Birte Gundelach: Ethnische Diversität und Soziales Vertrauen
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Berg, 30.01.2015
Birte Gundelach: Ethnische Diversität und Soziales Vertrauen. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2014. 247 Seiten. ISBN 978-3-8487-1469-8. D: 49,00 EUR, A: 50,40 EUR, CH: 69,90 sFr.
Thema
Für die Moderne wird immer wieder die Frage gestellt, ob der gesellschaftliche Zusammenhalt abnimmt. Dabei wird immer wieder vermutet oder behauptet, dass dies für Einwanderungsländer mit ethnischer Vielfalt gilt. Die soziologischen Forschungen haben sich dabei darauf konzentriert, das soziale Vertrauen zu messen.
Autorin
Die Autorin setzt sich im Rahmen ihrer Dissertation, die im Sommer 2013 von der Universität Bern angenommen wurde, kritisch mit dem Forschungsstand auseinander.
Aufbau
Die Studie befasst sich im ersten Teil mit den Begriffen und Konzeptionen von sozialem Vertrauen und Diversität, referiert dann den aktuellen Forschungsstand, um schließlich zwei Datensätze ausführlicher vorzustellen und zu analysieren, nämlich den World Value Survey aus 2005-2008 und den Freiwilligen-Monitor Gemeinden aus der Schweiz 2010.
Im Anhang werden die wichtigsten Forschungsdesigns und die statistischen Prüfungen in Übersichten und Zahlen präsentiert. Das Literaturverzeichnis benennt über 200 Studien, überwiegend aus der nordamerikanischen Sozialpsychologie und politischen Soziologie.
Inhalt
Ausgangspunkt sind US-amerikanische Studien, insbesondere die von Putnam aus dem Jahre 2007, die negative Wirkungen ethnischer Vielfalt auf den sozialen Zusammenhalt behaupten; dabei leide unter der Diversität nicht nur das Vertrauen gegenüber der Fremdgruppe, sondern auch das in die Eigengruppe.
Die Autorin plädiert nunmehr dafür, das „soziale Vertrauen“ vom Vertrauen in Institutionen zu unterscheiden und differenzierter zu betrachten. Sie konzentriert sich dabei auf vier Formen:
- generelles Vertrauen, das traditionell mit dem Item „Allgemein gesprochen, würden Sie sagen, dass man den meisten Menschen vertrauen kann?“ abgefragt wird
- partikulares Vertrauen in Bezug auf Personen, die man kennt, also Verwandte, Arbeitskollegen, Freunde
- „identitätsbasiertes“ Vertrauen zu Personen, mit denen man Herkunft, Nationalität oder Religion gemeinsam hat
- Vertrauen in Personen, die in derselben Gemeinde oder Nachbarschaft leben (sog. community trust).
Was „ethnische Diversität“ anbelangt, so handelt es sich um (Selbst-oder Fremd-) Zuschreibungen, die in vielen US-Studien seltsamerweise noch an „race“ (Weiße, Afro- und Hispanoamerikaner, Asiaten) dingfest gemacht werden. Daraus wurde der sog. Herfindahl-Index entwickelt, der heute noch in Gebrauch ist und die Wahrscheinlichkeit misst,, dass zwei zufällig ausgewählte Personen verschiedenen ethnischen Gruppen angehören.
Die Sozialpsychologie hat ausführlich begründet, dass es rational sei, in der Konkurrenz um knappe Ressourcen und kulturelle Werte zwischen Eigengruppe und Fremdgruppe zu unterscheiden. Gegenüber dieser Konflikttheorie betonen die Vertreter der Kontakthypothese, dass sich unter bestimmten Bedingungen (gleicher Status, gleiche Ziele) Personen aus unterschiedlichen Ethnien schätzen und verstehen lernten.
Im Hauptteil des vorliegenden Forschungsberichts referiert nun die Autorin eine Vielzahl von empirischen Studien, die in den so konzipierten Rahmen passen. Deren Ergebnisse sind in vielen Fällen nicht geeignet, „systematische“ Korrelationen zwischen Diversität und Vertrauen zu bestätigen; das schließt nicht aus, dass einzelne Studien z.B. einen negativen Zusammenhang zwischen dynamischer Immigration (d.h. schnell wachsender Zahl von Einwanderern) und generellem Vertrauen nachweisen.
Referiert werden auch Studien aus den Niederlanden, die belegen, dass das Vertrauen in die Nachbarschaft umso höher ist, je höher der Anteil der eigenen ethnischen Gruppe liegt. Bei allem Zweifel an den Messinstrumenten erlaubt sich die Autorin den Hinweis darauf, dass höhere Diversität auch höheres Vertrauen in Fremdgruppen bewirken kann.
Aus dem Schweizer Datensatz (ca. 5.000 Befragte in 60 kleineren Gemeinden) ist nach Analyse der Autorin ein signifikanter Zusammenhang zwischen identitätsbasiertem Vertrauen (gegenüber nationalen oder religiösen Fremdgruppen) und ethnischer Diversität nachweisbar. Das Nachbarschaftsvertrauen sei indes geringer, wenn sich eine ökonomische Bedrohung abzeichne. Die Kontakttheorie wird laut Gundelach indirekt dadurch bestätigt, dass sich generelle Diversitätseffekte statistisch signifikant nur für Personen zeigen lassen, die keinen Kontakt zu Immigranten haben.
Diskussion
Die vorliegende Arbeit gibt einen prägnanten Überblick über den Forschungsstand in der westlichen Soziologie/Sozialpsychologie, der ja kaum noch überschaubar ist.
Es besteht ja das Problem, dass je nach Interessenlage manche Einzelbefunde herausgestellt, andere vernachlässigt werden können. Die Autorin geht kritisch an die referierten Studien heran und scheut sich nicht vor der Feststellung, dass generelle Zusammengänge kaum nachweisbar und allgemeine Schlussfolgerungen meist müßig sind. Und da liegt doch m.E. das eigentliche Ergebnis: Es kann immer nur die konkrete Gemeinde oder Nachbarschaft, in der besonderen Konstellation kultureller Vielfalt, ihrer politischen Vorgeschichte und ökonomischen Bedingungen betrachtet werden.
Es sind nicht Theorien oder Hypothesen, die die Wirklichkeit bestimmen, sondern handelnde Subjekte. Die referierten Studien geben den Akteuren zu wenig, den Bedingungen zu viel Raum. Viele Studien sind der Mehrheitsgesellschaft, den „Eingeborenen“, verpflichtet. Eine Art methodischer Nationalismus oder Autochtonie-Vorrang sind unterschwellig da. Wie sehen eigentlich Einwanderer Diversität? Wovon hängt ihr Vertrauen in die Gemeinde und Nachbarschaft ab?
Die Autorin macht eindringlich deutlich, dass Zusammenhänge viel komplexer sind als der Buchtitel es nahelegt. Gerade Putnam hat in früheren Arbeiten gezeigt, dass die Mitgliedschaft und Mitgestaltung in Organisationen jenseits von Familie, Markt und Staat, z.B. in Gewerkschaften, Chören oder Sportvereinen, also das bürgerschaftliche Engagament, maßgeblich soziales Vertrauen fördern. Ich plädiere also dafür, Vertrauen als eine soziale Beziehung zu verstehen, als Kommunikation zwischen Personen, die länger oder kürzer am Ort und zusammen leben und spezielle Formen des Zusammenlebens, auch des Vertrauens zueinander wechselseitig entwickeln.
Die vorliegende Veröffentlichung spart die statistischen Analysen und Tabellen nicht aus, bleibt aber gut lesbar. Bei aller Sorgfalt, die sonst waltet, fallen vor allem eingangs etliche Kommafehler auf.
Fazit
Wer sich vor etwas Statistik und sozialpsychologischer Theorie nicht fürchtet, gewinnt einen guten Überblick über eine wichtige Frage der multikulturellen Gesellschaft und starke Gründe, sich den aktuellen Handlungszusammenhängen und ihren Akteuren, der Bürgergesellschaft zuzuwenden.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Berg
Hochschule Merseburg
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Zitiervorschlag
Wolfgang Berg. Rezension vom 30.01.2015 zu:
Birte Gundelach: Ethnische Diversität und Soziales Vertrauen. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2014.
ISBN 978-3-8487-1469-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17649.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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