Anja Novoszel: Wichtige Ressourcensysteme jugendlicher Mädchen einer krebskranken Mutter
Rezensiert von Dr. rer. medic. Jennifer Apolinário-Hagen, 29.02.2016

Anja Novoszel: Wichtige Ressourcensysteme jugendlicher Mädchen einer krebskranken Mutter. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2014. 322 Seiten. ISBN 978-3-8300-7599-8. D: 99,80 EUR, A: 102,60 EUR, CH: 135,00 sFr.
Thema
Das Buch „Wichtige Ressourcensysteme jugendlicher Mädchen einer krebskranken Mutter“ befasst sich mit der empirischen Untersuchung von psychosozialen Unterstützungsquellen zur Bewältigung von mit der lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehenden Belastungen und mit ressourcenorientierten Interventionsmöglichkeiten zur Verminderung von damit verbundenen Risiken für die Entwicklung von psychischer Gesundheit in der Adoleszenz.
Autorin und Entstehungshintergrund
Das Buch ist von der Diplom-Psychologin und Systemischen (Familien-)Therapeutin Dr. Anja Novoszel (geb. Köhler) verfasst worden. Es handelt sich um Novoszels Dissertation am Fachbereich Bildungswissenschaften an der Universität Koblenz-Landau. Die darin beschriebene Studie wurde im Rahmen des „STARK“-Projekts durchgeführt (vgl. www.stark-projekt.de).
Aufbau und Inhalt
Das Buch bzw. die Dissertationsschrift „Wichtige Ressourcensysteme jugendlicher Mädchen einer krebskranken Mutter“ gliedert sich in eine
- Zusammenfassung (S. 13-14),
- Einleitung (S. 15-16) und in die Kapitel
- Theorie (S. 17-83),
- Fragestellungen und Hypothesen (S. 121-134),
- Methode (S. 167-224),
- Ergebnisse (S. 167-224),
- Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse (S. 225-272) sowie
- praktische Implikationen und Ausblick (S. 275-282).
Zum 1. Kapitel: „Theorie“ (S. 17-83)
Zur Einführung in den theoretischen Hintergrund und Herleitung der Fragestellungen der Studie fasst Anja Novoszel zunächst grundlegende Konzepte der Entwicklungspsychologie zur Entwicklungsphase des Jugendalters (S. 18-24), familienpsychologische Aspekte (S. 25-36) wie auch Befunde zu den Auswirkungen kritischer Lebensereignisse in der Adoleszenz (S. 37-51) zusammen. Darauf aufbauend erörtert die Autorin die Studienlage zu den Auswirkungen einer elterlichen Krebserkrankung in der Adoleszenz (S. 52-83). Basierend auf dem aktuellen Forschungsstand stellt die Autorin fest, dass es sich bei jugendlichen Töchtern krebskranker Mütter -verglichen mit jugendlichen betroffenen Söhnen und Kindern chronisch kranker Eltern- um eine im hohem Maße unterstützungsbedürftige Risikogruppe handelt. Darauffolgend erläutert die Autorin ein komplexes Wechselwirkungsmodell mit moderierenden Faktoren, das die identifizierten Zusammenhänge zwischen krankheitsbezogenen Risikovariablen und psychopathologischen Auffälligkeiten bei betroffenen Mädchen illustriert (S. 81-83). Im letzten Abschnitt des erstem Kapitels beschreibt die Autorin wichtige soziale Netzwerke und Aspekte sozialer Unterstützung für jugendliche Mädchen mit krebserkrankten Müttern (S. 84-120). Vor diesem Hintergrund gibt die Autorin einen Überblick zu den zentralen Begriffen sowie Methoden der Netzwerk- und Unterstützungsarbeit (S. 84-95), zu sozialen Systemen (S. 96-102) und Unterstützungsnetzwerken jugendlicher Mädchen (S. 103-120), die als bedeutsame Ressourcen zur angemessenen Bewältigung des erhöhten Belastungsniveaus im Kontext der mütterlichen Krebserkrankung fungieren und so das Risiko der Entwicklung von psychischen Störungen reduzieren können.
Zum 2. Kapitel: Fragestellungen und Hypothesen (S. 121-134)
Als Resultat der eingangs erläuterten theoretischen Grundlagen leitet Novoszel den Untersuchungsgegenstand für das daraus entwickelte Forschungsprojekt ab. Dieser umfasst die mit der Studie zu klärendenden Fragestellungen (S. 121-122) und Hypothesen zum Zusammenhang zwischen einer mütterlichen Krebserkrankung und den psychischen Belastungen der betroffenen jugendlichen Töchter (S. 123-125), entwicklungspsychologische- und familienpsychologische Faktoren (S. 126-129) sowie Aspekte sozialer Netzwerke und sozialer Unterstützungsmöglichkeiten jugendlicher Mädchen mit einer krebskranken Mutter (S. 130-134).
Zum 3. Kapitel: Methoden (S. 135-143)
Im dritten Kapitel stellt die Autorin ein der Stidoe zugrunde liegende Mixed-Methods-Forschungsdesign (S. 135-137), die Stichprobe (S. 138-143), eingesetzte qualitative und quantitative Untersuchungsverfahren (S. 144-155) sowie das Auswertungsprocedere (S. 156-166) vor.
Zum 4. Kapitel: Ergebnisse (S. 167-224)
Das vierte Kapitel befasst sich mit der Darstellung der Ergebnisse zu den qualitativen und quantitativen Analysen im Rahmen der durchgeführten Studie. Bei den quantitativen Analysen (S. 167-198) berichtet die Autorin die ermittelten Befunde zum untersuchten Zusammenhang einer mütterlichen Krebserkrankung und den psychischen Belastungen betroffener jugendlicher Töchter (S. 167-180), Entwicklungs- und familienpsychologische Veränderungen (S. 181-186) sowie Ergebnisse zu den bestehenden sozialen Netzwerken und zur wahrgenommenen sozialen Unterstützung betroffener jugendlicher Mädchen (S. 187-198). Im Rahmen des Abschnitts zu den qualitativen Analysen (S. 199-224) werden die Ergebnisse zu den Hauptkategorien „linked lives“ (S. 199-200), Unterstützungsleistungen der Ressourcennetzwerke (S. 201-210), fehlende Unterstützungsleistungen der Ressourcennetzwerke (S. 211-213), Unterstützungswünsche an die Ressourcensysteme betroffener Mädchen (S. 214-218), wahrgenommene Beziehungsveränderungen betroffener Mädchen zu Personen aus den Ressourcensystemen (S. 219-221) und Veränderungen der persönlichen Lebensumstände betroffener Mädchen durch die Krebserkrankung der Mutter (S. 222-224) präsentiert.
Zum 5. Kapitel: Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse (S. 225-272)
Im fünften Kapitel fasst die Autorin die wesentlichen Befunde der Studie zusammen und ordnet sie in den aktuellen Forschungsstand ein. Anschließend diskutiert sie die Studienergebnisse differenziert nach dem Schwerpunkt der jeweiligen Fragestellung oder Hypothese. Bezogen auf psychische Auffälligkeiten jugendlicher Mädchen mit einer krebskranken Mutter werden Zusammenhänge zwischen internalisierenden Symptomen und subjektivem Belastungsanstieg (S. 229-231) und externalisierende Symptome betroffener Mädchen (S. 232-233) bewertet. Des Weiteren betrachtet die Autorin die ermittelten Unterschiede zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung (S. 234-235). Im nächsten Abschnitt werden die Befunde in Bezug auf entwicklungs- und familienpsychologisch bedeutsame Veränderungen durch eine mütterliche Krebserkrankung besprochen. Hierzu gehören entwicklungspsychologisch bedeutsame Alterszusammenhänge(S. 237-238), der Einfluss der mütterlichen Krebserkrankung auf die Entwicklungsaufgaben und die Familienbeziehungen betroffener jugendlicher Töchter (S. 239-244), Veränderungen der Mutter- Tochter-Beziehungen (S. 245-248), Beziehungsveränderungen zu den „linked lives“ betroffener Mädchen (S. 249-250) und Veränderungen der Lebensverhältnisse durch eine mütterliche Krebserkrankung (S. 251). Abschließend reflektiert die Autorin die Studienergebnisse im Kontext der identifizierten Ressourcensysteme und Aspekte sozialer Unterstützung. Dieser Abschnitt behandelt das „Exchange network“ (S. 253-254), einen Netzwerkvergleich (S. 255-260), konkrete Inhalte sozialer Unterstützung aus dem „exchange network“ (S. 261-267) sowie fehlende Unterstützungsleistungen und offene Wünsche betroffener Mädchen (S. 268-272). Zuletzt werden methodische Limitationen der Studie benannt (S. 273-274).
Zum 6. Kapitel: Praktische Implikationen und Ausblick (S. 275-282)
Das sechste Kapitel des Buches legt den Schwerpunkt auf bereits bestehende und mögliche Interventionsmöglichkeiten für Betroffene aus der Perspektive von unterschiedlichen Professionen im Gesundheits- und Sozialwesen, die sich aus den Studienergebnissen ableiten lassen.
Diskussion und Fazit
Das Buch „Wichtige Ressourcensysteme jugendlicher Mädchen einer krebskranken Mutter“ vermittelt einen Überblick in verschiedene Möglichkeiten zur Identifizierung, Nutzung und gezielten Stärkung von psychosozialen Ressourcen zur Bewältigung der erhöhten Belastung, die für die Risikogruppe der jugendlichen Mädchen mit krebserkrankten Müttern von zentraler Bedeutung sind. Zur Verdeutlichung der Relevanz der Thematik stellt die Autorin Anja Novoszel den deutlichen Handlungsbedarf heraus, der sich vor allem aus der Inzidenzrate beim Brustkrebs und dem zugleich vermehrten Auftreten von Krankheitssymptomen und psychischen Störungen bei den Töchtern betroffener Mütter ergibt. Zur Ermittlung von empirisch fundierten Ansatzpunkten für Interventionen stellt die Autorin ausgewählte entwicklungs- und familienpsychologische Konzepte sowie den Forschungsstand zu Belastungsfaktoren und potentiellen Ressourcen bzw. Unterstützungsquellen von jugendlichen Mädchen mit an einer Krebs erkrankten Mutter vor. Darauf aufbauend entwickelt die Autorin ein Ressourcenmodell, das im Rahmen einer Studie mithilfe eines Mixed-Method-Forschungsdesigns untersucht wurde. Dadurch konnten verschiedene soziale Unterstützungsquellen von betroffenen Mädchen ermittelt und Handlungsempfehlungen für Fachkräfte abgeleitet werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass noch ungenutztes Potential im Hinblick auf die Unterstützung von jugendlichen Mädchen mit krebserkrankten Müttern besteht bzw. die Möglichkeiten nicht vollends ausgeschöpft sind, sodass diverse, im Buch abgeleitete Implikationen für die Praxis der Familientherapie und psychosozialen Beratung Impulse für die Arbeit mit den Betroffenen liefern können – so z.B. die Nutzung des vorgestellten Ressourcenmodells. Obwohl es sich bei dem Buch um eine Dissertation handelt, schafft es die Autorin, fortlaufend einen praktischen Bezug herzustellen und, wohl auch bedingt durch einen verständlich gehaltenen Stil ihre Leser „mitzunehmen“. Da es sich bei den skizzierten Ressourcensystemen um ein komplexes Feld handelt, eignet sich die Lektüre des Buches als übersichtlicher Einstieg in den aktuellen Forschungsstand wie auch für die konkrete Planung von theoriegeleiteten Interventionen mit Zielgruppe.
Rezension von
Dr. rer. medic. Jennifer Apolinário-Hagen
Diplom-Psychologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin, FernUniversität in Hagen, Institut für Psychologie, LG Gesundheitspsychologie, Hagen.
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