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Veronika Hammer (Hrsg.): Kulturvermittlung (bei Kindern und Jugendlichen)

Rezensiert von Prof. Dr. Anne van Rießen, 04.09.2014

Cover Veronika Hammer (Hrsg.): Kulturvermittlung (bei Kindern und Jugendlichen) ISBN 978-3-7799-2926-0

Veronika Hammer (Hrsg.): Kulturvermittlung. Inspirationen und Reflexionen zur Kulturellen Bildung bei Kindern und Jugendlichen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2014. 277 Seiten. ISBN 978-3-7799-2926-0. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,10 sFr.

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Thema

Kulturvermittlung hat Konjunktur. Unter dem Begriff Kulturvermittlung werden im Folgenden – in Anlehnung an die Definition von Birgit Mandel (Mandel 2005, S. 9 zit. n. Hammer, S. 70) – sowohl jene Tätigkeiten verstanden, die zwischen künstlerischer Produktion und Rezeption vermitteln als auch diejenigen, die dazu anregen, sich mit dem eigenen künstlerischen Schaffen auseinanderzusetzen. Diese Definition von Kulturvermittlung liegt auch dem Modellprojekt „Kulturvermittlung in der Region Coburg und Sonneberg“ zugrunde, auf das der vorliegende Sammelband rekurriert.

Die gegenwärtige Konkjunktur von Kulturvermittlung geht einher mit drei zentralen gesellschaftlichen Veränderungen (vgl. Mandel, S. 33f.): Zum einen werden sowohl im Zuge des demografischen Wandels und dem damit verbundenem Rückgang der ‚traditionellen‘ bildungsbürgerlichen Kulturnutzer_innen die Kultureinrichtungen gezwungen sich um alternative und neue Nutzer_innen zu bemühen. Weiterhin führt die zunehmende Internationalisierung des Kultursektors dazu, dass zunehmend dass zunehmend Protagonist_innen und Konzepte der Kulturvermittlung aus anderen europäischen Ländern die Kulturpolitik beeinflussen. Zum anderen bedingt das „Auseinandergehen der Bildungsschere“ (Mandel, S. 34) das sich der Bildungssektor zunehmend für Angebote und Formen Kultureller Bildung als Voraussetzung für eine chancengleiche Kulturelle Bildung interessiert – vielerorts im Zuge der Etablierung von Angeboten im Rahmen der Nachmittagsbetreuung der Ganztagsschulen.

Zunehmend gerät dabei auch in den Blick, dass Zugänge zu Angeboten und Formen Kultureller Bildung vielfach auf ‚spezifische‘ Nutzer_innen ausgerichtet sind und damit die Nutzung und Beteiligung nicht allen möglich ist; Kunst und Kultur geraten somit häufig in den Verdacht soziale und gesellschaftliche Ungleichheiten zu reproduzieren und zu verstärken.

Herausgeber_in und Autor_innen

Die Herausgeberin Prof. Dr. Veronika Hammer ist Professorin mit den Lehrgebieten Sozialarbeitswissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Grundlagen und Methoden der empirischen Sozialforschung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg, Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit und Leiterin der wissenschaftlichen Begleitung des Projektes ‚Kulturvermittlung in der Region Coburg und Sonneberg‘. Die Autor_innen des Sammelbandes kommen sowohl aus der Kulturwissenschaft, der Sozialen Arbeit, der Musikwissenschaft als auch aus der Kommunalpolitik und bieten damit interdisziplinär und aus verschiedenen Perspektiven Einblicke in den Bereich der Kulturvermittlung.

Zielgruppe

Als Zielgruppe des Sammelbandes werden von der Herausgeberin sowohl Vertreter_innen aus den Disziplinen und Professionen der Kulturwissenschaften, der Pädagogik, der Sozialen Arbeit, der Soziologie, der Stadt- und Gemeindeentwicklung als auch von Medien und Politik genannt.

Damit richtet sich die Publikation nicht nur an Wissenschaftler_innen sondern explizit auch an Vertreter_innen aus verschiedenen anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie unter anderem sowohl aus der Politik als auch aus der Kunst und Kultur. Somit wird auch eine Zielstellung des Sammelbandes deutlich, der Transfer der vielfältigen Analysen und Reflexionen zur Kulturellen Bildung bei Kindern und Jugendlichen in die Praxis aber auch in die Wissenschaft.

Insbesondere sollen möglichst andere Regionen von der nachhaltigen Verbreitung der Inhalte profitieren, indem sie handlungsrelevantes Wissen aufgreifen, um sich neue Impulse für die eigene Arbeit in der Kulturvermittlung zu erschließen (vgl. Hammer, S. 29).

Entstehungshintergrund

Der vorliegende Sammelband stützt sich auf das Modellprojekt ‚Kulturvermittlung in der Region Coburg und Sonneberg‘ das von 2011 bis 2013 in der Stadt Coburg, dem Landkreis Coburg und dem Landkreis Sonneberg durchgeführt wurde, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und wissenschaftlich begleitet von der Hochschule Coburg, Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit.

Das Modellprojekt knüpft an die demografischen und strukturellen Herausforderungen an vor denen die Akteur_innen in den beteiligten Kommunen stehen: Der Landkreis Sonneberg liegt in Südthüringen, die Stadt und der Landkreis Coburg im nordöstlichen Oberfranken in Bayern. Neben den Herausforderungen die ein Modellprojekt mit drei beteiligten Gebietskörperschaften in zwei Bundesländern zu meistern hat, ist die Region nach statistischen Berechnungen zunehmend geprägt durch einen Bevölkerungsrückgang der unter 65jährigen bei einer gleichzeitigen Zunahme der älteren Bevölkerung ab 65 Jahre (vgl. Bayrisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2012 und Thüringer Landesamt für Statistik 2012a, 2012b zit. n. Hammer, S. 77). Der Aufbau einer kommunalen Bildungslandschaft – flankiert u.a. durch den Bereich der Kulturvermittlung – dient somit einerseits dazu professionelle regionale Potenziale zu schaffen als auch andererseits Abwanderungs- und Desintegrationstendenzen zu mildern.

Die Erkenntnisse und Analysen dieses Modellprojektes werden anhand theoretischer Zugänge und ausgewählter empirischer und praxisorientierter Ergebnisse in diesem Sammelband vorgestellt.

Aufbau und Inhalt

Die inhaltliche Gliederung des Sammelbandes teilt sich sowohl in einen theoretischen Teil, indem gesellschaftliche Zugänge zur Kulturvermittlung dargestellt als auch in einen zweiten regionalen Teil indem Ergebnisse aus dem Modellprojekt aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und rekonstruiert werden.

Einleitend werden Gruß- und Vorworte sowohl der Vertreterin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Irina Ehrhardt, des zweiten Bürgermeisters und Kultur-, Schul- und Sozialreferenten der Stadt Coburg Norbert Tessmer, der Sozial-, Bildungs- und Kulturreferentin des Landkreises Coburg Martina Berger und des ersten Beigeordneten der Landrätin des Landkreises Sonnenberg Hans-Peter Schmitz aufgeführt bevor die Herausgeberin Veronika Hammer einleitend die Bedeutsamkeit von Kulturvermittlung und die folgenden einzelnen Beiträge prägnant skizziert. In den Beiträgen der Vertreter_innen der beteiligten Kommunen wird deutlich, dass durch das Modellprojekt ein „echter und nachhaltiger kultureller Mehrwert für die Region“ (Tessmer, S. 13) entstanden ist. Kulturvermittlung kann somit aus der Perspektive der beteiligten Kommunen einerseits die Fähig- und Fertigkeiten der beteiligten jungen Menschen erweitern und damit andererseits auch auf räumliche Auswirkungen verweisen, „die eine Region zukunftsfähig machen“ (ebenda, S. 13). Zudem bot das Modellprojekt den beteiligten Kommunen nicht nur die Möglichkeit der Vernetzung, der Unterstützung und der Initiierung von Angeboten und Formen Kultureller Bildung, sondern lenkte auch den Blick auf Angebotslücken und Bedarfe (Berger, S. 16). Gleichwohl wurden damit auch die Unterschiede in den Regionen sichtbar (Schmitz, S. 19).

Im ersten theoretischen Teil finden sich vier Beiträge renommierter Kulturwissenschaftler_innen die fundierte Einblicke in die Möglichkeiten und Grenzen der Kulturvermittlung darstellen.

Birgit Mandel stellt in dem einleitenden Beitrag „Das Potential von Kunst und Kultur für die gemeinsam zu gestaltende (inter-)kulturelle Gesellschaft produktiv werden lassen: Die gesellschaftliche Bedeutung von Kulturvermittlung“ dar, dass Kulturvermittlung sowohl aus einer Makro- als auch aus einer Mikroperspektive differente Funktionen und Zielsetzungen hat, bevor sie grundlegend die Ziele von Kulturvermittlung und deren Gründe für die gegenwärtige Aufwertung darstellt. Abschließend widmet sie sich den Herausforderungen und Perspektiven für die Kulturvermittlung in Deutschland, die sie zu dem Schluss kommen lassen, das Kulturvermittlung die Voraussetzung dafür ist „dass Kunst und Kultur relevant werden für das Leben unterschiedlicher sozialer Milieus, dass Brücken gebaut werden zwischen verschiedenen Sprach- und Denkebenen, dass Kommunikation entsteht in der Auseinandersetzung mit Kunst, dass Kunst und Kultur zur Lebensqualität vieler, statt nur für eine kleine gesellschaftliche Elite beitragen können“ (Mandel, S. 35).

Susanne Keuchel zeigt in ihrem Beitrag „Gestaltungsziel ‚Kulturelle Teilhabe‘. Eine biografische Analyse kultureller Bildungsverläufe bei 14- bis 24-jährigen“ anhand des Daten des 1. und 2. Jugend-KulturBarometers – einer bundesweit repräsentativen Bevölkerungsumfrage der 14- bis 24-jährigen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung – auf, welche Faktoren ursächlich für die kulturelle Aktivität und das kultureller Engagement Jugendlicher und junger Erwachsener sind. Dabei stellt sie in den Mittelpunkt welche Akzente die Schule, das Elternhaus und das soziale Milieu setzen, die sie als unterschiedlich relevant für die Initiierung und die Förderung individueller kultureller Bildungsprozesse erachtet. Im Folgenden resümiert sie, dass man einerseits zwischen biografischen, von den Einzelnen nicht beeinflussbaren Merkmalen und andererseits von potentiell im Lebenslauf erworbenen Merkmalen unterscheiden muss (Keuchel, S. 46). Dies lässt sie zu der Frage kommen, ob man nicht – wenn man kulturelle Bildungsprozesse bei Kindern und Jugendlichen anregen will - Akzente bei den Eltern und anderen erwachsenen Bevölkerungsgruppen setzen muss, da diese als Vorbilder in einer direkten Beziehung zur kulturellen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen stehen.

Im dritten Beitrag beschreibt Christian Holtorf in seinem Beitrag „Berge versetzen: Narrative in der Kulturellen Bildung“ am Beispiel eines Kunstprojektes in der peruanischen Hauptstadt Lima, dass Kunst die Auseinandersetzung der Menschen mit ihren Lebensbedingungen sichtbar und damit öffentlich machen kann. Dabei priorisiert er die Erzählungen und führt auf welchen Sinn Erzählungen haben und welche Möglichkeiten sie in Folge – als Erzählung von Erfahrungen – eröffnen können. Abschließend stellt er dar, dass Erzählungen „von den Menschen erzeugt und nicht gefunden [werden; AvR ]“ (Holtorf, S. 55) und fragt gleichwohl, wer denn die Erzählungen nach welchen Maßstäben erzeugt. Kulturvermittlung hat aus dieser Perspektive die Aufgabe der ‚Horizonterweiterung‘, denn durch das Erzählen von Erfahrungen können neue Perspektiven und Realitäten geschaffen werden.

Im vierten Beitrag fragen Jens Maedler und Kirsten Witt nach den „Gelingensbedingungen Kultureller Teilhabe“, indem sie in Frage stellen „wie es um die Zugänge zu Kunst und Kultur in Deutschland bestellt ist“ (Maedler & Witt, S. 58). Kulturelle Teilhabe betrachten sie dabei – als Teil der Auseinandersetzung um gesellschaftliche Teilhabe – als ein Grundrecht des Einzelnen. Die Beteiligung an der Produktion, Nutzung und Verteilung von Kunst und Kultur sind in diesem Sinne ästhetische Erfahrungen die in Folge einen Schlüssel darstellen um neue Perspektiven zu eröffnen, alternative Optionen zu ermöglichen oder Handlungsspielräume zu erweitern. Gleichwohl stellen sie in den Fokus, dass die Teilnahme an kulturellen Bildungsangeboten dazu genutzt wird soziale und gesellschaftliche Unterschiede zu markieren und zu reproduzieren. Damit Kulturelle Teilhabe die Vielfalt der Verschiedenheit anerkennt muss sie in ihren ausgestalteten Angeboten und Formen selber so vielfältig sein wie die Interessen, Fähigkeiten und Talente der Menschen es selber sind. Aus diesem Blickwinkel betrachtet kommt Kulturvermittlung die Aufgabe und Funktion zu die Grundvoraussetzungen zu reflektieren, die von Nöten sind, damit Kulturelle Teilhabe ein potentieller Ermöglichungsraum sein kann um gelingende Sozialisations- und Bildungsprozesse zu initiieren.

Im zweiten Teil des Sammelbandes werden exemplarisch Berichte und Analysen aus dem Modellprojekt „Kulturvermittlung in der Region Coburg und Sonneberg“ dargestellt sowohl aus der Perspektive der beteiligten Akteur_innen als auch im Rahmen von Forschungsarbeiten.

Die Herausgeberin Veronika Hammer stellt in ihrem einleitenden Beitrag des zweiten Kapitels das „Forschungsdesign der wissenschaftlichen Begleitung“ dar. Dabei geht sie anfangs der Frage nach wie sich das Feld der Forschung in der Kulturellen Bildung gegenwärtig gestaltet, bevor sie die einzelnen Evaluationsbereiche und das multimethodische Forschungsdesign konkretisiert. Den Schwerpunkt legt sie allerdings auf die Rückkoppelung der Forschungsergebnisse in die Praxis der Kulturvermittlung: Alle Erkenntnisse und Analysen die während der Laufzeit des Modellprojektes rekonstruiert wurden, konnten dialogisch der Praxis für die weitere Bearbeitung zur Verfügung gestellt werden. Abschließend beschreibt sie die demografischen und strukturellen Herausforderungen der Modellregion und verdeutlicht, dass lokales Handeln stets mit den überregionalen Bedingungen verknüpft ist (vgl. Hammer, S. 78).

Nicole Röthig zeigt in ihrem Beitrag aus der Perspektive der Leiterin des Bildungsbüros Coburg die „Historische Entwicklung von Kultureller Bildung in der Region Coburg und Sonneburg“ auf. Dabei stellt sie dar, dass die Stadt Coburg die Notwendigkeit für Verbesserungen im Bildungsbereich erkannt hat und seit geraumer Zeit an der Optimierung aller bildungsrelevanten Handlungsfelder arbeitet. In ihrem Beitrag beschreibt sie die bis dato durchgeführten Aktivitäten die das Engagement deutlich machen: Der Kultur- und Schulservice Coburg, der Aufbau einer kommunalen Bildungslandschaft und die Einrichtung eines Bildungsbüros. Nachfolgend stellt sie die Zusammenarbeit mit den Nachbarkommunen als eine neue Herausforderung, mit dem gemeinsamem Ziel eine gelingende länderübergreifende Kooperation im Bereich Kultureller Bildung herzustellen, dar.

Im dritten Beitrag kommt die Kulturvermittlerin Katharina Scherf zu Wort und bringt in ihrem Beitrag „Vernetzung, Schnittstelle und Beratung: Anregungen der Kulturvermittlerin für künftige regionale Projekte“ jene Aspekte zur Sprache, die bei der Schaffung einer Schnittstelle Kulturvermittlung im Vorfeld Beachtung finden sollen. Gleichwohl führt sie im Folgenden die Arbeitsphasen in dem knapp drei jährigen Modellprojekt auf, beginnend mit dem Netzwerkaufbau und der Analyse bestehender Strukturen und der Akteur_innen vor Ort bis hin zur Konkretisierung eines Konzeptes. Dabei stellt sie dar, dass es primär nicht um die Installierung einer weiteren Schnittstelle ging, die neue Projekte schafft, sondern in der Einrichtung einer Schnittstelle, die bestehende Projekte besser vernetzt, fördert und bündelt, mit dem Ziel die Angebote allen Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft zugänglich zu machen. Abschließend stellt sie, basierend auf ihren Erfahrungen ihre Handlungsempfehlungen dar. Gerade dieser Punkt stellt einen Erkenntnisgewinn für interessierte andere Regionen dar, um die Erkenntnisse und Analysen aus dem Modellprojekt nutzen zu können.

In den folgenden sieben Beiträgen werden mit unterschiedlicher Fragestellung spezifische Elemente des Modellprojektes beleuchtet. So stellt Sarah Wünn eine quantitative Regionalstudie zur Kultur in Coburg und Sonneberg vor in der mittels eines schriftlichen teilstandardisierten Fragebogens 285 14- bis 18-jährige Schüler_innen zu ihrer individuellen Kulturnutzung und im speziellen zu ihren Einstellungen und Wünschen in Bezug auf kulturelle Angebote befragt wurden. Im Weiteren beschreibt sie ausführlich die Ergebnisse der Studie bevor sie abschließend auf der Basis der Auswertung Empfehlungen und Schlussfolgerungen für die Arbeit der Kulturvermittlerin skizziert. Josefine Behr stellt in ihrem Beitrag die Ergebnisse einer Sozialreportage dar, die sich spezifisch mit der Lebenswelt der Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren im Kinder- und Jugendzentrum Wolkenrasen beschäftigt und der Frage nachgeht, ob und wenn ja welche ‚Eigenkultur‘ die Jugendlichen haben. Basierend auf vier geführte Expert_inneninterviews mit Jugendlichen stellt sie ausgewählte und interpretierte Ergebnisse sowie Handlungsempfehlungen vor, die sie abschließend in einem Fazit bündelt. Liudmila Klientsova beschreibt auf der Grundlage von neun qualitativen Einzelfallstudien welche Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen die befragten Jugendlichen in Bezug auf das Jugendfestival SPOMFF (Sport, Musik, Fun, Festival) – ein Jugendkulturevent, das für und mit Jugendlichen in Neustadt bei Coburg geplant und durchgeführt wird – haben und ob und in welchen Phasen partizipatorische Ansätze erwünscht sind. Dabei stehen Jugendliche mit niedriger Schulbildung im Fokus. In ihrem Fazit stellt sie abschließend die Kriterien und Anforderungen dar, die in der Rekonstruktion als notwendig analysiert werden, damit ein Jugendkulturevent nachhaltig sein kann. In einem weiteren Beitrag stellt Katharina Grimm die Bedeutung von Kultur für eine besondere Jugendgruppe dar, indem sie mittels einer Gruppendiskussion der Frage nachgeht, welche Rolle Kultur im Leben der Jugendlichen einnimmt. Die Ergebnisse führt sie im Folgenden auf und ergänzt sie mit den Befunden der Ergebnisse des 2. Jugend-KulturBarometers. Helena Nitsche beschreibt in ihrem Beitrag die Rolle von Vereinen für Jugendliche einer Qualifizierungsmaßnahme. Dazu hat im Rahmen einer Studie eine Gruppendiskussion durchgeführt und skizziert und interpretiert im Folgenden die Ergebnisse, bevor sie der Frage nachgeht, welche Anknüpfungspunkte sich aus den rekonstruierten Ergebnissen für die Kulturvermittlung ergeben. Ihre Ergebnisse korrespondieren dabei weitestgehend mit den Ergebnissen der Kulturnutzerstudie. Franziska Siegmann stellt in ihrem Beitrag die Arbeit der Kulturvermittlerin in das Zentrum und geht der Fragestellung nach, mit welcher Strategie spezifisch Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Milieus erreicht werden konnten (vgl. Siegmann, S. 220). Dabei hat sie ein Fachgespräch mit der Kulturvermittlerin geführt, dass sie in Folge als Grundlage nimmt um konkrete Anregungen und kritisch-reflexive Hinweise für die Akteur_innen zu formulieren. Dominik Flaig stellt in seinem Beitrag einen praktischen Einblick in das Modellprojekt „Kulturelle Bildung in der Region Coburg und Sonneberg“ anhand der Ergebnisse einer Fokusgruppen-Veranstaltung mit Teilnehmer_innen verschiedener Organisationen aus den beteiligten drei Gebietskörperschaften dar. Dazu bildete er vier spezifische Fokusgruppen zu den Themenschwerpunkten Marketing, Bildung, Kulturpolitik und regionale Vernetzung deren Ergebnisse er im Folgenden beschreibt.

Im letzten Beitrag kommt noch einmal die Kulturvermittlerin Katharina Scherf zu Wort in dem sie spezifisch die Ergebnisse und die transferfähigen Tools zusammenfasst. Dabei orientiert auch sie sich an den vier Zielbereichen Marketing, Bildung, Kulturpolitik und regionale Vernetzung. Zu jedem der einzelnen Zielbereiche führt sie die Möglichkeiten und Grenzen – basierend auf ihren Erfahrungen – auf und erläutert beispielhaft transferfähige Tools. Im Weiteren skizziert sie eine Checkliste für kulturelle Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche – die besonders potentielle Akteur_innen als Grundlage für die Planung und Durchführung einer Veranstaltung nutzen können – bevor sie nachfolgend spezifische Handlungsempfehlungen erörtert. In ihrem letzten Punkt widmet sie sich der Frage nach der Nachhaltigkeit der Kulturvermittlung und rekonstruiert, wie diese gesichert werden kann.

Diskussion

Mit der Herausgabe des Sammelbandes ist es gelungen die gegenwärtige Bedeutung von Kulturvermittlung öffentlich und transparent zu machen. Gleichwohl wird deutlich, dass Kulturvermittlung gegenwärtig spezifisch in den Fokus rückt aufgrund gesamtgesellschaftlicher Veränderungen. Die Frage, wie man ‚andere‘ und ‚neue‘ Personengruppen an Kultur partizipieren und teilhaben lassen kann, stellt sich – und auch das wird in den unterschiedlichen Beiträgen deutlich – aus verschiedenen Perspektiven. Der Einsatz von Kulturvermittlung lässt sich sowohl aus institutioneller Perspektive begründen, wenn die Zielstellung ist – u.a. auch aufgrund des demografischen Wandels und der damit fehlenden ‚traditionellen‘ Nutzer_innen – ‚neue‘ und ‚andere‘ Personengruppen zu akquirieren als aber auch aus regionaler Perspektive, wenn Kommunen gezielt Angebote und Formen Kultureller Bildung nutzen um die Region mit Attraktionskräften auszugestalten. Indessen gerät dabei schnell in den Hintergrund, dass das Thema Kulturvermittlung alleine schon deshalb relevant ist, da jeder Mensch ein Recht auf Kulturelle Teilhabe hat (vgl. Maedler & Witte). Aber auch diese Perspektive wird in dem vorliegenden Sammelband immer dann berücksichtigt, wenn die Frage fokussiert wird, ob allen Personengruppen überhaupt der Zugang zu den Angeboten und Formen Kultureller Bildung potentiell möglich ist. Die Entwicklung von Strategien und Angeboten, basierend auf Befragungen und Interviews von Jugendlichen und jungen Erwachsenen die kaum oder gar nicht an Angeboten der Kulturellen Bildung teilnehmen, machen nicht nur die Lücken in der Angebotspalette deutlich, sondern zeigen zugleich auch die Grenzen und Barrieren der herkömmlichen Angebote auf.

Kulturvermittlung darf deshalb nicht nur im Fokus stehen um ‚neue‘ und ‚andere‘ Personengruppen aus der Perspektive der Institutionen zu erschließen oder um eine Region attraktiver zu gestalten, sondern muss sicherstellen und kritisch reflektieren, ob allen Personengruppen der Zugang, die Teilnahme und die Teilhabe an kulturellen Angeboten überhaupt möglich ist. Eine Kulturvermittlung die darauf aufbaut bietet somit beide Möglichkeiten: Einerseits stellt sie die Grundlage dafür dar, dass der Zugang zu Kultur allen möglich ist und andererseits kann sie den Institutionen wertvolle Erkenntnisse und Hinweise liefern, welche Grenzen und Barrieren den Zugang erschweren oder welche Angebotsformen noch fehlen. Damit würde abschließend auch die regionale Perspektive berücksichtigt, denn eine Region die Angebote und Formen Kultureller Bildung für alle Personengruppen vorhält berücksichtigt die Interessen ihrer gesamten Bürger_innen.

Kulturvermittlung kommt somit auch eine gesellschaftspolitische Funktion zu, wenn sie es als ihre Aufgabe betrachtet sicherzustellen, dass die vielfältigen Angebote und Formen Kultureller Bildung nicht nur spezifische Personengruppen ansprechen. Denn deutlich geworden ist, dass Kulturelle Bildung auch soziale Ungleichheiten reproduzieren und verstärken kann. Eine Kulturvermittlung, die dies kritisch reflektiert und in dem Ausbau und der Vernetzung bestehender Angebotsformen berücksichtigt, ist jeder Region zu wünschen.

Fazit

Der vorgelegte Sammelband stellt mit seinen zahlreichen Beiträgen spezifisch Kulturvermittlung – sowohl theoretisch im Kontext gesellschaftlicher Zugänge als auch explizit empirisch im Rahmen von vielfältigen Analysen und im Kontext von Erfahrungsberichten anhand eines Modellprojektes – in den Fokus.

Insgesamt ist der Herausgeberin dabei eine spannende und instruktive Zusammenstellung gelungen. Der Sammelband präsentiert mit 16 Beiträgen und vier einleitenden Gruß- und Vorworten eine gelungene Mischung aus theoretischen Reflexionen, Praxisbeispielen und empirischen Forschungsarbeiten und ermöglicht somit einen spezifischen Blick auf Kulturvermittlung, der sich nicht nur aus theoretischen Erkenntnissen speist sondern primär basiert auf Erkenntnisse, Analysen und Erfahrungen einer praktischen Anwendung. Damit bietet der Sammelband wertvolle Hinweise für alle, die sich mit dem Thema der Kulturvermittlung beschäftigen; die vielfältigen Perspektiven der Autor_innen decken an vielen Stellen neue, die Fachdebatte inspirierende Aspekte auf. Die Lektüre hält viele wertvolle Hinweise und Anregungen bereit von der Planung über Durchführung bis zur Konzepterstellung und empfiehlt sich insbesondere Kommunen, die darüber nachdenken, eine Schnittstelle Kulturvermittlung zu initiieren. Aber auch jene, die an theoretischen und empirischen Befunden zum Thema Kulturvermittlung interessiert sind, eröffnet der Sammelband spezifische und fundierte Erkenntnisse.

Rezension von
Prof. Dr. Anne van Rießen
Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
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Es gibt 7 Rezensionen von Anne van Rießen.

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ISSN 2190-9245