Susan Arndt, Antje Hornscheidt (Hrsg.): Afrika und die deutsche Sprache
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 08.06.2004

Susan Arndt, Antje Hornscheidt (Hrsg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk.
Unrast Verlag
(Münster) 2004.
2. Auflage.
266 Seiten.
ISBN 978-3-89771-424-3.
10,00 EUR.
Unter Mitarbeit von:
Marlene Bauer, Andriana Boussalas, Katharine Machnik und Kathrin Petrow.
Siehe auch Replik oder Kommentar am Ende der Rezension
Einführung
Angst vor "Überfremdung" ist Angst vor sich selbst. "Bei den Weißen gibt’s viele Wunder! Ich bin ganz sprachlos davon!" - so lässt der ostafrikanische Schriftsteller Okot P’Bitek in seinem 1966 veröffentlichten Poem "Lawinos Lied" eine afrikanische Ehefrau angesichts der Auswirkungen der gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen in ihrem Leben klagen. Dabei geht es im die uralte Auseinandersetzung und immer wieder neu hervorgebrachte Frage nach der "Leitkultur" eines Volkes oder einer Gemeinschaft, die in einer gewachsenen und bewusst und unbewusst gemeinsam definierten Auffassung von "Kultur" zusammen leben. Die Auffassungen, wie sich "kulturelle Identitäten" entwickeln und formieren, wie manifest oder veränderbar die Frage nach dem eigenen Ich und dem Ich des Anderen ist, konstruieren den Anderen (Edward W. Said). Und die "Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein" (Kalpaka/Räthzel) wird besonders dann deutlich, wenn der Fremde sich in seinem äußeren Erscheinungsbild und in seinen Mentalitäten und kulturellen Äußerungen von dem eigenen Bild unterscheidet. Aus dem Bemühen, für sein eigenes kulturelles Handeln "Leit"-Prämissen zu definieren, wird schnell eine Festungsmentalität: "Wenn man etwas als Festung definiert, hat das eine Ausstrahlung nach innen" (Günter Grass).
Die in Frankreich von der Nationalen Konsultativ-Kommission für Menschenrechte 1998 veröffentlichten Ergebnisse einer Umfrage zum Rassismus in der französischen Gesellschaft gibt Daten wieder, die sich zweifelsohne auch auf die Situation in anderen europäischen Ländern hochrechnen lassen. Demnach unterscheiden die Meinungsforscher drei Gruppen von Menschen: diejenigen, die sich selbst als "Rassisten" bezeichnen, das sind immerhin 18 Prozent der Gesamtbevölkerung; die zweite Gruppe steht "unter der Verlockung des Rassismus", mit 40 Prozent; die dritte Gruppe mit rund 18 Prozent lassen sich als "Antirassisten" benennen. Die "Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus" in Zürich macht in ihrer Dokumentation der rassistischen Vorfälle in der Schweiz (2003) deutlich: "Intoleranz, Hass und Unverträglichkeit beginnen oft fast unbemerkt, als leise Gärprozesse". Deshalb haben wir auf ein Buch gewartet, das es hier vorzustellen gilt:
Inhalt
"Menschen können durch Benennungen und Nicht-Benennungen aufgewertet oder diskriminiert, zur Norm gesetzt oder ausgegrenzt werden - Sprache kann auf diese Weise als Macht- und potentielles Gewaltmittel funktionieren"; diese Erkenntnis, die im Zusammenhang mit Höherwertigkeitsvorstellungen, bewussten und unbewussten Rassismen immer wieder betont wird, nehmen die Herausgeberinnen und ihr Team zum Anlass, besonders in dieser Notation auf den Sprachgebrauch bei kolonialistisch und rassistisch gewachsenen und überkommenen Begriffen zu verweisen. Es sei bis heute ein Privileg der "Weißen", Begegnungen mit Rassismus in Sprache entweder zu ignorieren oder in einer analysierenden Außenperspektive zu verharren, so das Motiv. Interessant, dass die Projektidee, sich mit der eigenen Position, Verantwortung und Macht im eigenen Sprachgebrauch auseinander zu setzen, von der Initiative Schwarzer Studierender am Seminar für Afrikawissenschaften der Universität der Humboldt-Universität ausgegangen ist. Die alle an der Berliner Universität tätigen und studierenden Autorinnen (!) analysieren dabei den Zusammenhang von "Rassismus und Kolonialismus", indem sie vielfältige Diskriminierungen und Stereotypen durch Phrasen, Schlagwörter und Begriffe aufdecken, die sich in den Medien, in der Werbung, in Wörterbüchern und amtlichen Formularen wieder finden - heute! Es geht um die Infragestellung "der vermeintlichen Normalität, Weiß zu sein". Die kritische Auseinandersetzung und Aufarbeitung etwa des deutschen kolonialen Denkens und der Kolonialpolitik hat Susan Arndt bereits 2001 mit ihrem Buch "AfrikaBilder" begonnen, wie auch andere die Thematik unter verschiedener Schwerpunktsetzung behandeln (z. B.: Oloukpona-Yinnon, Unter deutschen Palmen, 1996; Lüth/Keck/Wiersing, Der Umgang mit dem Fremden in der Vormoderne, 1997; Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten, 2001; Baer/Schröter, Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika, 2001; Fabian, Im Tropenfiber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, 2001; Honold/Simons, Kolonialismus als Kultur, 2002; Schneider, Um Scholle und Leben. Zur Konstruktion von "Rasse" und Geschlecht in der deutschen kolonialen Afrikaliteratur um 1900, 2003; Bühler, Der Namaaufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia von 1904 - 1913, 2003; Ducks, Von weißen Wilden und wilden Weißen, 2003).
Von besonderem "Gebrauchs"- Wert dürfte für in der politischen Bildung Tätige, LehrerInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen, SchulbuchautorInnen, StudentInnen, SchülerInnen, NGO-Engagierte und in der öffentlichen Verwaltung Tätige der zweite Teil des Buches sein: 30 ausgewählte, kolonial und rassistisch geprägte (Alltags)Begriffe, von Animismus, Asylant, Mohr bis Zivilisation werden auf ihren Ursprungsgehalt hin untersucht und ihr Ge- und Missbrauch verdeutlicht; eine wahre Fundgrube zum Entdecken des eigenen (rassistischen) Sprachgebrauchs. Gewissermaßen ein Handwerkszeug für das Erkennen und die kritische Analyse von "Rassismus in Texten ohne rassistische Begrifflichkeiten", also von vermeintlich neutralen und wohlmeinenden Ausdrucksweisen, wird dem Leser mit einer Textanalyse angeboten; ein vermeintlich objektiver Text aus einem Unterrichtsmaterial zur Thematik "Entwicklungspolitik" - eine ausgezeichnete Übung zum kritischen Lesen, nicht nur für LehrerInnen! Schließlich werden ausgewählte und kommentierte Leseempfehlungen zum Thema gegeben.
Die Herausgeberinnen kündigen an, vier weitere Bände, die sich mit Rassismus und Sprache im Kontext anderer Religionen und politischer Kontexte auseinandersetzen, vor zu legen; etwa mit deutschen Terminologien zu Nord- und Südamerika, Europa, Asien, Australien und zum Antisemitismus. Sie laden dazu Interessierte zur Mitarbeit ein (spracheafrika@yahoo.de).
Fazit
Die Herausbildung von Identität(en) angesichts des stetigen Wandels in der immer interdependenter sich entwickelnden (Einen?) Welt werde "zur Dauerarbeit an sich selbst", so beschreibt die Soziologin der Universität Münster, Karin Priester, die individuellen und kollektiven existentiellen Notwendigkeiten heute und morgen (Rassismus. Eine Sozialgeschichte, 2003). Das Autorinnenteam um Susan Arndt und Antje Hornscheidt macht sich daran, diese Aufgabe konkret umzusetzen!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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