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Brigitte Hargasser: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Rezensiert von Julia Schindewolf, 04.03.2015

Cover Brigitte Hargasser: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ISBN 978-3-95558-072-8

Brigitte Hargasser: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sequentielle Traumatisierungsprozesse und die Aufgaben der Jugendhilfe. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2014. 240 Seiten. ISBN 978-3-95558-072-8. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 35,50 sFr.

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Thema

Kernfrage des Buches ist es, wie sich die schwierige psychosoziale Situation, in der viele minderjährige Flüchtlinge sich befinden, im Jugendhilfekontext bearbeitet und verbessert werden kann. Hierzu wurde ein Studie mit mehreren ehemaligen Betroffenen sowie Betreuern entsprechender Jugendhilfeeinrichtungen durchgeführt um zu evaluieren, welche Bedarfe auf Seiten der Jugendlichen vorhanden sind, welche bisher unerkannt sind und wie die Arbeit in den Einrichtungen verändert werden muss, um der besonderen Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UmF) gerecht zu werden. Im Vorfeld werden ausführliche Informationen zur allgemeinen, rechtlichen und psychosozialen Situation von UmF angeführt.

Autorin

Brigitte Hargasser ist Diplom-Theologin, Master of Mental Health und hat eine Weiterbildung zur systemischen Beraterin und Traumapädagogin absolviert. Sie arbeitet in München als Betreuerin und verfügt über mehrjährige Erfahrung im Aufbau neuer Jugendhilfeeinrichtungen für minderjährige Flüchtlinge. Brigitte Hargasser ist Mitglied im Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in drei große Teilbereiche auf:

  1. Kontextanalyse der Arbeit mit UmF,
  2. Die Lebenssituation der UmF aus verschiedenen Perspektiven und
  3. der Empirischen Untersuchung.

Zum 1. Teil. Zu Anfang des Buches wird allgemein in das Thema Flucht und Migration eingeführt und Hintergrundinformationen zu Fluchtgründen und Abläufen gegeben. Hierzu werden auch die Fluchtphasen nach John W. Berry einbezogen und erklärt. Anschließend wird das Thema Trauma zu Flucht in Bezug gesetzt und mit Hilfe des Modells der sequentiellen Traumatisierung nach Keilson und Becker/Weyermann aufgezeigt, wie eng diese beiden Themen zusammenhängen und dass eine traumatische Situation keineswegs mit der Flucht aus dieser abgeschlossen ist. Insbesondere die Theorien Keilsons verdeutlichen, dass Trauma nicht auf eine Situation allein bezogen werden kann, sondern einen Prozess darstellt, der sich im Aufnahmeland fortsetzt. Im Weiteren wird die soziodemographische Situation von Flüchtlingen und UmF im Besonderen aufgeschlüsselt und anhand bemerkenswert vieler Studien belegt. Zum Schluss des ersten Teils finden sich Begriffserklärungen sowie die Einordnung der Lebenssituationen von UmF in den rechtlichen Kontext, sowohl national als auch international.

Zum 2. Teil. Im zweiten Teil stehen die Lebenssituationen der UmF im Mittelpunkt. Hierzu werden die Jugendlichen sowohl im Kontext ihrer bisherigen Lebensumstände, als auch während der Flucht und im Aufnahmeland betrachtet. Neben den psychischen Belastungen wird der Fokus auch auf die Resilienzforschung sowie Copingstrategien der Jugendlichen gelegt und so Schutz- und Risikofaktoren sinnvoll einander gegenüber gestellt. Die Betrachtung der Postmigrationsphase zeigt anschaulich, dass die Traumatisierung der Jugendlichen mit der Aufnahmenahme in Deutschland keineswegs abgeschlossen ist, sondern sich hier durch die rechtliche Situation, der Unterbringungsmöglichkeiten und der damit verbundenen Angst und Unsicherheit fortsetzt. Dies wird anhand vieler Beispiele verdeutlicht.

Zum 3. Teil. Die Autorin hat eine Studie zum Thema durchgeführt, in der sie insgesamt sechs ehemalige Betroffene aus Afghanistan zu ihren Erfahrungen im Heimatland, auf der Flucht und im Aufnahmeland befragt. Als Ergebnis werden insgesamt 97 Aspekte herausgearbeitet, die in die Kategorie Belastung eingeordnet werden können. Diese Aspekte werden zusätzlich in verschiedene Bereiche wie z.B. Fluchterfahrung, Asylverfahren, Unterbringungsmöglichkeiten eingeordnet. Es werden Verbesserungsvorschläge sowie Kritik der Betroffenen an den durchlaufenen Jugendhilfeeinrichtungen aufgegriffen und diskutiert. Dies ermöglicht es, notwendige Veränderungen aus Sicht der Betroffenen zu eruieren und auszuarbeiten. Durch die Interviews mit drei im Arbeitsfeld tätigen ExpertInnen wird zudem die Perspektive der Fachkräfte betrachtet. So werden die, auf dieser Seite wahrgenommen, Belastungen und Herausforderungen im Arbeitsalltag erfragt und anhand dessen Verbesserungsvorschläge für die Gestaltung und Konzeption entsprechender Jugendhilfeeinrichtungen erarbeitet sowie Politik und Gesellschaft dazu aufgefordert, die Aufnahmebedingungen von UmF neu zu gestalten.

Diskussion

Das besprochene Buch liefert viele Hintergrundinformationen zur Situation von UmF und belegt diese mit zahlreichen Statistiken und Studien. Zugleich wird über psychosoziale Lebenslagen der Jugendlichen aufgeklärt und die Theorie Keilsons erläutert, welche zu einer der wichtigsten Theorien in der Arbeit mit UmF zählt. Der empirische Teil der Arbeit bezieht Sichtweisen von Fachkräften und Betroffenen mit ein und kann so die Bedarfe auf beiden Seiten ermitteln und durch eine Verknüpfung dieser angemessene Lösungsvorschläge und Forderungen entwerfen. Insbesondere die Fiktiv-Fragen im Interview mit den Jugendlichen bringen für die Fachkräfte interessante und konstruktive Lösungsvorschläge. Trotzdem sei auch erwähnt, dass manche der angeführten Kritikpunkte der Jugendliche sicherlich in jeder Jugendhilfeeinrichtung auftauchen, aber in rechtlichen und organisatorischen Gründen ihre Begrenzung finden.

Fazit

Insgesamt ein sehr interessantes und aufschlussreiches Buch, sowohl für Fachkräfte, die relativ neu in diesem Arbeitsfeld sind und Hintergrundinformationen zur Lebenssituation von UmF suchen, als auch für langjährig Erfahrene, die ihrer Arbeit mehr traumapädagogische Aspekte geben wollen und bereit sind, sich selbst und ihre Arbeitsweise zu hinterfragen und umzugestalten.

Rezension von
Julia Schindewolf
Sozialarbeiterin M.A., Traumapädagogin, im Bereich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge tätig
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Es gibt 9 Rezensionen von Julia Schindewolf.

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Zitiervorschlag
Julia Schindewolf. Rezension vom 04.03.2015 zu: Brigitte Hargasser: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sequentielle Traumatisierungsprozesse und die Aufgaben der Jugendhilfe. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2014. ISBN 978-3-95558-072-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17705.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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