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Marcus Kröckel: Gewalt und Delinquenz männlicher Jugendlicher [...]

Rezensiert von Dr. Sven Werner, 02.02.2015

Cover Marcus Kröckel: Gewalt und Delinquenz männlicher Jugendlicher [...] ISBN 978-3-8300-7969-9

Marcus Kröckel: Gewalt und Delinquenz männlicher Jugendlicher im Fokus von Prävention und Intervention. Erstauffälligkeit – strafrechtliche Reaktion – Nachbetreuung. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2014. 244 Seiten. ISBN 978-3-8300-7969-9. D: 85,80 EUR, A: 88,30 EUR, CH: 115,00 sFr.

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Thema

Marcus Kröckel gibt in seiner Dissertation einen Abriss über die Problematik der Jugendgewalt – speziell die Gewalt männlicher Jugendlicher – in Deutschland und formuliert nach einem Überblick über Ursachen und Präventionsansätze mit dem Drei-Phasen-Präventions-Modell einen neuen Ansatz der Ursachenklärung, Prävention und ggf. Nachsorge im Zusammenhang mit dem Gewalthandeln männlicher Jugendlicher.

Aufbau

Gegliedert ist die Arbeit nach einer Einleitung in vier Kapitel, in denen folgende Themen behandelt werden:

  • „Begrifflichkeiten, Definitionen und Fakten“ (15 Textseiten),
  • „Ursachen gewalttätigen Verhaltens“ (47 Textseiten),
  • „Prävention/Intervention – der Umgang mit gewalttätigen Jugendlichen“ (93 Textseiten) und
  • das „Drei-Phasen-Präventionsmodell zum Umgang mit jugendlichen Gewalttätern“ (22 Textseiten) behandelt werden.

Eine Zusammenfassung mit Ausblick beschließt die Arbeit Kröckels und sichert die gewonnenen Befunde. Das Literaturverzeichnis bietet – getrennt nach Print- und Onlinequellen – größtenteils neue Quellen und erlaubt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung.

Inhalt

In der Einleitung seiner Dissertation „Gewalt und Delinquenz männlicher Jugendlicher im Fokus von Prävention und Intervention. Erstauffälligkeit-Strafrechtliche Reaktion-Nachbetreuung“ macht Marcus Kröckel auf die Problematik jugendlicher Mehrfachgewalttäter aufmerksam und referiert aktuelle Vorkommnisse, die nicht nur die zunehmende Brutalität vieler Taten erkennen lassen, sondern auch Anlass zu der Vermutung geben, dass sich die Gewaltdynamik nach einer Verurteilung oder Inhaftierung der Täter nicht wesentlich abschwächt. Nach Ansicht des Verfassers haben Studien im Segment der Gewaltforschung noch „kaum zu Erkenntnisfortschritten in der Erklärung des Phänomens geführt“ (S. 12), doch ist seines Erachtens „[e]ine dezidierte und disziplinübergreifende Analyse von Risiko- und Schutzfaktoren gewalttätigen Verhaltens […] notwendig, um geeignete Präventionsmaßnahmen zu konzipieren bzw. im Jugendstrafvollzug und nach der Haftentlassung entsprechende Schritte und Maßnahmen einzuleiten, die auf die zugrundeliegende (Gewalt-)Problematik zugeschnitten sind“ (S. 12). In Verbindung mit einer kritischen Reflexion der in den letzten Jahren entwickelten Präventionsmaßnahmen und -programme will der Verfasser in seiner Dissertationsschrift „ermitteln, was männliche Jugendliche zu Gewalthandlungen bewegt, warum dieses Verhalten trotz verschiedener Präventionsmaßnahmen anhält, im Jugendstrafvollzug weiter in Erscheinung tritt, sich auch im Anschluss an eine Haftstrafe weiter fortsetzt und was getan werden kann, um diesen Kreislauf zu durchbrechen“ (S. 12). Über die eben angesprochene Problematik hinaus beabsichtigt Marcus Kröckel, in dem besprochenen Band u. a. folgende Leitfragen zu beantworten:

  • „Welche lebensweltlichen Erfahrungen führen zu gewalttätigem Verhalten und aus welchem Grund hält dieses an?“,
  • „Warum versagen viele präventive Maßnahmen, die einer Jugendstrafe vorausgehen?“,
  • „Was kann präventiv getan werden, um gewalttätigem Verhalten vorzubeugen und es dauerhaft zu beseitigen?“ oder
  • „Welche Maßnahmen werden nach dem Vollzug initiiert und inwieweit sind diese in Anlehnung an die Erkenntnisse erfolgversprechend?“ (S. 13).

Nach einer Bestimmung von „Jugend“, für die Kröckel eine Altersspanne zwischen 12 und 25 Jahren veranschlagt, und nach der unter Rekurs auf Kirsten Heisig (2010) geäußerten Skepsis bezüglich des empirisch bestimmten Rückgangs der Jugendgewalt, bietet der Verfasser unterschiedliche Gewaltformen und -begriffe, die er als relevant für die Bestimmung von Jugendgewalt erachtet. Gefolgt werden diese Ausführungen von Abschnitten zu Ursachentheorien von Aggressivität unter Berücksichtigung von Ambivalenzen und Loyalitätskonflikten, in welche die männlichen Jugendlichen durch das Changieren zwischen Schule, Elternhaus, Partnerschaft und peer group u. U. eintreten. Auf einen Abriss zu Ursachentheorien aggressiven Verhaltens aus soziologischer Perspektive in Kap. 3.2, folgt ein Überblick über integrative Ansätze und ein ökologisches Erklärungsmodell von Gewaltursachen (vgl. S. 70f.).

Daran schließend werden in der Einleitung zu Kapitel 4 mit der Definition von „Prävention“ und „Intervention“ die zwei Kernkonzepte der Arbeit in den Blick genommen. Der vierte Abschnitt ist der gewichtigste Teil der Arbeit und bietet eine Fülle von Informationen und Stellungnahmen des Verfassers, welcher bspw. im Abschnitt 4.1.1.3 auch andeutet, dass Gewaltprävention ein Sektor ist, in dem finanzielle Aufwendungen eine wichtige Rolle spielen (vgl. S. 85). Im Abschnitt 4.1.2.3 referiert Kröckel Möglichkeiten der Hilfen zur Erziehung, wobei er den Bezug zum Drei-Phasen-Präventions-Modell herstellt und ab S. 97f. im Zusammenhang mit der Einbeziehung von Peergroups auch Effekte des Medien- und Internetverhaltens in den Blick nimmt. Auf einen kurzen Abschnitt über „Die Regeln des Sports“ – hierbei werden vorrangig positive Aspekte sportlicher Betätigung namhaft gemacht, gleichwohl aber auch die Grenzbereiche in Körperfixierung, Doping oder Fanszenen gezeigt – folgen im Zusammenhang mit Gewaltprävention als kommunaler Aufgabe Einzelheiten zum „Communities That Care“ Ansatz.

Daran anschließend wird die Expertise von Staatsanwälten und Richter in Jugendstrafprozessen problematisiert, wonach der Autor Maßnahmen im Umgang mit den jugendlichen Delinquenten vorgestellt, und hierbei v. a. im Absatz über Diversion und im Abschnitt 4.1.3.3.5 mit dem Titel „Im Bermuda-Dreieck von Polizei, Justiz und Jugendhilfe“ (S. 124) den Eindruck erweckt, dass er die fachliche Expertise im Umgang mit jugendlichen Gewalttätern hauptsächlich in der Jugendhilfe und in weit geringerem Maße im Gerichtswesen und im Jugendstrafvollzug verortet. Nachdem Marcus Kröckel Vorschläge zur Ausgestaltung der gravierendsten Maßnahme – des Jugendarrestes – unterbreitet hat, reflektiert der Autor über die problematische Fortsetzung der Gewaltkarriere zum Gefängnis im Gefängnis. Begünstigend hierfür werden neben persönlichen Dispositionen und psychischen Beeinträchtigungen (vgl. S. 140f.) auch volle bzw. überbelegte Zellen, Stress und vollzugsinterne Subkulturen mit einer Bonifizierung von Gewalt bei gleichzeitiger Abspaltung von Passivität und Schwäche aufgeführt. Zu den gewalttätigen Subkulturen als sozialer „Beziehungsersatz“ komme zudem oft noch ein Wegbrechen der bisherigen Kontakte, welches die Problematik zusätzlich verschärfe.

Im Abschnitt 4.3.5 gibt der Verfasser schließlich Einzelheiten zur Diagnostik psychischer Störungen wie ADHS, gefolgt von einer Diskussion von „Maßnahmen […] die als Alternative bzw. Ergänzung zum Regelvollzug angelegt sind“ (S. 157), wie der offene Vollzug oder das Projekt „Chance“ im Abschnitt 4.4.

Im Abschnitt 4.5 geht Marcus Kröckel auf den Zusammenhang zwischen Rückfallraten und Entlassungsvorbereitungsmaßnahmen ein, wobei er im Zusammenhang mit der Resozialisierung jugendlicher Straftäter mit Klug (2008) konstatiert, dass hinsichtlich der „Verzahnung und Kooperation der mit der Inhaftierung und Entlassung befassten Institutionen“ (S. 165) noch erheblicher Nachholbedarf bestehe. Hierfür kann der Verfasser z. B. anhand von Daten zu Rückfallquoten in Baden-Württemberg Belege liefern und auch den Bezug zum Drei-Phasen-Präventions-Modell aufzeigen, welches er vor dem Hintergrund eines gelingenden Übergangs aus dem Vollzug in die Resozialisierung als geeignete Strategie des Aufbaus stabiler sozialer Beziehungen und einer deliktfreien Alltagsbewältigung einschätzt.

Ab S. 170 wird das Drei-Phasen-Präventions-Modell, bestehend aus Pre-Prisonärer Phase, Prisonärer Phase und Post-Prisonärer Phase, auf über 20 Textseiten vorgestellt. Dieser Abschnitt bildet den konzeptionellen Kern von Kröckels Monografie und bietet nicht nur Informationen zu konkreten Elementen des DPPM wie Risiko- und Schutzfaktoren oder Wohn- und Bildungsarrangements für die Zeit nach der Haftentlassung, sondern auch Erwägungen und kritische Bezugnahmen, sowie Querverweise auf Themen aus dem dritten und vierten Kapitel des Bandes. Im Gegensatz zu den Teilen im dritten und vierten Abschnitt wird das DPPM in drei verhältnismäßig längeren und damit auch detaillierteren Unterpunkten (zum schon erwähnten pre-prisonären, prisonären und post-prisonären Stadium) abgehandelt.

Am Ende seiner Arbeit gibt der Verfasser schließlich im Abschnitt „Zusammenfassung und Ausblick“ noch einen resümierenden Abriss der Jugendgewaltproblematik i. V. m. seiner Einschätzung, „dass sowohl im schulischen Bereich als auch auf kommunaler Ebene ein erheblicher Anteil an Präventionspotenzialen ungenutzt bleibt“ (S. 193). In dieser Schwäche der Präventionsarbeit und -wirksamkeit sowie in einem problematischen Stellenschlüssel sieht Marcus Kröckel wichtige Ursachen der hohen Rückfallquote von deutlich über 50 % im Spektrum jugendlicher Gewalttäter. Die Wichtigkeit der Nachsorge für entlassene Gewalttäter belegt der Autor u. a. mit Hinweisen auf das CHANCE-Projekt und er sieht im von ihm formulierten Drei-Phasen-Präventions-Modell einen wichtigen und wirkungsvollen Ansatz sowohl der Erklärung als auch der Prävention jugendlicher Gewalthandlungen, wobei der Verfasser einräumt, dass das DPPM „im Falle einer Praxiserprobung der Evaluation bedarf, um gegebenenfalls Anpassungen an sozialräumliche Gegebenheiten und kommunale Haushalte vorzunehmen“ (S. 195).

Diskussion

Marcus Kröckels Band bietet eine Materialfülle, die in den vielen Abschnitten naturgemäß nur kurz abgehandelt werden kann, so dass die Leserin bzw. der Leser nicht umhin kommt, ergänzende eigene Recherchen zu einzelnen ausgewählten Aspekten anzustellen. Dieser Umstand ist nicht kritikwürdig, wird doch eine Qualifikationsarbeit vorgelegt, die nicht mit dem Anspruch einer Einführung in das Thema antritt. Unklar bleiben jedoch nach der Lektüre die tatsächlichen Prämissen der Auswahl und Präsentation des Materials. Dass der Verfasser im Hinblick auf die Thematik der Prävention von und der Intervention nach jugendlichen Gewalthandlungen nicht den Aspekt der Gewaltprävention in Gemeinden und generell in weltanschaulichen oder religiösen Vereinigungen mitgedacht hat, ist sicher das Ergebnis einer Konzentration auf das professionelle Hilfe- und Sanktionssystem, doch bleibt nach der Lektüre des Bandes der Eindruck, dass mit dem auf S. 14 geschilderten methodischen Anspruch, „eine[] grundlegende[] Auseinandersetzung mit der Vielzahl von Erklärungen und Präventionsansätzen [zu leisten, S.W.], um zu prüfen, inwieweit sie jeweils gesicherte Erkenntnisse bieten bzw. der Ergänzung bedürfen“ (ebd.) ein sehr ambitioniertes Programm aufgelegt – und nicht vollständig eingelöst wurde.

Immerhin sollten „im Sinne einer Synopsis, die sich auf der Metaebene vollzieht, alle wesentlichen vorliegenden statistischen, theoretischen und empirischen Erkenntnisse zum Gewaltverhalten Jugendlicher und insbesondere dem persistenten Gewaltverhalten männlicher Jugendlicher sowie den derzeitigen Präventions- und Interventionsmaßnahmen vor, während und nach dem Jugendstrafvollzug diskutiert werden“ (S. 14).

Der Verfasser referiert sehr wohl wichtige Sekundärquellen, hinter denen er z. T. etwas zurück tritt. Wo er deutlich eigene Positionen formuliert, gerät er nach Ansicht des Rezensenten in Gefahr, den Jugendstrafvollzug über die Grenzen seiner Möglichkeiten hinaus zu „überladen“ und seine kritischen Einlassungen in eine Argumentation contra Jugendstrafvollzug zu bündeln (z. B. beim Thema Drogengebrauch in Abschnitt 4.3.4). Zwischen Jugendhilfe und den an den Verfahren beteiligten Richtern und Staatsanwälten wird ein Gegensatz konstruiert (vgl. S. 176) und Kröckels Ansatz erweckt z. T. den Eindruck eines „mehr desselben“, ohne dass hinsichtlich einer erheblichen Verstärkung des Präventions- und Interventionsapparates mitgedacht wird, dass eine derartige Vergrößerung des Heilmittels mittelbar auch das Übel forcieren könnte, dem es eigentlich beikommen soll. Die Überschriften im vierten Kapitel sind nicht immer glücklich gewählt und zur besseren Lesefreundlichkeit für studentische Leserinnen und Leser hätte sich die Vermeidung von zu vielen Fachbegriffen („prisonäre Phase“, „justiziables System“, „juvenile Gewalttäter“) angeboten.

Fazit

Mit dem besprochenen Band wird ein guter Überblick und eine interessante Informationssammlung geboten. Dennoch kommt aus den o. g. Gründen das Plädoyer für neue Zugänge in der Präventions- und Interventionsarbeit nicht uneingeschränkt zum Tragen. Da der Rezensent viele der Befunde des Verfassers – z. B. das Schlussplädoyer „dass Gewalt im Leben von Jugendlichen auch weiter omnipräsent sein wird und juvenile Gewalttäter ihr Verhalten nicht ändern werden, sofern die derzeitige Präventionspraxis keine Korrektur erfährt“ (S. 195) in ihrer Absolutheit nicht nachvollziehen kann, wird auch im Hinblick auf den nicht unerheblichen Preis des Bandes auf eine positive oder negative Bewertung verzichtet.

Rezension von
Dr. Sven Werner
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Zitiervorschlag
Sven Werner. Rezension vom 02.02.2015 zu: Marcus Kröckel: Gewalt und Delinquenz männlicher Jugendlicher im Fokus von Prävention und Intervention. Erstauffälligkeit – strafrechtliche Reaktion – Nachbetreuung. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2014. ISBN 978-3-8300-7969-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17478.php, Datum des Zugriffs 08.10.2024.


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