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Ivan Boldyrev: Ernst Bloch and His Contemporaries

Rezensiert von Dr. Rob Plum, 02.03.2015

Cover Ivan Boldyrev: Ernst Bloch and His Contemporaries ISBN 978-1-4725-1176-8

Ivan Boldyrev: Ernst Bloch and His Contemporaries. Bloomsbury (New York, NY 10018) 2014. 208 Seiten. ISBN 978-1-4725-1176-8.
Preis: 120.00 Dollar (Listenpreis) Preis: 65.00 Pound (Listenpreis) .

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Autor

Ivan Boldyrev ist associate professor am Lehrstuhl für Methodologie der Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsgeschichte an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, HSE, Moskau, Russland und Gastwissenschaftler an der Humboldt Universität zu Berlin.

Aufbau und Inhalt

Das 1. Kapitel, ‚Ernst Bloch´s Philosophical Prose‘, möchte eine Art Einführung in Blochs Philosophie sein, dadurch dass der Verfasser des Buches sich fokussiert auf Bloch als Schriftsteller der seine Philosophie entwickelt hat in einer sehr bestimmten literarischen Form. Hier findet man eine kurze Darstellung von Blochs intellektuellem Werdegang, eine Erläuterung seines Utopieverständnisses als ‚Konzept und Form des Lebens‘, seiner ‚Metaphysik des Augenblicks‘, eine Darstellung seiner Philosophie der Subjektivität und des berühmten Konzeptes der ‚Gestalt der unkonstruierbaren Frage‘. Weiterhin des Nicht und des sowohl subjektiv wie objektiv gemeinten ‚noch-Nicht‘. Dieses einführende Kapitel bietet außerdem eine Darstellung von Blochs Sozialphilosophie in Anlehnung an Karl Marx, einen kleinen Exkurs über Bloch und Martin Heidegger, den vielleicht berühmteste Zeitgenosse Blochs, womit nie ein echtes Gespräch stattgefunden hat und zum Schluss einen abschließenden Paragraph über die (Un)möglichkeiten der utopischen Philosophie. Hier begegnet man einigen der interessantesten und wichtigsten Fragen womit jede utopische Philosophie uns konfrontieren sollte: In wie fern kann eine utopische, offene Philosophie auch eine Teleologie sein? Wie kann man teleologisch denken ohne damit das Ziel vorauszusetzen als von vornherein schon klar, ausgemacht?

Im 2. Kapitel, ‚Heidelberg´s Apostles: Bloch Reading Lukács Reading Bloch‘, eines der, neben dem 4. Kapitel, umfangreichsten Kapitel des Buches, wird Blochs langjähriges Verhältnis zu Georg Lukács beschrieben. Die Heidelberger Apostel, wie sie mal genannt wurden, haben sich schon früh, in den Kreis um Max Weber in Heidelberg kennengelernt. Es gibt in diesem Kapitel eine Auseinandersetzung mit Lukacs´ ‚Metaphysik der Tragödie‘ (1910), mit seinem ‚Theorie des Romans‘ (1916), mit beider Verständnis von Totalität, anschließend, nochmals, mit dem für Bloch, sowie schon für Kierkegaard, wichtigen Begriff des ‚Augenblicks‘, mit der wichtigen Rolle die Goethes ‚Faust‘ in Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘ spielt, und mit Lukacs und Blochs Verhältnis zum Denken Goethes und Hegels im Allgemeinen. Schon in der Auseinandersetzung mit Lukács hat sich Blochs Kritik an jeder Vorliebe für eine geschlossene ästhetische Form kenntlich gemacht.

Das 3. Kapitel (‚Eschatology and Messianism: Bloch with Buber, Landauer und Rosenzweig‘) bietet eine Erläuterung des Einflusses der Gnosis auf Blochs Philosophie, des Verhältnisses von den ausgezeichnet religiösen Themen Eschatologie und Apokalyptik, sein Verhältnis zum Judentum und sein ketzerisches Christentum. Die Zeitgenossen die hier zur Sprache kommen, sind nicht nur Martin Buber, Gustav Landauer und Franz Rosenzweig, sondern auch der Jüdische Religionshistoriker Gershom Scholem. Auch hier, jetzt aber in Auseinandersetzung mit Gnosis, Apokalyptik und Eschatologie, kehren die Fragen zurück wie sich der neue, noch bevorstehende Gott zur bestehenden Ordnung verhält und wie sich das neue Reich Gottes, das am Ende kommen wird, zur heutigen Welt verhält. Der Autor zeigt wie sehr es Bloch in sein eigenartiges Verhältnis zum Judentum und Christentum genau um diese Themen gegangen ist. Letztendlich kann man Bloch weder als ein Jüdischer, noch als ein Christlicher Philosoph betrachten, da er beide Religionen in tiefgreifend geänderter Form in seinem Denken aufgenommen hat.

Im umfangreichsten, 4. Kapitel (‚The Form of the Messianic‘) steht thematisch die ‚Form des Messianischen‘ und historisch die Beziehung zu Walter Benjamin im Vordergrund. Außerdem gibt es hier kleinen Exkursen zu Bloch und Kant – Blochs post-Hegelianischer Kantianismus war schon deutlich in ‚Geist der Utopie‘, wo Bloch dafür plädierte ‚Kant durch Hegel hindurchbrennen zu lassen‘ (GdU., 236) – weiter zu dem Thema Erlösung, und zum Schluss eine Interpretation von Benjamin und Bloch als säkulare Mystiker. Beim Thema Erlösung spielt vor allem Gershom Scholems Unterschied zwischen dem Jüdischen und dem Christlichen Erlösungsverständnis eine bedeutende Rolle. Und erneut kehrt hier die Frage wieder zurück wie sich das zukünftige Erscheinen des Messias zum menschlichen Handeln und zur Verantwortung verhält: Kann im Messianismus die historische Entwicklung eigentlich überhaupt eine Rolle spielen?

Das letzte, 5. Kapitel (The Void of Utopia and the Violence of the System: Bloch contra Adorno) dreht um die, ebenfalls schwierige,Beziehung Blochs zu einer der Hauptvertreter und Gründer der Frankfurter Kritischen Theorie, Theodor W. Adorno. Adorno war schon früh in seinem Leben begeistert von Blochs erstes eigenständiges Werk ‚Geist der Utopie‘, vor allem vom heterodoxen, prophetischen Charakter seiner Philosophie. Mit Bloch teilte Adorno die Skepsis gegenüber den Hegelschen Systemgedanken der mit Fortschritt und Totalität einhergeht. Adorno war begeistert von Blochs sensibles Gespür für die konstitutive Bedeutung der literarischen Form für den philosophischen Gedanken. Später warf Adorno Bloch aber auch scharf vor das Utopische instrumentalisiert und totalisiert zu haben. Adornos gegenüber Blochs Prinzip Hoffnung aufgestellte ‚Hoffnung ist kein Prinzip‘ zeigt wie sehr die Beziehung zwischen Adorno und Bloch, wie übrigens auch mit Benjamin und Kracauer, nicht immer nur eine freundschaftliche war, sondern auch die von Rivalen die sich gelegentlich auch voneinander abgrenzen wollten.

Das (sehr kurze) Schlusskapitel beschreibt eine der wichtigsten philosophischen Lektionen die Bloch unendlich wiederholt hat: ‚dass es keinen absoluten Augenblick gibt auf dessen Basis man das utopische Denken beurteilen kann, dass die rationale Nüchternheit, die meint dass man Utopie als Luftschlösser abwerten kann, ohnmächtig ist sobald sie mit der Instabilität der Welt konfrontiert wird. Die Vollständigkeit und Absolutheit der Formen, die Präzision der Konzepte und Definitionen können nicht nur perfekte Schönheit oder fortschrittliche Wissenschaft markieren, sie können auch Merkmale des dogmatischen, autoritären Bewusstseins sein.‘

Diskussion

Man kann es nur begrüßen, den wahrlich unzeitgemäßen Versuch ein Denker nochmals kurz darzustellen der sich heutzutage zum größten Teil ‚in den Schatten der Zeitgenossen befindet‘, vor allem wenn diese Darstellung sich absichtlich zum Ziel stellt den Dialog mit einigen dieser Zeitgenossen fortzuführen. Hinzu kommt: Besonders bei der Darstellung der Philosophie Blochs scheint es immer wieder außerordentlich schwierig zu sein um eine einigermaßen objektive, kritische, unvoreingenommene Analyse dieses Denkens zu leisten. Nicht zuletzt hängt das mit Blochs Sprache zusammen, nicht aber sosehr wegen der Idiosynkrasie dieser Sprache – das ist ja nicht nur ein Kennzeichen von Blochs Philosophie allein – aber vor allem wegen der konstitutiven Rolle die Sprache überhaupt in Blochs Philosophie spielt, wegen seiner Poetik die Bloch für sich selber, wie der Autor sagt, erfunden und entwickelt hat. Der Autor dieser knappen Darstellung war sich dieser Problematik bewusst; Man kann bei ihm übrigens im Allgemeinen kein Mangel an Problembewusstsein finden. Er hat, so sagt er selber in der Einleitung, weder eine Darstellung beabsichtigt die sein ‚Helden‘ nur nachahmen möchte, noch eine nur wiederholende, zum so vielten Mal alles zusammenfassende, von aller Kreativität entblößten Analyse. Er wollte mit diesem Buch einen ‚dritten Weg‘ gehen. Boldyrev möchte zeigen warum Blochs Philosophie es noch immer verdient gelesen und studiert zu werden dadurch, dass er die Kontexte von Blochs Denken herangezogen hat und sich in einem Gespräch mit dem utopischen Denken engagiert hat, vor allem aber mit den Freunden, deren ‚Fragen, Bewunderung, Verachtung, Gleichgültigkeit, Freude und nicht zuletzt Gedanken bestimmend waren für das Schicksal seiner Philosophie.‘ Ist es Boldyrev gelungen die Aktualität und Relevanz von Blochs Denken zu zeigen? Nur für die schon ziemlich weit in Bloch (und auch einigermaßen in Lukács, Buber, Benjamin und Adorno) Eingeführten. Es ist Boldyrev gelungen, den damals manchmal in großer Einsamkeit arbeitenden Bloch zurückzuversetzen in den Dialogen worin er sich tatsächlich oft auch bewegt hat. Dadurch ist sein Buch eine Einladung zu einem näheren und intensiveren Studium nicht nur von Bloch, sondern auch von diesen Denkern und deren Fragekomplexen. Überdies könnte es dazu einladen in einer neuen Studie auch diejenige Zeitgenossen Blochs einzubeziehen (z.B. Hans Jonas, Ernst Cassirer, Helmuth Plessner, Max Scheler) die vielleicht zwar faktisch wenig Kontakte mit Bloch gehabt haben, die aber für ein besseres Verständnis seiner Philosophie und der Fragen dieses Zeitalters unentbehrlich sind.

Fazit

Diese Monographie versucht Blochs utopisches Philosophieren zurückzuversetzen in den intellektuellen und kulturellen Kontext der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Buch ist sowohl eine historische, wie auch eine systematisch-philosophische Studie, die anhand einer sehr knappen und intensiven Auseinandersetzung mit Zeitgenossen von Bloch zu verstehen gibt wie Bloch Elemente aus Gnosis, Eschatologie, Apokalyptik, Messianismus, Judentum, Christentum und Marxismus umgestaltet hat zu seiner eigenständigen utopischen Philosophie. Das Buch wiederholt zum Glück nicht die Sprachspiele vieler Bloch-Monographien und ist kein Lobgesang auf einen Helden. Dem Anspruch aber sowohl eine historische wie auch systematische Studie zu sein wird der Autor in nur 200 Seiten leider nicht ganz gerecht.

Rezension von
Dr. Rob Plum
Koordinator DFG Forschungsgruppe „Sakralraumtransformation. Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland“ (FOR 273) und Postdoc des Projektes „Theorie des Sakralraums“
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Es gibt 5 Rezensionen von Rob Plum.

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Zitiervorschlag
Rob Plum. Rezension vom 02.03.2015 zu: Ivan Boldyrev: Ernst Bloch and His Contemporaries. Bloomsbury (New York, NY 10018) 2014. ISBN 978-1-4725-1176-8. Preis: 120.00 Dollar (Listenpreis) Preis: 65.00 Pound (Listenpreis) . In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16893.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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