Ulrike Borchardt, Angelika Dörfler-Dierken et al. (Hrsg.): Friedensbildung
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 14.01.2015
Ulrike Borchardt, Angelika Dörfler-Dierken, Hartwig Spitzer (Hrsg.): Friedensbildung. Das Hamburger interdisziplinäre Modell. V&R unipress (Göttingen) 2014. 325 Seiten. ISBN 978-3-8471-0244-1. D: 39,99 EUR, A: 41,20 EUR, CH: 50,90 sFr.
Kultur des Friedens
Der damalige Generalsekretär der UNESCO, Federico Mayor, hat in der Zeitschrift UNESCO-Kurier („Menschenrechte. Der Kampf geht weiter“, 10/1998; leider wurde die informative Zeitschrift 2011 eingestellt) den 50. Jahrestag der Proklamierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (10. Dezember 1948 durch die Vereinten Nationen) zum Anlass genommen daran zu erinnern, dass es in einem halben Jahrhundert nicht gelungen ist, wesentliche Grundsätze einer „globalen Ethik“ in der Welt umzusetzen. Es gälte – und das gilt bis heute – einen „Übergang von einer Kultur des Krieges zu einer Kultur des Friedens“ zu finden. In der Charta der Vereinten Nationen (26. 6. 1945) und in der Verfassung der UNESCO (16. 11. 1945) wird FRIEDEN als eine grundlegende und humane Verpflichtung postuliert; etwa, wenn es in der UNESCO-Verfassung heißt, „dass, da Kriege im Geist der Menschen entstehen, auch die Bollwerke des Friedens im Geist der Menschen errichtet werden müssen“ (Deutsche UNESCO-Kommission, Menschenrechte. Internationale Dokumente, Bonn 1981, 248 S.). Bemerkenswert ist, dass in der Rezeption der Zielsetzungen und Formulierungen der internationalen Texte mittlerweile der (kriegerische) Begriff „Bollwerk“ umformuliert wird in eine weniger martialische Ausdrucksweise (vgl. dazu: Klaus Hüfner, UNESCO und die Menschenrechte, 2008, www.socialnet.de/rezensionen/5543.php). Mit der verfassungsgemäßen Bestimmung jedoch wird auch darauf verwiesen, dass der Friedensgedanke, wie in Art.26/2 der Menschenrechtsdeklaration zum Ausdruck kommt – „Die Bildung soll auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung und Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie soll Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Völkern und allen rassischen oder religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens unterstützen“ – eine notwendige Bildungs- und Erziehungsaufgabe darstellt. Die UNESCO hat dazu z. B. am 19. 11. 1974 die „Empfehlung über die Erziehung zu internationaler Verständigung und Zusammenarbeit und zum Frieden in der Welt sowie die Erziehung zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ herausgegeben (Deutsche UNESCO-Kommission, Empfehlung zur „internationalen Erziehung“, 2. ergänzte Ausgabe, Bonn 1990, 37 S.).
Der wissenschaftliche Diskurs um Menschenrechts- und Friedensbildung hat im letzten Jahrzehnt national und international eine neue Aufmerksamkeit erfahren, was sich nicht zuletzt in den zahlreichen Publikationen zur Menschenrechts- und Friedenserziehung zeigt und im Internet-Rezensionsdienst Socialnet Beachtung finden (siehe dazu z. B.: „Zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948“, 11.12.2008, www.socialnet.de/materialien/46.php; sowie: „Mauern sind keine Brücken“, 17.9.2013, www.socialnet.de/materialien/157.php).
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
In zahlreichen wissenschaftlichen Zusammenschlüssen und Initiativen wird der Gedanke, dass Frieden in der Welt nur mit der Bildung und Aufklärung der Menschen zur Friedensfähigkeit erreicht werden kann, konzeptionell, didaktisch und methodisch bearbeitet (vgl. dazu auch: Till Kössler / Alexander J. Schwitanski, Hg., Frieden lernen. Friedenspädagogik und Erziehung im 20. Jahrhundert, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17112.php). An der Universität in Hamburg wurde 2008 eine akademische Initiative gestartet, um interdisziplinär den Bildungs- und Ausbildungsgedanken für eine „Kultur des Friedens“ in den Studienbetrieb zu implementieren: „Interdisziplinäres Lehrangebot Friedensbildung / Peacebuilding“. Die Begründungen dafür sind vielfältig und lokal- und global-gesellschaftlich relevant: Gesellschaftliche Vielfalt friedfertig gestalten; mit Konflikten friedvoll und konstruktiv umgehen; Biografielernen als Bildung zur kulturellen und interkulturellen Identität fördern. Die Initiative wird getragen von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern aus verschiedenen akademischen Disziplinen und Wissenschaftskulturen der Universität, und vom Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF). Die Lehrangebote richten sich überwiegend an Studierende der Bachelor-Studiengänge und bestehen aus Seminaren, Ringvorlesungen, Veranstaltungen der Sommeruniversität und Exkursionen. Die Initiatorinnen und Initiatoren begründen ihr Lehrangebot insbesondere damit, dass am Hochschulstandort Hamburg „seit Jahrzehnten (zu) Fragen der Friedensbildung, der friedensorientierten Politikberatung und der wissenschaftlichen Friedensforschung“ gearbeitet wird; etwa mit dem vom Hamburger Senat bereits 1971 an der Universität eingerichteten „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ und anderen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen.
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Borchardt, die evangelische Theologin Angelika Dörfler-Dierken und der Naturwissenschaftler und Mitglied des ZNF, Hartwig Spitzer, geben den Sammelband „Friedensbildung“ heraus, in dem ausgewählte Vortragstexte aus den Ringvorlesungen seit 2009 publiziert werden. Sie wollen damit zum einen deutlich machen, welche Themenfelder und Studienbereiche von der „Initiativgruppe Friedensbildung“ an der Hamburger Universität bearbeitet werden; zum anderen aber auch darauf verweisen, dass mit der Initiative im Vergleich mit den wissenschaftlichen Friedensaktivitäten in angelsächsischen Ländern eine Lücke geschlossen werden konnte.
Aufbau und Inhalt
Mit dem Studienangebot konzentrieren sich die Initiatoren „auf die Analyse und Bearbeitung von Friedens- und Konfliktpotentialen in und zwischen Gruppen“. Die fünf Kapitel im Sammelband verdeutlichen die Schwerpunktsetzung: Ermunterung zum Frieden – Konfliktfelder und Konfliktdynamiken – Konstruktive Konfliktbearbeitung – Gewaltprävention und Gewaltnachsorge – Versöhnungsarbeit.
Angelika Dörfler-Dierken betrachtet mit ihrem Beitrag „Frieden von unten: Die Friedensbewegung der 1980er Jahre“ die zeitgeschichtliche Entwicklung der Friedensaktivitäten in Deutschland, Europa und in den USA. Es waren Proteste gegen die nukleare Aufrüstung und das Eintreten für Abrüstung, für Beendigung des Status quo und des Kalten Krieges. Die Analyse zeigt freilich auch, dass die Zielsetzungen der Friedensbewegung, den drohenden Atomkrieg unmöglich zu machen, bis heute nicht erreicht und „das Bewusstsein der atomaren Bedrohung aus den Köpfen sowie aus der politischen Diskussion weitgehend verschwunden (ist), obwohl die Welt noch immer voller Atomwaffen ist“. Die Herausforderungen bleiben, was die Autorin zum Schluss ihres Textes in einen Kasten als „Fragen zum Weiterdenken“ formuliert.
Hartwig Spitzer informiert in seinem Beitrag „Von der Atomkriegsangst zur professionellen Friedensforschung und -lehre“, indem er das Friedensengagement von Naturwissenschaftlern in Hamburg vorstellt. Er hebt anhand von zahlreichen Beispielen die Initiativen hervor und verweist auf den „Mut zum Umdenken“ und zum Handeln, etwa bei der Organisation von Zusammenschlüssen, Friedenswochen, Kongressen und Forschungseinrichtungen, wie etwa das „Center for Science and International Security, CENSIS“ und dem Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF). Auch hier werden, wie in allen weiteren Beiträgen, die Leserinnen und Leser und die Studierenden mit einem Fragenkasten zum Mit- und Weiterdenken aufgefordert.
Angelika Dörfler-Dierken fordert in einem weiteren Beitrag zum ersten Kapitel auf, „Muster der Aufreizung zum Krieg (zu) erkennen“. Sie diskutiert die vielfältigen Propaganda-Instrumente und Kriegsmonumente, die Emotionen schüren und Kriegs- und Gewaltbereitschaft erzeugen. Sie stellt Zusammenhänge zwischen „Erregung, Krieg und Religion“ her und zeigt an Beispielen auf, wie mit Kriegs-, Sieges- und Durchhalteparolen die Gefühle der Menschen beeinflusst und manipuliert werden. Auf die Bedeutsamkeit und Beachtsamkeit dieser Elemente bei der Friedenserziehung verweist übrigens auch die US-amerikanische Philosophin Martha C. Nussbaum (Martha C. Nussbaum, Politische Emotionen. Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17720.php).
Das zweite Kapitel über „Konfliktfelder und Konfliktdynamiken“, für das Ulrike Borchardt verantwortlich zeichnet, beginnt der Diplom-Mathematiker und Politikwissenschaftler Wolfgang Schreiber mit den Auseinandersetzungen über „Neue Kriege und humanitär begründete Interventionen“. Er setzt sich kritisch mit den verschiedenen, politikwissenschaftlichen Konzepte zur Klassifizierung „Neue Kriege“ auseinander und stellt Zusammenhänge zwischen den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen und den Begründungen für internationales Eingreifen, einschließlich von Einsätzen der Bundeswehr, her.
Der Friedens- und Konfliktforscher Volker Matthies stellt die Frage: „Lassen sich Kriege verhindern?“. Er unternimmt eine Bestandsaufnahme der Debatte um Konfliktprävention und stellt dabei eher enttäuschende denn erfolgreiche Präventionshoffnungen fest. Es ist bisher, so der Autor, nicht gelungen, die Konzepte von vorbeugender, pro-aktiver Prävention umzusetzen; vielmehr überwiegt weiterhin das überholte Paradigma des reaktiv-kurativen Umgangs mit Gewaltkonflikten.
Ulrike Borchardt setzt sich auseinander mit der „Menschenrechtsproblematik an den EU-Außengrenzen“. Sie zeigt die erschreckende Entwicklung der offiziellen europäischen Grenzschutzpolitik auf und verweist auf die vielfältigen, menschenrechtswidrigen Praktiken bei der Abwehr von Flüchtlingen. Der „sicherheitslastigen EU-Migrationspolitik“ stellt sie Alternativen gegenüber, z. B. bei der zunehmenden Bedeutsamkeit, in den industrialisierten EU-Ländern Einwanderung zu fördern, die Mittelmeer-Grenzen als Brücken und nicht als Mauern zu begreifen.
Die Politikwissenschaftlerin Sabine Kurtenbach (vgl. dazu auch: Sabine Kurtenbach / Rüdiger Blumör / Sebastian Huhn, Hrsg., Jugendliche in gewaltsamen Lebenswelten. Wege aus den Kreisläufen der Gewalt, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10408.php) nimmt Stellung zum Phänomen: „Gewaltsame Lebenswelten“, indem sie über Jugendliche und Gewalt in Entwicklungsländern informiert. Dabei setzt sie sich mit verschiedenen Identitätsmustern auseinander und identifiziert unterschiedliche, konkrete Lebenswelten bei Jugendlichen. Es gilt, diese bei Bildungs- und Präventionsmaßnahmen zu beachten.
Im dritten Kapitel „Konstruktive Konfliktbearbeitung“ stellt der Politikwissenschaftler Cord Jakobeit eine Studie über „Grundlagen der europäischen Friedensordnung seit 1945“ vor, in der er die Powerpoint-Präsentationen seines am 10. 1. 2013 in der Ringvorlesung „Friedensbildung – Grundlagen und Fallbeispiele“ gehaltenen Vortrags präsentiert. Daraus erkennbar werden die Zielsetzungen und jeweiligen Schlagwörter der NATO, EU, OSZE und des Europarats. Da es sich dabei um keine Ausarbeitung, sondern lediglich um eine Stichwortgebung handelt, dürfte der Informationswert für Leserinnen und Leser nicht allzu groß sein!
Der Sozialwissenschaftler Nils Zurawski fragt mit seinem Beitrag: „Frieden trotz Spannungen?“; und er erklärt, warum der nordirische Friedensprozess ein Erfolg ist. In einer historischen Analyse stellt er die Ursachen und Gründe des Nordirland-Konflikts heraus, zeigt an Beispielen auf, welche Bedeutung der Wille des überwiegenden Teils der Bevölkerung hat, eher einen „stabilen (Un-)Frieden“ zu akzeptieren, als weiterhin gewaltsame und kriegerische Auseinandersetzungen. Entscheidend dazu beigetragen haben die zivilgesellschaftlichen Initiativen. Der Rezensent erlaubt sich in dem Zusammenhang auf den Beitrag „Der Schrei der Wandbilder“ hinzuweisen (Jos Schnurer, Der Schrei der Wandbilder, in: Et cetera ppf 2/2009, S. 15-20).
Die Post-Doktorandin Mariska Kappmeier und der Hamburger Psychologe Alexander Redlich berichten im Beitrag „Capacity Building“ über Konzepte und Erfahrungen beim Aufbau von Kapazitäten für eine Kultur friedlicher Konfliktregulierung durch Mediation. Am Beispiel des Mehrparteien-Mediationsprojektes in Moldawien-Trandniestrien erläutern sie Konzept und Methoden bei der Vorbereitung, Durchführung und der Perspektiven des Mediationsprojektes, und sie vermitteln insgesamt ein hoffnungs- und erwartungsvolles Bild von den Möglichkeiten, mehrsprachig organisierte, grenzüberschreitende und selbstbestimmte Mediationsverfahren und -erfahrungen zu initiieren.
Der Garmisch-Partenkirchner und Münsteraner Politikwissenschaftler Sven Bernhard Gareis stellt mit „Responsibility to Protect“ die Entwicklung, Anwendung und Perspektiven eines neues Konzepts zum Schutz der Menschenrechte vor. Es ist die von den Vereinten Nationen (wie auch von der NATO) beanspruchte „Schutzverantwortung“ für Menschen, die unter kriegerischen Auseinandersetzungen und Völkermord zu leiden haben. Dabei wird die von den UN ebenfalls garantierte nationale Souveränität tangiert. Bei diesem Spannungsverhältnis gilt es, humanitäre Normen durchzusetzen und Menschenrechtsverletzungen durch internationale humanitäre Interventionen zu unterbinden. In der internationalen Sprachregelung wird die „Internationale Schutzverantwortung“ als R2P bezeichnet. Die Kontroverse liegt auf der Hand. Im Fall der in Libyen 2011 praktizierten R2P liegen die Meinungsunterschiede der im UN-Sicherheitsrat agierenden Mächte offen zu tage. Es kommt darauf an, das Konzept zu einer (neuen) völkerrechtlichen Norm zu entwickeln.
Das vierte Kapitel „Gewaltprävention und Gewaltnachsorge“ koordiniert Hartwig Spitzer. Der Ökonom Dieter Lünse und die Sozialpädagogin Katty Nollenburg thematisieren „Gewaltprävention in Schulen“. Auch hier lässt sich ein Bezugspunkt finden (Dieter Lünse / Jörg Kowalczyk / Florian Wanke / Katty Nöllenburg: Zivilcourage können alle! Ein Trainingshandbuch für Schule und Jugendarbeit, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12124.php). Gewaltpräventionsmaßnahmen werden in Schulen in zunehmendem Maße durchgeführt. Das Autorenteam stellt eine Reihe von Fallbeispielen vor. Sie orientieren sich dabei an der Definition: „Gewaltprävention verstehen wir als die Summe aller Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche befähigen, ihre Probleme, Unsicherheiten und Proteste so auszudrücken, dass anderen und ihnen selbst kein Schaden zugefügt wird“. Diesem eher reaktiv formulierten Bildungs- und Erziehungsauftrag gilt es in ein grundsätzlich friedfertiges, positives und institutionalisiertes Bildungs- und Erziehungsmodell umzudenken.
Die beiden Psychologinnen Stefanie Woynar und Fionna Klasen berichten über „Kinder im Krieg: Erfahrungen aus der Arbeit mit traumatisierten Kindersoldaten in Uganda“. Sie setzen sich mit der Situation auseinander, dass Kinder in Kriegen und kriegerischen Konfliktsituationen die größten Leidtragenden sind. Die Rekrutierung und Benutzung von Kindersoldaten stellen dabei den Gipfel von Verbrechen dar. Die dabei eintretenden Formen von Verrohung, Enthemmung und unmenschlichem Verhalten bei den waffentragenden und -benutzenden Kindern und Jugendlichen wirken sich nicht nur in der individuellen Entwicklung aus, sondern stellen auch für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen erhebliche Probleme dar. Die Prozesse von Wiedereingliederung von Kindersoldaten in die Gesellschaft bedürfen der professionellen, mediativen und psychologischen Betreuung und Begleitung.
Das fünfte Kapitel „Versöhnungsarbeit“ wird von Angelika Dörfler-Dierken koordiniert. Der Theologe von den Universitäten Amsterdam und Hamburg, Fernando Enns, stellt das Konzept „Restaurative Gerechtigkeit als Friedensbildung“ vor und zeigt Möglichkeiten zur Wiederherstellung von zerbrochenen Beziehungen auf. Er setzt sich mit der Entstehungsgeschichte von Maßnahmen zur Versöhnung nach gewaltsamen und kriegerischen Situationen auseinander und verweist auf den wesentlichen Grundgedanken: Gerechtigkeit. In der Praxis haben sich dabei zwei unterschiedliche Positionen durchgesetzt, die als „retributive“ und „restaurative“ Gerechtigkeit verstanden werden; und er plädiert dafür, in der Versöhnungsarbeit das Verständnis von restaurativer Gerechtigkeit stärker zu betonen und zu entwickeln.
Der Sozialwissenschaftler von der Kieler Fachhochschule, Otmar Hagemann, informiert über Konzepte und Praxen zu „Restorative(r) Justice“ (RJ), indem er Formen und Erfahrungen bei Maßnahmen zum Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) und bei Gemeinschaftskonferenzen (GMK) vorstellt. Im Vergleich zur Implementierung dieser Formen der Versöhnungs- und Schlichtungsarbeit in anderen Ländern registriert der Autor in Deutschland einen Nachholbedarf; und er wünscht sich eine gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer „Restorative(n) Society…, in der systematisch integrierende Dialoge auf allen möglichen Ebenen angeboten, geführt und gegebenenfalls von professionellen Mediatoren begleitet werden“.
Der Beitrag der Ethnologin und Erziehungswissenschaftlerin Sofie Olbers: „Performing for Peace? Künstlerische Forschungs- und Lernformate“, beendet den Sammelband. Die Autorin berichtet über Erfahrungen mit dem Angebot bei der Hamburger Sommeruniversität zum Thema „Kunst und Frieden“ (2011). Sie arbeitet die Rahmenbedingungen und Bezugspunkte für ästhetisches und kreatives Lernen bei Bildungsprozessen heraus und stellt Konzepte und Methoden für „performative Recherche“ vor.
Fazit
Friedensbildung als schulische und außerschulische, fächerbezogene wie vor allem -übergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgabe hat im gesellschaftlichen Bewusstsein längst noch nicht den Stellenwert und die Aufmerksamkeit erreicht, die notwendig sind für individuelles und globales Lernen. Mit dem Hamburger interdisziplinären Modell wird ein Beispiel vorgestellt, das in der Lehreraus- und -fortbildung Anwendung findet. Die an einigen Stellen der Berichterstattung allzu plakativ, oberflächlich und unverbindlich dargestellten Konzepte und Erfahrungen schmälern insgesamt nicht den Informationswert des Sammelbandes. Das Buch sollte in der Lehrerbildung Beachtung finden!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 14.01.2015 zu:
Ulrike Borchardt, Angelika Dörfler-Dierken, Hartwig Spitzer (Hrsg.): Friedensbildung. Das Hamburger interdisziplinäre Modell. V&R unipress
(Göttingen) 2014.
ISBN 978-3-8471-0244-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17493.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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