Sarah Rühle, Annette Müller et al. (Hrsg.): Mehrsprachigkeit - Diversität - Internationalität
Rezensiert von Dr. Paula Krüger, 05.12.2014

Sarah Rühle, Annette Müller, Phillip Dylan Th. Knobloch (Hrsg.): Mehrsprachigkeit - Diversität - Internationalität. Erziehungswissenschaft im transnationalen Bildungsraum. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2014. 324 Seiten. ISBN 978-3-8309-2899-7. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 53,90 sFr.
Thema
Dieser Sammelband umfasst Aufsätze zu den Themen Mehrsprachigkeit, Diversität und Internationalität; Begriffe, die die Interessens- und Arbeitsgebiete von Cristina Allemann-Ghionda widerspiegeln, der dieser Band gewidmet ist. Neben theoretischen Aufsätzen finden sich Darstellungen empirischer Forschungsprojekte aus Deutschland und der Schweiz. Dabei werden aktuelle Diskussionen auch aus historischer Perspektive betrachtet.
Herausgeberinnen und Herausgeber
Dr. Sarah Rühle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln und hat sich dort 2014 mit ihrer Arbeit „Diversität, Curriculum und Bildungsstrukturen. Eine vergleichende Untersuchung in Deutschland und Finnland“ bei Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda promoviert.
Dr. Annette Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Niederrhein im Fachbereich Sozialwesen, Social Concepts – Institut für Forschung und Entwicklung in der Sozialen Arbeit. Zuvor war sie Lehrbeauftragte am Institut für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln, wo sie derzeit habilitiert.
Dr. Phillip D. Th. Knobloch war ebenfalls Lehrbeauftragter am Institut für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln und bis 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bayreuth (Allgemeine Pädagogik). Heute lehrt er am Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne an der Universität zu Köln.
Entstehungshintergrund
Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um eine Festschrift anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda, die von 2000 bis 2014 an der Universität zu Köln den Lehrstuhl für Vergleichende Erziehungswissenschaft innehatte.
Aufbau
Der Sammelband umfasst neben der Einleitung 15 Aufsätze, die drei – dem Titel des Bandes entsprechenden – Themenbereichen zugeordnet sind:
- „Mehrsprachigkeit, Interkulturalität und Bildung“,
- „Diversität und Professionalität“ sowie
- „Internationalisierung, Hochschule und Erziehungswissenschaft“.
Nicht allein die gewählten inhaltlichen Schwerpunkte spiegeln die Interessens- und Arbeitsgebiete von Cristina Allemann-Ghionda wider, auch an der (institutionellen) Herkunft der Autor(inn)en lassen sich ihre Herkunft und Wirkungsstätten ablesen – Deutschland, Schweiz und Italien.
In der Einleitung skizziert das Herausgeberteam kurz den Hintergrund des Sammelbandes sowie dessen Aufbau und Inhalt.
Zu Teil 1
Die unter der Überschrift „Mehrsprachigkeit, Interkulturalität und Bildung“ im ersten Teil des Bandes versammelten Beiträge beschäftigen sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Frage der Förderung interkultureller Kompetenzen als Ziel interkultureller Bildung. In historischer Perspektive geht Rainer Wisbertt in seinem Artikel „Interkulturalität und Transkulturalität. Übersetzung und Bildung bei Johann Gottfried Herder“ der These nach, dass Herder „ein dynamisch föderalistisches Ordnungskonzept der Weltgemeinschaft [entwickelt habe]“ (S. 20), bei dem der Übersetzung eine bildende Bedeutung zukomme, insbesondere insofern sie die inter- und transkulturelle Bildung des Individuums sowie die Bildung der Menschheit insgesamt in inter- und transkultureller Hinsicht befördere.
Das Konzept der interkulturellen (kommunikativen) Kompetenzen steht im Zentrum des Beitrags von Agostino Portera mit dem Titel „Interkulturelle Kompetenzen und Mehrsprachigkeit für die globale Welt“. Er geht zunächst kursorisch auf die Bedeutung von Kultur sowie den Zusammenhang von Kultur und Sprache ein, wobei er die daraus folgenden Konsequenzen für zwischenmenschliche Kommunikation aufzeigt. Nach einer Diskussion der Konzepte der kommunikativen resp. der interkulturellen kommunikativen Kompetenzen zeigt er vor dem Hintergrund des europäischen Entwurfs interkultureller Pädagogik die Grenzen und Schwächen der zuvor genannten (nordamerikanischen) „Kommunikationsmodelle“ und Konzepte auf, die insbesondere in einem zugrunde liegenden statischen Kulturverständnis bestünden. Abschließend skizziert Portera die wesentlichen Charakteristiken seines Modells interkultureller (kommunikativer) Kompetenz, dem ein dynamisches Kulturverständnis zugrunde liege.
Der dritte Beitrag „Ritualisierte Mehrsprachigkeit und Umgang mit Schweizerdeutsch in vorschulischen Bildungseinrichtungen“ erlaubt einen Einblick in ein empirisches Forschungsprojekt. Argyro Panagiotopoulou und Edina Krompàk stellen erste Ergebnisse von MEMOS (Mehrsprachigkeit und Mobilität im Übergang Kindergarten in die Primarschule in der Schweiz) vor. MEMOS ist an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz angesiedelt und ist ein Folgeprojekt von HeLiE (Heterogenität und Literalität im Übergang vom Elementar- in den Primarbereich im europäischen Vergleich), das an der Universität zu Köln durchgeführt worden ist. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Fragen, „inwieweit und auf welche Weise […] eine gezielte Sprachtrennung im Alltag der Bildungseinrichtungen [Kindergarten, Schule, PK] praktiziert wird[,] und welche Bedeutung diese spezifische Sprachpraxis […] in der jeweiligen Einrichtung für Kinder mit Migrationshintergrund haben könnte“ (S. 53, Hervorhebung im Original). Anhand ausgewählter Daten einer ethnografischen Feldstudie in einem Deutschschweizer Kindergarten zeigen die Autorinnen, wie im Alltag mit der Mehrsprachigkeit der Kinder umgegangen wird. Deutlich und kritisch beleuchten sie die Exotisierung der „anderen“ Sprachen der Kinder, die aus einer – mit den Worten Abdallah-Pretceille (1999) – „pédagogie couscous“ folgt; ferner diskutieren sie die bewusste Trennung des Schweizer- und des „Hochdeutschen“. Erstere werde auf die Sprache der Nähe und Emotionalität in informellen Gesprächen reduziert, letztere als Sprache der Schule auf ihre institutionelle Funktion. Der Hintergrund für diese Trennung sei der immer noch wirksame Mythos, dass Kinder durch den Einsatz von mehr als einer Unterrichtssprache überfordert seien. Zugleich zeigen die Daten, dass diese Trennungen auch immer mit (Be-)Wertungen der Sprachen verbunden sind. Die Schlussfolgerung der Autorinnen: In dem von ihnen untersuchten Kindergarten werde kindliche Mehrsprachigkeit zwar didaktisch inszeniert, jedoch nicht „gelebt“; entsprechend sprechen sie von ritualisierter und nicht von gelebter Mehrsprachigkeit.
Georg Auernheimer setzt sich in seinem Aufsatz „Der Lehrer erzieht nicht nur, er selbst wird erzogen“ mit den Anforderungen auseinander, die an heutige Lehrkräfte gestellt werden. Er entwirft sein Bild des „guten Lehrers“. Lehrer(innen) – so Auernheimer in Anlehnung an Lanfranchi (2010) – müssten heutzutage nicht mehr allein „‚Fachleute für Lernen‘“ sondern auch „‚Fachleute für die Gestaltung von Begegnungen und Beziehungen‘“ sein (S. 72). Der Autor beschäftigt sich sowohl mit hieraus folgenden Anforderungen als auch mit der Frage, wie Lehrkräfte die notwendigen Kompetenzen erlernen können. In Bezug auf Letzteres misst Auernheimer der beruflichen Sozialisation eine größere Bedeutung bei als der universitären Lehrerbildung (inkl. der Pädagogischen Hochschulen); die jeweiligen institutionellen Strukturen würden jedoch darüber entscheiden, welche Orientierungen die Lehrerinnen und Lehrer letztendlich entwickeln. Auernheimer greift damit ein Thema auf, dass im Kern nicht neu ist, sondern Teil der Geschichte der Schule und seit Beginn des 20. Jahrhunderts insbesondere Gegenstand zahlreicher reformpädagogischer Konzepte, wenn auch nicht zwingend unter dem Terminus ‚Kompetenz‘.
Der erste Teil schließt mit einem Beitrag von Sarah Rühle zum Thema „Diversität, Interkulturalität und Multiperspektivität im Unterricht“, in dem die Autorin explizit an die von Allemann-Ghionda (1999) im Rahmen ihrer Habilitationsschrift „Schule, Bildung und Pluralität“ entwickelte „Bildungstheorie in sprachlich und soziokulturell heterogenen Verhältnissen“ anknüpft (S. 88). Nach einer Auseinandersetzung mit den Begriffen Kultur und Diversität, skizziert sie die pädagogischen Reaktionen auf Interkulturalität und Diversität sowie Kritik, die an der interkulturellen Pädagogik geübt wurde, wobei sie sich insbesondere mit der Arbeit von Gomolla und Radtke (2002) zur institutionellen Diskriminierung beschäftigt. Anschließend beleuchtet sie die Begriffe der interkulturellen sowie der Diversitätskompetenz, wobei sie auch auf die Schwierigkeiten von deren Messung bzw. der dafür notwendigen Operationalisierung eingeht. Abschließend stellt sie „[m]ethodisch-didaktische Überlegungen zur Kanongestaltung im Kontext von Diversität, Interkulturalität und Chancengleichheit“ (S. 101) an. Dabei stellt sie zum einen heraus, dass – um sich dem Ziel der Chancengleichheit zu nähern – neben einer Umgestaltung des Curriculums auf inhaltlicher Ebene insbesondere eine Veränderung auf struktureller Ebene notwendig sei. Zum anderen weist sie daraufhin, dass in einem multiperspektivischen Unterricht der Analyse bestehender Machtstrukturen eine zentrale Rolle zukomme.
Zu Teil 2
Die Beiträge im zweiten Themenblock „Diversität und Professionalität“ sind der Frage gewidmet, wie ein professioneller Umgang mit Diversität in verschiedenen Bildungsinstitutionen und pädagogischen Arbeitsfeldern gelingen kann, bzw. vor welche Herausforderungen sich Pädagog(inn)en in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern gestellt sehen. Die Hochschule ist eine der Institutionen, die hier in mehreren Beiträgen in den Blick genommen wird. So hat Doris Edelmann ihren Artikel unter die Frage gestellt, ob „Diversity-Management: ein Potenzial für die Lehrer/innenbildung im 21. Jahrhundert?“ darstellt. Bezugspunkt ihrer Antwort ist das empirische Forschungsprojekt DIVAL (Diversität angehender Lehrkräfte: Fokus Migration), das im Herbst 2013 an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen gestartet ist und im Rahmen dessen erkundet werden soll, ob und wie die migrationsbedingte Diversität der angehenden Lehrkräfte als Ressource genutzt werden kann – eine Fragestellung, die auch in Deutschland seit Mitte der 2000er Jahre im Zuge der zunächst politisch initiierten Förderung von Lehrkräften mit Migrationshintergrund diskutiert wird. DIVAL knüpft an die zu beobachtende zunehmende Etablierung von Diversity-Managementstrategien an tertiären Bildungseinrichtungen an. Der Vorstellung des Projekts geht eine Klärung der für den Beitrag zentralen Begriffe bzw. Konzepte „Diversität/Diversity“ und „Diversity-Management“ voraus. In Zusammenhang mit der Darstellung des Projekts und der gewählten methodischen Herangehensweise wird unter Verweis auf das „Modell der Dialektik der Differenz“ der unauflösbare „Widerspruch zwischen der Betonung und Nicht-Betonung von Unterschieden“ (S. 118) kurz diskutiert und die hierfür in DIVAL gefundene ‚Lösung‘ dargelegt. Als (vorläufige) Schlussfolgerung hält die Autorin fest, dass die konkrete Umsetzung des Diversity-Managements für die Lehrerbildung „ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit im Umgang mit Gleichheit und Differenz sowie umfassende Kenntnisse über Prozesse, die zum Abbau von Diskriminierung und zur Sicherstellung von Anerkennung beitragen“ (S. 121) erfordere – eine Schlussfolgerung, mit der die Verfasserin das aufgreift, was seit Ende der 1990er Jahre in der sich kritisch verstehenden Interkulturellen Bildung diskutiert wird.
Im nächsten Beitrag von Daniel Tischmeyer, Anna Mashkovskaya und Dirk Scholten-Akoun steht ebenfalls eine empirische Studie im Mittelpunkt, mit der zwei Ziele verfolgt wurden: eine Grundlage für empirisch fundierte Aussagen über die Sprachkompetenzen von Studierenden zu schaffen, und mit Blick auf Angebote der Sprachberatung und der Entwicklung (individueller) Fördermöglichkeiten herauszufinden, welche sprachlichen Teilleistungen besonders defizitär sind. Nach einer Beschreibung der zugrunde liegenden Stichprobe und des Untersuchungsdesigns stellen die Autor(inn)en die Entwicklung des eingesetzten C-Tests sowie einer Lese-/Schreibaufgabe zur Erhebung des Sprachstands und des Textverständnisses von Studierenden mit und ohne Migrationshintergrund dar. Dabei haben sie „Migrationshintergrund“ jedoch nicht über die Herkunft der Studierenden und/oder ihrer Eltern operationalisiert (bspw. über den Geburtsort), sondern über den Sprachgebrauch in der Familie, scheinbar ohne die Hintergründe hierfür mitzuerfassen. Ihre Entscheidung begründen sie damit, dass mit Blick auf die Untersuchung der Sprachkompetenz der Studierenden der familiale Sprachgebrauch als möglicher Einflussfaktor interessiere. Insgesamt zeigen die präsentierten Ergebnisse deutliche Schwächen der untersuchten nordrhein-westfälischen Studierenden (N = 2.891, 3 Universitäten) in Bezug auf das Textverständnis (Lese-/Schreibaufgabe) sowie ihre sprachlichen Kompetenzen (C-Test, Lese-/Schreibaufgabe); hierbei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Studierenden mit und ohne „Migrationshintergrund“, wobei erstere schlechter abschnitten. Im Anschluss an die Ergebnisdarstellung zeigen die Autor(inn)en die aus diesen Befunden folgenden Konsequenzen für den Lehrbetrieb der Hochschulen sowie weitere Forschungsdesiderata auf.
Mit dem HAVAS 5 (Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstandes Fünfjähriger) stellt Hans-Joachim Roth in seinem Beitrag „HAVAS 5. Diagnostik von Sprachkompetenzen im Vor- und Grundschulalter bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund“ ein Instrument vor, an dessen Entwicklung er im Rahmen des Modellprogramms „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ (Förmig) beteiligt war. Nach seinem einleitenden Rückblick auf die Entwicklung von Verfahren zur Sprachstandsdiagnostik in Deutschland geht er im Folgenden auf die Entwicklung und Verwendung des HAVAS 5 ein. Dabei verdeutlicht er seine Ausführungen anhand zweier Beispiele aus dem Material des Pretests. Im Anschluss geht er auf die wissenschaftliche Überprüfung des Instruments sowie auf die an diesem geübte Kritik ein. Er schließt seinen Beitrag mit Beispielen positiver Rückmeldungen aus der Praxis, die zeigen, dass der Umgang mit dem HAVAS 5 „einen diagnostischen Blick für die kindliche Sprache in der Entwicklung“ (S. 181) zu erzeugen vermag.
In den beiden letzten Aufsätzen des zweiten Themenblocks geht es unter der Frage nach dem Umgang mit Diversität in zwei andere Arbeitsfelder: in die hochschulmedizinische Ausbildung sowie die Soziale Arbeit. Die Autor(inn)en des Beitrags „Medizin und Diversität“, Houda Hallal und Stefan Herzig, begründen die Relevanz des Themas mit dem Hinweis auf die demografischen Entwicklungen sowie den Internationalisierungsbestrebungen des medizinischen Forschungs- und Ausbildungsstandorts Deutschland. Mit ihrem Blick in den medizinischen Alltag auf die Interaktion der Mediziner(innen) mit den „fremden Patienten“ (S. 188, Hervorhebung im Original) verdeutlichen die Verfasser(innen) die sich hieraus ergebenden Anforderungen an die medizinische Ausbildung. Mit Hilfe eines Vergleichs der Curricula in unterschiedlichen Ländern zeigen sie die Perspektive für entsprechende Entwicklungen in Deutschland auf. Insgesamt plädieren sie für einen wissenschaftlichen Diskurs zu Medizin und Diversität sowie für die Entwicklung eines entsprechenden eigenständigen Forschungsfeldes.
„Differenzen kritisch hinterfragen, Diversität reflexiv gestalten“ ist der Artikel von Annette Müller überschrieben, in dem sie das zentrale Dilemma der Sozialen Arbeit in Zusammenhang mit Differenzen und Diversität darstellt und diskutiert: die gleichzeitige Beteiligung an der Konstruktion und Dekonstruktion von Differenzen, ein Dilemma, das in anderem Zusammenhang auch im Beitrag von Edelmann diskutiert wird (siehe oben). Mit Bezug auf die Kritische Soziale Arbeit entwirft Müller ein Modell, das der Analyse der Entstehung und Manifestation von Differenzen dienen kann sowie der Förderung einer „egalitären Diversität“. An einem Fallbeispiel aus einem empirischen Forschungsprojekt zur „Prävention und Intervention bei Partnergewalt gegen Frauen im Migrationskontext“ verdeutlicht sie ihre theoretischen Überlegungen. In ihren Analysen zeigt sie, wie Differenzzuschreibungen dazu genutzt werden können, Personen zu Opfern zu machen, wie sie aber auch konstruktiv genutzt werden können. Es gelte, Differenzen kritisch zu hinterfragen und zu prüfen.
Zu Teil 3
Die dem dritten und letzten Themenbereich „Internationalisierung, Hochschule und Erziehungswissenschaft“ zugeordneten Beiträge befassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Internationalisierung von Forschung und Hochschule und den damit verbundenen (pädagogischen) Herausforderungen. Unter dem Titel „Der methodologische Nationalismus und Kulturalismus in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft“ geht Christel Adick der Frage nach der Relevanz der Kategorien „Nation“ (Nationalstaaten, Länder) und „Kultur/en“ in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft nach und identifiziert dabei drei verschiedene Umgangsweisen mit den genannten Kategorien:
- in „Klassikern“ der Vergleichenden Erziehungswissenschaft (u. a. Schneider), die von einem engen „Zusammenhang von Erziehung und Bildung mit dem jeweiligen ‚Nationalcharakter‘“ (S. 231) ausgingen;
- in aufwendigen Forschungsdesigns, die verschiedene Ebenen berücksichtigen;
- und im Zusammenhang mit den Konzepten transnationaler Bildungsräume und transkultureller Identitäten, wobei diese Adick zufolge eine Abkehr vom methodologischen Nationalismus und Kulturalismus ermöglichen.
Ihre Überlegungen integriert sie anschließend in ein Würfelmodell der „Methodologischen Dimensionen der International und Interkulturell Vergleichenden Erziehungswissenschaft“ (S. 238). In ihrem Fazit stellt die Autorin abschließend noch einmal heraus, dass eine Abkehr vom methodologischen Nationalismus und Kulturalismus nicht bedeute, dass die nationalstaatliche Vergleichsebene sowie kulturelle Zugehörigkeiten ihre Bedeutung für Forschung und pädagogisches Handeln verloren hätten.
Marcelo Caruso analysiert in seinem historisch-vergleichenden Beitrag „Weltweiten Enthusiasmus aufbauen. ‚Typisierte Akteure‘ in der transkontinentalen Verbreitung des wechselseitigen Unterrichts am Anfang des 19. Jahrhunderts“ sechs Berichte der erfolgreichen Verbreitung des wechselseitigen Unterrichts. Unter Bezug auf Strang und Meyer (1993) arbeitet er zum einen eine Form der „Theoretisierung“ der Methode heraus, bei der sich zur Demonstration der erfolgreichen Verbreitung des wechselseitigen Unterrichts auf bestimmte Typen von Anwendern derselben gestützt wird. Infolge der Vernachlässigung örtlicher und struktureller Gegebenheiten komme es dabei auf der einen Seite zu einer „abstrahierende[n] ‚Theoretisierung von Inhalten‘“ (S. 260) und auf der anderen Seite durch die „Theoretisierung der Akteure“ zu einer simulierten Konkretheit.
Im folgenden Beitrag setzt sich Sandra Bohlinger mit dem aktuellen Stand der Internationalisierung der deutschen Berufsbildungsforschung sowie deren Perspektiven auseinander. Nach einer Klärung der beiden zentralen Begriffe „Internationalisierung“ und „Berufsbildungsforschung“ zeigt sie den aktuellen Stand in Bezug auf vier Aspekte auf:
- Sprache,
- Internationalisierung der Studiengänge und
- inhaltliche Orientierung der Berufsbildungsforschung sowohl im Hinblick auf Einflüsse, die außerhalb der nationalen beruflichen Bildung(sforschung) liegen und auf diese wirken
- als auch in Bezug auf die Wirkung der nationalen beruflichen Bildung auf andere Berufsbildungssysteme (vgl. S. 273).
Resümierend hält sie fest, dass die Europäische Integration zwar zu einer Verstärkung des Internationalisierungsprozesses der Teildisziplin „Berufliche Bildung“ geführt habe, aber immer noch erheblicher (Nachhol-)Bedarf an Rezeption und Forschung bestehe, insbesondere in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der nicht-deutschsprachigen Forschung.
Der einzige englischsprachige Beitrag der Festschrift stammt von Keiko Kishida. Er vergleicht in seinem Artikel „Grade Promotion Policies and Societal Contexts“ die Versetzungsregelungen in Finnland und Japan. Gemeinsam sei beiden Ländern, dass es ihnen laut OECD gelinge, den Einfluss der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler – zumindest statistisch – zu kompensieren. Im Gegensatz zu Deutschland zeichneten sich Finnland und Japan durch geringe bis keine Klassenwiederholungsraten aus, ein Faktor, der bei den internationalen Schulleistungsstudien als Erfolg gewertet werde. Doch bei genauerer Betrachtung der gesellschaftlichen Bedingungen in den beiden Ländern zeige sich zugleich, dass dies kein Indikator für problemlos verlaufende Schulkarrieren sei. So wachse beispielsweise in Japan der Markt für Nachhilfe, und insofern die damit verbundenen Kosten von den Eltern aufgebracht werden müssten, verstärke dies potentiell die soziale Ungleichheit. Die Reduzierung der Wiederholungsrate allein sei somit nicht der Schlüssel zur Bildungsgleichheit; für Letzteres gelte es vielmehr, die jeweiligen strukturellen Gegebenheiten in den Blick zu nehmen.
Der letzte Beitrag des Bandes trägt den Titel „Reflektierter Euro- und Okzidentozentrismus“. Der Autor, Phillip D. Th. Knobloch, hat vier ‚westliche Theorien‘, die alle einen pluralistischen Bildungsbegriff beinhalten (Allemann-Ghionda, Habermas, Koller, Todorov), aber unterschiedlichen Diskursen und Disziplinen zuzuordnen sind, ausgewählt und untersucht sie im Hinblick auf ihre grundlegenden Prinzipien und Gemeinsamkeiten. ‚Westlich‘ insofern als sie sich laut Knobloch als westlich geprägte Weltkultur im Sinne J. W. Meyers interpretieren lassen. Da Meyers Theorie eine eurozentrische Perspektive vorgeworfen worden ist, stellt sich der Verfasser die Frage, ob die von ihm ausgewählten Theorien dem eigenen Anspruch, nicht-westliche pluralistische Perspektiven anzuerkennen und wertzuschätzen, gerecht werden. Aufgrund der Auseinandersetzung mit zwei lateinamerikanischen Theorien der Transmoderne (Dussel) bzw. der Dekolonisierung (Mignolo) kommt er abschließend zu dem Schluss, dass dieser Anspruch vor dem Hintergrund globaler Pluralität nur mit Hilfe einer reflektierten Verortung der euro- und okzidentozentrischen Ansichten möglich sei.
Fazit
Die in diesem Band zusammengefassten Aufsätze verschaffen einen Eindruck von der Bandbreite an Themen, die sich unter den Schlagworten Mehrsprachigkeit, Diversität und Internationalität vereinen und die einen Bezug zur Arbeit von Cristiana Allemann-Ghionda haben. Den Herausgeber(inne)n ist es gelungen, Beiträge aus verschiedenen disziplinären Perspektiven einzuwerben, die die titelgebenden Begriffe historisch oder vergleichend, empirisch wie theoretisch aufgreifen. Diese Diversität und „fachliche Mehrsprachigkeit“, die eine derartige Festschrift mit sich bringt, ist auf der einen Seite gewinnbringend, insofern sie nicht nur für Erziehungswissenschaftler(innen) Impulse liefert, sondern auch für Psycholog(inn)en, Sprachwissenschaftler(innen) und Sozialwissenschaftler(innen). Auf der anderen Seite hat man das Problem der Passung einzelner Beiträge. Insgesamt ist das Buch Vertreter(inne)n verschiedener Fachrichtungen zu empfehlen, die sich mit den Themen Mehrsprachigkeit, Diversität und/oder Internationalität beschäftigen. Zu empfehlen ist dabei eine aufmerksame Lektüre, die auch die sicherlich diskussionswürdigen, strittigen Aspekte, Aussagen und Schlussfolgerungen in einzelnen Beiträgen entdecken lässt.
Verwendete Literatur
- Abdallah-Pretceille, M. (1999). L´éducation interculturelle. Paris: Presses Universitaires de France.
- Gomolla, M. & Radtke, F.-O. (2002). Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Opladen: Leske + Budrich.
- Lanfranchi, A. (2010). Interkulturelle Kompetenz als Element pädagogischer Professionalität – Schlussfolgerungen für die Lehrerausbildung. In G. Auernheimer (Hrsg.), Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität (S. 231-260). Wiesbaden: VS Verlag.
- Strang, D. & Meyer, J. W. (1993). Instutional Conditions for Diffusion. Theory and Society, 22(4), S. 487-511.
Rezension von
Dr. Paula Krüger
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