Thomas Rucker: Komplexität der Bildung (Bildungstheoretisches Denken)
Rezensiert von Mag.(FH) DSA MSc Doris Lang-Lepschy, 10.10.2014

Thomas Rucker: Komplexität der Bildung. Beobachtungen zur Grundstruktur bildungstheoretischen Denkens in der (Spät-)Moderne. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2014. 260 Seiten. ISBN 978-3-7815-1974-9. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 53,90 sFr.
Autor
Dr. Thomas Rucker ist seit 2013 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern, Schweiz, mit den Schwerpunkten Bildungstheorie und Bildungsforschung, Pädagogische Anthropologie, Pädagogische Ethik und Wissenschaftstheorie.
Thema und Entstehungsgrund
Das vorliegende Werk ist eine geringfügig überarbeitete Fassung der Dissertation zur Promotion in Allgemeiner und Historischer Erziehungswissenschaft. Es handelt sich um Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft im Auftrag der Kommission Wissenschaftsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft herausgegeben vom Vorstand der Kommission, Band 36.
Aufbau und Inhalt
Kapitel 1 Einleitung. Thomas Rucker beschreibt die Problemstellung und zeigt mögliche Erkenntnispotentiale auf. Die detaillierte Darstellung des derzeitigen Forschungsstandes folgt. Explizit geht der Autor auf Erziehungswissenschaftliche Grundlagenforschung, Komplexitätsforschung und die Bildungstheorie ein. Der Schwerpunkt auf die (Spät)Moderne begründet Thomas Rucker folgend: „Das Spezifikum (spät)modernen bildungstheoretischen Denkens besteht demzufolge in einer Bestimmung von Bildung als einem komplexen Sachverhalt und diese Form der Beschreibung lässt sich wiederum als eine Reaktion auf die Situation der Perspektivität in (spät-)modernen demokratischen Gesellschaft begreifen.“ (S. 25) Als Orientierungsmuster wird „eine spezifische Kombination von Kategorien, deren Einsatz eine relative Stabilität aufweist.“ (S. 25) In einem kurzen Überblick gibt der Autor einen Ausblick auf die gesamte Arbeit.
Kapitel 2 Komplexitätsforschung der Erziehungswissenschaft. Thomas Rucker stellt in diesem Kapitel die Verbindung zu Begrifflichkeiten der Forschung in der Erziehungswissenschaft und deren Beschreibung her und beginnt mit der Beschreibung des vom Soziologen John Urry 2005 beschriebenen „Complexity Turn“ als Neujustierung der theoretischen und empirischen Orientierung in der Wissenschaft. (vgl. S. 30) Unter dem Begriff Erziehungswissenschaftliche Grundlagenforschung zeigt der Autor „den Ort in der Erziehungswissenschaft, an dem der „Complexity Turn“ thematisiert und problematisiert wird.“ (S. 30) Er geht sowohl auf Probleme als auch auf „Haltepunkte“ ein, wobei sowohl deren Entlastungsfunktion als auch Limitierungsfunktion betont wird. (vgl. S. 34) In weiterer Folge wird der Unterschied zwischen den Begriffen Perspektive und Perspektivität herausgearbeitet. Weitere Themen sind die Problemgenerierung sowie der Zirkel der Problemgenerierung. Weiters werden Mögliche Welten und Komplexität aufgezeigt. Im Abschnitt Forschungsprinzip der Transdisziplinarität wird genauer auf die Multi- und Interdisziplinarität eingegangen und Transdisziplinarität detailliert beschrieben. Der Abschnitt Perspektive erziehungswissenschaftlicher Komplexitätsforschung unterteilt sich in die Unterbegriffe Erziehungswissenschaftliche Themen und das Problem der Komplexität, Unterstützung von Entwicklung durch Lernen, Erziehung und Bildung als komplexe Sachverhalte sowie schlussendlich die Beschreibung von Sachverhalten und Beschreibung von Beschreibungen. Die Analyse der Komplexität der Bildung bildet den Abschluss dieses Kapitels.
Kapitel 3 Bildung. Dieses Kapitel teilt Thomas Rucker in drei Schwerpunkte: Einerseits die Relationale Selbstbestimmung mit den Unterpunkten
- Selbstbestimmung,
- Verstrickt-Sein,
- Relationen,
- Akteur: Sich-Verhalten,
- Scheitern,
- Dilettant: Sich-Versuchen sowie der
- Suche nach Orientierung.
Des Weiteren bestimmt er Vielseitigkeit als nächsten Schwerpunkt. Unterbegriffe sind dabei Welten der Orientierung, Urteilen und Handeln, sowie Ausdifferenzierung. Der Schwerpunkt Achtung der Würde des Menschen bildet den Abschluss. Gutes Leben: Leben und Verantwortung für ein gelingendes Zusammenleben sowie Beratung: Gemeinsame Suche nach Orientierung werden hier insbesondere bearbeitet.
Kapitel 4 Komplexität. Die Komplexitätsforschung: Die Wissenschaft von der Komplexität bildet in diesem Kapitel den ersten roten Faden. Dabei werden folgende Begrifflichkeiten thematisiert:
- Formal- und Naturwissenschaften,
- Transdisziplinärer Forschungsraum,
- Imaginärer Wert,
- Problem der Transformation,
- Komplexität als Beobachtungsbegriff,
- Einfachheit, Kompliziertheit und Komplexität,
- Komplexität des Sachverhalts, der Situation und der Methode
- sowie Forschungsprogramm.
Einen weiteren roten Faden bietet das Parameter der Komplexität unterteilt in Wechselspiel, Selbstreferenzialität, Dynamik, Emergenz, Offenheit und Ungewissheit sowie Nichtplanbarkeit und Nichtsteuerbarkeit.
Kapitel 5 Komplexität der Bildung. Der Fokus wird zu Beginn auf das Thema Wechselspiel gelegt. Dabei spielen Welttätigkeit und Reflexion ebenso eine Rolle wie das Sach- und Sozialverhältnis: Sich-Verhalten zu Erfahrungen und Regeln der Orientierung. Unterpunkte sind hier
- das Sozialverhältnis: Sich-Verhalten zu „Normen der Anerkennung“,
- das Sich-Verhalten zu Regeln der eigenen Orientierung sowie
- das Zusammenspiel von Selbst-, Sach- und Sozialverhältnissen in der Zeit.
Besonderes Augenmerk wird in weiterer Folge auf Sozialverhältnisse in der Zeit, Selbstreferenzialität sowie Dynamik mit den Unterpunkten Trajaktorie, Zustandsraum, Attraktor, Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung, Selbstorganisation und Chaos sowie Bildungsprozesse am Rand von Ordnung und Chaos gelegt. Weitere Schwerpunkte sind Emergenz, Offenheit und Ungewissheit sowie Nichtplanbarkeit und Nichtsteuerbarkeit, wobei diese in Planungsprobleme und Steuerungsprobleme aufgeteilt werden.
Kapitel 6 „Haltepunkte“. Als „Haltepunkte“ beschreibt der Autor die Anthropologische Perspektive:
- Unbestimmtheit,
- die Gesellschaftliche Perspektive: Regelunkenntnis,
- dieMoralisch-ethische Perspektive: Menschenwürde sowie Problematische Konsequenzen.
Kapitel 7 Schluss. Den Abschluss bildet ein Resümee und ein Ausblick auf Neue Problemstellungen.
Fazit
Thomas Rucker zeigt in seinem Werk, dass Forschung rund um den Begriff der Komplexität in den Erziehungswissenschaften nach dem Vorbild einer Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen von Nöten ist. Im vorliegenden Buch nimmt sich der Autor dieses Forschungsdesiderates an. Der bildungstheoretische Diskurs wird anhand des Begriffes Komplexität analysiert und beschrieben. Dadurch entsteht die Möglichkeit Bildungstheorien anhand von Parametern zu systematisieren und auf diese Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen. Besonders wird betont, dass im transdisziplinären Diskurs der Komplexitätswissenschaft Bildungstheorienwertvolle Beiträge liefern können.
Das Buch „Komplexität der Bildung“ trägt seinen Titel mit Recht. Sämtliche Kapitel zeigen detailgenau sowohl bereits bestehende Erkenntnisse als auch Verbindungen zu weiteren Wissenschaftsdisziplinen und einen Ausblick auf mögliche Zukunftsszenarien und folgende Forschungen. Das Buch ist für Forschende und Studierende besonders geeignet, da es auch Grundlage für weiter Forschungsideen bilden kann. Für Praktiker und Praktikerinnen besteht die Möglichkeit, sich in den Details zu verlieren und den Anschluss zur Praxis nur in einigen Kapiteln sofort erkennen zu können.
Rezension von
Mag.(FH) DSA MSc Doris Lang-Lepschy
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