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Andrea Komlosy: Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 05.09.2014

Cover Andrea Komlosy: Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive ISBN 978-3-85371-369-3

Andrea Komlosy: Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert. Promedia Verlagsgesellschaft (Wien) 2014. 204 Seiten. ISBN 978-3-85371-369-3. D: 15,90 EUR, A: 15,90 EUR, CH: 22,90 sFr.

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„Arbeit adelt“ – „Arbeit ist Müh´ und Not“

Im Volksmund wird die Ambivalenz des Arbeitsbegriffs und der Schaffenstatsache deutlich. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“, so die Strafe eines Übertritts (1. Mose 3:19); „ora et labora“, als „vita religiosa“ des abendländischen Mönchtums, verdeutlichen den Zusammenhang von Dasein und gottgewolltem Leben;. und die Aufforderung „raboti, raboti“, denn „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. In der antiken Denkweise, etwa bei Aristoteles, wird davon ausgegangen, dass es Menschen gibt, die von Natur aus Sklaven sind, zur Arbeit bestimmt, während der langhaarige Freie unmöglich eine Arbeit verrichten könne. Aus den zufällig genannten Auffassungen, was „Arbeit“ ist, wird schon deutlich, dass die Begriffsbestimmungen und Einstellungen zur menschlichen Arbeit zeit-, kultur-, mentalitäts-, macht- und ideologiebestimmt sind. Da wird „ehrliche Arbeit“ eingefordert (Norbert Blüm, Ehrliche Arbeit. Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11382.php), es werden klinische, arbeitspsychopathologische Fallstudien vorgestellt, die Arbeit als Last und Lust aufzeigen (Christoph Dejour, Hrsg., Psychopathologien der Arbeit, 2012,www.socialnet.de/rezensionen/13188.php ), Prekarisierung als neue, soziale Form der Ausbeutung und Ohnmacht dargestellt (Rolf-Dieter Hepp, Hrsg., Prekarisierung und Flexibilisierung = Precarity and flexibilisation, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13527.php) und gesellschaftliche Anforderungen an „soziale Arbeit“ gestellt (Bernd Dollinger / Fabian Kessl / Sascha Neumann / Philipp Sandermann, Hrsg.,Gesellschaftsbilder sozialer Arbeit, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13483.php).

Entstehungshintergrund und Autorin

Arbeitsfreude und Arbeitsleid, Arbeitsverweigerer und Workaholiker – die Spannweite des intellektuellen und alltäglichen Diskurses um Arbeit ist weit. Der Sozialhistoriker Werner Conze unternahm im „Historischen Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland“ (1972) den Versuch, den Arbeitsbegriff und die individuellen und gesellschaftlichen Einstellungen zur Arbeit im Laufe der Jahrtausende systematisch zu skizzieren. Dabei zeigen sich grundlegende Wendepunkte und Mentalitätsveränderungen, die von der griechischen Antike, über jüdisch-christliche Traditionen, christlich-konservative, katholische und protestantische Arbeitsethiken, sozialistische Aufbrüche, bis hin zu den aktuellen kapitalistischen Entwicklungen, und zaghaft erst, aber immerhin, zum Perspektivenwechsel in Richtung auf ökologisch-nachhaltiges Denken und Arbeiten reichen.

Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin von der Universität Wien, Andrea Komlosy, geht in ihrem Essay auf die historischen, kulturellen, weltanschaulichen und ideologischen Veränderungsprozesse ein, die „Arbeit als Sinn (und Zweck!) des Lebens“ und/oder als „Befreiung von der Arbeit“ mit sich bringen, Einstellungen bewirken, Macht und Ohnmacht produzieren und sich (bis heute) als fatalistische, weltanschauliche und fundamentalistische Verhaltensweisen oder kritische, humane Positionen darstellen.

Aufbau und Inhalt

Neben den Begriffsklärungen und dem Versuch, eine „eurozentristische Meistererzählung“ über die Arbeitsmoral zu bringen, dabei deren Grenzen zu verdeutlichen und „Arbeit“ gegen den Strich zu erzählen; zum einen aus feministischer, zum anderen aus globalgeschichtlicher Perspektive, setzt sich die Autorin mit den verschiedenen Arbeitsdiskursen auseinander: Überwindung der Arbeit – Lob der Arbeit – Transformation der Arbeit. Weil Begriffsnennungen und -verwendungen immer sprachliche Akte und Mächte sind, wendet sich Andrea Komlosy dem „Sprachfeld Arbeit“ zu, verdeutlicht die historischen und aktuellen Begrifflichkeiten und verweist mit interkulturellen Vergleichen auf unterschiedliche Bezeichnungen in der chinesischen Sprache. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung und beim Forschungsgebrauch sind spezifische Analysekategorien angezeigt, die z. B. den jeweiligen Bezugsrahmen von Arbeit berücksichtigt, die verschiedenen Arbeitsverhältnisse in ihren Funktionen und Mentalitäten markiert und die Grauzonen von Arbeit und Nicht-Arbeit kennzeichnet.

Ein Schwerpunkt ihrer Analyse ist die Einteilung in Arbeitsbedingungen, -verhältnisse und -vorstellungen auf sechs ausgewählte Zeitperioden, die sie „Zeitschnitte“ bezeichnet. Sie wählt dabei sechs Schlüsseljahre aus – 1250, 1500, 1700, 1800, 1900 und 2010, an denen sie „stellvertretend für markante Veränderungen in der Art und Weise, wie Arbeit betrachtet, wie Arbeit organisiert und wie Arbeitsverhältnisse kombiniert wurden“. Jedes Schlüsseljahr leitet sie mit einer Charakterisierung der weltwirtschaftlichen Situation und der politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ein, die sie differenziert in „Arbeitsverhältnisse vor Ort“, „Überregionale Verbindungen“ und „Großräumige Verbindungen“. Dadurch entstehen Charakterbilder, die die jeweiligen individuellen und kollektiven Wirklichkeiten abbilden. Die sich bei dieser Methode zwangsläufig ergebende Frage nach den Quellen- und statistischen Materialien beantwortet sich: Das Internationale Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam hat mit dem Forschungsprojekt „Global Collaboratory on the History of Labour Relations 1500 – 2000“ eine Datenbasis für den globalen Vergleich von Arbeitsverhältnissen erarbeitet, aus der die Autorin schöpft.

Fazit

Die historisch-soziale Arbeit von Andrea Komlosy zeigt im lokalen und globalen Vergleich eine Reihe von Tendenzen auf, nämlich die Entwicklung

  • zur Monetarisierung von gesellschaftlichem Austausch,
  • von reziproker zu kommodifizierter Arbeit,
  • zur Verselbständigung der Erwerbsarbeit als ein vom Lebenszusammenhang abgetrennter Bereich,
  • von erzwungener, unfreier zu freiwilliger, freier Arbeit,
  • zur Hausfrauisierung als unbezahlte Hausarbeit,
  • von der selbständigen zur unselbständigen Erwerbsarbeit (Proletarisierung), und
  • der Herausbildung eines gesetzlich und sozial geschützten Sektors von Erwerbsarbeit.

Dass sich diese erkennbaren und vollziehenden Entwicklungen im Regionen- und Weltvergleich unterschiedlich darstellen, ist eine Tautologie; ob jedoch die Gleichzeitigkeit der globalisierten, ökonomischen Entwicklung die Ungleichzeitigkeiten in der Weltentwicklung aufheben oder vielleicht auch nur abmildern kann, bleibt unbeantwortet und wird lediglich mit einem Hoffnungszeichen angedeutet. Dabei gäbe es in der Tat und in der Wirklichkeit Signale, die auch beim Arbeitsdiskurs beachtet werden sollten: „Was mehr wird, wenn wir teilen“. Es gälte, die Welt als Gemeingut zu betrachten, wie dies die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Elinor Ostrom zum Ausdruck bringt und wofür sie sogar 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt (Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11224.php).

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1706 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245