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Karin Bock, Annett Kupfer et al. (Hrsg.): Beratung und soziale Beziehungen

Rezensiert von Dr. Thomas Damberger, 24.11.2014

Cover Karin Bock, Annett Kupfer et al. (Hrsg.): Beratung und soziale Beziehungen ISBN 978-3-7799-2991-8

Karin Bock, Annett Kupfer, Romy Simon, Kathy Weinhold, Sandra Wesenberg (Hrsg.): Beratung und soziale Beziehungen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2014. 340 Seiten. ISBN 978-3-7799-2991-8. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 51,90 sFr.

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Thema

Wir scheinen in einer ratsuchenden Gesellschaft zu leben. Es gibt mittlerweile eine kaum mehr überschaubare Vielfalt unterschiedlicher Beratungsformen, -ansätze und -einrichtungen, deren Vorhandensein zumindest einen Hinweis darauf geben, dass eine zunehmende Nachfrage nach Beratung in den unterschiedlichsten Bereichen vorliegt. Nun gibt es freilich nicht die eine Beratung. Damit ist Beratung ein Feld, das sich in der Offenheit befindet und stets der Gefahr ausgesetzt ist, „zu Unbestimmtheit, Konturlosigkeit und Inhaltsleere [zu] führen“ (10). Demgegenüber machen die Autor/-innen des vorliegenden Bandes die Forderung nach einer „eigenständige[n] theoretisch-konzeptionelle[n] Identität und ein[em] handlungsgeleitete[n] Selbstverständnis“ (ebd.) stark. Nun kommt professionelle Beratung, die im Kern nicht auf Heilung, sondern vielmehr auf die Stärkung von Ressourcen abzielt, nicht ohne den Blick auf die sozialen Bezüge und Netzwerke aus. Diese bieten den Menschen Sicherheit, geben Rückhalt in unruhigen Zeiten, sind aber zugleich in einer Gesellschaft, die dem Flexibilitätsdiktat unterliegt, zunehmend der Beliebigkeit bis hin zur Auflösung ausgesetzt. Die Herausgeber/-innen von „Beratung und soziale Beziehungen“ haben daher ein Buch konzipiert, das sich mit beiden Bereichen befasst, den der professionellen Beratung und den der sozialen Beziehungen und Netzwerke.

Herausgeberinnen

Karin Bock ist Professorin für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Ihre Forschungsgebiete sind u.a. die Generationen- u. Familienforschung und die Kinder- u. Jugendhilfeforschung.

Annett Kupfer, M.A., Romy Simon, Dipl. Soz., Kathy Weinhold, Dr. phil., und Sandra Wesenberg, Dipl.-Päd, arbeiten als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften an der TU Dresden.

Entstehungshintergrund

Es handelt sich beim vorliegenden Band um eine „Farewell-Schrift“ für Frank Nestmann, emeritierter Professor für Beratung und Rehabilitation an der Technischen Universität Dresden.

Aufbau

Auf insgesamt 350 Seiten widmen sich die Autor/-innen zwei großen Themenfeldern, die eng miteinander verwoben sind. Es handelt sich um

  1. „Beratung und professionelle Hilfe“ und
  2. „Soziale Beziehungen und soziale Netzwerke“.

Das Buch ist in diese beiden Bereiche gegliedert und besteht aus einer Einleitung, 24 Aufsätzen und einem Abdruck der Antrittsvorlesung des Jubilars, Frank Nestmann, an der TU Dresden aus dem Jahr 1993.

Ausgewählte Inhalte

Exemplarisch werden im Folgenden einige wenige Aufsätze in ihren wesentlichen Gedankengängen skizziert.

Vera Bamler und Jillian Werner setzen sich in „Gesundheitsberatung als Arbeitsfeld der Zukunft“ mit der Schwierigkeit auseinander, über das zu beraten, was seinem Begriff nach bereits schwer zu fassen ist. „Gesundheit“ kann als Abwesenheit von Krankheit aufgefasst werden. Eine Gesundheitsberatung zielt dabei nicht nur auf Aufklärung und damit auf Informationsvermittlung ab, sondern hat, so Bamler und Werner, ein präventives, ein kuratives und ein rehabilitatives Moment (vgl. 78). Hier geht es nicht nur darum, beratend zu unterstützen, dass Krankheiten verhindert werden, sondern vor allem auch darum, die Gesundheit zu fördern und bei der Bewältigung von Krankheiten unterstützend zu wirken (vgl. ebd.). In Abgrenzung zur sozialpädagogischen Beratung wird der Aspekt der Leiblichkeit der Person unterstrichen. Eine professionelle Gesundheitsberatung hat daher „BIOlogisch-psychologische Beschwerden [stets] […] in Verbindung mit PSYCHOlogischen Auswirkungen und in der SOZIALen Eingebundenheit der Klientel wahrzunehmen“ (79). Bamler und Werner interpretieren die Gesundheitsberatung als einen Beratungsbereich, der aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen und Wandlungsprozesse neu entstanden ist. Das Neuentstandene bedarf, um nicht als „‚Bindestrichberatung‘“ marginalisiert zu werden, ein klar konturiertes und eigenständiges Profil (vgl. 80). Als zentrales Ziel wird das Stärken der Selbstbestimmung des Einzelnen und dessen Partizipation formuliert. Beides wird als ausgesprochen bedeutsam markiert, da der Einzelne aufgefordert ist, eigenständige Gesundheitsentscheidung zu treffen und dies in Zeiten einer „zunehmenden Unübersichtlichkeit auch im Gesundheitssektor“ (87). Hier eigenständig entscheiden zu können, bedarf einer Gesundheitskompetenz, zu der eine professionelle Gesundheitsberatung beitragen sollte.

Imgard Vogt fasst in „Gewalt – Sucht und Liebe: Herausforderungen für Beratende“ die Ergebnisse einer qualitativ empirischen Untersuchung zusammen. Risikofaktoren für Gewalt im sozialen Raum sind unter anderem der Konsum von Alkohol und anderen Drogen von zumindest einen der beiden Partner. Frauen, die Opfer körperlicher Gewalterfahrungen in Rahmen einer Beziehung wurden, leiden in der Regel nicht nur unter Scham-, Schuld- und Angstgefühlen. Gerade dann, wenn sie sich Dritten anvertrauen, sehen sie sich nicht selten der Schuldzuweisung ausgesetzt, selbst Anteil an ihrem Unglück zu haben, weil sie sich nicht vom misshandelnden Partner getrennt haben (93). Kommen zusätzlich zu den Gewalterfahrungen auch noch Alkohol- oder Drogenprobleme hinzu, haben es die Frauen mit einer doppelten Stigmatisierung zu tun. Damit einher geht, das macht Vogt im Rückgriff auf die Studie deutlich, oft eine „Tendenz[…] zur Ausgrenzung aus sozialen Netzwerken und zusätzliche negative Folgen für das Selbstbild“ (94). Problematisch ist, dass es Frauen nur selten gelingt, aus einer von Gewalt geprägten Beziehung zu entkommen, da mangelnde soziale Vernetzung und eine Verankerung in einem Milieu, das nicht diskriminiert und die Möglichkeit bietet, die eigenen „Schwächen und Inkompetenzen nicht verstecken“ zu müssen, eine Form von Sicherheit darstellt. Dort „finden sie endlich Menschen, die sie verstehen und ihnen – sogar – Liebe geben. Das ist wertvoll, das kann man nicht einfach aufgeben“ (95). Eine professionelle Beratung muss diese emotionale Abhängigkeit im Beratungsprozess berücksichtigen. Forderungen nach einer Trennung vom gewalttätigen Partner müssen scheitert, weil die betroffenen Frauen weder über die sozialen, noch über die dafür nötigen persönlichen Kompetenzen verfügen. Vogt schließt daraus, dass gute Beratung Mut und Kraft zur (nichtsdestotrotz erforderlichen) Trennung vom gewalttätigen Partner ermöglichen kann, indem sie durch personenzentrierte Interventionen die sozialen und persönlichen Kompetenzen der Frauen fördern. Darüber hinaus hilft der Rückgriff auf die kognitive Verhaltenstherapie, das negative Selbstbild der Frauen zu verbessern (vgl. 97). Zuletzt geht es aber darum, den diskriminierten Frauen zu einem Aufbau eines sozialen Netzes jenseits des einstigen Milieus zu verhelfen, ihnen also „den Weg zurück in die Lebenswelten der Nicht-Diskriminierten zu ebnen“ (98). Hierfür gelte es, so Vogt, Konzepte zu entwickeln.

Anton-Rupert Laireiter, Viktoria Zach und Melanie Zwischenbrugger stellen in „Affektives Netzwerkinventar – ANI“ ein Verfahren vor, mit dem es möglich ist, das sogenannte affektive Netzwerk zu erfassen. Mit affektives Netzwerk ist der Bereich gemeint, der dem Einzelnen am nahestehensten ist. Die Autor/-innen versuchen damit eine methodische Lücke zu schließen, gibt es gegenwärtig im deutschsprachigen Raum doch kein Verfahren, das sich zur Untersuchung des affektiven Netzwerks eignet. Laireiter, Zach und Zwischenbrugger charakterisieren zu Beginn Ihrer Ausführungen das affektive Netzwerk als Teil des persönlichen Netzwerks, also „jenen Teil der Beziehungen eines Individuum[s], […] [der sich] durch emotionale Verbindungen“ (243) auszeichnet. Methodisch handelt es sich beim Affektiven Netzwerkinventar (ANI) um ein strukturiertes Interview, mit dessen Hilfe die wichtigsten Bezugspersonen eines Menschen erfasst und nach „strukturellen, interaktionalen, psychologischen und evaluativen Kriterien“ beschrieben werden können. Grundsätzlich sind allerdings – gerade bei Gruppenuntersuchungen – auch Fragebögen vorstellbar (245). Laireiter, Zach und Zwischenbrugger sehen im Affektiven Netzwerkinventar (ANI), das auch sozialdemographische Variablen und Globalauswertungen des Netzwerks erfasst, eine Möglichkeit, das nahestehenste Umfeld einer Person sowohl reliabel als auch valide zu erfassen.

Fazit

Das vorliegende Buch ist – dem Namen nach eine „Farewell-Schrift“ – faktisch eine Festschrift. Mit Festschriften geht der Ruf einher, dem Gefeierten einen Gruß in Form eines Textes zu schicken und solche Texte können auch gerne mal aus der Schublade stammen. Erfreulicherweise fällt „Beratung und soziale Beziehungen“ nicht in diese Kategorie. Den Herausgeber/-innen ist es gelungen, eine Textsammlung zu präsentieren, die sowohl facettenreich als auch einladend, an manchen Stellen möglicherweise sogar zukunftsweisend ist. Neben theoriegeladenen Aufsätzen werden empirische Untersuchungsergebnisse und neue methodische Verfahren vorgestellt. Das Buch eignet sich daher für Leserinnen und Leser, die sich einen Einblick in das Feld der Beratung verschaffen wollen. Ihnen wird eine Ahnung über die Breite und Vielseitigkeit dieses Feldes vermittelt. Die Schrift richtet sich aber auch an Studierende und Forschende rund um das Feld Soziale Arbeit u. Sozialpädagogik, die mehr über die unterschiedlichen Bereiche, Probleme und Forschungsansätze rund um das Thema Beratung erfahren wollen.

Rezension von
Dr. Thomas Damberger
Professur für Bildungs- und Erziehungswissenschaften im Kontext der Digitalisierung an der Freien Hochschule Stuttgart
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Es gibt 19 Rezensionen von Thomas Damberger.

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Zitiervorschlag
Thomas Damberger. Rezension vom 24.11.2014 zu: Karin Bock, Annett Kupfer, Romy Simon, Kathy Weinhold, Sandra Wesenberg (Hrsg.): Beratung und soziale Beziehungen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2014. ISBN 978-3-7799-2991-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17357.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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