beachtlicher Erfolge wird aber auch festgestellt, dass die herrschenden Gruppen und Regierungen ungerührt ihre Politik der perspektivlosen Kürzungen fortsetzen. Die bunten zivilgesellschaftliche Organisierung erringt große Terraingewinne, erreicht aber die soliden Bastionen der Herrschaft nicht.

Sie müssten sich daher strategisch reorientieren, in Zeiten der Transnationalisierung stellt sich allerdings die Frage nach den »Hauptquartieren« der Macht, nach dem gegenwärtigen »Winterpalast«. Nationale Regierungen sind hier trotz allem wesentliche Verdichtungspunkte, es wird daher festgestellt, dass der Sturz der neoliberalen Regierungen, die Infragestellung des institutionellen Gefüges und des Verhältnisses von Politik und Ökonomie wesentliche Voraussetzungen für Erfolg sind.

Diskussion und Fazit

Das Buch ist hochspannend, aktuell und vermittelt einen guten Einblick in die unterschiedlich ausgeprägten Bewegungen, die gleichwohl viel gemeinsam haben. Zwei Aspekte dabei teile ich nicht unbedingt: Zum einen ist fraglich, wie weit die Kooperation der Bewegungen mit traditionellen Gewerkschaften hier nicht überschätzt wird, viele AkteurInnen der neuen sozialen Bewegungen lehnen die Zusammenarbeit mit etablierten, älteren Institutionen der Zivilgesellschaft ja explizit ab (Simsa 2013). Zum anderen ist fraglich, wie weit es gerechtfertigt, oder den Selbstbeschreibungen nach noch passend ist, all die genannten Aktivitäten tatsächlich unter dem Begriff „Die Linke“ zu subsumieren. Das Etikett verschafft Aufmerksamkeit, ot es noch stimmt, ist die Frage. Dennoch, ein wichtiges Buch, das gerade auch in jenen Ländern, die (noch) nicht von massiven sozialen Bewegungen betroffen sind, Verständnis erwirken kann, und das die zentrale Frage der Aushandlung gesellschaftlicher Spannungen und der Anknüpfungspunkte für sozialen Wandel diskutiert.

Literatur

  • Simsa, R.: Protest ohne Organisation? in: Neue Soziale Bewegungen 4/2013

Rezension von
Prof. Dr. Ruth Simsa
Wirtschaftsuniversität Wien
Institut für Soziologie, NOP Institut
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Es gibt 76 Rezensionen von Ruth Simsa.

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Zitiervorschlag
Ruth Simsa. Rezension vom 22.08.2014 zu: Mario Candeias, Eva Völpel: Plätze sichern! Über Occupy, Indignados, Syntagma und die Lernfähigkeit des Mosaiks Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. VSA-Verlag (Hamburg) 2013. ISBN 978-3-89965-551-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16819.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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