Hendrik Wallat (Hrsg.): Gewalt und Moral (Dialektik der Befreiung)
Rezensiert von Arnold Schmieder, 12.01.2015

Hendrik Wallat (Hrsg.): Gewalt und Moral. Eine Diskussion der Dialektik der Befreiung. Unrast Verlag (Münster) 2014. 288 Seiten. ISBN 978-3-89771-543-1. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR, CH: 25,90 sFr.
Thema
Krisen als mögliche Ausgangspunkte einer „beschleunigten transitorischen Phase“ (Papcke) gesellschaftlichen Wandels oder gar revolutionärer Erhebungen in Form gewaltsamen Widerstandes gegen Ausbeutung und Herrschaft, ein Denken auf eine politische Übergangsperiode, in welcher der „Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats“, wie Marx im Gothaer Programm schrieb, dies mit dem letztendlichen Ziel, dass die Herrschaft von Menschen über Menschen aufgehoben würde, solche Hoffnungen der Arbeiterbewegung scheinen sich zusammen mit ihr selbst verflüchtigt zu haben. Stalinismus und Erfahrungen mit und aus realsozialistischen Systemen, die „Selbstzerstörung der Emanzipation im Staatskommunismus“ (Wallat) haben ernüchtert und scheint´s, so Perels, zu einer „‚Zerstörung des emanzipatorischen Gedächtnisses’“ geführt, was aber durchaus nicht der „Frage nach den Gründen der terroristischen Selbstzerstörung der Befreiung“ enthebt (S. 11 Anm. 2), sondern gerade darum erneut zu stellen ist, weil das problematische Verhältnis von Moral und (emanzipatorischer) Gewalt evident bleibt, es somit um „grundsätzliche, keineswegs veraltete Probleme“ geht, die in der (nicht nur) proletarischen Revolution in aller Schärfe hervorgetreten sind, was zwar ‚Geschichte’ ist, aber unsere Gegenwart gleichwohl „mit dieser Vergangenheit als ihrem Grund vermittelt“ bleibt, wie Wallat in seiner Einleitung betont.
Die Probleme von Emanzipation, ihrer theoretischen und praktischen Seite, wie sie sich mit der Arbeiterbewegung zentral gestellt haben, werden in diesem Sammelband in einen Kontext gestellt, der sowohl philosophisch als auch historisch all jene Fragen abdeckt, deren Brisanz gerade da augenfällig wird, wo die Komplexität der Probleme um und mit Emanzipation unübersehbar werden und kritisch-emanzipatorische Theorie und Praxis herausfordern. Dass in den Beiträgen dabei an schon Diskutiertes erinnert wird, was „unter dem Schutt der marxistisch-leninistischen Orthodoxie mitbegraben und unverdientermaßen vergessen wurde“ (S. 14), ist ebenfalls Anliegen des Herausgebers und der Autoren. Somit geht es auch um jene „Ethik der Revolution“ (Marcuse) und allgemeiner, darin aber unverzichtbar um ‚falsche Mittel’, die „den Zweck nicht unberührt“ lassen, sondern ihn „kompromittieren und verkehren“: „Der Zweck der Befreiung ist so wenig beliebig wie seine Mittel. Sie müssen vielmehr kongruieren“, fasst Wallat den zentralen Diskussionsgegenstand des Bandes in seinem Schlussbeitrag zusammen. Dass dabei auch immer wieder die „strukturelle Gewalt“ (Galtung) zu berücksichtigen ist, wird in den Beiträgen selbstredend ausgewiesen, auch weil die ‚Mittel der Befreiung’ „niemals aus dem Waffenarsenal der Herrschaft stammen“ können. „Es ist vielmehr das Mittel selbst, das den Zweck antizipieren muss: Vorschein jener Humanität, die zu erkämpfen jene brutalen Widersprüche generiert, die durch keine historische Dialektik aus der Welt geschafft oder in Zukunft aufgehoben werden können.“ Da jedoch wird immer erneut die Schnittstelle zwischen (der Form der) Gewalt und (einer Begründung von) Moral als praktisch-inhaltliches Desiderat thematisch: „Die Zweck-Mittel-Frage ist immer konkret gestellt und nie endgültig moralisch beantwortet oder geschichtsphilosophisch gelöst.“ (S. 281) – Aber sie bleibt aufgeworfen, was in (fast) allen Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven deutlich wird.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in vier Teile gegliedert und beginnt unter dem Obertitel „Grenzen der Befreiung“ mit einem Beitrag von Oskar Negt zum Thema Tod und Revolution und der tragischen Substanz des Sozialismus, wo er zunächst der in der Realismusdebatte aufgeworfenen Frage nachgeht, wie und ob durch Kunstwerke, die gesellschaftliche Realität widerspiegeln, Motive initiiert werden können, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern, wobei er das tragische Schicksal Bucharins vor Augen führt, der sich kritisch über den sozialistischen Realismus äußerte und trotz allen Abschwörens exekutiert wurde. Von da aus entwickelt er unter Rückbezug auf u.a. Hegel, Lukács, Adorno und Marcuse die These, dass in der Instrumentalisierung der Kunst zum Mittel der Revolution verloren geht, was „Kunst auszusprechen vermag“: „die Unversöhntheit menschlichen Daseins und zugleich die durch nichts verbürgte Hoffnung seiner Befreiung.“ (S. 31) Das wird über eine Erörterung des Begriffs von Wahrheit als etwas „noch nicht wirklich Gewordenes“ und über den klassischen Begriff des Tragischen auf das Problem „revolutionärer Subjektivität“ bezogen, der „Lieben und Leiden, Lachen und Trauern (…) keine Akzidentien“ sind, „sondern ihre Substanz: der nicht zuletzt sinnliche Antrieb, den Aufstand gegen das beschädigte Leben zu wagen.“ Und es gehöre zur Tragödie des Sowjetmarxismus (wie exemplarisch Bucharins), dass der Materialismus der Erkenntnistheorie „um die Dialektik gebracht wurde“ und Moral, „wenn nicht als bürgerlich abgetan, zum Klassenstandpunkt zusammenschrumpfte“, und zudem die „Erinnerung an das Fortleben von Herrschaft, Leid und Schrecken“ unterdrückt wurde. Negt schließt mit einem auch für weitere Beiträge des Bandes richtungsweisenden Zitat von Marcuse: „‚Wenn die Erinnerung im Kampf für die Veränderung aufbewahrt ist, wird auch um eine noch immer in den Revolutionen unterdrückte Revolution gekämpft.’“ (S. 38 f.)
Mit seinem Beitrag „Polizeisoldat des Himmels“ geht Sebastian Tränkle im Anschluss auf revolutionäre Moral und die Negation des individuellen Glücksanspruchs ein, verweist auf die konfliktträchtige Konzeption einer politisches Handeln legitimierenden Moral, wo sich immer auch die „Frage nach dem ‚Wert’ des Individuums im Verhältnis zu dem der Menschheit und nach der Legitimität seines Opfers für das Ziel ihrer Befreiung“ stellt. (S. 43) Entlang seiner Interpretation belletristischer Arbeiten Koestlers kommt er auf ein „Kernproblem aller revolutionären Politik“, das in einer „gewaltförmigen Subsumtion des Einzelnen unter die Prinzipien einer politischen Ethik“ unter Hintanstellung aller nicht objektivierbaren und nicht kollektivierbaren individuellen Glücksansprüche bestehe. (S. 47) Mehr noch komme es zu einer „moralphilosophischen Aporie“, wo individuelle Urteilskraft, der Wille und Autonomie delegitimiert würden und zugleich Schuldfähigkeit zugesprochen bleibe, an „moralische Integrität und politische Rationalität appelliert“ würde. (S. 52) Entlang Trotzkis Kritik an Kant wird das moralphilosophische Dilemma aus der Zweck-Mittel-Relation an Kants Begriff der „Wahrhaftigkeit“ und der Pflicht dazu erläutert, die dem Philosophen „unter moralischen Gesichtspunkten als viel gravierender“ erschien „als die von ihm für kontingent erachteten, möglichen Folgen seiner von jeder kasuistischen Betrachtung ausgenommenen Befolgung“. (S. 55, Anm. 11) Ausführlich referiert und reflektiert Tränkle die Auseinandersetzung mit diesen zumal revolutionstheoretisch unverzichtbaren Überlegungen insbesondere in der kritischen Theorie, um schließlich zu bedenken zu geben, dass es „dieses Moment der Autonomie“ sei, „der Mensch solle sich stets auch Selbstzweck sein“, das „an Kants Moralphilosophie zu retten und gegen die Hegel´sche Kritik mit ihren revolutionären Nachfolgern stark zu machen wäre, deren Betonung der praktischen Dimension aller Moral zum Einverständnis mit dem Weltlauf tendiert.“ (S. 75) Dass der Zweck letzten Endes doch nicht die Mittel heiligt, scheint in einem „‚Amoklauf der Vernunft’“ (Koestler, zit. S. 53) und jener „‚Doktrin des Triebverzichts’“ als „‚Sparwirtschaft des Glücks’“ (Adorno, zit. S. 65) auf, wird besonders an der ‚revolutionären Moral’ evident, wo sie „Glück, Lust und Genuss als Dekadenz, Luxus und Egoismus“ diffamiert. (S. 67) Wenn auch Glück, anders als ‚metaphysische’ Bezugnahmen auf ‚Vernunft’, ‚Geschichte’ oder ‚Natur’, sich jeder „‚Letztbegründung’“ (A. Schmidt) entzieht, bleibt die „Forderung nach dem Glück der Einzelnen“ bestehen. Das übersetzt Tränkle mit Verweis auf Heines Diktum zum individuellen Menschenrecht als „‚das Recht zu leben’“, im Verständnis von Wilde dann mehr als bloßes „Existieren“, in die „Abschaffung von Hunger und physischem Leid ebenso wie das Recht auf sinnliches Glück – die Verwirklichung von beidem erst wäre die wahre Revolution“, in der „auch das geistige und damit das ganze Glück“ freigegeben sei. (S. 77 f.)
Der zweite Teil mit dem Obertitel „Sozialrevolutionäre vs. reaktionäre Gewalt“ beginnt mit einem Beitrag zur „List der Gewalt bei Kant, Hegel und Marx“ von Detlev Claussen. In einer längeren Vorrede erklärt der Verfasser, warum diese hier vorliegende Neuveröffentlichung anno 1978 von Siegfried Unseld vom Rowohlt Verlag höchstpersönlich wohl wegen der Erfahrungen mit der Roten Armee Fraktion (RAF – auch als Baader-Mahler-Meinhof Bande bekannt) und der allgemein propagierten ‚Gewaltfreiheit’ abgelehnt wurde, darum als Monographie unter erheblichem Druckkostenzuschuss erst 1982 bei Campus erschien. Auch diesem unveränderten Kapitel ist heute wie damals die Botschaft zu entnehmen, dass der „Schein der Gewaltlosigkeit“ kritisiert wird, der den „Normalverlauf bürgerlichen Alltagslebens von Arbeit und Tausch begleitet“, und dass es zur Beurteilung einer Tat „nicht auf die Gesinnung der Täter“ ankommt, sondern auf die „Form der Gewalt selber (…), die meist anschließend von den Tätern legitimiert wird“, was eine Kritik des Terrorismus nach sich zöge: „Terror und Folter (durchaus reziproke Formen von Gewalt) verlassen die menschliche Welt gegenseitiger Anerkennung, die selbst noch im Freund-Feind-Verhältnis steckt.“ (S. 85 f.) Claussen macht entlang seiner Analysen des Gewaltbegriffs bei Kant, Hegel und Marx Kriterien deutlich, die an „sozialrevolutionäre Gewalt“ zu legen sind, vor allem, „dass sie sich von der gewöhnlichen Gewalt unterscheidet.“ Als „Gegengewalt“, da sie das Problem auf einen „innergeschichtlichen Kreislauf der Gewalt“ verkürze, sei sie unter dieser Perspektive nicht legitimiert, auch nicht als „‚progressive Gewalt’“ (Papcke), da Gewalt auf „Legitimation durch den gesellschaftlichen Fortschritt“ reduzierend, sondern sie sei aus der Warte „notwendig höhere(r) Kriterien“, die eben an sozialrevolutionäre Gewalt anzulegen sind, „praktische Kritik gewöhnlicher Gewalt, indem sie die Macht der Gewohnheit bricht und der Legitimation der gewöhnlichen Gewalt nicht mehr bedarf.“ (S. 101) Damit ist bei dem von Marx in der Kritik der Politischen Ökonomie systematisch kritisierten „Schein der Gewaltlosigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft“ angeliehen (S. 88), was der Verfasser aufnimmt, um sich kritisch mit Kant und Hegel auseinanderzusetzen. Gegen Kant wendet er mit Bloch ein, es fehle ihm ein „‚Begriff der Geschichte, der den Dualismus zwischen Erfahrung und Postulat, ‚Reich der Notwendigkeit’ und ‚Reich der Freiheit’ tätig überwunden hätte.’“ (S. 125, Anm. 40) Demnach, so Claussen, verblassen vor dem Kantschen „Formalismus, der aus der Hypostasierung der Vernunft folgt, (…) die materiellen Bestimmungen einer prinzipienlosen Empirie mit ihren zufälligen Inhalten.“ Daher könne Kant Emanzipation „nur in der entfremdeten Form denken: als intelligible Realität, an der die empirischen Subjekte nur als übersinnliche Größe, als Gattung partizipieren können. Freiheit als Selbstbewusstsein ist aber nicht deduzierbar, sondern das sich emanzipierende Subjekt muss sich mit den Inhalten vermitteln, wenn es selbst wirklich sein soll.“ (S. 125) An Hegels Staatsrecht, der angesichts der Französischen Revolution die radikale Kritik als „‚Fanatismus des abstrakten Gedankens’“ etikettierte und schlussfolgerte, dass kein „‚positives Werk noch Tat (…) die allgemeine Freiheit hervorbringen’“ kann (S. 126 f.), weist er dessen Funktion auf, nämlich „die geschichtliche Dialektik der Emanzipation stillzustellen.“ In seinem Begriff staatsbürgerlicher Gesinnung sollen Staat und Gesellschaft versöhnt und die Kollision verschiedener Interessen verhindert werden, was die „Fetischisierung der Substanzialität des Staates“ bedeute, „der Heteronomie der Subjekte, die dem Anspruch der bewussten Autonomie der Subjekte, die sich durch gesellschaftliche Arbeit befreien, ins Gesicht schlägt.“ (S. 130) Als „Affirmation einer lebensfeindlichen Wirklichkeit“ (S. 135) blendet Hegels Philosophie auch dagegen, dass der „Kampf um die Freiheit (…) zum Klassenkampf“ wird, „der nicht nur auf die Beseitigung ökonomischen Drucks, sondern auf die Beseitigung von Herrschaft überhaupt zielt.“ Dessen Versöhnung von in der bürgerlichen Gesellschaft produzierten Extremen (bzw. Widersprüchen) sei nur ein „Scheinkampf“, was Claussen mit dem Marx-Zitat ebenso kritisiert wie persifliert: „‚Man sieht, es ist eine Gesellschaft, die kampflustig im Herzen ist, aber zu sehr die blauen Flecke fürchtet, um sich wirklich zu prügeln.’“ (S. 133) Was schließlich im „‚Marxismus’“ in Hinsicht auf den Prozess praktischer Kritik problematisch werde, sei in der Theorie von Marx und Engels insoweit angelegt, als der „Kernpunkt ihrer Theorie (…) in der Kritik der vermittelten Herrschafts- und Knechtschaftsbeziehungen“ liege, „die Marx als Kritik der Politischen Ökonomie gefasst“ habe. Der Verfasser betont, dass sich diese Kritik „einer außertheoretischen Dimension bewusst“ ist, „sie ist nicht wirklich allein als Waffe der Kritik, sondern sie schließt die Kritik der Waffen ein.“ (S. 136) Claussen kommt über seine Auseinandersetzung mit der ‚List der Gewalt’ auf einen revolutionstheoretischen Unterschied gegenüber den Klassenkämpfen, „die sich innerhalb der Vorgeschichte bewegen und deshalb ein Selbstbewusstsein innerhalb der von der Warenproduktion vorgezeichneten Grenzen entwickeln können“, zu solchen, „die sich durch ihre Praxis ein Bewusstsein vom Reich der Freiheit erobern können, das jenseits der Herrschaft des Wertgesetzes liegt.“ (S. 142)
Die Frage nach dem „Zweck des Politischen“ wird in der Analyse von Ingo Elbe gezielt an Carl Schmitts faschistischem „Begriff der ernsthaften Existenz“ erörtert, wobei er antritt, die „deskriptive Unbrauchbarkeit“ von Schmitts Begriff des Politischen darzulegen und sein „noch fragwürdigeres normatives Anliegen herauszuarbeiten“. Der „Begriff des Ernstes“ erweise sich als „normativer Kern seiner Theorie“ (S. 145) und gegenüber der aufklärerischen Idee des Ernstes, die Elbe bei Schiller herausarbeitet und die dort als „‚Übergewicht eines (…) Affektes’ im Fall der Härte erahnt wurde“, bestätige sich der Schmittsche Begriff des Ernstes in der Theorie des autoritären Charakters (nach Fromm). Dem sei eine „gesellschaftlich konstituierte autoritär-masochistische Bedürfnisstruktur“ eigen, „die hinter der faschistischen Verherrlichung von nationaler Größe, Krieg und Opfer stehe“ (S. 167), was sich bei Schmitt (und vergleichbar bei Sorel) u.a. in Bezug auf den Wert menschlichen Lebens so liest: „‚Was das menschliche Leben an Wert hat (…) entsteht im Kriegszustande bei Menschen, die, von großen mythischen Bildern beseelt, am Kampfe teilnehmen.’“ (S. 157) Ganz offenkundig, so Elbe, widere Schmidt das „Beharren auf Glücksansprüchen des Individuums“ an und allein die „Möglichkeit des Tötens und Getötetwerdens“ verleihe der menschlichen Existenz einen „ernsthaften und damit einen sinnvollen Charakter“ (S. 168), gleichsam ein auch in der Etappe virulentes Fronterlebnis, das Hannah Arendt als „‚Erfahrung einer ständigen, zerstörerischen Aktivität im Rahmen einer durch keine Aktion abzuwehrenden Fatalität’“ beschrieben hat. (ebd., Anm. 41)
Den dritten Teil über „Gewalt und Moral in der Kritischen Theorie“ eröffnet Hans-Ernst Schiller mit seinem Beitrag über „reine Gewalt und das Gewaltrecht des Guten“, wobei er sich auf Benjamin und Bloch bezieht. Er beendet seine kritische Erörterung mit einem Horkheimer-Zitat: „‚Nichts auf der Erde vermag länger die Gewalt zu rechtfertigen, als daß es ihrer bedarf, das Ende der Gewalt herbeizuführen’“ (S. 192), worin die Problematik konturiert ist, wie sie sich spätestens seit Engels Kritik an Dühring stellt – dass nämlich die Gewalt ein Werkzeug sei, „‚womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte, abgestorbne politische Formen zerbricht’“. (S. 191) Benjamin nun denkt in Richtung gewaltloser Mittel wie dem proletarischen Generalstreik und entwirft zugleich „einen Begriff einer ‚reinen Gewalt’, d.h. einer manifestierenden Gewalt, die nicht mythisch ist“ (S. 177), wobei sich Benjamin im Zuge seiner Aneignung des Marxismus von der „Vorstellung einer reinen göttlichen, entsühnenden Gewalt und ihren menschlichen Erscheinungsformen“ gelöst habe, dass sich aber dennoch, so Schiller, „entscheidende Motive durch sein Denken hindurch ziehen.“ (S. 180) Spektakulär wird Benjamins Gewaltverständnis für den Verfasser da, wo er (eher aphoristisch) schreibt: „‚Die Tötung eines Verbrechers kann sittlich sein – niemals ihre Legitimierung’“, was ihm in die Nähe von „Lynchjustiz“ zu rücken scheint. (S. 181) Aber er verweist auch auf Adorno, dem im Hinblick auf die Auschwitzprozesse und im Anschluss an Benjamins Satz eine Erschießung der Täter ohne Prozess „moralischer“ erschien, und er zitiert ebenfalls Horkheimer, der in Bezug auf Eichmann meinte, hätte jemand diesem Schurken „‚aufgelauert und ihn auf offener Straße umgebracht, er wäre kein Taktiker oder Pädagoge gewesen, sondern einer, dem jeder es nachfühlen könnte.’“ (S. 182) Über Blochs „konkrete Utopie“, „moralisch imprägnierte Zukunftsvorstellungen, die sich auf reale Möglichkeiten beziehen“ (S. 184 f.), führt Schiller zu seinem Fazit, dass zwar kein Revolutionär Gewaltmittel ausschließen könne, gleichwohl bleibe Kritik notwendig, „wenn die Gewalt sich nicht verselbständigen soll“, und ihre Kritik bedeute zugleich, „die revolutionäre selbst zu begrenzen.“ (S. 192) Dabei frei von ‚Schuld’ zu bleiben, ist schwierig, da, so Bloch, „‚der Duldende für die Übergewalt des Übels ganz persönlich (…) mitverantwortlich’“ wird (S.182), und er schuldig wird, wenn er widersteht, zumal mittels der „Kritik der Waffen“ (Marx). Auch hier ist dann wieder die zentrale Frage aufgeworfen, die Schiller bei Bloch entnimmt, „ob die Mittel den Zweck, um dessentwillen sie eingesetzt werden, nicht beschädigen.“ Und mehr noch: „Die Bewegung zum Ziel muss die moralischen Fähigkeiten entwickeln, welche eine neue Gesellschaft auszeichnen sollen“. (S. 189)
Gerhard Schweppenhäuser beginnt in seinen Ausführungen mit dem Untertitel „Zur Dialektik von Kants Philosophie und Hegels Kritik der Moral bei Adorno“ mit den Bloch-Zitaten, der Marxismus sei „‚voll von Moral’“ und eine „‚Rettung der Moral, nicht ihre Verabschiedung’“, der kategorische Imperativ würde in einer klassenlosen, unabdingbar solidarischen Gesellschaft „‚geradezu zur Selbstverständlichkeit’“ werden. (S. 195) Vorab gilt es, wie der Titel (als Adorno-Zitat) besagt, eine Gesellschaft zu kritisieren, „‚in der alles zum Mittel wird und nichts mehr Zweck ist’“. In seiner kritischen Aufnahme u.a. der Hegel-Rezeption und über eine (moderate) Bloch-Kritik kommt Schweppenhäuser zu der Einschätzung, dass es „wünschenswert“ wäre, „wenn in einer befreiten Gesellschaft die Grundlagen dafür geschaffen werden könnten, die notwendig wären, um Kants ethische Intentionen als intersubjektive Praxis umsetzen zu können.“ Gleichfalls schließt er sich der Verteidigung der Kantschen Ethik seitens Adorno „gegen die Apologeten der bolschewistischen Oktoberrevolution“ an: Eine revolutionäre Herrschaft, „die Befreiung intendiert“, liefe „‚auf die abstrakte Herrschaft dessen’“ hinaus, „‚was nun einmal die größere Macht’“ habe, wenn „‚die Beziehung zwischen dem Allgemeinen, das gefordert ist, und den Opfern oder dem, was hier und jetzt geschieht’“, „nicht jederzeit ‚durchsichtig’ (…) bleibt.“ (S. 226) Produktiv war der Kantsche Gedanke vernünftiger moralischer Autonomie für Adorno gerade darum, weil er „ambivalent und widersprüchlich“ sei, wobei er gegen Hegel hält, dass dieser Gedanke auch die „Antizipation eines humanen Zusammenlebens“ enthalte, „in dem die individuell-partikularen Ansprüche mit denen des Sozial-Allgemeinen versöhnt werden könnten“. (S. 196) Von welcher Tragweite der Kantsche (als Frage formulierte) Gedanke ist, dass „Freiheit und mit ihr Moralität erst da möglich“ werden, „wo sich der Wille der Naturnotwendigkeit entzieht und sich so autonom bestimmen kann“ (S. 198), wird als kritische Elle an „Hegels Aufhebung der Moralität“ (S. 201 ff.) gelegt. Geht der Kantsche Freiheitsbegriff „notwendig immer aufs Ganze“ und gibt damit implizit die Anweisung, „an seiner Verwirklichung zu arbeiten“ (S. 216), käme so – laut Adorno – die Kantsche „Moralphilosophie erst in einer versöhnten Totalität der konkreten gesellschaftlichen Wirklichkeit zu sich selbst“, so sei doch „gelingende Praxis“ erheischt – „und damit die von Hegel geforderte Auflösung der moralischen Innerlichkeit, welche in Kants Individualethik gebannt bleibe.“ (S. 207) Abgesehen von der Hegelschen Sicht auf das den Verhältnissen ‚machtlos’ ausgelieferte Individuum steht jener neuralgische Punkt des „Übergangs von moralphilosophischer in politische Theorie“ zur Diskussion – oder in Adornos Worten: „‚Indem Hegel den Begriff des Moralischen ins Politische erweitert, löst er ihn auf’“ (S. 210), womit für Adorno als unauflösbares „Substrat der Moralphilosophie“ der Einzelne bleibt. (S. 212) Das „Ineinanderspielen von Freiheit und Unfreiheit“ sei dabei kein Denkfehler bei Kant (S. 219), da in der „theoretischen Konzeption des neuzeitlichen Individuums Freiheit und Unfreiheit von Anfang an miteinander verschränkt“ sind. (S. 213) Als eine Vorwegnahme der Beschreibung der „wirklichen Ambivalenzen von Autonomie und Heteronomie“, „wahrlich nicht (…) ein Denkfehler von Kant“, sei diese Eröffnung der Perspektive zu würdigen, dass die Individuen in der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft unter der Kapitallogik der Verwertung des Wert unterliegen. Deshalb mache Adorno „die kantische Insistenz auf Autonomie als spezifische Bedingung von Moralität für die Kritik an einem gesellschaftlichen Zustand“ fruchtbar, der die Verwirklichung von Moralität verhindere. Dieser auf der Kapitallogik fußende Zustand sei nicht durch Moralphilosophie zu verändern, „aber die moralphilosophische Reflexion ist eine Voraussetzung seiner Kritik, die auf befreiende Praxis zielt“ (S. 219 ff.), resümiert Schweppenhäuser, um pointierend zu Adornos Wendung der „kantischen Ethik (…) in eine Negationsbestimmung“, die als solche „nicht hegelisch (…) in neue Positivität“ umschlägt, anzumerken, dass in dieser Hinsicht „Kants Defizit, die Unbestimmtheit des intelligiblen Charakters, zum Vorzug“ wird: „zur Weigerung, affirmativ auszumalen, was sich allein negativ-utopisch umschreiben läßt.“ (S. 225)
Der vierte Teil setzt sich mit „Gewaltdiskussionen in der libertären Bewegung“ auseinander. An den Werken von Johann Most, Errico Malatesta und Pierre Ramus (eigentl. Rudolf Großmann) stellt Philippe Kellermann im ersten Beitrag „Exemplarische Positionen zur Gewaltfrage im klassischen Anarchismus“ dar. Weil sich zumeist auf Marx berufende Diskurse allzu häufig die „konkrete Geschichte“ in einer Weise behandeln, „in der die banale Gewalttätigkeit und der Kampf gegen diese, nur als eine Art Primitivität erscheint“, weil insb. im Anschluss an Foucault „bisweilen der Eindruck erweckt“ wird, „dass Repression eine Art abstrakte Systemeigenschaft ist, die es zwar irgendwie gibt, als konkrete Realität jedoch seltsam unfassbar bleibt“, will Kellermann im Hinblick auf die von ihm vorgestellten anarchistischen Denker darauf aufmerksam machen, dass sie „in einem ganz anderen Erfahrungsraum“, der „von Gewalttätigkeit und Repression geprägt“ war, gelebt haben und als Aktivisten tätig waren. (S. 230 f.) Das dürfe „aufgrund einer bisweilen grassierenden Geschichtslosigkeit innerhalb der Linken mal wieder Erwähnung finden“. Most, hochgelobter wie geschmähter Agitator der Arbeiterbewegung, dachte wohl an den Generalstreik als „‚Hauptwaffe gegen die Trustokratie’“, blieb aber bei seiner grundsätzlichen Einschätzung, dass es absurd sei, da „‚Harmonie’ zu predigen, ‚wo nur der bitterste Klassenkrieg walten kann und am Platze ist’“. (S. 240) Und für Malatesta war klar, dass Gewalt (als Gegengewalt) des Revolutionärs nur legitim gegenüber der bestehenden Gewalt ist, keinesfalls jedoch Mittel im Aufbau einer kommenden Gesellschaft sein darf. Bewusst war ihm das Problem der Gewaltausübung durchaus auch im Hinblick auf solche Anarchisten, die dadurch von einer „‚moralischen Vergiftung’“ heimgesucht worden wären. So schrieb er, dass sich „‚schädliche Tendenzen’“ auch entwickelten, „‚wenn die Gewalt einer guten Sache wegen verwendet wird. Die Liebe zur Gerechtigkeit wie auch die guten ursprünglichen Absichten (…) sind keine ausreichende Garantie gegen den verderbenden Einfluss, den die Gewalt auf den Geist und das Verhalten von demjenigen ausübt, der sie verwendet.’“ (S. 245) Vergleichbar, dabei auf „‚Entmilitarisierung der Gesellschaft’“ mit dem Ziel des „‚Durchbrechen eines Gewaltringes’“ setzend (zit. S. 254), argumentierte Pierre Ramus, beeinflusst von Most und Gesprächspartner von Kropotkin, dem führenden theoretischen Anarchisten jener Zeit. Er zielte auf einen „‚staatslosen Zustand gesellschaftlichen Friedens’“, in dem Verschiedenartigkeit von Gruppen und Lebensformen zu keinerlei Turbulenzen führen würden. (zit. S. 249) Ein gewaltfreier Generalstreik schien ihm angezeigter als der revolutionäre Kampf mit der Waffe und jene Entmilitarisierung bezog er auch auf die Form des Widerstandes. Kellermann weist in seiner Zusammenschau darauf hin, dass letztes Ziel des Anarchismus eben nicht nur die Abschaffung des Staates oder des Rechts gewesen sei, sondern die Beseitigung der Gewalt, wie die Anarchisten überhaupt Zwang und Vergewaltigung, letztlich die Herrschaft von Menschen über Menschen verurteilt und abgelehnt hätten.
Im letzten Beitrag, der mit dem Titel „Das Mittel als Zweck“ ein Leitthema des Bandes aufgreift, setzt sich der Herausgeber Hendrik Wallat mit den Antworten von Albert Camus auf die Gewaltfrage auseinander, holt dabei weiter aus, um die Kritik von Camus am Marxismus/Bolschewismus „als Erbe der deutschen Ideologie“ zu erhellen, also „einerseits die Staatsgläubigkeit und andererseits die Hinterlassenschaft der Hegel´schen Geschichtsphilosophie.“ (S. 266) Die Revolte stehe für „universelle Freiheit ein, die allen gleichermaßen das Töten und Herrschen über Andere verbietet.“ (S. 276) Damit steht er in geistiger Verwandtschaft zu Bakunin, für den der Mensch „‚nur in seiner Eigenschaft als Mensch frei ist, die Knechtschaft eines einzigen Menschen auf der Erde, als Verletzung des Prinzips der Menschheit selbst, eine Negierung der Freiheit Aller.’“ (ebd., Anm. 9) Die Revolte, so die Botschaft, müsse sich darum treu bleiben: „Sie liebt das Leben, nicht den Tod.“ Daher dürfe der Hass auf die Verhältnisse nicht in Hass auf Menschen umschlagen, Rache sich nicht als Motiv einschleichen, der Aufstand nicht in Zerstörung entgleisen. Und Camus´ Antwort auf die Zweck-Mittel-Frage daher: „‚Rechtfertigt das Ziel die Mittel? Das ist möglich. Doch wer wird das Ziel rechtfertigen? Auf diese Frage, die das geschichtliche Denken offenläßt, antwortet die Revolte: die Mittel.’“ (S. 275)
Diskussion
„Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte“, soll Lenin geäußert haben und hat damit vermutlich Ordnungsliebe und Autoritätshörigkeit ironisiert. Gutwillig kann man es anders interpretieren: Der Revolutionär oder Aufrührer achtet darauf, die scheint´s positiven Elemente des Bestehenden im umstürzlerischen Gewaltakt zu bewahren, hier allerdings eine Ordnung, die Ausdruck von Herrschaft ist, die sich über eine interessiert vorausgesetzte Moral legitimiert, die zu reflektieren wäre. Insofern wird das – ‚ordentliche’, ‚tugendhafte’, d.h. moralisch ‚integre’ – Mittel bespöttelt, das die Verfolgung des Zweckes behindert bis hintertreibt. Anders bei Franz Josef Degenhardt, wo der Zweck das Mittel zu heiligen scheint: „Und da muß auch schon mal Kreti und Spreti dran glauben“, textete der linksgerichtete Sänger, als im Jahr 1970 der deutsche Botschafter Karl Graf von Spreti in Guatemala von linksextremistischen Guerilleros ermordet worden war. Die Empörung war groß, auch gegenüber einer Linken, die mit dem Kampf der ‚Volksbefreiungsarmee gegen den Yankee-Imperialismus’ sympathisierte. Prozesse wegen öffentlicher Billigung eines Totschlags wurden geführt, die RAF oder Baader-Meinhof-Gruppe sah sich bestätigt. Eher lakonisch (und laut Presse nach ‚gesundem Volksempfinden’: kaltschnäuzig) hatte Degenhardt das schon dekalogische Moralprinzip gegen das Töten dem Zweck geopfert, als Mittel exkulpiert. – Damit sind Positionen konturiert, zwischen denen das Dilemma von Gewalt und Moral angesiedelt ist, wohin die dann selbst problematisch werdende Lösung ausschlagen kann, nicht muss, was aber nicht nur in der jüngeren Geschichte, sondern nach wie vor eher ‚ratlos’ macht.
„Wir leben in Zeiten der Ratlosigkeit“, lautet der erste Satz in Wallats Einleitung (S. 7), womit er meint, dass trotz und „angesichts der globalen ökonomischen Krise des kapitalistischen Regimes (…) keine ernsthaften Stimmen zu vernehmen sind, die hiermit Hoffnung auf eine radikale emanzipatorische Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse verbinden.“ (ebd.) Dass solche „Transformation“ nicht friedlich verlaufen, nicht ohne Blutvergießen vonstatten gehen könnte, damit ist zu rechnen und entlässt in die „Ratlosigkeit“, welche die richtigen Schritte in das „wahre Reich der Freiheit“ sind, „das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann“, also „jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion“, wie es bei Marx im dritten Band des Kapital heißt. Wie es beim derzeitigen – weltweiten – Stand der Entwicklung der Produktivkräfte bestellt ist und wie nah „Möglichkeiten einer postkapitalistischen Ökonomie und Politik“ sind, was, so Wallat, nicht Gegenstand des Bandes ist (S. 11 Anm. 2), wird erörtert, wirft aber nicht zugleich – zeitgemäße – Antworten auf die Frage nach einer moralisch tragfähigen Zweck-Mittel-Relation vor allem im Hinblick darauf ab, wie das eine von dem anderen nicht korrumpiert wird.
„1978 war Gewalt in der westdeutschen Öffentlichkeit ein Anathema“, schreibt Claussen (S. 82), womit er Recht und Unrecht zugleich hat. Distanzierung vom Terrorismus, gemeint war die RAF, war das eherne politische Gebot der Stunde, dem sein Buch bei Rowohlt zum Opfer fiel, dann aber, nachdem es 1982 bei Campus erschienen war, eine der wichtigen Diskussionsgrundlagen innerhalb eines Teiles der westdeutschen Linken wurde. Die sozialistische Utopie war da mehr als eine Attitüde und sehr konkret; selbstredend wurden auch und gerade im Zusammenhang mit der RAF Fragen um Form und Inhalt revolutionärer Gewalt als „Geburtshelfer“ (Marx) einer neuen Gesellschaft diskutiert, wobei der Kapitalismus im Fokus blieb. Selbstredend wurde auch auf „Geschichtszeichen“ reflektiert, wie sie Kant in seinem „Streit der Fakultäten“ nicht als ‚ursächlich’, sondern als „Begebenheit“ in Betracht ziehen will, welche auf „Fortschreiten zum Besseren“ schließen lässt. Auch Kant hatte das „Recht der Menschen“, mit „Freiheit begabten Wesen“, im philosophischen Blick, setzte aber auf „Volksaufklärung“ und verwarf revolutionäres Handeln, weil dieses Recht „doch immer nur eine Idee“ sei, wie er anmerkt, „deren Ausführung auf die Bedingung der Zustimmung ihrer Mittel mit der Moralität eingeschränkt ist, welche das Volk nicht überschreiten darf; welches nicht durch Revolution, die jederzeit ungerecht ist, geschehen darf.“ Kant war weniger Bestandteil damaliger Diskussionen, somit auch nicht, wie dezidiert er die Zweck-Mittel-Frage im Hinblick auf und unter dem Primat von „Moralität“ beantwortet hat – als Philosoph. Nach Marx bestehe die „richtige Theorie im Bewußtsein einer Praxis, die auf die Veränderung der Welt abzielt“, und die „Praxis folgt der Wahrheit, nicht umgekehrt“, heißt es bei Marcuse in „Vernunft und Revolution“. Revolution, Aufruhr, Widerstand sind politisch praktisches Handeln, ihr Wahrheitsbezug und ihre moralische Rückversicherung sind ein schwieriges Geschäft, das den ‚Sieg’ verhindern kann, zum ‚Pyrrhussieg’ werden kann und wurde, wo man das ‚praktisch-philosophische Geschäft’ nicht schulterte. Festzuhalten bleibt an einer mit und nach Kant zu formulierenden „Kritik an der nur partikular vernünftigen, heteronomen Realität, welche die faktische Umsetzung des kategorischen Imperativs unmöglich macht“, worauf Schweppenhäuser in seinen Reflexionen über Kant und Adorno hinweist. (S. 217) Was jedoch zu bedenken bleibt, ist, wie Schiller zustimmend Bloch zitiert, dass bürgerliche Freiheiten „‚gewiss erst die halbe Sache und nicht einmal so viel’“ sind, „doch sie sind deshalb nicht etwa nichts, sondern erster freier Grund.’“ (S. 187) Zugleich aber besteht nicht nur die strukturelle Gewalt fort, sondern auch jene „Waffengewalt“, die, so der bei Kellermann zitierte Anarchist Ramus, „‚die Grundlage des kapitalistischen Eigentumsmonopols und des Staatsprinzips ist.’“ (S. 254) Ob solche starken Worte moderater zu formulieren sind oder nicht, sie zielen auf den Kern der Sache: Kriegseinsätze, die nur mit erheblichen Verrenkungen als Verteidigungskriege zu erklären sind, stehen im Geruch von Angriffskriegen für die Wahrung ökonomischer Interessen, wie ein ehemaliger Bundespräsident mehr als andeutete, wofür er schließlich seinen Abschied nahm. Mit einem ‚bewaffnetem Kampf’ von oben, den man ohne Sarkasmus mit Clausewitz als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ bezeichnen darf, tun sich heutige Politiker schwer, weshalb die begütigenden, den Nerv des Zeitgeistes treffende Parole lautet: Kriegseinsätze ja, aber bitte mit Moral. Kants Moralbegriff kann damit nicht gemeint sein, war für ihn doch der „Angriffskrieg“ und „Krieg“ überhaupt „das größte Hindernis des Moralischen“. Das Problem des Mittels gegen ein solches „Hindernis“ bleibt akut, folgt man Adornos ‚Kulturindustrie’ und seiner Bestimmung von ‚Halbbildung’ auch im so verkommenen Kantschen Projekt der „Volksaufklärung“, dass nämlich hier wie mit revolutionärer Gewalt die „Handlung, mit der geholfen werden soll, (…) verflucht (ist), das Elend zu vermehren“, wie es bei Horkheimer in „Dämmerung“ heißt, wo es weiter lautet: „Wenn das zynischste Mitglied der Herrenklasse dem asketischen Revolutionär vorwirft, er bedinge namenlose Leiden, hat er nicht einmal unrecht. Das ist die Welt.“
Das ist heute die Welt eines Kapitalismus, der vielen wie ein moribunder Vogel Phoenix erscheint, dessen Karkasse noch aus seiner pulverisierten Asche aufsteigt, wogegen auch ein Räsonieren über den Neoliberalismus und dessen psychosozialen Folgen nicht hilft wie auch Hoffnungen auf einen „Nachhaltigkeitskapitalismus“ (Neckel/Wagner) verebben. „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, schrieb ebenfalls Horkheimer im Jahr 1939 kurz vor dem Überfall auf Polen. Dieses Diktum dürfte Elbe bekannt sein. Er setzt sich mit Carl Schmitt auseinander, der vorgab, „Kriege nicht aus ökonomischen oder moralischen Gründen führen zu dürfen“ (S. 157), was den Kritiker seiner „Moral des ‚Ernstes’ und der ‚Erhabenheit’ als Bejahung von Askese, Selbstüberwindung und -opferung“ (S. 168) nicht hindern sollte zu untersuchen, in welche ökonomische Situation sich seine ‚Theorie’ einpasst und eine Politik flankiert, deren Hintergrundrauschen die Bewältigung einer Krise war. Schmitts „Ästhetisierung von harter Arbeit und Kampf (…) als Kern faschistischer imaginärer Sinnproduktion“ würden so eher zu erhellen sein. (ebd.) Abgesehen davon, dass sich nicht recht erschließt, welchen Stellenwert der Beitrag im Gesamt des Bandes hat, möchte man auf den Schriftsteller Ernst Jünger (den Elbe anmerkt) und seine Bücher „Der Kampf als inneres Erlebnis“ (1922) und „In Stahlgewittern“ hinweisen, in dem der Autor seine Erlebnisse an der deutschen Westfront im Ersten Weltkrieg beschreibt. Eingedenk der Worte Gadamers in „Wahrheit und Methode“, dass die „freie Erfindung des Dichters (…) Darstellung einer gemeinsamen Wahrheit“ ist, und der „Betrachter von heute sieht nicht nur anders, er sieht auch anderes“, kann unter diesen beiden Blickwinkeln sicherlich das ‚künstlerische’ Werk von Jünger, wohl aber auch das ‚wissenschaftliche’ von Schmitt betrachtet werden. Scheint´s fern jedweder politischen Verortung oder moralischen Implikation beschreibt Jünger den Krieg als schicksalhaftes Geschehen, als ein das Bewusstsein des Einzelnen über die Bedeutung seiner Tatkraft im Überlebenskampf schärfendes Erlebnis, ohne dass Sinn oder Zweck des Krieges zum Gegenstand werden. Literaturhistoriker rechnen ihn ob seines Realismus und der nüchternen Beschreibung der Neuen Sachlichkeit zu, zugleich aber sei sein Werk affirmativ, eine Elle, die man deutlicher an Schmitts ‚Sinnstiftung’ durch den Krieg insbesondere da legen kann, wo er, wie Elbe abschließend zitiert, die „‚Todesgefahr im Krieg’“ als Entscheidungssituation „‚zur Selbstüberwindung und Selbstopferung’“ für die Charakterbildung hochlobt. (S. 168) Wo sich der tapfere Stoßtruppführer des Schriftstellers Jünger noch mehr aus Lust am Wagnis als aus Pflicht kaltblütig der Todesgefahr stellt, ist es einen Krieg später beim ‚Philosophen’ Schmitt ein moralischer, da vom faschistisch vereinnahmten Begriff des Ernstes gesättigter Charakter, eines Begriffes, der laut Elbe „den normativen Kern des Schmitt´schen Begriffs des Politischen darstellt.“ (ebd.) Wer aber von einer „vollends nichtlegitimierbar gewordene(n) Welt politischer und ökonomischer Strukturen“ (so Elbe in Bezug auf den Faschismus – ebd.) nicht reden will, sollte auch von „deskriptive(r) Unbrauchbarkeit“ (S. 145) und vom fragwürdig Normativen schweigen, was nicht erklärt, woraus es sich speist, was aus Marx´ Analyse der Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft zu beziehen wäre. Elbe scheint der Faszination einer ‚bösen’ politisch-philosophischen Legitimation von Herrschaft zu erliegen, einer im Nachhinein ‚zynischen’ Erscheinungsform davon, dass die „Gedanken der herrschenden Klasse (…) in jeder Epoche die herrschenden Gedanken“ sind, nächst der materiellen die „herrschende geistige Macht“ (Marx) – was Elbe entlang Schmitt beschreibt, was nach Erklärung auch darum verlangt, weil Macht und Herrschaft fortwähren und in der Tat nur unzulänglich abstrakt, aber immer konkret zu fassen sind. Da sie sich als ‚konkrete’ Problematik für die – wie auch immer – Beherrschten stellen, bleibt die Frage nach Form und Inhalt der Ab- und Gegenwehr, bleibt die „Zweck-Mittel-Frage“ auch immer konkret und ist somit – vermutlich und zumindest bis in jene utopische Zeit hinter der Epochenschwelle, wo sie sich nicht mehr stellt – „nie endgültig moralisch“ zu beantworten oder „geschichtsphilosophisch“ zu lösen. (Wallat, s.o.) Das aber bleibt bei Elbe außen vor.
„Die Ablehnung der Anwendung von Gewalt ist reiner als der Versuch, Gewalt durch Gewalt abzuschaffen“ schreibt Horkheimer in seinen „Notizen“ und schließt mit den Fragen: „Aber wie, wenn die Menschheit ohne die, welche zu allen Zeiten gewaltsam ihre Befreiung betrieben, noch tiefer in der Barbarei steckte? Wie, wenn es der Gewalt bedürfte? Wie, wenn wir unsere ‚Harmonie’ durch Verzicht auf tatkräftige Hilfe erkauften? Diese Frage vernichtet die Ruhe.“ Und einige Seiten später notiert er, dass es „Gedanken“ gibt, die ins Krankhafte zu entgleisen scheinen, aber trotzdem wahr sind, „und wenn viele sie hätten, und zwar immer hätten, stände es vielleicht besser um die Menschheit.“ Solche „Gedanken“ kreisen darum, dass in „diesem Augenblick (…) unzählige Menschen auf der Welt absichtlich gequält, gefoltert, körperlich und geistig umgebracht (werden): (…) mir geht es zufällig erträglich, zufällig nicht in Beziehung auf die Ursachen, sondern auf meinen inneren Wert: ich bin wie alle die anderen.“ So weit habe Tolstoi gedacht (und die gesellschaftlichen Ursachen nicht erkannt). Allerdings hat Tolstoi auch die Diktatur des Proletariats abgelehnt, weil dann statt der Kapitalisten Arbeiterfunktionäre herrschen werden würden. Für den Anarchisten Ramus war er leuchtendes Vorbild, weil er, so bei Kellermann hervorgehoben, die „‚soziale Revolution’“ propagierte, die „‚in ihren Mitteln gleichfalls verschieden sein muß von den militärischen Waffenmethoden der politischen Revolution’“, wohin die „‚Aktionskämpfe des Individuums’“ geleiten, „‚das sich vom Kapitalismus, Staat und Militarismus heute schon radikal loslöst’“. (S. 253) Damit ist das Individuum in den Blick genommen, eines, das auf verändernde Praxis dringt und, weil unmittelbar betroffen, sich nicht die Horkheimerschen „Gedanken“ macht. Solche „Gedanken“ werden heute (‚only bad news are good news’) medienindustriell vorgekaut wie vermarktet und in oftmals mehr larmoyanten als kritischen Magazinsendungen als wohlfeile Ware zum Konsum freigegeben. Als Informationen können sie jene „Gedanken“ zeugen, die das Horkheimersche „zufällig“ über emotionale Betroffenheit auf „Ursachen“ lenken und verweisen können. Jene „sinnlichen Antriebe“, von denen Negt spricht, die, wie oben zitiert, als „Lieben und Leiden, Lachen und Trauern (…) keine Akzidentien revolutionärer Subjektivität“ sind, „sondern ihre Substanz“, sie können Initiationsmoment sein, „den Aufstand gegen das beschädigte Leben zu wagen“, womit der „Dimension der Subjektivität“ ein prominenter Stellenwert einzuräumen ist, deren Ausblendung zur „Essenz der Tragödie des Marxismus“ gehöre, was auch, um es zu wiederholen, Tränkle betont, der bürgerlicher Moralphilosophie „eine fast durchweg anti-hedonistische Stoßrichtung“ testiert und dies auch auf „revolutionäre Moral“ bezieht, die „Lust und Genuss“, somit auch ein „Recht auf sinnliches Glück“, „als Dekadenz, Luxus und Egoismus“ diffamiere. (S. 67 u. 78)
Noch in unseren Tagen setzt Haag in seiner „Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung“ auf „das gestaltende Wirken einer allmächtigen Vernunft“. Mögen solche Unkenrufe bis in philosophische Seminare hallen und da auf unfruchtbaren Boden fallen, kommt man nicht umhin davon auszugehen: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte“, wie die bekannte Stelle bei Marx im ‚achtzehnten Brumaire’ lautet, „aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ Mit deren dadurch affizierten psychosozialen Beständen ist zu rechnen, somit auch mit ihren Wünschen und Bedürfnissen. Soweit sie auch instrumentalisiert und korrumpiert sein mögen oder sind, über Faktenwissen zu den im Alltag aufscheinenden Widersprüchen, über Erfahrung eigener wie Wissen um fremde Unfreiheit oder Unterdrückung könnten oder können jene „radikalen Bedürfnisse“ (Heller) keimen, die im Hier und Jetzt nicht zu befriedigen sind. Sie sind nicht erst, aber mit Dringlichkeit in das Kalkül um Zweck-Mittel-Relation im Akt revolutionärer Umwälzung auch und gerade in Bezug auf Moralität einzubeziehen, damit nicht Moral die eine Sache bleibt und Politik eine andere, sondern sich beides verschränkt, worin der Transport destruktiver, Amoralität begründender emotionaler Bestände ‚unterbrochen’ wird. Ein aversives Gefühl wie Rache dürfte da, im ‚Zweck’ wie im ‚Mittel’, keinen Bezugspunkt mehr finden. „Lynchjustiz“ (Schiller, s.o.), in der sie sich ausdrücken kann, wäre undenkbar, ebenso wie eine „Attributierung der Tötung mit ‚sittlich’“ (Schiller, S. 181) wie bei Benjamin, in deren Nähe Horkheimer und Adorno mit Bezug auf Eichmann und die Auschwitzprozesse kamen. Gleiches gilt für den Hass, der nach Kolnai sich gegen Menschen richtet, „die niemals eigentlich ‚meinen Weg gekreuzt’ haben (…), die mir aber als Verkörperungen einer widerwärtigen Lebensform erscheinen und die ich immerhin – sei es noch so peripherisch, ohne jede ‚Bedrohung’ meiner selbst – als Träger von Macht erlebt habe.“ Drastischer noch meint Honneth im Sinne von Kolnai formulieren zu dürfen, „daß jeder Haß von dem Wunsch umschattet ist, das betreffende Objekt möge niemals existiert haben.“ Kolnai untersuchte solche negativen Gefühle, um zu erkunden, was sie über die Zerbrechlichkeit unserer moralischen Bestände und über ihre Unvollkommenheit sagen. Aber sie sind nicht allein ‚lebensweltlich’ vermittelt, genauso wenig wie die „Banalität des Bösen“ allein in „Selbstsucht“ (Arendt) gründet, sondern aus der Logik gesellschaftlicher Strukturen kommt, wo all dem der Nährboden zu entziehen ist (bzw. wäre). Daran ist, auch das ist in der Reflexion um Gewalt und Moral und einer Dialektik der Befreiung aufgegeben, nicht erst in der Situation des Umsturzes, der Umwälzung zu denken und zu arbeiten, sondern im Hier und Heute und gegen alle Widrigkeiten, damit Moralität nicht bloß Gegenstand von Sonntagsreden bleibt oder sich in eine Doppelmoral wendet, die sich aus den Nöten und Zwängen des Alltagslebens legitimiert, sich im „Ungefähren“ (Giessen et al.) verschanzt, dem Bereich der noch zu duldenden moralischen Abweichung, wo „auch der angestrengte Versuch zu genauer Regelanwendung das Ungefähre der Übersetzung der Regel in einen konkreten Fall nicht auflösen kann.“ – Dass all solche Nötigungen und aversiven Gefühle den Boden unter den Füßen verlieren sollen, scheint: utopisch.
Das scheint´s Unmögliche zu fordern und dabei Realist zu bleiben, heißt auch sich zu vergegenwärtigen, dass jene viel zitierte „Kritik der Waffen“ nicht schweigt noch schweigen wird, ihr aber durch die „Waffe der Kritik“ gewehrt werden muss, auch in einer Welt, die zum Dorf geworden ist, dass sich in den besseren Wohnlagen von einem Terrorismus bedroht sieht, der nichts mit dem klassischen Verständnis von Revolution gemein zu haben scheint, wohl aber, jedenfalls nach der einen oder anderen Parole, mit der Entwicklung des Kapitalismus, wenngleich auch die ‚Kampfrufe’ oder Begründungen häufig andere sind. Die Terroristen haben ihre Gründe, bezogen aus der Einschätzung ihrer Situation. Und wenn sie diese „als real definieren, dann sind diese in ihren Folgen real“, so der Lehrsatz von W. I. Thomas. Situation und Gründe werden mit anderen, fremden und fernen Menschen identifiziert, zwar mit „Charaktermasken“ (Marx), Verwesern oder Nutznießer dessen, was man für das Übel hält, Repräsentanten vielleicht jener Kolnaischen „widerwärtigen Lebensform“, gegen die sich Hass richtet. Claussen definiert den Terror als „per se bürgerliche Form der Gewalt, die auf Verinnerlichung des Schreckens durch die Gesellschaftsmitglieder abzielt“, der die „menschliche Welt gegenseitiger Anerkennung“ verlässt, „die selbst noch im Freund-Feind-Verhältnis“ stecke. (S. 83 u. 86) Wenn der Weg zum Zweck mit Hass gepflastert ist, dann ist es erst einmal schlecht um die Zweck-Mittel-Frage mit Perspektive auf ‚vernünftige’ Antwort im Kantschen Sinne bestellt und somit schlecht um eine (mancherorts) „Welt des Reichtums und der Bildung“ bestellt, die den Terrorismus – als eben bürgerliche Form der Gewalt – gebiert. Mit seinen dann nur vorgeschützten Gründen und moralisch unhaltbaren Mitteln ‚reagiert’ er beim gegenwärtigen „Stand der Entwicklung der Produktivkräfte“ darauf, dass „nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige“ wieder aufflammt, was befürchten lässt, dass sich die „ganze alte Scheiße“ wieder herstellt. Das jedenfalls ist als Annahme bei Marx und Engels zu entnehmen, wo sie in der ‚Deutschen Ideologie’ den Kommunismus als „wirkliche Bewegung“ bestimmen, „welche den jetzigen Zustand aufhebt“, und „empirisch nur als Tat der herrschenden Völker ‚auf einmal’ und gleichzeitig möglich“ ist. Was für den Terrorismus höchst zweifelhaft ist, dass er dahin kommen kann, „sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden“, ist für die „stürzende Klasse“ in „einer Revolution“ (ebd.) auch darum problematisch, weil „Menschen (…) nie auf das (verzichten), was sie gewonnen haben“, wohl aber auf die „Gesellschaftsform (…), in der sie bestimmte Produktivkräfte erworben haben“, wie Marx in einem Brief an Annenkow schreibt. „Um des erzielten Resultats nicht verlustig zu gehen, um die Früchte der Zivilisation nicht zu verlieren“, sind die Menschen nicht nur gezwungen, „alle ihre überkommenen Gesellschaftsformen zu ändern“, sondern in diesem Prozess werden sicher auch die bereits entwickelten Inhalte von Moralität weiter entfaltet werden müssen, was Dreh- und Angelpunkt der Zweck-Mittel-Frage ist und fußend auf Ökonomiekritik auf die Möglichkeit faktischer Umsetzung des Kantschen kategorischen Imperativs sinnt.
Fazit
Dass die Frage um Gewalt und Moral, dass die Zweck-Mittel-Frage nach wie vor und nicht nur für Revolutionsnostalgiker ein Thema von großer Wichtigkeit und nicht nur philosophischer Relevanz auch für kritische Theorie und an ihr orientierte Soziologie ist, dass sie bis in den Bereich individueller Selbstvergewisserung reicht und zu sinngesättigter Orientierung verhilft, wird entlang der Lektüre dieses bemerkenswerten Sammelbandes überdeutlich. Die Beiträge bestechen nicht nur als außerordentlich kenntnisreiche Behandlungen ihrer jeweiligen Gegenstände, sie sind durch ihre kritischen Aufnahmen auch eine Plattform für Diskussionen, die sich an Positionen, wie sie von den Autoren mit überzeugendem Argumentationsaufwand entwickelt werden, entzünden und entwickeln können. Warum ein solches Buch in „Zeiten der Ratlosigkeit“ (Wallat, s.o.)? Die Frage stellt sich nach der Lektüre nicht mehr. Wer sich mit Kant, Hegel und auch Marx sowie mit kritischer Theorie vertraut machen oder weiter auseinander setzen möchte, wem auch ganz persönlich Fragen um Moralität anliegen, der wird diesen Band mit hohem intellektuellem Gewinn lesen.
Rezension von
Arnold Schmieder
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Es gibt 126 Rezensionen von Arnold Schmieder.
Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 12.01.2015 zu:
Hendrik Wallat (Hrsg.): Gewalt und Moral. Eine Diskussion der Dialektik der Befreiung. Unrast Verlag
(Münster) 2014.
ISBN 978-3-89771-543-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17592.php, Datum des Zugriffs 10.12.2023.
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