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Ahmed Boubeker, Markus Ottersbach (Hrsg.): Diversität und Partizipation

Rezensiert von Prof. Dr. Ulla Peters, 19.07.2016

Cover Ahmed Boubeker, Markus Ottersbach (Hrsg.): Diversität und Partizipation ISBN 978-3-8309-3046-4

Ahmed Boubeker, Markus Ottersbach (Hrsg.): Diversität und Partizipation. Deutsch-französische Perspektiven auf die Arbeit mit Jugendlichen aus marginalisierten Quartieren. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2014. 182 Seiten. ISBN 978-3-8309-3046-4. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,90 sFr.

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Thema

Der vorliegende vierte Band der Schriftenreihe Dialoge des deutsch-französischen Jugendwerks (DFJW) beschäftigt sich mit einem hochaktuellen und bedeutsamen Thema: der Jugendarbeit in benachteiligten und prekären Stadtquartieren und einer theoretischen Situierung von dieser in (jugend-)soziologische und politische Diskurse um Migration und Diversität. Ausgehend von dem Befund, dass 30 Jahre staatlicher Integrationspolitik in diesen Quartieren wenig erfolgreich war, hat das DFJW seit 2006 ein Netzwerk „Integration und Chancengleichheit“ gefördert, das von einer französisch-deutschen Gruppe von ForscherInnen evaluiert wurde (Januar 2010 bis Dezember 2012). Das Netzwerk hat 30 Projekte des deutsch-französischen Jugendaustauschs etabliert, dies insbesondere mit dem Blick auf die Themen Migration und Benachteiligung in der Jugendarbeit. Die Projekte waren Gegenstand der Evaluation.

Über die Evaluation hinaus enthält der Band eine Reihe lokaler Initiativen in diesem Feld, die von den beiden Herausgebern unter der Perspektive „Diversität und Partizipation“ vorgestellt werden, dies in kritischer Absetzung von der ursprünglichen Benennung des Netzwerkes „Integration und Chancengleichheit“, die für die Autoren zu wenig die strukturellen Voraussetzungen von Dynamiken der Ausschlie?ung thematisieren.

Herausgeberteam

Das deutsch-französische Herausgeberteam besteht aus den Soziologen Markus Ottersbach, der an der Fachhochschule Köln unterrichtet und dem Soziologen und Anthropologen Ahmed Boubeker, der in St. Etienne an der Universität Jean Monnet beheimatet ist. Gleichwohl ist die Publikation ist in deutscher Sprache.

Aufbau

In der Einleitung verweisen die Herausgeber auf die Hintergründe einer sich verändernden Idee von Jugendarbeit, die das Scheitern vielfältiger Initiativen zur Vermeidung von Exklusion in den Quartieren reflektiert (7), und ausgeht von den alltäglichen „ethnisch rassischen Diskriminierungen“ der Jugendlichen. Angestrebt wird eine „gemeinsame Gesellschaft in einer Gesellschaft der Vielfalt“ (8) und die interkulturelle Öffnung der Jugendarbeit.

Weitere Beiträge behandeln übergreifende Themen, wie die Diskussion um marginalisierte Quartiere, die Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Arbeit in beiden Ländern und die Handlungsfähigkeiten und Bewältigungsstrategien der Jugendlichen im Umgang mit der Situation.

Die ersten sechs Beiträge der Publikation beschäftigen sich zum einen mit den allgemeinen sozialen Bedingungen und Debatten zu den Themen Jugend und Marginalisierung und zum anderen mit den konkreten strukturellen Rahmen in Frankreich und in Deutschland. Es geht um marginalisierte Quartiere, die Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Arbeit in beiden Ländern.

Der zweite Teil nimmt den Ausgang von den Perspektiven und den Erfahrungen der Jugendlichen und um die Handlungsfähigkeiten und Bewältigungsstrategien der Jugendlichen im Umgang mit der Situation.

Inhalt

Markus Ottersbach skizziert in einem ersten methodisch orientierten Beitrag die Herausforderungen einer qualitativen Migrationsforschung, die er historisch situiert und in den Kontext gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse und einer reflexiven Moderne stellt. Der räumliche und zeitliche Bezug von Subjektivierungsprozessen und die Produktion von Sinnhaftigkeit in diesen („doing biography“) (15) wird als zentrale und riskante Herausforderung beschrieben. Die Sinnproduktion von Menschen zu verstehen, ist nach Ottersbach ein wesentliches Anliegen qualitativer Methoden in der Tradition der Chicagoer Schule und ihrer Adaption im narrativen Interview durch Fritz Schütze und in der objektiven Hermeneutik durch Ulrich Oevermann. Er argumentiert dafür, die Biographien immer im Kontext der sie strukturierenden Bedingungen und nicht individualisiert zu verstehen. Für Migrationsforschung hält der Autor eine „reflexive interkulturelle Kompetenz“ für notwendig, die auch ein Wissen um Diskurse einbezieht (19, 20). Gleichwohl verweisen Forschungen darauf, dass die Unterschiede in Einstellungen und Lebensweisen häufig nicht entlang kultureller Muster verlaufen, sondern andere Faktoren bedeutsam sind. Abschließend werden die Fragestellungen und Methoden in der Evaluation des von dem DFJW geförderten Projekts vorgestellt. Die Evaluation und die Ergebnisse der Evaluation selbst sind zwar nicht Gegenstand dieses Bandes, doch die einzelnen Beiträge nehmen darauf Bezug (z.B. der Beitrag von Farrokhzad & Thimmel).

Ahmed Boubeker zeichnet nach wie die Figur des „Vorstadtjugendlichen“ und die Frage von Ethnizität aktuelle Konflikte bestimmen. Er argumentiert, dass Frankreich historisch Krisen kraft eines starken Staates und durch Bezug auf einen geteilten Universalismus bewältigen konnte. Aktuell sieht Boubeker insbesondere das Problem der Anerkennung unterer Schichten als ungelöst an, er erinnert an „vergessene“ Gruppen jenseits der „Banlieus“, da letztere die mediale Aufmerksamkeit absorbieren und er warnt vor einer Banalisierung der Diskriminierung, der vor allem durch Forschung begegnet werden sollte.

Markus Ottersbach und Sonja Preissing zeichnen die Situation von Jugendlichen in marginalisierten Quartieren in Deutschland und stellen als Ergebnis ihrer Forschung in Köln-Kalk politische Aktionsformen von Jugendlichen vor, die sich gegen die strukturellen Bedingungen im Stadtteil richten.

Pierro Galloro untersucht, wie sich die Forschung zum Thema Jugend entwickelt hat, wie die aktuelle Präsenz von Jugend in Forschung zu verstehen ist und er zeigt, dass marginalisierte Jugendliche und ihre Situation erstmals zu Beginn der 1980er Jahre, gleichzeitig mit den Unruhen in den Städten, ins öffentliche und das Bewusstsein der ForscherInnen traten.

Schahrzad Farrokhzad und Andreas Thimmel diskutieren die Angebote zur Förderung von Jugendlichen in Deutschland, stellen Programmstrukturen vor und entwickeln Vorschläge für die internationale Jugendarbeit, die sie auf der Basis einer Befragung der Träger, die am eingangs beschriebenen Programm der DFJW ansetzen.

Hervé de Paris schliesst mit einem Beitrag zu den Strukturen der Programme für Jugendliche in defavorisierten Quartieren in Frankreich an. Während er diesen Programmen eine gewisse Flexibilität bescheinigt, sich auf die besonderen Bedürfnisse von bestimmten Gruppen einzustellen, so sieht er deren Mangel darin, Jugendliche nicht zu beteiligen. Dies hat zur Folge, dass gerade diejenigen entmutigt werden, die erreicht werden sollen.

Markus Ottersbach und Schahrzad Farrokhzad diskutieren Bewältigungsstrategien von Jugendlichen in Einwanderungsgesellschaften. Sie beziehen sich dabei auf Ergebnisse aus interkulturellen und diversitätsorientierten Projekten der Jugendarbeit, die sie nutzen, um Perspektiven zur Arbeit mit Jugendlichen zu formulieren.

Thomas Pierre argumentiert, dass Anerkennung ein zentraler Schlüssel zum Verständnis der Jugendlichen ist und die internationalen Austauschprogramme wie die des DFJW dazu beitragen, innovative Lösungen für die Begleitung von Jugendlichen zu etablieren.

In einem kurzen Fazit gehen Markus Ottersbach und Ahmed Boubeker auf mögliche Fragen ein, die sich aufgrund ihrer Evaluation und der Arbeit des DFJW stellen.

Diskussion und Fazit

Die Begegnung von Jugendlichen aus unterschiedlichen Kontexten (national, kulturell, ethnisch, sozial) zu fördern ist zweifellos eine notwendige und wertvolle Form von Jugendarbeit. Die Texte des vorliegenden Bandes nähern sich dem Thema Jugendliche, Partizipation und Diversität auf verschiedene Weise, über eine Rekonstruktion jugendsoziologischer Beschäftigung mit Jugendlichen, insbesondere auch mit deren Marginalisierung, über methodologische Fragen der Erforschung von diesen, über konkrete Programme der Förderung und der politischen Programmatik zu prekären Stadtquartieren.

Der hier vorgestellte Band kann sowohl die jugendsoziologische wie die Praxis der sozialen Arbeit anregen. Erst seit wenigen Jahren gewinnen Konzepte transnationaler sozialer Arbeit zum Verständnis von Migration und transnationalen Beziehungen sowie von Praxen der sozialen Arbeit an Relevanz, n die sich die Beiträge des Bandes einordnen lassen und zu denen sie einen Beitrag leisten.

Die einzelnen Beiträge argumentieren auf unterschiedlichen Niveaus, da sie sich sowohl auf theoretische Debatten beziehen (z.B. ein jugendsoziologischer Blick auf Jugend vor dem Hintergrund globaler gesellschaftlicher Veränderungen) als auch auf konkrete politische Programme der politischen und pädagogischen Interventionen oder auf Projekte des deutsch-französischen Austauschs. Die Absicht der Herausgeber, Diskurse und politische Aktivitäten wie auch die Arbeit des DFJW in breiteren Debatten zu situieren, ist zu verstehen, erschwert aber die Lektüre.

Rezension von
Prof. Dr. Ulla Peters
Soziologin, Prof. Universität Luxembourg
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Es gibt 3 Rezensionen von Ulla Peters.

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ISSN 2190-9245