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Katharina Pfarrherr, Karin Schleider (Hrsg.): Netzwerke der psychosozialen Versorgung bei ADHS

Rezensiert von Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike, 29.04.2015

Cover Katharina Pfarrherr, Karin Schleider (Hrsg.): Netzwerke der psychosozialen Versorgung bei ADHS ISBN 978-3-8300-7894-4

Katharina Pfarrherr, Karin Schleider (Hrsg.): Netzwerke der psychosozialen Versorgung bei ADHS. Eine empirische Studie zu Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2014. 327 Seiten. ISBN 978-3-8300-7894-4. D: 99,80 EUR, A: 102,60 EUR, CH: 135,00 sFr.

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Thema

Das Buch thematisiert das professionelle Netzwerk psychosozialer Versorgung und Gesundheitsförderung bei Hyperkinetischen Störungen bzw. Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Kindes- und Jugendalter in der Region Freiburg im Breisgau und im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald.

Autorinnen

Dr. Katharina Pfarrherr ist Diplom-Pädagogin und assoziiertes Mitglied der Abteilung für Beratung, Klinische und Gesundheitspsychologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Prof. Dr. Karin Schleider ist Leiterin der Abteilung für Beratung, Klinische und Gesundheitspsychologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, approbierte Psychotherapeutin, Kinder- und Jugend-Psychotherapeutin und Supervisorin (BDP).

Entstehungshintergrund

Das vorliegende Buch entstand im Rahmen der 2013 abgeschlossenen Promotion von Katharina Pfarrherr an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und entspricht ihrer Dissertationsschrift. Die Dissertation wurde von Karin Schleider betreut. Die Erhebung der für die Arbeit grundlegenden qualitativen und quantitativen Daten fand zwischen April 2009 und April 2011 statt. Studierende der Hochschule führten dazu Interviews und es wurde eine Fragebogenerhebung durchgeführt.

Aufbau

Nach der Darstellung theoretischer Grundlagen zu professionellen Netzwerken psychosozialer Versorgung und dem Störungsbild der Hyperkinetischen Störungen bzw. ADHS werden beispielhaft empirische Befunde zu professionellen Kooperationsstrukturen aufgezeigt, die auf den erhobenen Daten basieren. Dabei zielt die Arbeit auf eine Analyse des Netzwerks, um entlang der Qualitätsdimensionen Struktur-, Prozess-, und Ergebnisqualität mögliche Konsequenzen für eine Optimierung der netzwerkinternen Kooperationspraxis aufzuzeigen. Das Buch ist entsprechend einer wissenschaftlichen Arbeit aufgebaut und besteht aus sieben Kapiteln:

  1. Einleitung
  2. Theoretische und empirische Grundlagen
  3. Ziele und Fragestellungen
  4. Methoden
  5. Ergebnisse und Interpretationen
  6. Konsequenzen aus den empirischen Befunden
  7. Diskussion und Ausblick

Zu 1. Einleitung

Hier wird kurz der Aufbau der Arbeit erläutert.

Zu 2. Theoretische und empirische Grundlagen

Die theoretischen Grundlagen umfassen die Netzwerktheorie und -analyse, Netzwerke psychosozialer Versorgung und Gesundheitsförderung, das Netzwerkmanagement, Grundlagen der Versorgungsforschung, von Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) sowie von professionellen psychosozialen Netzwerken bei ADHS.

Die empirischen Grundlagen und der Stand der Forschung thematisieren ebenfalls Netzwerke psychosozialer Versorgung und Gesundheitsförderung sowie professionelle psychosoziale Netzwerke bei ADHS und die Rolle von Schulen in psychosozialen Netzwerken.

Zu 3. Ziele und Fragestellungen

Auf einer Buch-Seite wird der Gegenstand der Arbeit noch einmal ausgeführt und es werden zehn Fragen vorgestellt, anhand derer im weiteren Verlauf

  • der Soll- mit dem Ist-Zustand gegenübergestellt und
  • ein Modell zur Organisation der psychosozialen Versorgung und Gesundheitsförderung an und mit Schulen im Sinne einer „good practice“ angeboten sowie
  • Empfehlungen zur weiteren Professionalisierung der Fachkräfte im Hinblick auf die Effektivierung von Arbeitsvorgängen gegeben werden.

Die leitenden Fragestellungen zielen dabei etwa auf die am psychosozialen Netzwerk bei ADHS im Kindes- und Jugendalter beteiligten Professionen und Institutionen, die Verweisungswege und Kooperationen innerhalb des Netzwerks und ihre Anlässe sowie die Bedingungen für eine erfolgreiche und effektive Zusammenarbeit.

Zu 4. Methoden

Mit der in vorliegendem Buch beschriebenen Mixed-Methods-Studie bestehend aus Interviews und Fragebogenerhebung wird eine sowohl quantitative – also auf die formale Struktur abzielende – als auch qualitative, die Gestaltungspraxis betrachtende Netzwerkanalyse vorgestellt.

Von April 2009 bis November 2010 führten dazu Studierende der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Rahmen von Qualifikations- und Seminararbeiten 68 halbstandardisierte Leitfaden-Interviews, die inhaltsanalytisch (Mayring) ausgewertet wurden. Von November 2010 bis April 2011 wurden im Rahmen der Fragebogenerhebung 490 Professionelle und Institutionen angeschrieben, von denen 207 (42%) an der Studie teilnahmen. Die Auswertung der Fragebogen fand deskriptiv statt und es wurde eine Faktorenanalyse durchgeführt.

Zu 5. Ergebnisse und Interpretationen

Die Resultate der beiden Teilstudien werden in diesem Kapitel getrennt voneinander vorgestellt. Anhand der Ergebnisse aus den Interviews mit Professionellen unterschiedlicher Bereiche werden dabei die Versorgungs- und Weiterverweisungswege, die Bedeutung und Beschreibung professioneller psychosozialer Netzwerke bei ADHS, die Rolle von Schulen und Erziehungsberechtigten in diesen Netzwerken und Optimierungsvorschläge für die Kooperation in ADHS-Netzwerken erläutert.

Als wichtigste Kooperationspartner nannten die Interviewpartner ÄrztInnen, PädagogInnen, TherapeutInnen und Ämter. Die Kontaktaufnahme mit dem professionellen psychosozialen Netzwerk kommt laut der Interviewten häufig durch Lehrkräfte oder PädiaterInnen zustande. Als entscheidend für die Optimierung der Kooperation in professionellen psychosozialen Netzwerken bezeichnen die Interviewpartner die Aus-, Fort- und Weiterbildung, Standards sowie mehr Personal, eine angemessene Finanzierung, die allgemeine Vernetzung unabhängig von Einzelfällen und damit einhergehend die Kenntnis über existierende Kooperationsnetzwerke. Dabei besteht der Wunsch nach antihierarchischen Strukturen, in dem einzelne Beteiligte sowie verschiedene Ansätze und Perspektiven sich ergänzen und nicht in Konkurrenz stehen.

Die Ergebnisse aus der quantitativen Fragebogenstudie, an der 207 Personen verschiedener Professionen teilnahmen, zeigen deskriptiv die Bewertung der Zusammenarbeit im Netzwerk, die Bedeutsamkeit der unterschiedlichen Kooperationspartner, Kooperationsarten und Schwierigkeiten bei der Kooperation aus Sicht der Befragten auf.

Eine Kooperation halten dabei fast alle Befragten für „eher wichtig“ und verbinden damit hohe Erwartungen, z.B. bezüglich der Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen für betroffene Kinder und Jugendliche oder der Informationsvermittlung im Einzelfall, aber auch in Bezug auf das Kennenlernen neuer / anderer Perspektiven. Die Ergebnisse lassen dabei eine größere Offenheit von Ergo- und HeilpädagogInnen sowie Schulen vermuten als unter den medizinischen Professionen und PsychotherapeutInnen.

Als bedeutsamste Professionen bezüglich der Kooperation werden Kinder- und JugendpsychiaterInnen genannt, gefolgt von Lehrkäften, ErzieherInnen, PsychotherapeutInnen und PädiaterInnen. Gefragt nach den drei wichtigsten Professionen, mit denen die Studienteilnehmer bei ADHS tatsächlich zusammenarbeiten, werden Lehrkräfte am häufigsten auf den ersten Rang gesetzt, gefolgt von Kinder- und JugendpsychiaterInnen und PädiaterInnen. ErgotherapeutInnen wird zwar nie der erste Rang zuteil, sie stellen aber nach den Lehrkräften die am häufigsten genannten Kooperationspartner dar.

Als die größten Schwierigkeiten bei der Kooperation in professionellen psychosozialen Netzwerken bei ADHS lassen sich der Mangel an geschultem Personal an Schulen, die Einbeziehung schulexterner Professionen, eine ungenügende Finanzierung sowie fehlende langfristige Projekte zum Thema identifizieren. Als häufigster Grund für Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Eltern / Erziehungsberechtigten wird deren allgemeine Überforderung angegeben, gefolgt von psychischen Problematiken und Ängsten der Eltern.

In einem weiteren Schritt der Datenanalyse werden Schulen – vertreten durch Lehrkräfte, Schul-Leitungen und -SozialarbeiterInnen – den Professionen und Institutionen des Gesundheitswesens (PädiaterInnen, PsychotherapeutInnen, PsychiaterInnen) gegenübergestellt. Dabei zeigt sich z.B., dass die Zusammenarbeit mit den aufgezählten Professionen und Institutionen durch die VertreterInnen des Gesundheitswesens durchgängig positiver bewertet wird als von VertreterInnen der Schulen. Der größte Unterschied ist dabei in der Zusammenarbeit mit PädiaterInnen zu verzeichnen. Höchst signifikant zeigen sich die unterschiedlichen Bewertungen der Schwierigkeiten im psychosozialen Netzwerk bei ADHS u.a. bezüglich fehlender Standards bzw. Leitlinien für eine Kooperation, einem/r fehlenden zentralen KoordinatorIn und Begegnungsmöglichkeiten zum Thema ADHS wie Vorträge oder Arbeitsgruppen. Schulen sehen sich in der Kooperation von anderen Professionen und Institutionen eher als gleichberechtigte Partner wahrgenommen als dies bei VertreterInnen des Gesundheitswesens der Fall ist. Die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten wird von schulischen VertreterInnen hingegen kritischer gesehen als von denen des Gesundheitswesens.

Anhand einer Faktoranalyse werden die Daten in einem nächsten Schritt innerhalb der Merkmale Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Prozessqualität von den Befragten insgesamt weniger kritisch betrachtet wird als die Strukturqualität. Vor allem Faktoren in Bezug auf die Kooperation mit Erziehungsberechtigten haben einen entscheidenden Einfluss auf die Prozessqualität. Bei der Strukturqualität wird fehlendes geschultes Personal an Schulen als größte Schwierigkeit genannt. Die Ergebnisqualität wird als gut bewertet, wobei VertreterInnen des Gesundheitswesens diese signifikant besser beurteilen als Schulen. Trotz erschwerender struktureller Bedingungen wird die Qualität des psychosozialen professionellen Netzwerks bei ADHS damit als zufriedenstellend gesehen. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Netzwerk kann aber – so wird betont – unter den erschwerenden Rahmenbedingungen meist nur aufgrund des Engagements der beteiligten Professionen und Institutionen zustande kommen.

Zu 6. Konsequenzen aus den empirischen Befunden

Nach der zusammenfassenden Darstellung der strukturellen sowie prozessualen Bedingungen wird in diesem Kapitel auf die Evaluation professioneller psychosozialer Netzwerke bei ADHS und die Rolle der Lehrkräfte darin eingegangen. Zu den strukturellen Bedingungen einer guten Kooperation im Netzwerk zählen etwa die ausreichende Finanzierung und personelle Ausstattung, die Einbeziehung schulexterner Professionen, adäquate Fortbildungsangebote und das Netzwerkmanagement. Zu den prozessualen Bedingungen gehören die Einbindung der Erziehungsberechtigten, ein guter Informationsfluss und die dafür grundlegende Schweigepflichtentbindung sowie die Transparenz der Kooperation, aber auch die horizontale Ausrichtung des Netzwerks, eine gemeinsame Sprache und das Leben einer Verantwortungsgemeinschaft ohne daraus eine Verantwortungsdiffusion erwachsen zu lassen.

Die genannten Erwartungen und Anforderungen an das psychosoziale Netzwerk bei ADHS werden in interne und externe Faktoren unterteilt. Zu den internen Faktoren zählt z.B. der Erfahrungs- und Informationsaustausch, Behandlungsrichtlinien zur Diagnostik oder Intervention stellen externe Faktoren dar. Besonders hervorgehoben wird die Rolle von Lehrkräften bei der Kooperation in professionellen psychosozialen Netzwerken, da die Schule neben der Familie ein besonderes Lebensfeld darstellt.

Zu 7. Diskussion und Ausblick

Hier werden die Ergebnisse der Studie noch einmal zusammengefasst. Zu Verweisung und Versorgung wird festgehalten, dass keine allgemein verbindlichen bzw. allgemeinen Wege existieren. Eine ADHS scheint dabei kein ausreichender Grund für Kooperationen zu sein, sondern liegt häufig in einer akuten bzw. schweren Problematik v.a. im schulischen Setting begründet. Die durch die Befragten genannten Kooperationsanlässe bzw. Erwartungen entsprechen den Funktionen sozialer Netzwerke wie der sozialen Unterstützung im Rahmen einer Verantwortungsgemeinschaft oder der Vermittlung neuer Kontakte.

Es wird festgehalten, dass eine Kooperation trotz des zunächst relativ hohen Einsatzes an Ressourcen zum Netzwerkaufbau langfristig zur Entlastung der beteiligten Professionen beitragen kann. In einer abschließenden Tabelle wird noch einmal eine Übersicht über die NetzwerkpartnerInnen, Kooperationsformen und Schwierigkeiten im untersuchten Netzwerk gegeben. Der Band schließt mit einer methodischen Diskussion der Teilstudien und einem Ausblick.

Diskussion

Die soziale Netzwerkanalyse betrachtet vor allem soziale Beziehungen und deren Struktur als Analyseeinheiten. Dieser relationale Forschungsansatz hat in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Wissenschaftsfeldern stark an Bedeutung gewonnen. Vorliegender Band liefert ein anschauliches Beispiel für die praktische Umsetzung einer Netzwerkanalyse unter Anwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes. Darüber hinaus gibt das Werk beispielhaft detaillierte Einblicke in die Funktionsweisen professioneller Netzwerke.

Die Grundstruktur einer wissenschaftlichen Qualifizierungsarbeit kann bedingen, dass nicht alle Abschnitte des Buches bei jeder/m LeserIn – z.B. aufgrund der z.T. sehr ausführlichen Darstellung der angewandten statistischen Methoden – auf gleich großes Interesse stoßen. Die detaillierte Erläuterung der Arbeitsweise professioneller Netzwerke ermöglicht aber spannende Erkenntnisse – vor allem bezüglich der psychosozialen Versorgung und Gesundheitsförderung bei ADHS im Kindes- und Jugendalter, aber auch für in andere Bereiche, in denen Netzwerkarbeit stattfindet.

Fazit

Als wissenschaftliche Arbeit mit starkem Praxisbezug gibt der Band detaillierte Einblicke in die Anwendung der (qualitativen und quantitativen) Netzwerkanalyse sowie beispielhaft in professionelle Netzwerke psychosozialer Versorgung und Gesundheitsförderung bei ADHS im Kindes- und Jugendalter. Die angewandte Methodik und die daraus gewonnenen Erkenntnisse können auch für andere Bereiche der Netzwerkarbeit relevant sein.

Rezension von
Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Zentrum für Palliativmedizin Universitätsklinikum Köln (AöR)
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Es gibt 24 Rezensionen von Kerstin Kremeike.

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Zitiervorschlag
Kerstin Kremeike. Rezension vom 29.04.2015 zu: Katharina Pfarrherr, Karin Schleider (Hrsg.): Netzwerke der psychosozialen Versorgung bei ADHS. Eine empirische Studie zu Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2014. ISBN 978-3-8300-7894-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17332.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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