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Familienpolitische Maßnahmen in Deutschland

Rezensiert von Dr. Barbara Stiegler, 01.09.2014

Cover Familienpolitische Maßnahmen in Deutschland ISBN 978-3-428-14424-2

Familienpolitische Maßnahmen in Deutschland – Evaluationen und Bewertungen. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2014. 205 Seiten. ISBN 978-3-428-14424-2. D: 78,00 EUR, A: 80,20 EUR, CH: 105,00 sFr.
Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung. Heft 1, 83. Jahrgang.

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Thema

In diesem Vierteljahresheft werden empirische Wirkungsanalysen einer Vielzahl familienpolitischer Maßnahmen, die seit 2009 einer Gesamtevaluation unterzogen worden sind, vorgestellt.

Aufbau und Inhalt

In sechs Beiträgen stellen Autorinnen und Autoren eine Kurzfassung ihrer Studien aus der Gesamtevaluation vor, vier Beiträge beleuchten weitere Wirkungsdimensionen der Familienpolitik, die durch die Gesamtevaluation angeregt wurden. Jeder Beitrag enthält Informationen zu den Autorinnen und Autoren sowie eine deutsche und englische Zusammenfassung.

Die Evaluation aller familienpolitischen Maßnahmen, die von vielen Wissenschaftler_innen in einer Reihe von Einzelstudien vorgenommen wurde, sollte sich an folgenden, erstmals politisch vorgegebenen Zielen orientieren: die wirtschaftliche Stabilität der Familien oder die Armutsvermeidung, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine frühe Förderung der Kinder, die Erfüllung von Kinderwünschen und der Nachteilsausgleich zwischen den Familien. Die Einzelstudien sollten die Frage nach der Effektivität (tun wir das richtige?) und die nach der Effizienz (tun wir das richtige richtig?) beantworten.

Die Untersuchung von Notburga Ott, Heinrich Schürmann und Martin Werding richtet sich auf die Schnittstellenprobleme der unterschiedlichen Rechtsgebiete, in denen die vielfältigen Einzelleistungen für Familien verankert sind, und ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche Stabilität der Familien. Sie schlagen nach der Überprüfung vor, dass in einem schlüssig aufgebauten System familienpolitischer Leistungen vor allem der Grundgedanke des Existenzminimums von Kindern realisiert werden muss und die Grundsatzfrage nach den Prinzipien der Zusammenrechnung und Teilung von Einkommen nach einer Trennung oder Scheidung zu klären ist. Sie weisen auch darauf hin, dass alle steuerlichen Leistungen für Bezieher_innen geringer Einkommen praktisch wirkungslos sind.

Holger Bonin, Reinhold Schnabel und Holger Stichnoth untersuchen zehn zentrale familienpolitische Leistungen auf ihre Effizienz im Hinblick auf die wirtschaftliche Stabilität und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als besonders effizient zur Armutsvermeidung erweisen sich danach zielgenaue Leistungen wie Kinderzuschlag oder der kinderbezogene Anteil am ALG, während die „großen“ Leistungen wie Kindergeld und Ehegattensplitting hier weniger wirksam werden. Splitting und beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartner_innen wirken ebenfalls nicht positiv auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Folgen der Wechselwirkungen zwischen dem familienpolitischen System und dem System der sozialen Existenzsicherung halten die Autoren für intransparent und sehen in ihnen unerwünschte Anreizstrukturen, etwa zur Aufgabe der Erwerbsarbeit.

Die öffentlich finanzierte Kindertagesbetreuung schneidet in der Evaluation familienpolitischer Leistungen insgesamt gut ab: Kai-Uwe Müller, C. Katharina Spieß und Katharina Wrohlich identifizieren die Faktoren, die eine Inanspruchnahme beeinflussen: förderlich sind die öffentliche Bereitstellung zu nicht kostendeckenden Gebühren. Familienpolitische Leistungen wie Ehegattensplitting verringern dagegen die Inanspruchnahme. Je besser die Qualität der Betreuung, desto eher wird auch das Ziel der Förderung von Kindern erreicht. Axel Schölmerich, Alexandru Agache, Birgit Leyendecker, Martin Werding und Nothburga Ott erstellen meßbare Indikatoren für das „Wohlergehen der Kinder“ aus den Daten des SOEP (Sozioökonomisches Panel) und der Erweiterungsstudie FiD (Familien in Deutschland). Sie untersuchen, wie verschiedene, politisch beeinflussbare Variablen wie außerfamiliäre Betreuung, ökonomische Belastung der Familie oder der Gesundheitsstatus dieses Wohlergehen beeinflussen. Ihr Ergebnis ist: das Wohlergehens der Kinder wird besonders gefördert, wenn die materiellen Situation besonders im unteren Einkommensbereich verbessert wird, bei verstärkter Gesundheitsvorsorge und Partizipation der Mütter an der Erwerbsarbeit sowie mit dem Ausbau der außerfamiliären Betreuung von Kindern unter drei Jahren.

Die ehe- und familienbezogenen Leistungen in den Alterssicherungssystemen und deren Einfluss auf die wirtschaftliche Stabilität der Familien untersuchen Martin Albrecht, Hermann Buslei, Peter Haan, Richard Ochmann, Bert Rürup und Alina Wolfschütz. Diese Leistungen machen bei vielen Müttern im Moment einen wesentlichen Teil ihrer Alterseinkommen aus. Da eine Befragung von jüngeren Müttern gezeigt hat, dass diese Leistungen sie nicht davon abhalten, wieder erwerbstätig werden, sehen die Auror_innen in diesen Leistungen einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität der Mütter, plädieren dabei aber nicht für deren Ausbau: eigene Erwerbstätigkeit bietet eine bei weitem größere finanzielle Sicherung im Alter als die ehe- und familienbezogenen Leistungen der Alterssicherungssysteme. Wilhelm Haumann referiert zwei Akzeptanzstudien, mit denen das Institut für Demoskopie Allensbach die Bekanntheit und Bewertung von sechzehn staatlichen Leistungen zur Familienförderung sowie das Muster ihrer Inanspruchnahme analysiert hat. Rund die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung nutzt aktuell familienpolitische Leistungen und bewertet sie insgesamt als große Hilfe. Wünsche gehen in Richtung einer stärkeren Unterstützung von Alleinerziehenden und einkommensschwachen Familien sowie besserer Betreuungsmöglichkeiten für kleinere Kinder.

Miriam Beblo und Christina Boll unterziehen zentrale Entscheidungssituationen von Paaren zu Fragen der Fertilität, der Arbeitsteilung und der Einkommensverwendung einer Analyse und verweisen auf die darin enthaltenen Interessenkonflikte. Sie untersuchen, wie der Staat diese Konfliktlagen entschärfen könnte und empfehlen Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Förderung von Vätern bei Familienaufgaben, Abschaffung des Ehegattensplitting sowie der beitragsfreien Mitversicherung von Partner_innen, den Ausbau der institutionellen Betreuungsinfrastruktur sowie gleichstellungspolitische Maßnahmen.

In den folgenden zwei Beiträgen geht es um die Wirkungen des seit 2007 gewährten Elterngeldes als Lohnersatzleistung. Kamila Cygan-Rehm gibt einen Überblick über den Stand der Forschung zur Frage nach den Auswirkungen des Elterngeldes auf das Geburtenverhalten. Die vorliegenden Studien weisen auf eine positive Anreizwirkung in bestimmten Gruppen hin: vor allem bei Frauen mit höherem Einkommen und bei Frauen im Osten Deutschlands steigt die Geburtenrate seit Einführung dieser familienpolitischen Leistung. Jochen Kluve und Sebastian Schmitz sehen einen positiven Gesamteffekt der Wirkung des Elterngeldes auf die Arbeitsmarktbindung der Mütter: besonders gut ausgebildete Mütter nehmen wieder eine Teilzeitarbeit auf, anstatt ganz auszuscheiden, und ihre Chancen auf eine unbefristete Beschäftigung beim selben Arbeitgeber haben sich erhöht. Sissa Carlsson und Stephan Thomsen beschäftigen sich mit der Effizienz des Ausbaus öffentlicher Kinderbetreuung. Sie stellen der verbreiteten, dezentralen Vergabesysteme ein Modell der Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen vor, das diese Effizienz erhöhen könnte: eine zentrale Koordinierungsstelle, die alle relevanten Informationen der Anbieter und Nachfrager_innen sammelt und abgleicht. Mit einem Simulationsmodell belegen sie die zu erwartenden Effizienzgewinne.

Diskussion

Die 157 verschiedenen ehe- und familienbezogenen Leistungen, die 2008 eine Summe von 187 Milliarden gekostet haben, auf den Prüfstand zu stellen, ist längst überfällig gewesen. Diese Leistungen waren nicht etwa das Ergebnis einer systematischen und zielorientierten Planung sondern vielmehr das Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse und Kompromisse in den letzten Jahrzehnten. Von einer klaren Zielorientierung sind sie insgesamt weit entfernt, gehen die Wirkungen doch oft in die genau entgegengesetzten Richtungen. Die Beiträge spiegeln die ersten Ergebnisse einer Wirkungsforschung wieder, die sich an politisch vorgegeben Zielsetzungen orientiert. Die Einzelergebnisse sind für alle, die an der Gestaltung der Familienpolitik in Zukunft interessiert sind, durchaus interessant. Auch die Schlussfolgerungen stimmen überein: Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung von Partner_innen und steuerbezogene Vergünstigungen entsprechen nicht den gesetzten Zielen. Vielmehr muss es zukünftig um eine Sicherung des Existenzminimums von Kindern, sowie ihre frühe Förderung in institutioneller Betreuung gehen. Geschlechterpolitisch stimmen sie mit dem Leitbild des Gleichstellungsberichts der Bundesregierung von 2012 überein: Familienpolitische Leistungen sollen die Erwerbstätigkeit und die Familienarbeit bei Männern wie Frauen fördern.

Die Ausführungen zu den vorgestellten Studien sind zum Teil recht theoretisch und legen einen Schwerpunkt auf Methoden und Modelle, was die Lesbarkeit für Nicht- Fachleute etwas erschwert. Allerdings machen die klare Gliederung und die Schaubilder die Texte wieder durchschaubarer. Einen zu kleinen Raum in den Beiträgen nehmen aber die Familienaufgaben ein, die in Zukunft von immer größerer Bedeutung sein werden: die Pflege von Angehörigen. Welche staatlichen Unterstützungsleistungen hier gewährt werden und wie sie für welche Gruppen wirken, das steht noch nicht im Fokus der Wirkungsanalysen.

Fazit

Dieses Vierteljahresheft zur Wirtschaftsforschung hat einen nicht ganz gewöhnlichen Fokus: die Familie und ihre Unterstützungsleistungen durch den Staat. Auch wenn die Beiträge teilweise nicht ganz einfach zu verstehen sind, können sie doch einen Einblick in die Wirkungen der für Familien ausgegebenen Steuermittel vermitteln. Das ist nicht nur für Familienpolitiker_innen sondern auch für die Leistungsempfänger_innen von Bedeutung. Für Wissenschaftler_innen bietet dieses Heft einen guten Überblick über den Stand der familienpolitischen Wirkungsforschung, weist auf Lücken hin und kann zu neuen Fragestellungen anregen.

Rezension von
Dr. Barbara Stiegler
Bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung
Friedrich Ebert Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
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Es gibt 44 Rezensionen von Barbara Stiegler.

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Zitiervorschlag
Barbara Stiegler. Rezension vom 01.09.2014 zu: Familienpolitische Maßnahmen in Deutschland – Evaluationen und Bewertungen. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2014. ISBN 978-3-428-14424-2. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung. Heft 1, 83. Jahrgang. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17021.php, Datum des Zugriffs 09.12.2023.


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