Sascha Weigel: Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse in der Mediation
Rezensiert von Peter Schröder, 21.10.2014
Sascha Weigel: Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse in der Mediation. Ein Handbuch. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2014. 664 Seiten. ISBN 978-3-8487-0601-3. D: 99,00 EUR, A: 101,80 EUR, CH: 139,00 sFr.
Entstehungshintergrund und Thema
Mediation ist ein gut etabliertes Beratungskonzept, das mit einem stabilen rechtlichen Rahmen ausgestattet und gut in Organisationsformen eingebettet ist. Seit 2012 gibt es das Deutsche Mediationsgesetz, das einerseits den Begriff der Mediation und die Berufsbezeichnung Mediator schützt und andererseits Mediation als Form der außergerichtlichen Konfliktregulierung grundlegt.
Die Konzepte und Methoden, mit denen die Mediation arbeitet, sind vielfältig. Ein mögliches Konzept, mit dem Mediationsverfahren unterstützt werden können, ist die Transaktionsanalyse, die ursprünglich von dem Psychiater Eric Berne entwickelt und mittlerweile von zahlreichen PraktikerInnen methodisch und konzeptionell erweitert worden ist.
Das vorliegende Buch zeigt sowohl Basiskonzepte der Transaktionsanalyse (TA) als auch weiterführende Ansätze auf und zeigt die hilfreichen Verbindungen von TA-Konzepten mit der Mediation. Dreißig Autoren und Autorinnen vereint der Band.
Herausgeber
Sascha Weigel ist promovierter Jurist und Rechtsanwalt, der seine Dissertation zum Konfliktmanagement von Verwaltungsorganisationen mit Mediation und Transaktionsanalyse geschrieben hat. Er ist Lehrbeauftragter diverser (Fach-)Hochschulen und wurde von der Deutschen Gesellschaft für Transaktionsanalyse (DGTA) mit dem Wissenschafts-Award ausgezeichnet.
Aufbau
Das Buch ist in vier Teile gegliedert:
- Einführung,
- Grundlagen transaktionsanalytisch fundierter Mediation,
- Transaktionsanalytische Konzepte für die Mediationsarbeit und
- Transaktionsanalytisch fundierte Mediationsarbeit in spezifischen Kontexten.
Zu Teil I.
In einem ersten einführenden Beitrag stellt Sascha Weigel „Mediation als Konfliktmanagementverfahren“ mit dem Untertitel „Ausgangsüberlegungen für eine transaktionsanalytische fundierte Mediation“ vor. Dabei beantwortet er die drei grundlegenden Fragen, um die es in dem gesamten Band dann in verschiedenen Perspektiven gehen soll: „Was ist ein Konflikt und wie kann mit diesem grundsätzlich umgegangen werden? Was ist in diesem Zusammenhang Mediation? Welche Rolle kommt in diesem Kontext der Beratungsmethode der Transaktionsanalyse zu?“ (S. 17)
Einen zweiten einführenden Beitrag hat Claus Nowak geschrieben: „Mediation im Kontext eines strategischen Konfliktmanagements“. Darin behandelt er „drei Grundprobleme der Konfliktbearbeitung: das Macht-Problem, das Freiwilligkeits-Problem und das Ergebnisoffenheits-Problem.“ (S. 50)
Zu Teil II.
Der zweite Teil des Buches beginnt mit dem Beitrag von Henning S. Schulze mit der Überschrift: „Zur Identität, Arbeitsweise und Ausbildung von Transaktionsanalytikern in der Mediation“. Er skizziert zunächst die einzelnen Phasen eines Mediationsprozesses und referiert dann die Ausbildungsstufen in der Professionalisierung zum Transaktionsanalytiker. Grundlegenden Konzeptbausteinen der TA widmen sich die folgenden Artikel. Weigel beschreibt das Menschenbild der TA, das auch grundlegend für die Arbeit eines Mediators ist.
Julia Kreyenberg beschreibt unter dem Titel „Vermittelndes Konfliktmanagement mit Konzepten der Transaktionsanalyse. Ein Überblick“ ebenfalls Grundkonzepte der TA in ihrer Bedeutung für die Mediation: Konfliktverständnis, OK-Corral (Grundlebenspositionen) und Hypothesenbildung.
Ein weiteres Grundkonzept der TA stellt Barbara Hagedorn dar: „Das Autonomie- und Vertragskonzept der Transaktionsanalyse als Grundlagenkonzept für das Mediationsverfahren“. Es ist zentral für die Mediation, Verträge zu schließen und Vereinbarungen zu treffen. Auf der Grundlage des Menschenbildes der TA, das als Ausgangspunkt die Autonomie eines Menschen hat und als Zielpunkt das Wachstum der Autonomie, ist es geradezu kennzeichnend für transaktionsanalytische Arbeitsweisen, dass zu Beginn und auch während eines Beratungsprozesse immer wieder Verträge geschlossen werden – ein deutlicher Hinweis auf die Kompatibilität von TA und Mediation.
„Das Kommunikationsmodell der Transaktionsanalyse“ skizzieren Manfred Gührs und Claus Nowak in ihrer Darstellung des Strukturmodelles der Persönlichkeitszustände und typischer Transaktionsverläufe.
Anhand des Modells der Lebenspositionen und des Dramadreiecks beschreibt Werner Vogelauer „Konflikt-Coaching aus transaktionsanalytischer Sicht“.
Der Beitrag von Norbert Nagel mit der Überschrift „Transaktionsanalytisch basierte Mediationsausbildung – orientiert an Persönlichkeit und Kompetenz“ beschließt den zweiten Teil des Buches, der sich vor allem mit Grundkonzepten befasst.
Zu Teil III.
Der dritte Teil ist überschrieben mit „Transaktionsanalytische Konzepte für die Mediationsarbeit“. Hier werden Kernkonzepte der TA auf ihren Nutzen für die Mediation hin geprüft: das Vertragskonzept, das Ich-Zustandsmodell, die Beziehungsbedürfnisse, das Dramadreieck etc. Und damit beginnt der m.E. spannendste Teil des Buches. Es würde zu weit führen, alle Artikel einzeln zu benennen, deshalb bleibe ich beim Summarischen:
Das Vertragskonzept der TA (vgl. Hagedorn) schließt an das Autonomiekonzept an und ist sowohl zu Beginn des Prozesses als auch immer wieder in dessen Verlauf sehr hilfreich. Das Ich-Zustandsmodell kann bestimmte Konfliktkonstellationen als Folge unproduktiv gekreuzter Transaktionen beschreiben, gleichzeitig verhält sich der Autor Günther Mohr kritisch gegenüber (oft statischen) Persönlichkeitsmodellen.
Das Skriptmodell liefert eigene „hilfreiche Aspekte“ (Heidrun Peters) zum Verständnis von Konflikten. Dass Konflikte vor allem durch Gefühle und nicht befriedigte (Grund-)Bedürfnisse befeuert werden, ist einleuchtend. Sowohl der Beitrag von Christian Küster als auch der von Norbert Nagel reflektieren diesen Zusammenhang.
Viele Konflikte können als „Spiele“ im Berne´schen Sinn dargestellt werden. Mehrere AutorInnen nutzen dieses Konzept, wie z.B. Luise Lohkamp in ihrem Beitrag zum Dramadreieck. Matthias Sell schildert „Widerstand und Bezugsrahmen (als) nützliche transaktionsanalytische Konzepte in der praktischen Mediationsarbeit.“ Stroke-Konzept, Abwertungsmatrix und Antreiberkonzept sind weitere Aspekte der TA, die für die Mediationsarbeit nutzbar gemacht werden.
Zu Teil IV.
Nach den verschiedenen konzeptionellen Aspekten schildert der vierte Teil unter der Überschrift „Transaktionsanalytisch fundierte Mediationsarbeit in spezifischen Kontexten“ konkrete Anwendungsbereiche von TA-Konzepten in der Mediation. Auch hier begnüge ich mich mit einem summarischen Überblick.
Das geschilderte Feld ist weit und bunt: Es beginnt mit betrieblichem Konfliktmanagement und Mediationsprozessen in Organisationen, nimmt unter der Überschrift „Konfliktcoaching von Doppelspitzen als Anwendungsfeld von Mediation“ einen klassischen Anlass für Mediation/Konfliktcoaching im Wirtschaftskontext in den Blick, wendet dann den Blick auf Fragen der Ethik (Ethische Fallbesprechungen im Gesundheitswesen, Karl Heinz Riso, Konfliktlösung durch die Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Transaktionsanalyse, Anette Dielmann), widmet sich dann mit zwei Beiträgen dem Feld der Schule, um schließlich ein zentrales Mediationsfeld zu behandeln: der Konfliktvermittlung bei Paaren.
Der Anhang bietet Kurzbiographien und Bilder der AutorInnen sowie ein ausführliches Register.
Diskussion
Der Band ist ein sehr umfassendes Kompendium zu der Frage, wie TA-Konzepte in der Mediation nutzbar gemacht werden können. Das Ergebnis ist sehr beeindruckend. Auf über 600 Seiten schildern und reflektieren Praktiker der TA unterschiedlichste Einsatzfelder und -möglichkeiten. Im Coaching nutze ich „Landkarten“ der TA recht häufig, weil sie die Komplexität vor allem von Konfliktlagen hilfreich reduzieren und für Coachees so nachvollziehbar machen, dass deutlicher wird, welche Veränderung mit hoher Wahrscheinlichkeit heilsame Effekte haben wird. Zugleich kenne ich nur wenig Modelle, die es in gleicher Weise ermöglichen, recht schnell hilfreiche Hypothesen zu bilden und multiperspektivisch zu verändern. Es liegt in der Natur eines „Handbuches“, dass nicht alle LeserInnen alle – und auch nicht dieselben – Beiträge nützlich finden, das ist allemal abhängig vom eigenen Erkenntnisinteresse. Ich persönlich fand schon den einführenden Beitrag von Sascha Weigel sehr instruktiv, weil er zum einen Basisannahmen der Mediation darstellt und sich zum anderen ausführlich mit der Darstellung von Konflikten und Konfliktmanagement befasst. Weiter war es mir wertvoll, noch einmal detailliert das „Autonomie- und Vertragskonzept“ der TA dargestellt zu sehen. Auch das ist ein Konzept, das in jeder Form der Beratungsarbeit sehr hilfreich ist, weil es auf eine symmetrische Beziehungsgestaltung zielt und die Kompetenzen des Klienten respektiert und nutzt. Das Kommunikationsmodell als Modell der Interaktion von Ichzuständen ist bekannt, verdient aber in diesem Buch seinen eigenen Platz.
Spannend fand ich den Beitrag von Günther Mohr mit dem etwas kryptischen Titel „Eigenmediation mit dem Ichzustandsmodell – Vom Achtsamkeitszustand zur persönlichen Einmittung“. Ausgangspunkt ist folgendes: „So aufmerksamkeitsstark und interessant Konflikte mit anderen sind, ein Konflikt hat immer eine innerpsychische Spiegelungsebene. Auch Lösungen brauchen bei genauer Betrachtung zunächst die Veränderung der Selbstorganisation der Person.“ (S. 211) Davon würde ich gern mehr lesen (was ja auch möglich ist), denn Mohr bietet auch eine kleine „Selbst-Übung“ zum Thema Aufmerksamkeit an, die ich gern einmal auch Klienten anbieten würde.
Manches nimmt eine eher therapeutische Perspektive ein, die so in der klassischen Mediation wohl eher eine untergeordnete Rolle spielen wird: das Skriptmodell der TA ist sehr wertvoll (und gut, es zu kennen), Skriptveränderungen sind aber therapeutischen Interventionen vorbehalten. Ebenso scheint mir der Beitrag von Matthias Sell „Widerstand und Bezugsrahmen, nützliche transaktionsanalytische Konzepte in der praktischen Mediationsarbeit“ eher therapeutisch orientiert zu sein.
Der vierte Abschnitt wird vermutlich selektiver gelesen werden als die anderen, weil er sich sehr speziellen Anwendungsfeldern widmet. Er ist aber höchst lesenswert, weil er die enorme Weite der Anwendungsfelder von transaktionsanalytischen Modellen und Arbeitsweisen aufzeigt.
Ich habe das Buch als Nicht-Transaktionsanalytiker und als Nicht-Mediator gelesen, sondern als Supervisor und Coach, der allerdings seit vielen Jahren auch mit Konzepten der TA arbeitet und immer wieder auch mit Konfliktcoaching befasst ist. Insofern ist es wohl kaum überraschend, dass ich das Buch mit großen Gewinn gelesen haben, sowohl was mein Wissen über TA betrifft, als auch, was meine Kenntnis von Mediation angeht. Ich bin aber recht sicher, dass auch TA- und Mediationsprofis den Band mit großem Gewinn lesen werden. Und ganz gewiss macht er Lust, manches zu vertiefen, indem man ausführlichere Publikationen der jeweiligen AutorInnen zur Hand nimmt. Ich habe mir schon eine Reihe von Literaturangaben angekreuzt. Das ist meiner Meinung nach einer der besten Effekte, die ein Handbuch haben kann. Deshalb möchte ich es uneingeschränkt empfehlen.
Oder besser gesagt – eine Einschränkung gibt es doch: Ich habe, glaube ich, noch nie ein Buch gelesen, das so schlampig korrigiert war wie dieses. Und das darf, finde ich, bei einem Buch, das 99,00? kostet, nicht sein! Es gibt Unmengen von Rechtschreib- und vor allem Zeichensetzungsfehlern bis hin zu falschen Namen: „Sparrer/Gabor von Kibed“ statt „Sparrer/Varga von Kibéd“, und die eingefügten Graphiken sind zum Teil bis zur Unleserlichkeit verwaschen. Das schränkt den Lesegenuss erheblich ein – meinen jedenfalls!
Fazit
Für MediatorInnen, die daran interessiert sind, ihr konzeptionelles Inventar zu erweitern, für BeraterInnen, die eine weitere Perspektive auf Konflikte gewinnen wollen, für Transaktionsanalytiker, die ihr Profil um Mediation erweitern möchten – und für alle anderen, die „kognitive Landkarten“ nutzen möchten, um Komplexität zu reduzieren, ist es ein (lehr-)reiches und wertvolles Handbuch!
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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Zitiervorschlag
Peter Schröder. Rezension vom 21.10.2014 zu:
Sascha Weigel: Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse in der Mediation. Ein Handbuch. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2014.
ISBN 978-3-8487-0601-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16889.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.
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