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René Pappon: Die Sexualmoral von Jugendlichen

Rezensiert von Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß, 16.01.2015

Cover René Pappon: Die Sexualmoral von Jugendlichen ISBN 978-3-86924-599-7

René Pappon: Die Sexualmoral von Jugendlichen. Untersuchung zur Sexualmoral Jugendlicher, unter Berücksichtigung des Pornografiekonsums. AVM - Akademische Verlagsgemeinschaft München (München) 2014. 157 Seiten. ISBN 978-3-86924-599-7. D: 44,90 EUR, A: 46,16 EUR, CH: 78,00 sFr.

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Von ‚Verwahrlosung‘ kann keine Rede sein: Jugendsexualität

Die Qualifikationsarbeit von René Pappon ist im Books-on-Demand-Verlag Akademische Verlagsgemeinschaft München erschienen. Sie gibt einen Überblick über Historie und Forschungsstand zur gesellschaftlichen Verhandlung von Sexualität Jugendlicher vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Moralvorstellungen. Und sie stellt eigene Ergebnisse aus einer (nicht repräsentativen) Befragung von Schüler_innen der 8. und der 10. Klasse (n = 139) zu Pornografienutzung vor.

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht aus fünf Kapiteln und einem knappen Resümee.

Die ersten beiden Kapitel befassen sich mit den der Arbeit zu Grunde liegenden Begriffen. Die Begriffe „Jugend“, „Pubertät“, „Adoleszenz“, „Sexualität“, „Jugendsexualität“ und „sexuelle Identität“ werden im ersten Kapitel erläutert, das zweite wendet sich Fragen zu Moralvorstellungen zu und wie sie sich entwickelten und entwickeln.

Im dritten Kapitel wird ein historischer Abriss der Sexualitätsdiskurse insbesondere seit dem 18. Jahrhundert gegeben.

Darauf folgt ein Überblick über aktuelle gesellschaftliche Debatten um Sexualität (von Jugendlichen) in der Bundesrepublik Deutschland und über einige Jugendsexualitäts-Studien.

Es schließen sich Ausführungen zur eigenen empirischen Untersuchung an.

Diskussion

Der aktuelle Forschungsstand wird gewissenhaft erhoben. Es wird ein inhaltlich fundierter Überblick über die Forschungen zur Jugendsexualität gegeben. Als schwierig ist lediglich der Blick auf die Nazi-Zeit anzumerken: Im Anschluss an die diskutablen Ausführungen von Dagmar Herzog wird die Nazi-Zeit als Zeitraum vorgestellt, in der sich „ein erstaunlich liberales Lustverständnis“ (S. 38) gezeigt habe. Wird diese Aussage im Folgenden ein wenig aufgefangen, in dem gerade die Abgrenzung der Nazis gegen „ausschweifende[] Lebenstile[]“ (S. 40) der Weimarer Republik thematisiert und die Aussage des ‚liberalen Lustverständnisses‘ auf die Deutschen der Dominanzkultur beschränkt wird, so wird doch deutlich, dass fachwissenschaftlich eine stärkere und kritische Diskussion der Thesen Dagmar Herzogs notwendig ist. In Bezug auf Homosexualität wird von Pappon hingegen nicht die zwiespältige Positionierung in der Nazi-Zeit erörtert, sondern das Bild konsequenter Verfolgung – gerade in Bezug auf Männer – gezeichnet. Diese Sicht ist bereits seit den frühen Veröffentlichungen von Rüdiger Lautmann in den 1970er Jahren nicht haltbar, zuletzt haben Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter auf die Probleme dieser Sichtweise hingewiesen: „Die Mehrzahl [der Schwulen, Anm. HV] gehörte‚ genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates‘“ [1] Abgesehen von dieser kritischen Anmerkung sind auch die historischen Ausführungen versiert.

Gleiches gilt für die aktuellen Betrachtungen und die eigene empirische Untersuchung. Hier wendet sich Pappon kritisch der medial vielfach diskutierten vermeintlichen sexuellen „Verwahrlosung“ der Jugend zu. Er sieht schon den Begriff der „Verwahrlosung“ kritisch und zeigt anhand der Bepanthen-Kinderarmutsstudie und der BRAVO-Studie (beide aus dem Jahr 2009) sowie der BZgA-Studie zur Jugendsexualität, dass von einer ‚Verwahrlosung‘ keine Rede sein könne. Auch seine empirischen Daten über die Pornografienutzung zeigen, dass zumindest 60 % der Jugendlichen Pornografie nutzen, insbesondere um sich selbst und ihr sexuelles Begehren zu finden. Jungen verwenden dabei häufiger Pornografie. Gleichzeitig sind bei Jungen wie Mädchen (die Untersuchungsgruppe wurde binär-geschlechtlich gruppiert) Vorstellungen von Zärtlichkeit und Partnerschaftlichkeit von Sexualität verbreitet. Eine ‚Verwahrlosung‘ sei damit nicht feststellbar.

Damit kommt Pappon zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Hamburger Untersuchungen zur Sexualität von Studierenden und die Merseburger Studien zur Jugendsexualität, die festhalten, dass das noch immer weitgehend den medialen Diskurs prägende Bild einer ‚extensiv sexuellen‘ Jugend mit der Realität nicht übereinstimmt. Sexualität wird von jungen Menschen eher als intim, zärtlich und partnerschaftlich angesehen und, wenn, dann meist in festen Beziehungen praktiziert.

Fazit

Die Lektüre des Bandes bietet einen guten Zugang zum Thema Jugendsexualität.


[1] Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter: Pink Washing Germany? Der deutsche Homonationalismus und die „jüdische Karte“, in: Duygu Gürsel, Zülfukar Çetin & Allmende e. V. (Hg.): Wer MACHT Demo__kratie? Kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen. Münster: Edition Assemblage; auch online: http://salihalexanderwolter.de/wp-content/uploads/2012/10/Pink-Washing-Germany_-Der-deutsche-Homonationalismus-und-die-j%C3%BCdische-Karte.pdf (Zugriff: 6.1.2015).

Rezension von
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß
Professur Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung
Hochschule Merseburg
FB Soziale Arbeit. Medien. Kultur
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Es gibt 65 Rezensionen von Heinz-Jürgen Voß.

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ISSN 2190-9245