Olaf Deinert, Felix Welti (Hrsg.): StichwortKommentar Behindertenrecht
Rezensiert von Hans-Joachim Dörbandt, 01.12.2014
Olaf Deinert, Felix Welti (Hrsg.): StichwortKommentar Behindertenrecht. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2014. 1100 Seiten. ISBN 978-3-8329-7326-1. D: 98,00 EUR, A: 100,80 EUR, CH: 139,00 sFr.
Thema Behindertenrecht
Wer körperlich, geistig oder seelisch behindert ist oder wem eine solche Behinderung droht, hat ein Recht auf Hilfe. So bestimmen es die Sozialgesetzbücher. Und zwar auf die Hilfe, die notwendig ist, um die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, den Zustand zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildem. Dazu gehören auch die Hilfen, die behinderten Menschen einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz in der Gemeinschaft, insbesondere im Arbeitsleben, sichern.
Um die Selbstbestimmung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken, erhalten sie besondere Sozialleistungen, die Leistungen zur Teilhabe. Diese Hilfe für behinderte Menschen ist als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht. Sie muss so gut und so umfassend wie möglich sein. Und sie muss dem individuellen Hilfebedarf des Einzelnen, d. h. Mann, Frau oder Kind, Rechnung tragen. Dabei sind auch berechtigte Wünsche und die individuellen Lebenssituationen der behinderten Menschen zu berücksichtigen. Dem Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen wurde durch die Einführung der Leistungsform „Persönliches Budget“, auf die seit dem 1. Januar 2008 ein Rechtsanspruch besteht, in besonderer Weise Rechnung getragen. Der mit dem SGB IX eingeleitete Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur Teilhabe wird mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen weiter vollzogen. Das Übereinkommen stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderungen und setzt damit wichtige Impulse für die weiteren Veränderungsprozesse, mit denen das Ziel der vollen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft weiter verfolgt wird.
Dieses Buch will aufzeigen, welche Möglichkeiten und Unterstützungen behinderte Menschen in unserer Gesellschaft haben. Die persönliche Beratung kann es jedoch nicht ersetzen. Es will vielmehr behinderte Menschen und alle, die ihnen helfen wollen, auf die Rechte behinderter Bürgerinnen und Bürger aufmerksam machen und sie ermutigen, diese Rechte in Anspruch zu nehmen. Denn gesetzliche Vorschriften allein verändern die Wirklichkeit nicht. Gesetzliche Vorgaben bleiben nur Papier, wenn sie nicht genutzt werden.
Herausgeber
Prof. Dr. Olaf Deinert ist Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht und zusammen mit Rüdiger Krause Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Göttingen. Er ist ferner ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht und Mitglied des Verbandsausschusses des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes. Zudem fungiert er als Herausgeber der Zeitschrift „Soziales Recht“. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen.
Prof. Dr. jur. Felix Welti ist Professor am Institut für Sozialwesen an der Universität Kassel mit dem Fachgebiet Sozialrecht der Rehabilitation und Recht der behinderten Menschen und ist dort Beauftragter für Studium und Behinderung. Er ist ferner ehrenamtlicher Richter am LVerfG Schleswig-Holstein und am BSG und gehört der Unabhängigen Kommission Abgeordnetenrecht beim Deutschen Bundestag an. Zudem ist er Mit-Herausgeber des Diskussionsforums „Rehabilitations- und Teilhaberecht“ (www.reha-recht.de).
Autorinnen und Autoren
Die Herausgeber und die insgesamt 26 Mitautorinnen und Mitautoren dieses Werkes stehen für eine gehaltvolle, praxisnahe und auch verschiedene Rechtsansichten berücksichtigende und damit ausgewogene Kommentierung des Behindertenrechts ein. Im Einzelnen haben folgende Autoren an der Kommentierung mitgearbeitet:
- lsabell Amann, Ass. Jur., Universität Kassel;
- Jun.-Prof. Dr. Minou Banafsche, Universität Kassel;
- Dr. Claudia Beetz, M.mel., Richterin, Sozialgericht Magdeburg;
- Prof. Dr. Renate Bieritz-Harder, Hochschule Emden/Leer;
- Uwe Boysen, Vorsitzender Richter am Landgericht i. R., Bremen;
- Dr. Dietrich Braasch, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht a. D., Stuttgart;
- Jun.-Prof. Dr. Judith Brockmann, Maître en Droit, Universität Hamburg;
- Prof. Dr. Wolfgang Däubler, Universität Bremen;
- Prof. Dr. Olaf Deinert, Georg-August-Universität Göttingen;
- Dr. Anna-Miria Fuerst, LL.M., Richterin am Verwaltungsgericht, Stade;
- Christian Grube, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht a. D., Rechtsanwalt, München;
- Dr. Katharina Hilbig-Lugani, Georg-August-Universität Göttingen;
- Daniel Hlava, LL.M., Universität Kassel;
- Bernd Horstmann, Richter, Sozialgericht Lüneburg;
- Dr. Anja Jeschke, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Berlin;
- Prof. Dr. Gabriele Kuhn-Zuber, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin;
- Christof Lawall, Rechtsanwalt, Berlin;
- Dr. Steffen Luik, Richter am Landessozialgericht, Stuttgart;
- Christiane Möller, Ass. Jur., Marburg;
- Dr. Hans-Günther Ritz, Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Hamburg;
- Marcus Schian, Ass. Jur., Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Frankfurt am Main;
- Dr. Thomas P. Stähler, Rechtsanwalt und Justitiar, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Frankfurt am Main;
- Dr. Martin Theben, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin;
- Dr. Peter Ulrich, Richter am Landessozialgericht, Halle;
- Prof. Dr. Felix Welti, Universität Kassel;
- Manuela Willig, M.mel., Dipl.-Jur., Hannover;
- Dr. Björn Winkler, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bremen.
Zielgruppe
Zur Zielgruppe dürften alle diejenigen zu rechnen sein, die in der täglichen Praxis mit dem Behindertenrecht konfrontiert sind und dementsprechend Lösungen finden müssen. Bearbeiter aus Anwaltschaft, Richterschaft und Wissenschaft, Beschäftigte in Sozialverbänden oder bei Sozialleistungsträgem, wie auch auf Landkreisebene eingesetzte (ehrenamtliche) Behindertenbeauftragte können von diesem Werk sehr gut profitieren. Die enzyklopädische Darstellung kommt zugleich neu wahrgenommenen Bedürfnissen solcher Leserinnen und Leser entgegen, die den schnellen Zugang zu Informationen und Analysen suchen. Die Herausgeber und der Verlag legen mit diesem Buch die erste Auflage des Stichwortkommentars zum Behindertenrecht vor. Zugleich knüpfen sie an das 2009 in zweiter Auflage erschienene Werk „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – Handbuch SGB IX“, herausgegeben von Volker Neumann und Olaf Deinert, an. Inhaltlich beschränkt sich der „Stichwortkommentar Behindertenrecht“, wie bereits im Titel angedeutet, nicht auf das SGB IX, sondern umfasst das gesamte Behindertenrecht. Denn mit den Behindertengleichstellungsgesetzen, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der UN-Behindertenrechtskonvention ist stärker ins Bewusstsein gerückt, dass der Umgang mit Behinderung Gegenstand aller Rechtsgebiete ist und nicht nur die im SGB IX geregelten Bereiche des Sozial- und Arbeitsrechts betrifft. Dies deckt sich mit dem Bedürfnis der Rechtspraxis, grundsätzliche Informationen nicht nur anhand von Paragraphen und Gesetzen, sondern auch nach Lebenssituationen und Bedarfslagen gegliedert zu erhalten. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Zielgruppe sehr weit zu fassen ist. Das Werk kommt zugleich neu wahrgenommenen Bedürfnissen der Leserinnen und Leser entgegen, die den schnellen Zugang zu Informationen und Analysen suchen. Gerade das auf zahlreiche Gesetze verteilte Recht behinderter Menschen legt die hier gewählte Darstellungsweise nahe.
Aufbau und Inhalt
Das Buch beginnt mit einem Vorwort.
Es folgen ein Bearbeiterverzeichnis, ein Abkürzungsverzeichnis und ein allgemeines Literaturverzeichnis.
Daran schließt sich dann bereits der stichwortartig aufgestellte alphabetisierte Hauptteil des Stichwortkommentars mit seinen 162 Hauptstichwörtern an. Den Stichwörtern ist darin jeweils eine Einführung vorangestellt. Es folgt dann die erläuternde Einzeldarstellung. Zum besseren Auffinden einzelner Inhalte schließt das Werk mit einem umfangreichen Stichwortverzeichnis ab.
In den einzelnen Hauptstichwörtern werden die Inhalte ausführlich, präzise und gut verständlich dargestellt. Die Gesamtdarstellung des Behindertenrechts in einem Band definiert zunächst alphabetisch konkrete Lebens- und Rechtsfragen aus der Praxis der Betroffenen, Arbeitgeber, Sozialleistungsträger, Dienste und Einrichtungen. Sie verknüpft und vertieft diese dann im juristischen Kontext und zeigt schließlich Lösungen für typische Beratungs- und Entscheidungssituationen auf, so zum Beispiel beim
- Stichwort „Fürsorgepflicht“: Welche Ansprüche auf Arbeitshilfen hat ein behinderter Mensch gegenüber seinem Arbeitgeber?
- Stichwort „Schule“: Müssen Eltern akzeptieren, dass ihr behindertes Kind nicht die Möglichkeit erhält, gemeinsam mit nicht behinderten Kindern zu lernen, sondern an eine Sonderschule überwiesen wird?
- Stichwort „Hilfsmittel“: Wer ist der zuständige Leistungsträger für den Anspruch auf ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich oder zur Veränderung des individuellen Wohnumfeldes?
Das Werk ist deshalb besonders nahe am Stand der Wissenschaft und zugleich an den täglichen Problemen aufgestellt:
- Immer gleich strukturierter Themenaufbau steht für eine schnelle Problemerfassung.
- Vernetzt abgedeckt sind alle Rechtsgebiete, u.a. des Arbeits- und Sozialrechts, öffentlich-rechtlicher und zivilrechtlicher Benachteiligungsverbote sowie das jeweilige Verfahrensrecht.
- Die Reformen seit 2000 (SGB IX, BGG, AGG, Behindertenrechtskonvention) sind umfassend verarbeitet.
- Handlungsempfehlungen garantieren eine große Nähe zur Praxis.
- Die Autorinnen und Autoren kommen aus Wissenschaft und Praxis des Behindertenrechts und kennen die Probleme aus ihrer Arbeit. Sie wissen, worauf es ankommt, und formulieren die richtigen Stichworte und Beratungsempfehlungen.
Diskussion
Der Praktiker hat mit diesem Werk alle Informationen und Werkzeuge in einer Hand und kann sie demnach zweckgerichtet und unmittelbar einsetzen. Sehr interessant sind die umfassenden strukturellen Hinweise und Darlegungen, wie auch die Vielzahl von Informationen zum besonderen Gleichstellungsrecht sonstiger Personen mit Behinderten, denen der Grad der Behinderung bereits zuerkannt worden ist. Diese Gleichheit bzw. Gleichstellung ist nicht selbstverständlich und bedarf der ausreichenden Erläuterung. Wesentlicher Streitgegenstand vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist die antragsgemäße Feststellung eines Grades der Behinderung. Die Ausführungen hierzu sind besonders hervorzuheben.
Eine nicht unerhebliche Anzahl von behinderten Menschen lebt an der Armutsgrenze und muss sich mit staatlichen Leistungen der Grundsicherung durch das Leben bringen. Für diese Personen sind die Ausführungen über die einzelnen Hilfebedarfe von besonderer Bedeutung. Hierzu zählen auch die Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende.
Besondere Aufmerksamkeit ist den Ausführungen über die Hilfsmittel bei den unzähligen Körperbehinderungen bzw. Beschädigungen und auch den Leistungen der Pflegeversicherung zu zollen. Diese Ausführungen leiten den Bedürftigen direkt zu seinen Ansprüchen und den suchenden Interessenten zu den gewünschten Informationen. Allerdings sind auch die in den rechtsgestaltenden Berufen Beschäftigten sowie die dazu Auszubildenden mit den Inhalten sehr gut bedient, denn die Ausführlichen Darlegungen sind zweifelsohne sehr nutzbringend für die tägliche Beschäftigung mit der Materie.
Der besondere Kündigungsschutz von schwerbehinderten Menschen nimmt in dem Werk mit allein 520 Seiten den ihm zustehenden umfangreichen Platz ein; 28 Seiten umfassen die Ausführungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Dementsprechend ausführlich und aussagekräftig sind die Darstellungen zu diesen Bereichen.
Das Behindertenrecht dürfte sich hervorragend für eine an Stichwörtern orientierte Kommentierung eignen. Der Kommentar stellt dies mit seinen 162 Stichwörtern beeindruckend unter Beweis. Man kann sicher davon ausgehen, dass dieser Kommentar auch für den im Behindertenrecht erfahrenen Juristen eine wertvolle Hilfe darstellt. Dies gilt gerade für die beratende Praxis, für die dieses Werk als erste Wahl für den Zugang zum Behindertenrecht und dessen Verständnis gelten kann.
Fazit
Auch wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine eigene Publikation „Ratgeber für Menschen mit Behinderung“ (Stand: 2014) kostenfrei herausgibt, kann auf das Werk von Deinert und Welti nicht verzichtet werden, denn der Ansatz insbesondere zu der Zielgruppe und vor allem zur praktischen Nutzanwendung ist ein völlig anderer.
Rezension von
Hans-Joachim Dörbandt
Fachautor in den Bereichen Pflege, gesetzliche Pflegeversicherung, gesetzliche Krankenversicherung
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Zitiervorschlag
Hans-Joachim Dörbandt. Rezension vom 01.12.2014 zu:
Olaf Deinert, Felix Welti (Hrsg.): StichwortKommentar Behindertenrecht. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2014.
ISBN 978-3-8329-7326-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17075.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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