Olaf Reis (Hrsg.): KindKunst & Krankheit
Rezensiert von Prof. Dr. Lisa Niederreiter, 30.07.2014

Olaf Reis (Hrsg.): KindKunst & Krankheit. Eine Ausstellung mit Werken psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher in der Kunsthalle Rostock. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Berlin) 2014. 84 Seiten. ISBN 978-3-95466-102-2. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 30,00 sFr.
Thema und Entstehungshintergrund
Der vorliegende schmale Band ist das Ergebnis eines State-of-the-art Symposiums zu künstlerischen Therapien im Rahmen des XXXIII. Kongresses für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Rostock, der von einer vielbeachteten Ausstellung gleichen Titels begleitet war. Insofern nehmen Abbildungen von Zeichnungen, Comics und Bildern von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen den größten Raum in dieser Publikation ein. Gerahmt sind sie von mehreren dichten Beiträgen zur Kunsttherapie, zum Kunstbegriff, zur Funktion des künstlerischen Schaffens für Betroffene und von einer beeindruckenden Falldarstellung.
Aufbau und Inhalt
Der Herausgeber des Bandes – Olaf Reis – Forschungsleiter an der Psychiatrie in Rostock, interessanterweise Sozialpsychologe und Bildender Künstler gleichermaßen, bereichert die Publikation mit einer nachgeholten Rede zur Ausstellung mit dem Titel „Lob der Katharsis“. Hier unternimmt er einen historisch hergeleiteten Ausflug zur Klärung des Kunstmachens für den (seelisch kranken) Menschen und überträgt ihn auf Jugendliche.
Mit diesem zentralen Zusammenhang beschäftigt sich auch Frank Häßler in seiner „NOTwendigkeit des Bildermachens“.
Spezifischer auf die Kinder-und Jugendpsychiatrie und das Binnengeschehen des kunsttherapeutischen Prozesses bezogen gestaltet sich Thomas Staroszynskis Beitrag, in dem er zudem den aktuellen Stand der Forschung in diesem Feld in den Blick nimmt.
Carla Schönfelder lässt uns mit einer eindrücklichen kunsttherapeutischen Falldarstellung an der Entwicklung einer weiblichen Jugendlichen mit der Diagnose einer klassischen Konversionsstörung teilhaben. Die Patientin schwingt sich förmlich bildnerisch, wie im wirklichen Leben vom kleinen, bewegungsunfähigen Küken im Nest zu einer jungen Frau auf. Den Fachbeiträgen folgen zahlreiche ganzseitige und farbige Bildtafeln von Arbeiten der jungen Patient innen, zumeist mit der Diagnose versehen, doch unkommentiert. Auch Geschichten, Comics und der selbst verfasste Lebenslauf einer seit ihrer Kindheit schwer psychisch kranken jungen Frau zählen zu diesem Abbildungsteil.
Diskussion und Fazit
Obwohl dieser Ausstellungskatalog aufgrund seiner wenigen, aber hoch informierenden und dichten Beiträge als Fachbuch firmieren kann, ist er mehr noch ein Band, der den Leser/die Leserin über die Bildaussagen, Symbole und stilistischen Umsetzungen der gezeigten Bilder zur Resonanz zwingt. Unglaublich eindrücklich und ungebremst vermittelt diese Publikation die unaussprechlich große seelische Not, die Verzweiflung, die Angst, die Ohnmacht, die Wut und Leere der betroffenen Kinder und Jugendlichen. „Gewitter im Kopf“, „Scham“ und „Wie man einen Alien berührt“ sind nur einige der sprechenden Bildtitel. Die künstlerische Qualität der einzelnen Arbeit variiert dabei. Der/die in die Kinderzeichnung und die Bildnereien von Psychiatrieerfahrenen eingesehene Leser in wird stilistische und thematische Ähnlichkeiten mit der Kunst erwachsener Patient innen (z.B. „Blauer Wald“ S. 45) entdecken; er/sie, doch auch jede r andere Leser in wird vor allem die große Chance für Betroffene ermessen können, ihren seelischen Qualen über die Kunst eine Form zu geben, sie damit zu veräußern und mit-zu-teilen. Der Band ist in jedem Fall eine Bereicherung für Studierende, Lehrende und professionell Tätige in den Feldern der Kunsttherapie, der Kinder- und Jungendpsychiatrie, der Psychotherapie und der Sozialpädagogik, doch auch Klinikleiter innen und Verantwortliche im Gesundheitswesen und in der Kinder- und Jugendhilfe sollten Kenntnis erhalten von der Kraft des Bildermachens im Angesicht psychischer Erkrankung und dem Heilungspotential, die in ihr liegt.
Rezension von
Prof. Dr. Lisa Niederreiter
Kunst- und Sonderpädagigin, Kunsttherapeutin, Künstlerin
Professorin an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit
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