Christian Kolb: Ernährungsmanagement in Pflegeeinrichtungen
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 27.02.2015
Christian Kolb: Ernährungsmanagement in Pflegeeinrichtungen. Qualitätsinstrumente zur Vorbereitung von Audits. Urban & Fischer in Elsevier (München, Jena) 2014. 124 Seiten. ISBN 978-3-437-45121-8. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 34,00 sFr.
Thema
Essen und Trinken sind etwas Lebensnotwendiges. Wer nicht mehr allein zu diesen lebenserhaltenden Handlungen fähig ist, ist extrem abhängig und damit zugleich pflegebedürftig. Laut dem 4. Qualitäts-Pflegebericht des MDS vom Dezember 2014 war der Ernährungszustand in den Heimen bei 97,9 Prozent der Bewohner (85.237 untersuchte Personen) angemessen. Die Flüssigkeitsversorgung war bei 99,5 Prozent der Bewohner ohne Beanstandung. Wenn man diesen Daten Glauben schenken darf, dann scheint ja in den über 12.500 stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland zumindest mit Speis und Trank alles in Ordnung zu sein. Wie diese Daten erhoben werden, wie konkret vor Ort geprüft wird und mit welchen Prüfinstrumenten und Leitlinien, all das wird in dem vorliegenden Buch ausführlich dargestellt.
Autor
Christian Kolb: Krankenpfleger, Dipl. Pflegewirt (FH), Mitglied der Expertenkommission des Nationalen Expertenstandards, Mitgestalter der Qualitätsprüfungsrichtlinie des MDS und Qualitätsprüfer des MDK.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in sieben Kapitel unterteilt. Es ist mit einer Vielzahl von Abbildungen, Tabellen und kastenförmigen Hervorhebungen ausgestattet, die das Erfassen und Verstehen der Materie deutlich erleichtert. Zusätzlich ist der Veröffentlichung ein Poster im Format 40X57 cm mit dem Inhalt „Empfehlungen zum Umgang mit Ernährungsproblemen von Senioren in stationären Pflegeeinrichtungen“ beigefügt.
Kapitel 1 (Einführung, Seite 1 – 3) führt knapp in das Themenfeld Ernährung pflegebedürftiger alter Menschen ein. Hierbei werden u. a. die gegenwärtigen Standards und Leitlinien für das Ernährungsmanagement aufgeführt:
- Grundsatzstellungnahme Ernährung- und Flüssigkeitsversorgung in der Pflege
- Orale Nahrungs- und Flüssigkeitsversorgung von Menschen in Einrichtungen der Pflege und Betreuung
- Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege
- Qualitätsstandards für die Verpflegung in stationären Senioreneinrichtungen
- Leitlinie Enterale Ernährung
- Grundlagen der MDK-Qualitätsprüfungen in der stationären Pflege (QPR)
In Kapitel 2 (Pflegequalität im Ernährungsmanagement, Seite 5 – 17) werden die Problembereiche bei unzureichender Ernährung im Sinne einer Mangelernährung begrifflich aufgeführt: u. a. Malnutrition, Unterernährung, spezielle Nährstoffdefizite, Sarkopenie, Kachexie, Anorexie und das Refeeding-Syndrom. Es folgen Ausführungen über die pflegerische Erfassung und Bewertung dieser Problemlagen unter den Gesichtspunkten der Pflegequalität.
Kapitel 3 (Die Ernährungs-Pflegevisite als Instrument der Qualitätssicherung, Seite 19 – 21) erläutert die Erfassungsmodalitäten der Ernährungsstatus der Bewohner seitens des Qualitätsprüfers, die aus den folgenden Elementen bestehen:
- Pflegedokumentation
- Befragung der zuständigen Pflegefachkraft
- Befragung des Bewohners und / oder seiner Angehörigen
Des Weiteren werden knapp die Qualitätsprüfung des MDK („Pflege-TÜV“), das Audit-Instrument zum Expertenstandard Ernährung und die erforderlichen Materialien für die praktische Anwendung angeführt.
Kapitel 4 (Ernährungsmanagement im Pflege-TÜV, Seite 23 – 66) enthält die Inhalte der Qualitätsprüfungsrichtlinien des MDK mit dem Schwerpunkt „Ernährung und Flüssigkeitsversorgung“ mit den damit verbundenen Transparenzkriterien. Es werden hierbei die Erfassungs- und Bewertungsinstrumentarien, neudeutsch „Screening“ und „Assessment“, PEMU („Pflegerische Erfassung von Mangelernährung und deren Ursache“) und MNA („Mini Nutritional Assessment“) teils mit Abbildung der Erfassungsbögen beschrieben. Detailliert werden die Modalitäten der Prüfung der einschlägigen Transparenzkriterien wie z. B. beim Transparenzkriterium T 16: „Werden individuelle Ressourcen und Risiken bei der Flüssigkeitsversorgung erfasst?“ erläutert. Hierbei geht es konkret um den Einsatz von Trinkprotokollen und die Bestimmung der Trinkmenge. In diesem Kontext werden auch Fragen erörtert, ob Demenzkranken nachts Flüssigkeit eingeflößt werden sollte.
In Kapitel 5 (Das Audit-Instrument des Expertenstandards Ernährungsmanagement, Seite 67 – 103) wird das Prüfinstrument des Expertenstandards Ernährungsmanagement vorgestellt. Dieser Expertenstandard stellt quasi eine Parallele zu den Qualitätsrichtlinien des MDK dar. Der Autor führt kritisch an, dass in den Heimen dieser Expertenstandard aufgrund des damit verbundenen immensen Zeitaufwandes meist nur reduziert auf einige wesentliche Inhalte zur Anwendung gelangt. Weiterhin wird kritisiert, dass der Expertenstandard selbst empirisch auf recht schwachen Füßen steht, so dass hierbei von „Wissenschaftlichkeit“ im engeren Sinne eigentlich nicht ausgegangen werden sollte. Dementsprechend empfiehlt der Autor auch, trotz dieses Standards bei Ernährungsfragen immer auch auf den gesunden Menschenverstand als Bewertungskriterium zurückzugreifen.
Kapitel 6 (Spezielle Instrumente zur Erfassung von Ernährungsproblemen bei Menschen mit Demenz, Seite 105 – 110) beinhaltet u. a. in knapper Form die folgenden Erfassungsinstrumente für die Nahrungsaufnahme Demenzkranker:
- Das „Edinburgh Feeding Evaluation in Dementia Questionnaire“ (EdFED-Q).
- Das „Mealtime Feeding Assistance Protocol“ (MFAP).
- Das „Between-Meal Snack Protocol“ (BMSP).
Die Instrumente erfassen mit wenigen Fragen u. a. die Fähigkeit und auch die Bereitschaft der Demenzkranken zur Nahrungsaufnahme.
In Kapitel 7 (Genussmanagement für Menschen mit Demenz – ein Konzept zur Entbürokratisierung, Seite 111 – 117) entwickelt der Autor seine Vorstellungen von einer menschenwürdigen Kultur der Pflege und Betreuung in den Heimen für die Demenzkranken. „Ein Pflegeheim ist keine Anstalt zur Überwachung von Körperfunktionen, sondern das letzte Zuhause von Menschen im letzten Lebensabschnitt.“ (Seite 116). Mitmenschlichkeit, Anteilnahme und Zuwendung sollten hierbei im Mittelpunkt stehen. Die augenblickliche Überbürokratisierung und Überprofessionalisierung in einigen Arbeitsfeldern der Heime bindet unnötig massive Ressourcen der Mitarbeiter und lässt somit wenig Zeit für die wesentlichen Aufgaben.
Diskussion und Fazit
Es liegt ein Buch vor, das aus der Sicht des Rezensenten die folgenden Kriterien an ein Fachbuch vollauf erfüllt: didaktisch klar und übersichtlich gegliedert und inhaltlich alles Wesentliche dargestellt und erläutert. Als ein besonderes Plus wird die kritische Distanz zum Wahn des Dokumentierens und Registrierens mit der Unzahl an Formularen empfunden. Der Autor hat sich somit ein Gefühl für die konkrete Praxis in den Heimen mit Personalunterbesetzung und Dauerstress bewahrt, die wahrlich keinen Spielraum für unnötiges Handeln mehr zulässt. Der Rezensent vermisst nur die Darstellung des Sachverhaltes, dass im fortgeschrittenen Stadium der Demenz Kachexie ein nicht beeinflussbares Krankheitssymptom darstellt. Durch den hirnpathologischen Abbauprozess wird das physiologische Vermögen der Nahrungsverarbeitung regelrecht „abgeschaltet“, sodass auf den Einsatz von „Astronautennahrung“ und engmaschigen Wiegeprogrammen mit dem damit verbundenen Stress für Bewohner und Mitarbeiter in den Heimen verzichtet werden kann.
Abschließend darf das Fazit gezogen werden, dass die vorliegende Veröffentlichung allen Mitarbeitern aus dem Arbeitsfeld Ernährungsmanagement in den Pflegeheimen zur Lektüre empfohlen werden kann.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 27.02.2015 zu:
Christian Kolb: Ernährungsmanagement in Pflegeeinrichtungen. Qualitätsinstrumente zur Vorbereitung von Audits. Urban & Fischer in Elsevier
(München, Jena) 2014.
ISBN 978-3-437-45121-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17251.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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