Judith Pierlings: Wie erklären sich die Pflegekinder ihre Lebensgeschichte?
Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 18.11.2014
Judith Pierlings: Wie erklären sich die Pflegekinder ihre Lebensgeschichte? Analyse biografischer Deutungsmuster. Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (Siegen) 2014. 133 Seiten. ISBN 978-3-934963-32-0.
Autorin
Judith Pierlings ist Dipl.-Pädagogin und Dipl. Sozialpädagogin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Pflegekinderwesen am Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) an der Universität Siegen.
Thema
Wie gelingt es Pflegekindern, diese Form des Aufwachsens in ihre Lebensgeschichte zu integrieren. Es geht dabei um das erlebte Leben eines Individuums und die subjektive Perspektive auf dieses Leben. Ein Fallbeispiel zeigt Deutungsmuster auf.
Entstehungshintergrund
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Projektes „Leuchtturm Pflegekinderdienst“, in dem auch biografisch-narrative Interviews mit 41 ehemaligen Pflegekindern (Alter 18 bis 39 Jahre) geführt wurden.
Aufbau und Inhalt
Judith Pierlings beginnt ihre Arbeit mit der Darstellung zentraler Aspekte zum Pflegekinderwesen (rechtliche, institutionelle und statistische Aspekte). Sie beschreibt Pflegekinder als besondere Untergruppe, die nicht nur die allgemeinen Aufgaben und Probleme von Jungen und Mädchen in unserer Gesellschaft bewältigen müssen, sondern auch die besonderen von Kindern mit extremen Belastungen und die in Pflegefamilien aufwachsen. Sie geht auch auf die Verwandtenpflege ein.
Im nächsten Kapitel arbeitet sie die zentralen theoretischen Bezüge der Arbeit heraus (Attributionstheorie, Deutungsmuster, Lebensgeschichte, Lebenslauf, Biographie, Identität).
Im Weiteren beschreibt Pierlings das Vorgehen bei der Datengewinnung und der Auswertung und analysiert das Interview mit Olivia, einer jungen Frau im Alter von 20 Jahren. Sie war wegen der Drogenproblematik der Mutter ab dem 5. Lebensjahr bei den Großeltern aufgewachsen. Nach einer kurzen Darstellung der Lebensgeschichte werden Deutungsmuster nach den Kategorien „konkrete Erklärungen“ (z.B. Erklärungen durch äußere Bedingungen oder Erklärungen, die andere Personen anbieten), „komplexe Betrachtungen der Lebensgeschichte“ (z.B. orientiert an der eigenen Normalitätsvorstellung oder der eigenen Persönlichkeitsentwicklung) und „biographische Kernaussagen“ (z.B. Zwickmühle oder zwischen den Stühlen) analysiert.
Abschließend ordnet Pierlings das Interview in die theoretischen Ansätze ein.
Diskussion
Pflegekinder müssen ihre spezifische Situation in ihre Biographie integrieren. Es wird ein Forschungsansatz vorgestellt, der Deutungsmuster in autobiographischen Interviews analysiert. An einem Beispiel wird dies vorgestellt. Die Deutungen einer intelligenten und reflektierten jungen Frau sind interessant zu lesen. Es fehlt mir jedoch der Bezug zu anderen Interviews; es erfolgt keine Einordnung des berichteten Interviews im Vergleich mit anderen. Wie ist der Stellenwert des Interviews bzw. der erstellten Deutungsmuster in der Pflegefamilie? So weckt der Titel „wie Pflegekinder ihre Lebensgeschichte erklären“ Erwartungen, die so nicht erfüllt werden.
Zielgruppen
Fachkräfte, die sich in Forschung oder Praxis mit Fremdunterbringung beschäftigen.
Fazit
Ein interessantes Büchlein, dessen Titel jedoch mehr Erwartungen weckt.
Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 18.11.2014 zu:
Judith Pierlings: Wie erklären sich die Pflegekinder ihre Lebensgeschichte? Analyse biografischer Deutungsmuster. Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste
(Siegen) 2014.
ISBN 978-3-934963-32-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17337.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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