Alexander Horn, Joachim Käppner: Die Logik der Tat
Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 19.02.2015
Alexander Horn, Joachim Käppner: Die Logik der Tat. Erkenntnisse eines Profilers. Droemer Knaur (München) 2014. 253 Seiten. ISBN 978-3-426-27626-6. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Spektakuläre Kriminalfälle welche die Polizei vor große Herausforderungen stellt und die Öffentlichkeit beunruhigen, oft mit erheblichem Gewaltausmaß und Gefährdungspotential, Serienmörder, Sexualstraftäter, Bombenbauer und Terroristen, die Suche nach Tätern und Motiven: damit beschäftigt sich ein Zweig der Kriminalistik, die „Operative Fallanalyse“ (OFA). Alexander Horn führt in die Arbeit der Fallanalytiker ein, beschreibt deren Position im Ermittlungsgeschehen, die Strategien des Profiling und stellt dazu Kriminalfälle aus seiner beruflichen Karriere vor. Dabei geht es ihm auch um die Entmystifizierung von Tätern, die er nicht als Personifizierung des Bösen, sondern als Menschen mit oft banalen Motiven und Bedürfnislagen beschreibt.
Autor
Alexander Horn war nach seiner Ausbildung als Kriminalpolizist Mitbegründer des Täterprofilings bei der Münchner Mordkommission und als Leiter der Dienststelle für Operative Fallanalyse u. a. an der „Soko Dennis“ („Der Maskenmörder“) und an den Ermittlungen der sog „NSU-Morde“ beteiligt.
Aufbau und Inhalt
Das Sachbuch ist in zwölf Kapitel und ein Nachwort gegliedert in denen auf das Vorgehen der OFA, die Rolle der Profiler und den Umgang mit Spuren, Fehlerquellen, aber auch mit der beruflichen Belastung eingegangen wird.
Aufgabe des Beraters. Nach einem Vorwort, in dem Horn sein Anliegen (Aufklären, Darstellen, Entmystifizieren) formuliert, wird zunächst die Aufgabe des Beraters in polizeilichen Ermittlungen dargestellt, deren Unterstützung von örtlichen Polizeiabteilungen im Rahmen schwieriger, unter hohem Ermittlungsdruck stehender Fahndungsarbeit angefordert wird. Die Aufgabe der Fallanalytiker sieht Horn darin nicht die Ermittlungen zu übernehmen, sondern kriminalistisches Hintergrundwissen in die Ermittlungsarbeit einzuspeisen und so Motive, Spuren und Hintergründe zu beleuchten, die im Rahmen „üblicher“ Polizeiarbeit unbeobachtet bleiben würden. Diese Aufgabe wird an einem konkreten Fall im Irischen Galway exemplarisch vorgestellt.
Was ist eine Fallanalyse? Unter Rückgriff auf die Geschichte des Profiling und der OFA benennt Horn die Hauptstrategie der Fallanalyse als strukturierte Sammlung und Bewertung aller vorhandenen Fallmerkmale und Spuren und deren Abgleich mit dem Wissen über ähnlich gelagerte Fälle, die Sequentierung des Tatablaufs, die sich daraus ergebenden Hinweise auf die Persönlichkeit des Täters, die Reflektion psychologischer und psychiatrischer (wissenschaftlicher) Aspekte und schließlich die Erstellung eines möglichen Täterprofils, welches als Teamleistung der Abteilung OFA erbracht wird.
Tatort, Täter und Opfer. Die Einführung des vorangegangenen Kapitels vertiefend werden im dritten Kapitel Täter- und Opfermerkmale, tatsituative Aspekte und die Interaktion zwischen diesen Einflussgrößen erörtert. Merkmale des Tathergangs, der Tatdurchführung (die „Handschrift des Täters“), der Spuren am Tatort und am Tatopfer werden in ihrer Aussagebedeutung erfasst, knapp erläutert und anhand kurzer Fallbeispiele illustriert. Als zentralen Grundsatz der Fallanalyse beschreibt Horn die Abfolge von Rekonstruktion und Interpretation. Nur auf Grundlage der Auswertung aller Fallfakten soll die Erstellung eines Täterprofils erfolgen, wobei alltagsnahe Fragestellungen (Wo könnte der Täter leben, wie alt könnte er sein?) als Leitfragen fungieren. Die Überlegungen zur Struktur und zum möglichen Einsatz der OFA werden in zwei weiteren Abschnitten, welche vorwiegend konkrete Fallgeschichten und deren Lösung beinhalten vertieft – allesamt spektakuläre Mordfälle aus der deutschen Kriminalgeschichte und mit z. T. differenzierter Darstellung der fallanalytischen Arbeit.
Profiler als Berater. Das Bild des Profilers („operativer Fallanalytiker“), die Erwartungen an deren Fähigkeiten sind in der Öffentlichkeit enorm, meist unrealistisch und von den einschlägigen TV-Episoden geprägt. Horn beschreibt anhand von vier weiteren Fallgeschichten, dass die Erstellung eines Täterprofils „keine Hexerei“ (119) ist und vertieft in diesem und im Folgeabschnitt noch einmal die zentralen Strategien der OFA: Sammeln, Rekonstruieren, Bewerten.
Die Bedeutung von Fehlerquellen. Kapitel acht widmet sich dem Umgang mit Entscheidungsprozessen, der Bewertung von Quellen und dem Umgang mit Fehlerquellen. Ausgehend vom Fall des „Yorkshire-Rippers“, einem Serienmörder der zwischen 1975 und 1980 in England durch eine Reihe von spektakulären Tötungshandlungen aufgefallen war und erst nach langwierigem und hohem Ermittlungsaufwand verhaftet werden konnte, benennt Horn zentrale Probleme der OFA: Unterschätzung von Opfer- und Zeugenaussagen, zu frühe Interpretation von Quellen mit Ableitung entsprechender Ermittlungsstrategien und damit schnell wechselnden Ermittlungsmaßnahmen.
Umgang mit Hypothesen. Stehen Fakten nicht ausreichend zur Verfügung ist die Bildung von Wahrscheinlichkeitsaussagen eine Methode der Deutung vorhandener Fallkonstellationen. Horn weist darauf hin, dass es bei Fallhypothesen immer darauf ankommt, alle möglichen und sinnvoll erscheinenden Einschätzungen und Deutungen zu berücksichtigen, keine außer Acht zu lassen, solange ein Zusammenhang zur Datenlage herstellbar ist. Zu welch fatalen Folgen es führen kann, wenn Hypothesen (frühzeitig) ausgeschlossen werden, beschreibt Horn u. a. am Beispiel der Sonderkommission BOA Bosporus (die er selbst beraten hat), wo im Fall der sog. „NSU-Morde“ jahrelang in die falsche Richtung ermittelt wurde, obwohl eine der Tathypothesen des Beraters Horn einen rechtsradikalen, oder zumindest fremdenfeindlichen Hintergrund diskutiert hatte. Die Aufgabe des OFA-Beraters benennt Horn entsprechend „… auch alternative Hypothesen und Strategien zu entwickeln und den Blick des Entscheidungsverantwortlichen zu weiten“ (195).
Intuition oder Erfahrungswissen. Auf den Umgang mit Hypothesen aufbauend formuliert Horn in Kapitel zehn Überlegungen zum fachlichen Hintergrund und den Anforderungen an OFA-Berater. Neben umfangreicher beruflicher Erfahrung im Bereich der Kriminalistik benennt er verschiedene Denkstrategien, psychologisches Analyseverständnis und die Fähigkeit, sich in Täterpersönlichkeiten ein zudenken, weniger um deren psychologisches Profil zu „entschlüsseln“, sondern eher, um konkrete Hinweise auf sichtbare Persönlichkeitsmerkmale zu erhalten. Fallanalysen sind demnach kein intuitives Geschäft, sondern die deduktiv-ableitende Formulierung von Schlussfolgerungen aus konkreten Fakten und Indizien.
Frustration und Belastung. In den beiden letzten Abschnitten geht Horn auf die mit der OFA verbundenen Belastungen der Ermittler ein, die sich aus der Konfrontation mit schrecklichen Verbrechen und aus der Erfahrung des Scheiterns der Ermittlungsbemühungen ergeben. Scheitern begreift der Fallanalytiker Horn als Entwicklungs- und Lernanlass: was können wir aus diesem Fall lernen? Was können wir in Zukunft anders gestalten? Welche Spuren haben wir übersehen? Welche Interpretationen sind uns nicht eingefallen? Konnte unsere Falleinschätzung angemessen kommuniziert werden? Was bleibt ist die enorme Belastung der Polizeimitarbeiter: die Annäherung an Tatumstände, -hintergründe und Täterpersönlichkeiten stellt eine über moralische und ethische Grenzen hinweggehende Belastung dar, der, so der Autor nur durch verlässliche Burnoutprophylaxe (Begrenzung des Themas im persönlichen Bereich, Teamorientierung, Auszeit, Fortbildung) und die Optimierung der bürokratischen Rahmenbedingungen begegnet werden kann.
Nachwort. Täterpersönlichkeiten und deren Motive erscheinen oft weniger spektakulär, sind oft banal. An diesem Leitsatz orientiert sich Horn, der als Prämisse für die OFA die Einfachheit und logische Nachvollziehbarkeit von Tatumständen postuliert („keep it simple“). Entsprechend pragmatisch lesen sich die abschließend formulierten „Neun Schritte zur besseren Lösung von Problemen“, welche u. a. die Berücksichtigung soziologischer Basisdaten, aktive Fehlermeidung, die Berücksichtigung von Fern- und Nebenwirkungen von Entscheidungen, Dokumentation etc. umfassen.
Zielgruppe
„Die Logik der Tat“ wendet sich an ein breiteres Lesepublikum, nicht an Fachleute aus dem Bereich der Kriminalitätsbekämpfung und will persönliche Erfahrungen eines Fallanalytikers, sowie eine Einführung in die Thematik vermitteln.
Diskussion
Das Werk beinhaltet die „Erkenntnisse eines Profilers“, also persönliche Anmerkungen aus der langjährigen Arbeit mit der operativen Fallanalyse. Entsprechend bietet das Buch keine wissenschaftliche oder methodische Einführung in Entstehungsgeschichte, Methodik und Technik der OFA, sondern individuelle Erfahrungen, Eindrücke und Einschätzungen. Offensichtlich entstand das Werk aus Veranlassung des Verlages, der dem spektakulären Thema einen publizistischen Platz einräumen wollte. Durch diese Konzeptionalisierung erhält die OFA vor allem eines: ein konkretes Gesicht in Gestalt des Fallanalytikers Alexander Horn. Diesem Entwurf folgt das Buch, von der Gestaltung des Buchcovers (von dem der Leser aus den blauen Augen eines jungenhaft wirkenden, jedoch bereits ergrauten, sympathischen Mannes mit einem tiefen Blick bedacht wird), über die Gestaltung der Umschlagtexte (welche vor allem wenig zulässige Verallgemeinerung der Fakten die im Buch beschrieben werden präsentieren, z. B.: „Alexander Horn weiß, wie Täter denken, und enträtselt ihre Sprache“) bis hin zur Ausgestaltung der einzelnen Kapitel, die zumeist an konkreten Fällen der zumeist jüngeren deutschen Kriminalgeschichte orientiert sind und weniger theorie- oder methodengebundenes Wissen transportieren. Wer eine wissenschaftliche Einführung in die Strategien, Methoden und Möglichkeiten der OFA erwartet hat, wird mit diesem Buch eher weniger anfangen können und sich besser bei den Standardwerken (z. B. Musloff & Hoffmann, 2007) orientieren.
Wer aber, ohne größeres theoretisch-methodisches Interesse eine erste Einführung in die Thematik, jenseits reißerischer Falldarstellungen in Krimimanier sucht, wird bei Alexander Horns „Die Logik der Tat“ sicher fündig. Horn versteht es prinzipielle Strategien der OFA zu vermitteln und mit seiner umfangreichen persönlichen Erfahrung aus über 15 Jahren Tätigkeit in diesem Bereich zu illustrieren. Auch wenn sich manche Passagen wie die ersten Abschnitte eines Kriminalromans lesen (z. B. „Galway, Irland: Der Fußweg entlang der Bahngleise ist bei Nacht ein unheimlicher Ort. Die Straßenlaternen werfen nur ein schummriges Licht; links sind die Schienen, rechts verläuft ein kleines Mäuerchen, dahinter ist ein Dickicht, das steil nach unten abfällt. Wer bei Dunkelheit hier entlanggeht, kann kaum erkennen, was sich dort verbirgt …“ (15)) gelingt es Horn überzeugend, Motive und Hintergründe spektakulär anmutender Straftaten sachlich zu beleuchten und aus der reinen Betrachtung solcher Delikte mit einer Faszination des Schreckens zu befreien. Das scheint auch das große Verdienst des Autors zu sein: die Versachlichung des Kriminalitätsdiskurses und die Einordnung schwerer Gewaltstraftaten als Ausdruck gesellschaftlicher Realität.
Fazit
Eine leicht lesbare Einführung in zentrale Aspekte kriminalistischer Arbeit mit der Methode der operativen Fallanalyse und eine persönliche Reflexion des Autors, der mit diesem Buch auf seine über 15jährige Karriere im Bereich der Verbrechensanalyse zurückblickt. Ein gelungenes Werk, das die Grenze zwischen Sachbuch und Kriminalroman sicher einhält und so eine größere Leserschaft ansprechen wird.
Literatur
- Cornelia Musloff & Jens Hoffmann (2007). Täterprofile bei Gewaltverbrechen. Mythos, Theorie, Praxis und forensische Anwendung des Profilings. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer (Heidelberg)
Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 19.02.2015 zu:
Alexander Horn, Joachim Käppner: Die Logik der Tat. Erkenntnisse eines Profilers. Droemer Knaur
(München) 2014.
ISBN 978-3-426-27626-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17702.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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