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Elisabeth Prammer: Boreout - Biografien der Unterforderung und Langeweile

Rezensiert von Dipl.-Päd. Ella Korinth, Dr. Günther Vedder, 08.12.2014

Cover Elisabeth Prammer: Boreout - Biografien der Unterforderung und Langeweile ISBN 978-3-658-00502-3

Elisabeth Prammer: Boreout - Biografien der Unterforderung und Langeweile. Eine soziologische Analyse. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 149 Seiten. ISBN 978-3-658-00502-3. D: 34,95 EUR, A: 35,93 EUR, CH: 43,50 sFr.

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Thema

Elisabeth Prammer widmet sich in ihrem Buch dem noch relativ neuen Thema Boreout. Der Begriff wurde 2007 zum ersten Mal von den beiden Unternehmensberatern Philippe Rothlin und Peter R. Werder mit den Arbeitsanforderungen in Verbindung gebracht. Boreout wird von ihnen als Gegenteil von Burnout beschrieben. Elisabeth Prammer knüpft an deren Definition an, wonach der Boreout durch Unterforderung, Langeweile, Desinteresse am Arbeitsplatz gekennzeichnet ist und sich durch bestimmte Verhaltensstrategien zur Arbeitsvermeidung äußert. Die Autorin ist eine der Ersten, die in einer wissenschaftlich fundierten, explorativen Studie die Biografien von betroffenen Beschäftigten untersucht.

Autorin

Dr. Elisabeth Prammer arbeitet seit 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) in Wien. Das Buch stellt eine Zusammenfassung ihrer Dissertation dar.

Aufbau und Inhalt

Zu Beginn des Buches definiert die Autorin im Kapitel Problemzentrierung das Phänomen Boreout und leitet es aus der gesellschaftlichen Entwicklung ab. „Einerseits gibt es die hohen Anforderungen und den Zwang beinahe permanent zu leisten, andererseits gibt es gleichzeitig eine Rezession, fehlende Auftragslagen in Unternehmen, Kurzarbeit, eine längere Erwerbsarbeitzeit und (Akademiker- und Alters)arbeitslosigkeit. Aus dieser Diskrepanz entsteht bei einer Nichtleistung das subjektive Gefühl der Unterforderung, ein Gefühl der Leere.“ (S.9) Elisabeth Prammer formuliert folgende These: „Je größer die Sozialisierung im Leistungsparadigma, desto eher wird ein Zustand des Leerlaufs identifiziert, der für den Arbeitnehmer ein Problem ist, mit dem er auf verschiedene Weisen umgehen kann (Coping).“ (S.10) Als Konsequenz dessen kann es in Organisationen zur Tabuisierung des Themas und zur Dequalifizierung der Beschäftigten kommen. Die Autorin beschreibt folgende Ziele ihrer Forschung: Durchführung einer Fallanalyse mit Typologisierung, Klärung zentraler Begriffe sowie die Beschreibung von Coping- und Kommunikationsstrategien im Umgang mit Boreout.

Im zweiten Kapitel Der Begriff Boreout fasst die Autorin das vorliegende Wissen zum Thema unter Beantwortung folgender Fragen zusammen: Was ist ein Boreout? Wann tritt ein Boreout auf? Wie unterscheidet sich Boreout vom Burnout? Wie fühlt sich ein Boreout an?

Die beiden folgenden Kapitel Theoretische Aufarbeitung: Das Konzept der „Zeit“ sowie Theoretische Aufarbeitung: Das Konzept der Langeweile stellen das Fundament der Arbeit dar. Elisabeth Prammer verdeutlicht, wie unser Empfinden unterschiedlicher Arbeitssituationen und unserer Leistung durch diese Kategorien beeinflusst und geprägt wird. Sie beschreibt die Aufgabenorientierung vs. Zeitorientierung als menschliche Konstruktionen sowie verschiedene Zeitnutzungsoptionen, bei denen ein Leerlauf entstehen kann. Bei der Langeweile geht die Autorin auf die Ursprünge des Gefühls und seine historische Entwicklung ein. Dabei werden der fehlende Sinn und die mangelnde Identifikation erläutert sowie Bewältigungsversuche von Langeweile skizziert.

Im Kapitel Theoretische Aufarbeitung: Coping stellt Elisabeth Prammer den möglichen Umgang von Betroffenen mit Boreout vor. Bei der Handlungsalternative „Voice“ geht es um das Ansprechen des Problems in der Organisation, mit dem Risiko, dass einem dann ungeliebte Arbeiten übertragen werden. Beim „formalen Exit“ geht es zum Beispiel um den vorzeitigen Ruhestand oder die Kündigung der Arbeitsstelle. Beides muss man sich allerdings erst einmal leisten können. Die „innere Kündigung“ weist auf den Verbleib der Boreout-Betroffenen in der Organisation bei gleichzeitiger Anpassung des eigenen Arbeitsverhaltens an die Situation hin.

Nach der Beschreibung der gewählten Methode (qualitative Sozialforschung, Kontaktherstellung über Online-Jobbörsen, Durchführung problemzentrierter Interviews, Analyse von Einzelfällen) geht die Autorin im Kapitel Interviews sehr detailliert auf acht Gespräche ein, die sie mit fünf Frauen und drei Männern geführt hat, die sich selbst als „im Job gelangweilt“ bezeichnet haben. Sie arbeiten überwiegend im administrativen Bereich – zwei Betroffene sind auf der Ebene „Abteilungsleitung“ tätig.

Im Kapitel Interviewanalyse – Forschungsbericht benennt Elisabeth Prammer unter anderem den „Person Job Mismatch“ als eine wichtige Ursache von Boreout. Dies bedeutet, dass die unterforderten Beschäftigten auf ihren Stellen Tätigkeiten ausüben müssen, die unter ihrem Qualifikationsniveau liegen. Die qualitative Unterforderung wird von den Betroffenen als passiv, langweilig und ermüdend wahrgenommen. Die Interviewpartnerinnen sehen ihre Tätigkeit als sinnlos an und wünschen sich eine verantwortungsvollere Aufgabe. Elisabeth Prammer verweist darauf, dass „die Betroffenen immer beschäftigt sind, sowohl mit Arbeitsinhalt, als auch mit Verhaltensstrategien, die Arbeit vorzutäuschen.“ (S.125) Sie charakterisiert die idealtypischen Boreout-Personen als durchaus kritikfähige Menschen, die eigentlich sehr leistungsorientiert und ehrgeizig sind, sich nur schwer mit Bürokratie arrangieren können und sich vor allen Dingen nicht verbiegen lassen wollen. Damit stoßen sie in den Organisationen nicht nur auf Gegenliebe, fühlen sich teils diskriminiert, in ihrer Berufstätigkeit deutlich unterfordert und dadurch mittelfristig dequalifiziert. Alle interviewten Betroffenen hatten das Problem aktiv bei den Vorgesetzten angesprochen, sie konnten dadurch allerdings keine Veränderung ihrer Lage erwirken.

Im sehr kurzen letzten Kapitel Maßnahmen beschreibt die Autorin sowohl mikro- als auch makrosozioökonomische Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Boreout. Sie identifiziert Interaktionsdefizite, fordert zum Beispiel eine bessere Vorbereitung auf die Berufsfindung sowie realistischere Jobausschreibungen durch die Organisationen.

Diskussion

Das Thema Boreout wurde bisher vor allen Dingen im Rahmen von Ratgeber-Literatur, aber kaum wissenschaftlich fundiert bearbeitet. Elisabeth Prammer ist mit ihrer hier zusammengefassten Dissertation einen Schritt weiter gegangen. Ihre acht spannenden Interviews mit Boreout-Betroffenen wurden wörtlich transkribiert (737 Seiten Original-Material) und nähern sich dem Kern des Boreout-Problems an. Die Autorin hat die wichtigsten Aspekte im vorliegenden Band zusammengefasst, analysiert und bewertet. Sie trägt damit zu einem besseren Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Boreout-Situationen bei. Es wird herausgearbeitet, dass Boreout unter bestimmten Bedingungen eine fast erwartbare Begleiterscheinung der modernen Arbeitswelt darstellt.

Auf S. 136 des Buchs von Elisabeth Prammer befinden sich zwei wichtige Abbildungen. Zum einen stellt die Autorin unterschiedliche Coping-Strategien dar, die zu einer positiven Änderung der Situation, zur inneren Kündigung oder auch zum formalen Exit führen können. Zum anderen liefert sie eine eigene Definition des Phänomens: „Boreout ist eine besondere Form der Unterforderung, die in einen Burnout mündet.“ (S.136) Leider wird diese Behauptung nicht hinreichend begründet. Es wäre interessant, an dieser Stelle intensiver über die Zusammenhänge zwischen Boreout und Burnout nachzudenken. Auch die kritische Auseinandersetzung mit der ansonsten verwendeten Boreout-Definition von Philippe Rothlin und Peter R. Werder kommt etwas zu kurz.

Insgesamt hätte man das sehr gute Interview-Material noch besser mit den theoretischen Grundlagen in Verbindung setzen können. Auch die daraus abgeleiteten Maßnahmen werden nur sehr knapp behandelt. Es fällt auf, dass die Autorin sehr stark die qualitativen Aspekte der Unterforderung betont und kaum auf die quantitative Unterforderung (viel zu wenig Arbeit) zu sprechen kommt. Nichtsdestotrotz sind die Schilderungen in den Gesprächen sehr aufschlussreich und bieten sich für weitere Analysen (zum Beispiel in Lehrveranstaltungen) an. Vergleichbares Material findet man bisher kaum in der Fachliteratur.

Fazit

Das Buch von Elisabeth Prammer ist sehr empfehlenswert für Personen, die sich wissenschaftlich intensiver mit dem Boreout-Phänomen beschäftigen wollen. Die Fallschilderungen können auch für Betroffene hilfreich sein, die in Organisationen unter Unterforderung leiden. Potentielle Leser sollten immer bedenken, dass es sich hier um die Zusammenfassung einer Dissertation und damit um einen ganz anderen Texttyp als die sonst übliche Ratgeber-Literatur zum Boreout handelt. Das Lesen wird dadurch etwas anstrengender, aber sicherlich nicht weniger ertragreich sein.

Rezension von
Dipl.-Päd. Ella Korinth
Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover
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Dr. Günther Vedder
Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover
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Zitiervorschlag
Ella Korinth, Günther Vedder. Rezension vom 08.12.2014 zu: Elisabeth Prammer: Boreout - Biografien der Unterforderung und Langeweile. Eine soziologische Analyse. Springer VS (Wiesbaden) 2013. ISBN 978-3-658-00502-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17724.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.


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