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Torsten Porsch, Stephanie Pieschl: Neue Medien und deren Schatten

Rezensiert von Dr. Antje Flade, 27.10.2014

Cover Torsten Porsch, Stephanie Pieschl: Neue Medien und deren Schatten ISBN 978-3-8017-2479-5

Torsten Porsch, Stephanie Pieschl: Neue Medien und deren Schatten. Mediennutzung, Medienwirkung und Medienkompetenz. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2014. 336 Seiten. ISBN 978-3-8017-2479-5. D: 34,95 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 46,90 sFr.

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Thema

In dem Buch wird versucht, auf die vielfältigen Fragen zur Nutzung und Wirkung der neuen Medien eine wissenschaftlich fundierte Antwort zu geben. Ziel ist eine verständliche Darstellung des Stands der Forschung, die dennoch der Komplexität und Fragilität der empirischen Forschungsergebnisse gerecht wird. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge untersuchen die Thematik aus psychologischer Sicht.

Herausgeber und Herausgeberin

Torsten Porsch hat Psychologie und Politikwissenschaft studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein- Westfalen. Stephanie Pieschl hat Psychologie studiert. Derzeit ist sie Akademische Rätin am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Universität Münster.

Aufbau

Das Buch besteht aus insgesamt 12 Kapiteln, die unabhängig voneinander gelesen werden können. Die Kapitel sind drei Teilen zugeordnet. Es wird stets die männliche und weibliche Form (z.B. Userin und User) verwendet. Die Rezensentin beschränkt sich auf das generische Maskulinum.

Inhalte

In der Einleitung betonen die Herausgeber, dass Medien an sich nicht schädlich sein können. Die neuen Kommunikations- und Informationsmedien haben zweifellos viele Vorteile. Schädlich ist allein deren Missbrauch. Ziel des Buches ist, sich speziell mit den negativen Effekten insbesondere auf Minderjährige zu befassen. Es folgt ein ausführlicher Überblick über die Beiträge.

Im zweiten Kapitel stellen Feierabend, Karg und Rathgeb die Ergebnisse der JIM-Studie 2012 vor. JIM steht für Jugend, Information und (Multi-)Media. Seit 1998 wird jährlich eine repräsentative Stichprobe von 12- bis 19-Jährigen telefonisch zum Medienverhalten befragt. Es zeigt sich, dass die neuen Medien bereits in der Kindheit eine große Rolle spielen. Wichtigste Medientätigkeiten für Jugendliche sind Musik hören, Internet- und Handynutzung. Das Internet ist für sie ein wichtiges Kommunikationsmittel.

Im dritten Kapitel widmen sich Trepte und Dienlin dem Thema Privatsphäre. Sie verweisen auf verschiedene Modelle sowie die Mehrdimensionalität und den Prozesscharakter von Privatheit. Ein eigenes Privatsphäre-Prozess-Modell wird vorgestellt, in dem zwischen informationaler, sozialer, psychischer und physischer Privatsphäre unterschieden wird. Durch das Internet wird in erster Linie die informatorische Privatheit verändert. Auch wenn die Nutzer besorgt sind, dass ihre Privatsphäre tangiert wird, so haben sie es doch in der Hand, sich im Netz so darzustellen, dass sie in einem positiven Licht erscheinen. Die Diskrepanz zwischen der Sorge um die Privatsphäre und der vermehrten, mit der Preisgabe persönlicher Daten einhergehenden Kommunikation bezeichnen die Autoren als Privatsphäre-Paradox.

Im vierten Kapitel thematisieren Nauroth, Bender, Rothmund und Gollwitzer sowohl die Wirkung als auch die Diskussion über die Wirkung gewalthaltiger Bildschirmspiele (Killerspiele), die durch aktuelle Gewalttaten immer wieder neu entfacht wird. Es gilt, empirisch zu prüfen, inwieweit solche Spiele zu einer erhöhten Aggressionsbereitschaft führen. Die dabei auftauchenden methodischen Probleme werden eingehend geschildert. Zusammenfassend wird festgestellt, dass gewalthaltige Bildschirmspiele einen Aggressionen fördernden Effekt haben, auch wenn dieser Effekt nicht immer zutage tritt. Die weitere Frage ist, wie der Forschungsstand in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Ursachen einer voreingenommenen Beurteilung von Forschung werden beleuchtet, wobei verschiedene sozialpsychologische Theorien ins Feld geführt werden.

Im fünften Kapitel analysieren Diergarten, Nieding und Ohler den Einfluss der Werbung in den neuen Medien auf Kinder und Jugendliche. Dabei wird unterschieden zwischen kognitiven, affektiven und behavioralen Effekten. Nachweisbar sind Zusammenhänge zwischen Werbung in den Medien und Quengeln sowie problematischem Essverhalten. Moderatorvariablen wie das Alter des Kindes und der soziökonomische Status der Eltern spielen dabei eine bedeutende Rolle. Die beste Strategie, um den negativen Einfluss der Werbung zu verringern, ist die Förderung von Medienkompetenz. Dazu werden zwei konkrete Ansätze vorgestellt.

Im sechsten Kapitel behandeln Pieschl und Porsch das Thema Cybermobbing, das definiert wird als Mobbing mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien, dem gegenüber sich das Opfer ausgeliefert und emotional belastet fühlt. Die Ursachen, Risikofaktoren und Folgen von Cybermobbing werden ausführlich geschildert. Abschließend werden Präventions- und Interventionsmaßnahmen vorgestellt.

In Kapitel 7 befassen sich Eichenberg und Auersperg mit dem Thema sexuelle Belästigung im Internet. Die verschiedenen Formen sexueller Gewalt werden erläutert. Es wird differenziert zwischen Minderjährigen und Erwachsenen als Opfer, wobei sich ein Abschnitt speziell mit Frauen als Opfern befasst. Ein allgemeiner Effekt des Internet ist die vermehrte Bereitschaft, sich anderen gegenüber zu öffnen. In der Internetkommunikation treten darüber hinaus Phänomene wie Deindividuierung und Dehumanisierung auf. Es wird zwischen primären, sekundären und tertiären Präventionsmaßnahmen unterschieden.

Im achten Kapitel untersuchen Happ, Melzer und Steffgen die Effekte von Videospielen. Im Fokus der Forschung ist aggressives Verhalten als Auswirkung gewalthaltiger Videospiele. Die intensive Beschäftigung mit dieser Frage rührt nicht zuletzt daher, dass zwischen schweren Gewalttaten an Schulen und der Nutzung gewalthaltiger Videospiele ein Zusammenhang vermutet wird. Herausragendes Merkmal von Videospielen, was deren Attraktivität begründet, ist das Erleben von Selbstwirksamkeit. Gewalthaltige Videospiele sind ein bedeutender Risikofaktor. Moderierende Faktoren sind Persönlichkeitsmerkmale und Merkmale der sozialen Umwelt. Als Präventionsansatz wird die Förderung von Medienkompetenz vorgeschlagen, zumal ein Verbot von einzelnen Videospielen kaum durchsetzbar wäre. Forschungsbedarf besteht insbesondere im Hinblick auf die Art und Bedeutung von Schutzfaktoren.

Im neunten Kapitel untersucht Rehbein die Computerspiel- und Internetabhängigkeit, die sich in einer exzessiven Nutzung manifestiert. Zwischen 0,9 bis 1,7% der Jugendlichen und rund 1% der Erwachsenen sind in dieser Hinsicht süchtig. Für die Diagnose eines „Internet Gaming Disorder“ bedarf es weiterer Kriterien außer einem zeitlich exzessiven Spielen, darunter Entzugserscheinungen und Kontrollverlust. Computerspielabhängige Jugendliche sind überwiegend männlich, weisen verschiedene schulbezogene Auffälligkeiten auf, sind psychisch belasteter, häufiger depressiv, impulsiver, weniger empathisch und sozial auffälliger. Die Computerspielsucht kann sowohl mit psychotherapeutischen als auch medikamentösen Behandlungen reduziert werden.

In zehnten Kapitel beleuchtet Eichenberg „extreme communities“ in Gestalt von Online-Foren. Die Autorin schildert verschiedene Foren, wobei sie deren Gefahren und deren Nutzen einander gegenüber stellt. Probleme sind unter anderem Essstörungen und suizidale Krisen. Für Menschen mit psychischen Problemen können solche Foren neue Interaktionskanäle eröffnen. Die Ergebnisse einer Online-Befragung in SVV-Foren (SVV= selbst verletzendes Verhalten) werden vorgestellt. Von den Befragten waren 90% weiblichen Geschlechts und jünger als 25 Jahre. Die häufigsten Motive zur Teilnahme an einem Forum sind das Streben nach emotionaler Unterstützung und soziale Bedürfnisse. Für einige Teilnehmer bergen solche Foren aber auch Gefahren. Deshalb sind Kriterien erforderlich, anhand derer die Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit der Foren eingestuft werden kann.

Die Kapitel 11 und 12, aus denen sich der dritte Teil zusammen setzt, befassen sich nochmals mit dem Thema (Cyber-)Mobbing. Im elften Kapitel liefern Pfetsch, Mohr und Ittel einen Überblick über Präventionsansätze, die sich speziell auf Cybermobbing richten. Im zwölften Kapitel setzen sich Gradinger, Yanagida und Strohmeier mit dem Thema Mobbing allgemein sowie einer wissenschaftlich fundierten Gestaltung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen gegen Mobbing auseinander. Sehr ausführlich wird ein in Schulen einsetzbares Präventions-Programm dargestellt.

Diskussion

Es wird ein gesellschaftlich wichtiges Thema unter die Lupe genommen. Dies geschieht auf eine systematische und zugleich verständliche Art. Die von verschiedenen Autoren verfassten Kapitel sind übersichtlich gegliedert und ähnlich aufgebaut. Noch überzeugender wäre indessen eine etwas andere Anordnung der einzelnen Beiträge gewesen. So nimmt das Thema Cybermobbing mit insgesamt drei Kapiteln nicht nur viel Raum ein, sondern ist auch an unterschiedlichen Stellen zu finden. Man hätte die Kapitel zu einem Themen-Komplex zusammenfassen können. Ähnliches gilt für die Beiträge zu den Auswirkungen gewalthaltiger Darstellungen in den Medien. Das vierte Kapitel über Killerspiele und das achte Kapitel über gewalthaltige Videospiele ergeben z. B. zusammen einen Spiele-Komplex.

Wie problematisch die empirische Forschung über die Auswirkungen gewalthaltiger Darstellungen in den Medien ist, wird nicht verschwiegen. Die sozialwissenschaftliche Forschung sei, wie im vierten Kapitel hervor gehoben wird, mit soviel Fragilität behaftet, dass sie nicht immer Antworten auf drängende Fragen liefern kann, z.B. zum Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen in den Medien und Aggressionsbereitschaft. Angesichts der von den Autoren immer wieder betonten Vorläufigkeit und fehlenden Eindeutigkeit der Forschungsergebnisse verwundert es nicht, dass zu diesem Sachverhalt Meinungen vorherrschen und man etwaige Forschungsergebnisse, die nicht immer klar und eindeutig sind, gar nicht erst zur Kenntnis nimmt.

Mitunter ist im Vergleich zu dem jeweiligen Thema der allgemeine einführende und grundlegende Abschnitt in einem Kapitel sehr Raum füllend. Es wird weit ausgeholt wie z.B. in Kapitel 5, in dem recht ausführlich auf die Grundlagen der sozialen und kognitiven Entwicklung eingegangen wird, bevor dann die eigentliche Fragestellung, die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch Werbung, zur Sprache kommt.

Insgesamt gesehen ist jedoch die systematische und informative Darstellung des Forschungsstand zu den einzelnen Themen höchst positiv zu bewerten.

Fazit

Ein gesellschaftlich relevantes und aktuelles Thema wird von Fachleuten differenziert und kompetent dargestellt. Das Buch ist deshalb sowohl allen, die sich mit der Frage der Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologie insbesondere auf junge Menschen befassen, als auch Lehrenden und Studierenden zu empfehlen. Es ist ein geeignetes Lehrbuch, direkt ablesbar an der Herleitung der Fragestellung, den Arbeitsaufgaben, Exkursen, herausgehobenen Erläuterungen und ausführlichen Literaturangaben in den unabhängig voneinander zu lesenden Beiträgen.

Rezension von
Dr. Antje Flade
Psychologin, Sachbuchautorin
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Es gibt 55 Rezensionen von Antje Flade.

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ISSN 2190-9245