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Siegfried Lamnek: Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch

Rezensiert von Prof. Dr. Joachim König, 08.03.2005

Cover Siegfried Lamnek: Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch ISBN 978-3-621-27544-6

Siegfried Lamnek: Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2005. 4., vollständig überarbeitete Auflage. 808 Seiten. ISBN 978-3-621-27544-6. 49,90 EUR. CH: 84,00 sFr.

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Hintergrund und Funktion des Buches

Der Durchbruch ist geschafft! Das ist die Botschaft dieses Lehrbuches. Die qualitativen Methoden haben inzwischen ein Ansehen und eine Verbreitung in den Human- und Sozialwissenschaften gefunden, von dem 1988, als Siegfried Lamnek noch wenig selbstbewusst mit seiner ersten Auflage um das Interesse der Leserschaft warb, noch niemand geträumt hat. Neben dem zweiten zentralen Werk in diesem Bereich, Mayrings 'Einführung in die qualitative Sozialforschung', gehört Lamnek seither zu den entscheidenden Wegbereitern der Idee, dass auch qualitative, genauso wie die quantitative Forschung "kanonisiert aufbereitet, dargestellt und erlernt werden kann" (S. XI).

Mit seinen mehr als 800 Seiten trägt nun dieses - erstmals zusammengefasst in einem Band erschienene - Werk genau diesem Bedarf auf eine äußerst einladende Art und Weise Rechnung: Mit vielen Beispielen und guten Fazits didaktisch schön aufbereitet, lädt es als Lehrbuch so richtig zum Forschen ein! Die 4. Auflage ist gründlich überarbeitet und außerdem um wichtige neue Themen erweitert worden:

  • Typenbildung,
  • sozialwissenschaftliche Hermeneutik,
  • Online-Gruppendiskussionen,
  • Ermittlung kollektiver Orientierungsmuster
  • und die dokumentarische Methode

sind wichtige und spannende Verfahren, die in vielen Untersuchungen inzwischen eine bedeutende Rolle neben allen bewährten, auch quantitativen Ansätzen spielen.

Inhaltliche Einblicke in das Buch

Auf den ersten 300 (von 800) Seiten entfaltet Lamnek zunächst die Grundlagen der qualitativen Sozialforschung. Er stellt alle zentralen Grundprinzipien dar, entwickelt eine Typologie der verschiedenen Ansätze und vermittelt den dazu notwendigen wissenschaftstheoretischen Hintergrund. So entsteht ein guter Überblick über den gesamten Komplex qualitativer Methodik, den Lamnek dann entlang der Diskussion der Gütekriterien qualitativer Forschung klar von den quantitativen Verfahren abgrenzt. Vor allem im darauf folgenden Kapitel über das gegenseitige Verhältnis von quantitativen und qualitativen Verfahren wird aber deutlich, dass es in dieser Diskussion inzwischen längst nicht mehr um das Formulieren von Frontlinien und Ausschlusskriterien geht, sondern vielmehr um die Perspektiven der gegenseitigen Ergänzung und der sinnvollen gemeinsamen Anwendung von Methoden aus diesen für manche auf den ersten Blick unvereinbar erscheinenden Bereichen.

Spannend für diejenigen, denen es in erster Linier um den Zugriff auf methodisches Handwerkszeug und Know-how geht, wird es dann spätestens ab Seite 298: Nach einem kurzen Überblick werden nun die einzelnen Verfahren zur Erhebung, Aufbereitung und Analyse qualitativer Daten einzeln, ausführlich und immer wieder illustriert mit Anwendungsbeispielen dargestellt, aber auch in Beziehung zu einander gebracht:

  • Die Einzelfallstudie als der Prototyp qualitativer Forschung steht da natürlich sinnvoller Weise am Anfang. Die verschiedenen Arten von Fallstudien werden dargestellt und in Verbindung mit den möglichen Zielen ihres Einsatzes (Exploration, Hypothesenentwicklung, Ermittlung der Praktikabilität usw.) gebracht.
  • Qualitative Interviews erfreuen sich inzwischen in vielen Bereichen großer Beliebtheit. Auch hier werden die Unterschiede im Detail und die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von narrativen, episodischen, problemzentrierten oder auch fokussierten Interviews gut herausgearbeitet und an vielen Beispielen deutlich gemacht.
  • Gruppendiskussionen eröffnen seit der inzwischen immensen Erweiterung ihrer edv- und internetgestützten Einsatzmöglichkeiten immer weiter gehende methodische Möglichkeiten. Dies bringt in diesem Abschnitt vor allem das neu eingefügte Kapitel über die Online-Gruppendiskussion zum Ausdruck.
  • Die Inhaltsanalyse gilt inzwischen als Klassiker unter den Auswertungsmethoden im qualitativen Bereich. Immer wenn es um die Analyse etwa von Texten oder Interviews geht, steht hier ein inzwischen gut abgesichertes Verfahren zu Verfügung, an dessen Entwicklung in erster Linie Philipp Mayring ('Einführung in die Qualitative Inhaltsanalyse') maßgeblich beteiligt war. Interessant ist hier, dass Lamnek darüber hinaus auch noch den Versuch unternimmt, qualitative in Gegenüberstellung mit einer quantitativen Inhaltsanalyse zu charakterisieren.
  • Teilnehmende Beobachtung. Auch in diesem Kapitel werden alle gebräuchlichen Varianten dieses ursprünglich aus der Ethnologie und aus der Kulturanthropologie stammenden Verfahrens erläutert und in seinen inzwischen sehr breiten Anwendungsmöglichkeiten abwägend gegenübergestellt.
  • Das qualitative Experiment wird - so Lamnek - in seiner möglichen Bedeutung und Einsetzbarkeit immer noch unterschätzt. Gerade im Aufdecken immanenter Sinnstrukturen, etwa durch Gedanken- oder Rollenspielexperimente können wichtige Funktionen dieses Ansatzes, in erster Linie für die qualitative Praxisforschung liegen.
  • Die biografische Methode ist wohl eine der ältesten und auch lange Zeit eher unbeachteten Strategien. Auch hier wird an vielen Beispielen deutlich, worin ihre Bedeutung z.B. bei der Analyse von Lebensgeschichten liegen kann.

Man verliert in diesem Lehr- und Nachschlagewerk trotz seines großen Umfangs nie den Überblick. Es ist handlich gestaltet und klar strukturiert. Neben den ausführlichen Sach- und Personenregistern enthält es außerdem ein 25-seitiges Glossar, das einen großem Informationswert besitzt.

Fazit

Qualitative Sozialforschung hat Konjunktur, ihre Akzeptanz nimmt weiter zu. Ihre Einsatz- und Anwendungsbereiche breiten sich aus. Nicht zuletzt die Bemühungen Siegfried Lamneks um die immer weiter gehende methodologische Absicherung und Standardisierung der Verfahren haben dazu in den letzten zwei (wenn nicht drei) Jahrzehnten ganz wesentlich beigetragen.

Insgesamt ein anregend aufgemachter 'Klassiker' unter den Lehrbüchern also, der allen Studierenden, praktisch oder wissenschaftlich Arbeitenden empfohlen werden kann, die sich in den human- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen - wohl am ehesten in der Pädagogik, der Sozialen Arbeit, der Soziologie und der Psychologie, inzwischen möglicherweise aber auch in der Markt- und Meinungsforschung, - einen Überblick über qualitative Forschungsmethoden verschaffen wollen oder aber ihre Kenntnisse gezielt in einzelnen Bereichen vertiefen wollen. Und es ist ein Buch, das handwerklich gut gemacht ist. Ein Buch, mit dem es Spaß macht zu arbeiten.

Rezension von
Prof. Dr. Joachim König
Evangelische Hochschule Nürnberg
Allgemeine Pädagogik & Empirische Sozialforschung
Leiter des Instituts für Praxisforschung und Evaluation
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Es gibt 26 Rezensionen von Joachim König.

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Zitiervorschlag
Joachim König. Rezension vom 08.03.2005 zu: Siegfried Lamnek: Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2005. 4., vollständig überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-621-27544-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/1766.php, Datum des Zugriffs 14.09.2024.


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