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Peter Isenböck, Linda Nell et al. (Hrsg.): Die Form des Milieus

Rezensiert von Dr. Maurice Schulze, 18.04.2017

Cover Peter Isenböck, Linda Nell et al. (Hrsg.): Die Form des Milieus ISBN 978-3-7799-2902-4

Peter Isenböck, Linda Nell, Joachim Renn (Hrsg.): Die Form des Milieus. Zum Verhältnis von gesellschaftlicher Differenzierung und Formen der Vergemeinschaftung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2014. 402 Seiten. ISBN 978-3-7799-2902-4. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 53,90 sFr.

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Thema

Ausgangspunkt dieses Sammelbandes sind Unklarheiten in der soziologischen Bestimmung des Milieu-Begriffs. Gesellschaftsstrukturell zwischen dem Individuum und der Gesellschaft verortet, herrscht Unklarheit darüber, was ein Milieu in sich vereint, ausgrenzt oder wie es spezifisch definiert werden kann. Ziel der derzeitigen Soziologie ist es nicht, eine Metatheorie zu entwickeln, die in ihrer Größe allgemein problemlösend wirkt. Durch „empirisch und analytisch gerüstete Arbeit am spezifischen Begriff“ (8) soll geklärt werden, was und wie weit „soziale Milieus“ beschreibend genutzt werden können.

Entstehungshintergrund

Entstanden ist der Sammelband aus der Tagung „Form des Milieus“ 2011 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Aufbau

  1. Lebenswelt und Erfahrungsraum
  2. Vergemeinschaftungen
  3. Netzwerke und Institutionen
  4. Strukturelle Lagen und Klassen
  5. Formen und Differenzen

Ausgewählte Inhalte

Die Rezension eines Sammelbandes unterliegt besonderen Herausforderungen, da es sich um einzelne und sehr detaillierte Beiträge handelt, die nicht in ihrer Tiefe und Dichte rezensiert werden können. Es werden daher vom Rezensenten nur ausgewählte Beiträge vorgestellt.

Das erste Kapitel über Lebenswelt und Erfahrungsraum eröffnet Bohnsack mit einem Beitrag, indem er den Begriff des „kollektiven Erfahrungsraums“ (18) von Karl Mannheim nutzbar macht für die analytische Bestimmung einer Milieukonzeption. Es ergibt sich dabei ein Ansatz, der „als objektiv-geistiger Strukturzusammenhang auch jene verbindet, die nicht in Kommunikation miteinander stehen und die einander auch gar nicht zu kennen brauchen“ (22). Einheit und Differenz kann damit begrifflich gefasst werden. Relevanz dieser Überlegung sieht Bohnsack für die praxeologische Wissenssoziologie, wie er an verschiedenen empirischen Beispielen zeigt.

Rebstein und Schnettler zeichnen die sozialstrukturellen, sowie die subjektzentrierten Ansätze der Milieuforschung gegenüberstellend nach. Die klassische Strukturanalyse fällt dabei letztlich auf die Differenzierung der Gesellschaft in Klassen bzw. Schichten zurück. Einzelne Milieus zeigen sich dabei stets als „ungleichheitstheoretische Modelle einer „Gesamtgesellschaft“ (56). Die subjektzentrierte Milieuforschung bezieht sich andererseits auf die „gesamte Identität des Einzelnen […], ohne dass einer alltagsweltlichen differenzierten Lebensweise besonders Rechnung getragen würde“ (56f). Dabei können Individuen mehrfach verortet in verschiedenen Alltagswelten wirken. Als Aufgabe sehen die Autoren, dass die jeweiligen Betrachtungen auf das Individuum überwunden bzw. ineinander übersetzt werden.

Unter dem Titel Vergemeinschaftung wird das zweite Kapitel des Sammelbandes von Hitzler und seinem Beitrag über Milieus als Konsensmaschinerie mit der Unterscheidung von eingelebten und erschlossenen Milieus eingeleitet. Dabei wird nicht jedes Milieu „als Gemeinschaft erlebt“ (102). Hitzler verdeutlich dies an einer Fallstudie des Haus Königsborn, einer Pflege-Einrichtung für Menschen im Zustand des Wachkomas.

Berger et al. zeigen in ihrem Beitrag über Kulturkreative im ländlichen Raum, wie eine Gruppierung, die sich unter bestimmten Wertvorstellungen subsummiert, in verschiedenen Milieus verortet werden kann. „Sie engagieren sich für übergeordnete, soziale und gemeinwohlorientierte Ziele und pflegen vielfältige Beziehungen. […] Besonders bedeutsam ist das Streben nach einer ökologischen und nachhaltigen Lebensweise“ (137f). Ihr Ziel ist ein „absichtsvoll gewählter, einfacher Lebensstil mit bewusstem Konsumverzicht“ (138), um ein einfaches und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dabei wird die Lebensgemeinschaft Klein Jasedow exemplarisch vorgestellt.

Kapitel 3 wird von Schwinn über die Varianten und Entstehungsbedingungen sozialer Milieus eingeführt. In Abgrenzung zu den Ständen, verortet Schwinn Milieus in der Moderne und verdeutlich dies an der Entstehungsgeschichte verschiedener Beispiele, wie das katholische oder das Arbeitermilieu. Die Entstehung von starken Milieus lag in der „Deckung und wechselseitiger Verstärkung mehrere Konfliktlinien und -thematiken“ (155), deren Erosion er als Voraussetzung der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland“ (ebd.) ansieht. Weiter geht er auf neue und globale Milieus ein, um abschließend Milieuanalysen mit Differenzierungstheorie zu diskutieren. Er stellt fest, dass „die Differenzierungstheorie für eine zufriedenstellende Analyse von Milieus nicht ausreicht“ (163).

Ausgehend von Webers Klassendifferenzierung als ein methodologisches Modell, zeigt Vester auf, wie Weber dazu kommt, die moderne Gesellschaft als „eine (wenn auch differenzierte) kapitalistische Klassengesellschaft [spezifiziert], das aber in ihrer Stellung der Klassen in der Regel nicht allein auf dem Wirken „nackter“ ökonomischer Marktgesetze, sondern zusätzlich auf Praktiken ständischer Privilegiensicherung beruht“ (231f). Über Durkheim und Marx kommt Vester zu Geiger und zeigt, wie dieser mit „dem Bild einer mehrdimensionalen Schichtstruktur, in der die Schichtlinien sich kreuzen, nicht eine beliebige Pluralität sondern eine spezifische historische Dynamik“ (251) darstellen lassen, während andere vor allem beschreibenden und damit statische Klassengliederungen aufstellen. „Sie haben keine Konzepte, mit denen sie den historischen Wandel solcher beruflichen und gesellschaftlichen Gliederungen als Ganzes theoretisch und empirisch fassen können“ (ebd.).

Fazit

In den verschiedenen Ansätzen zur Rekonstruktion, theoretischen Analyse und empirischen Erschließung von Milieus zeigen sich die Differenzen, mit denen die Milieuforschung umzugehen hat. Die Form des Milieus kann hier abschließend nicht umrissen werden. Dafür lassen sich anhand der Herangehensweise große Differenzen veranschaulichen, die es sich nicht einfach machen, Konsens über ihren Untersuchungsgegenstand zu erreichen.

Rezension von
Dr. Maurice Schulze
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Es gibt 15 Rezensionen von Maurice Schulze.

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ISSN 2190-9245