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Ulrike Beate Müller: Kinder im verzahnten Übergang vom Elementar- zum Primarbereich

Rezensiert von Prof. Dr. Anja Seifert, 31.10.2014

Cover Ulrike Beate Müller: Kinder im verzahnten Übergang vom Elementar- zum Primarbereich ISBN 978-3-86388-056-9

Ulrike Beate Müller: Kinder im verzahnten Übergang vom Elementar- zum Primarbereich. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2014. 313 Seiten. ISBN 978-3-86388-056-9. D: 36,00 EUR, A: 37,10 EUR, CH: 47,90 sFr.

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Thema

Das Buch beschäftigt sich auf einer theoretischen und empirischen Ebene mit der Übergangsgestaltung und -bewältigung des ersten formalen Bildungsüberganges vom Kindergarten in die Grundschule und zeigt Vorteile einer verbesserten Verzahnung der getrennten Institutionen für die Kinder auf.

Autorin

Die Verfasserin Dr. phil. Ulrike Beate Müller ist Lehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Potsdam.

Entstehungshintergrund

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um eine Dissertation, die sich auf Daten stützt, die im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Übergang vom Elementar- zum Primarbereich an der Universität Potsdam generiert wurden.

Aufbau

Die Forschungsarbeit thematisiert den Zusammenhang zwischen den Angeboten einer institutionellen Verzahnung von Kindergarten und Grundschule und der erfolgreichen Übergangsbewältigung der Kinder beim Schulbeginn.

Die Arbeit besteht aus drei Teilstudien, zwei quantitativen und einer qualitativen Teilstudie, sowie einem einführenden Theorieteil. Hier wird ausführlich der aktuelle Stand der nationalen und internationalen Forschung zum Übergang vom Kindergarten – bzw. der Pre-School (Vorschule), die es in vielen Ländern außerhalb Deutschlands gibt – in die Schule dargestellt sowie Bezug genommen auf einschlägige Übergangstheorien, die v.a. aus der Psychologie und Soziologie stammen. Die Autorin bezieht sich hierbei auf angelsächsische und skandinavische Autoren, die das Feld der Übergangstheorie bzw. Transitionstheorie mit ihren Veröffentlichungen in den letzten Jahren stark geprägt haben (z.B. Kay Margetts, Aline Dunlop, Stig Broström).

Inhalt

Ulrike Beate Müller bettet die Thematik der Übergangsgestaltung in den bildungspolitischen Kontext ein, der die Bildungspolitik der letzten Jahre bestimmt. Bereits beim ersten Übergang der Grundschule, dem Eintritt ins formale Bildungssystem, werden die Probleme des deutschen Bildungssystems evident. Vergleichsstudien wie die PISA-Studie zeigen deutlich, dass in Deutschland Kinder an den Bildungsübergängen schnell zu Verlierern werden können und Selektionsmechanismen vorhanden sind. Nicht nur in nationalen Expertisen, sondern auch in internationalen Berichten wie dem „Starting Strong-Bericht“ der OECD-Staaten aus dem Jahr 2010, wird auf das Problem der fehlenden Chancengerechtigkeit bereits in frühen Bildungseinrichtungen hingewiesen.

Verstehbar wird die komplexe Übergangsthematik für Deutschland indes nur auf der Folie einer ausführlichen historischen Analyse der pädagogischen Institutionen. Mit Gabriele Faust führt Ulrike Beate Müller hier an, dass eine enge Kooperation der beiden Institutionen Kindergarten und Schule bereits bei ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert von offizieller Seite aus nicht intendiert war, eine „Verzahnung war (…) von Schulbehörden nicht gewünscht, zumal es zu dem Zeitpunkt der Ausweitung der Institution Schule nur wenige Einrichtungen für jüngere Kinder gab.“ (Faust 2010 in Müller 2014, S.14).

Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland drei Zeitpunkte, in denen eine Verzahnung von Kindergarten und Grundschule zu einem besonderen Thema in der Bildungspolitik wird:

  • 1920 wird bei der Reichschulkonferenz die Grundschule zur Schule für alle Kinder des deutschen Volkes unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, gleichzeitig werden die bis dahin existierenden Vorschulen verboten.
  • 1970 werden die Empfehlungen des deutschen Bildungsrates umgesetzt und die Schuleingangsstufe eingeführt.
  • 1997 formuliert die Kultusministerkonferenz „Empfehlungen zur Umgestaltung des Schulanfangs“ und in der „neuen Schuleingangsstufe“ erfährt die „alte“ Schuleingangsstufe der 1970er Jahre eine Renaissance (S. 15ff.).

Die Kernfrage des Buches von Müller lautet: Wie wirkt sich eine vorhandene Verzahnung bzw. die fehlende Verzahnung der beiden getrennten Institutionen Kindergarten und Grundschule auf die individuelle Übergangsbewältigung der Kinder, die eingeschult werden, aus?

Zunächst bleibt hier zu klären, was eine erfolgreiche Bewältigung des Überganges bezogen auf das Kind im Übergang bedeuten kann. Die Verfasserin bezieht sich hierbei insbesondere auf die deutschsprachige Forschung und Theorie von Wilfried Griebel und Renate Niesel (z.B. Griebel/Niesel 2011, Griebel 2009) sowie auf weitere nationale und internationale Forschungsergebnisse (z.B. Petillon 1993, Margetts 2004), die auf die hohe Bedeutung sozialer Beziehungen verweisen. Freundschaften werden hier als besonders unterstützend bei der Übergangsbewältigung angesehen.

Ulrike Beate Müller untersucht im zweiten Teil ihrer Arbeit die vorhandene Übergangspraxis exemplarisch an sieben Grundschulen, es handelt sich hierbei um vier öffentliche und drei private Grundschulen. Das Forschungsdesign besteht aus qualitativen und quantitativen Methoden. Befragt wurden in der ersten Teilstudie „Gemeinsamer Schuleintritt und Übergangsbewältigung“ 203 Kinder, die zum Zeitpunkt der Befragung in der ersten Klasse und im Durchschnitt 6,6 Jahre alt waren. Mit einem standardisierten quantitativen Verfahren wurden Daten zur sozialen Einbindung in die Kindergruppe sowie zu kognitiven Kompetenzzuständen im sprachlichen und mathematischen Bereich ermittelt und statistische Daten zum Alter, zum Geschlecht und zur elterlichen Unterstützung erhoben. Weiter erforscht Müller in der zweiten Teilstudie „Vorschule und Übergangsbewältigung“, ob sich die Erstklässler, die eine integrierte Vorschule besuchten, von den anderen, die keine besuchten, in Bezug auf ihre Einbindung in die neue Gruppe, die jeweilige Kompetenzentwicklung sowie in Bezug auf ihre grundsätzliche Lerneinstellung unterscheiden.

Der qualitative Teil der Gesamtstudie, in dem vier Übergänge vertieft analysiert werden, rundet die Veröffentlichung ab. Bei den ausführlich dargestellten Beispielen handelt es sich hierbei um „Übergangsporträts“, die als Fälle kontrastiv ausgewählt wurden (leichter Übergang, schwieriger Übergang, ambivalente Entwicklung im Übergang).

Diskussion

Das Buch zeichnet sich durch seinen starken theoretischen Teil aus, der die Bedeutung einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der aktuellen Thematik der Übergänge und Übergangsgestaltung deutlich macht.

Müllers Analysen zur sozialen Einbindung in die Schülergruppe (Teilstudie 1) zeigen, auch wenn sie keine wirklich neuen Erkenntnisse bringen, nochmals eindeutig auf, dass Kinder Kontinuität in ihren sozialen Beziehungen brauchen und wünschen, um den Übergang positiv(er) zu bewältigen.

Interessanter sind die Ergebnisse der zweiten Teilstudie. Hier wird deutlich, dass sich der Besuch einer integrierten Vorschule, die es in Deutschland in der Regel in dieser Form nicht gibt, positiv auf die sprachlichen und mathematischen Kompetenzzustände auswirkt: „Insbesondere durch die Analyse der Skalen der Lernstandsdiagnostik im Fach Deutsch zeigt sich ein wesentlicher Vorsprung der Kinder, die an einer an der Grundschule integrierten Vorschule teilgenommen haben. Sowohl in der Phonologischen Bewusstheit als basale Fähigkeit für das Erlernen der Schriftsprache als auch in der Schriftsprache an sich ist der wesentliche Vorsprung zu erkennen.“ ( S.177)

Fazit

Die Verfasserin zeigt die Forschungsdesiderata auf, die insbesondere in Deutschland bestehen, auch wenn in den letzten Jahren einige Übergangsprojekte und Übergangsmodelle wissenschaftlich begleitet wurden. Ihr Fazit ist eindeutig: „Sind Kindergarten und Grundschule institutionell unter einem Dach verzahnt, so können professionelle und pädagogische Konzeptionen der Bereiche leichter realisiert werden. Aktuelle Forschungsbefunde zu derartigen örtlichen Verzahnungen gibt es in Deutschland nahezu nicht (…).“ (S.121) Das Buch trägt dazu bei, diese Lücke zu schließen.

Rezension von
Prof. Dr. Anja Seifert
Professorin für Grundschulpädagogik an der JLU Gießen
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Es gibt 6 Rezensionen von Anja Seifert.

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ISSN 2190-9245