Helmut Reuter: Geschichte der Psychologie
Rezensiert von Prof. em. Dr. Helmut E. Lück, 18.11.2014

Helmut Reuter: Geschichte der Psychologie. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2014. 255 Seiten. ISBN 978-3-8017-2223-4. D: 26,95 EUR, A: 27,80 EUR, CH: 36,90 sFr.
Thema
Menschen haben sich wohl immer schon mit der Frage befasst, was die Seele ist. Nicht nur der Begriff der Seele, auch der der Psychologie ist daher Jahrhunderte alt. Als wissenschaftliche Disziplin geht die Psychologie aber erst auf das 19. Jahrhundert zurück, als vor allem die Physiologie große Fortschritte machte und die Philosophie nach Antworten suchte, die nur durch experimentelle Untersuchungen als lösbar erschienen.
Heute gehört die Geschichte der Psychologie nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie mit Recht zum Pflichtbereich des Bachelor-Studiums Psychologie. Darüber hinaus ist sie von allgemeinem Interesse für Psychologen, Sozial- und Geisteswissenschaftler benachbarter Fachrichtungen und für historisch interessierte Laien.
In diesem Band geht der Autor von der Philosophie der Antike aus und entwickelt in neun Kapiteln, die meist einzelne Epochen beschreiben, wie die Psychologie zu dem geworden ist, wie wir sie kennen.
Autor
Helmut Reuter ist Psychologe, promovierte 1981 mit einer Arbeit über Emil Nolde, habilitierte sich 1988 mit einer Arbeit über Klaus Mann. 1995 wurde er in Bremen zum außerplanmäßiger Professor ernannt. Reuter war Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Projekt zur Arbeitssicherheit, als Privatdozent lehrte und forschte an der Universität Bremen. 2013 wurde Reuter auf die Klaus-Hemmerle-Professur für interdisziplinären Dialog an der RWTH Aachen berufen. Reuter ist Geschäftsführer des Instituts für Bildung und Kultur (IfBK) in Köln.
Entstehungshintergrund
Der Band ist in der Reihe „Bachelorstudium Psychologie“ erschienen. Der Autor verfügt sowohl über den philosophisch-geschichtlichen Hintergrund und ist auch mit der Struktur der derzeitigen Psychologieausbildung vertraut.
Aufbau
Die wenigen im Buchhandel erhältlichen deutschsprachigen Bücher zur Einführung in die Geschichte der Psychologie unterscheiden sich nicht nur in ihrer Ausführlichkeit sondern auch in ihrem Ansatz deutlich voneinander. Da gibt es die differenzierte ideengeschichtliche Darstellung (Wolfgang Schönpflug, 2013), die Darstellung von wichtigen Teilgebieten (Georg Eckardt, 2010), die Behandlung von Paradigmen der Psychologie im 19. Jahrhundert (Gerhard Benetka, 2002), die Darstellung von Schulen, Strömungen und Teilgebieten des 20. Jahrhunderts (Helmut E. Lück & Susanne Guski-Leinwand, 2014); es gibt biographische Einführungen (Mark Galliker u.a., 2007), eine Einführung mit direkterem Bezug zu einer bestimmten Hochschule (nämlich Freiburg, Harald Walach, 2005) und eine, in der die Geschichte der Psychologie vor allem an ihren Forschungsmethoden entwickelt wird (Sprung & Sprung, 2010).
Dieser Band macht daher neugierig. Wie wird hier die Geschichte der Psychologie verstanden und für Bachelor-Studierende dargestellt? Kurz: Der hier vorgelegte Band stellt eine weitere Besonderheit dar. Er geht zurück bis zur Antike und kommt erst etwa in der Mitte des Buches auf die akademisch etablierte Psychologie des 19. und 20. Jahrhunderts eingehender zu sprechen. Dementsprechend weit gefasst ist der Psychologiebegriff und dementsprechend knapp ist die Darstellung der wichtigen Entwicklungen im 20. Jahrhundert.
Die Gliederung lässt dies bereits erkennen:
- Einleitung
- Der Blick der Antike auf das Seelenleben
- Verstand und Glaube
- Probleme des Verstandes: Dualismus, Mechanik und Empirie
- Dichter und Philosophen als Seelenkundige
- Psychologie in Erzählung und Musik: Die Romantik
- Die Psychologie wird eine Wissenschaft
- Reise in die Tiefe der Seele
- Psychologie des Lernens und der Entwicklung
- Vom Diplom zum Bachelor und Master: Änderungen und Neuerungen
- Psychologie als Beruf
Das Buch ist insgesamt ansprechend gestaltet, durchgängig zweifarbig gedruckt mit einer Marginalspalte versehen, die wichtige Begriffe enthält. Die Abbildungen in dem Buch zeigen ganz überwiegend Portraits (Seneca, Luther, Descartes, Goethe, Adler, Jung, Stern usw.). Es liegt wohl eher an der Philosophie als an der Psychologie, dass unter den 46 abgebildeten Personen nur eine Frau (Charlotte Bühler) zu finden ist.
Kästchen mit Beispielen lockern die Darstellung auf. Der Band enthält ein Glossar wichtiger Fachbegriffe. An jedem Ende jedes Kapitels finden sich ein paar Wiederholungsfragen („Freuds Psychologie hatte Vorläufer. Wer waren sie?“). Knappe Lösungshinweise hierzu finden sich auf der Website www.hogrefe.de/buecher/lehrbuecher/psychlehrbuchplus.
Diskussion
Kaum jemand wird (wie der Rezensent) das Buch von Anfang bis Ende lesen. Wenn man dies tut, erhält man einen guten Begriff von der langen Geschichte der Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche. Bereits in den ersten Kapiteln zur Philosophiegeschichte werden Verbindungen, z. B. zwischen philosophischen Richtungen der Antike und psychologischen Strömungen der Gegenwart, hergestellt. Dies setzt, genau genommen, die Kenntnis der psychologischen Richtungen voraus, die zum Teil erst später referiert werden.
Die Psychologie wird weit gefasst. Da gibt es auch Abhandlungen zu Goethe, Karl Philipp Moritz, Lichtenberg (Kap. 5) und sogar zu Schubert, Schumann, Jean Paul und Kleist (Kap. 6).
Die Psychologie, wie sie Studierende in der Hochschule im Lauf ihres Studiums (z.B. als „prüfungsrelevant“) kennenlernen, ist in diesem Band praktisch nur in drei Kapiteln (7-9) zu finden. Die Darstellung in diesen Kapiteln ist nicht verkürzt, aber sehr komprimiert. Kapitel 7 behandelt Fechner, Wundt, die Würzburger Schule, die Gestalt- und Ganzheitspsychologie, Kapitel 8. behandelt die Psychoanalyse und ausgewählte nachfolgende tiefenpsychologische Richtungen. In Kapitel 9 werden so verschiedenartige Richtungen wie die Reflexologie, der Pragmatismus, der Behaviorismus und die Entwicklungspsychologie Piagets abgehandelt. Ob Studierende diese Richtungen nach der Lektüre auseinander halten können?
Manche bedeutenden Psychologinnen und Psychologen bleiben in diesem Buch unerwähnt (C. Stumpf, H. Ebbinghaus, C. Hull, L. Festinger, A. Bandura, S. Milgram usw.). Die positive Seite soll nicht unerwähnt bleiben: Man kann nur begrüßen, wenn Studierende wenigstens hier mit den geisteswissenschaftlichen Wurzeln ihres Fachs vertraut gemacht werden.
Fazit
Diese Einführung in die Geschichte der Psychologie kann man gut als Geschichte der Erforschung der menschlichen Seele ansehen, als Ideen- und streckenweise als anschauliche Kulturgeschichte. Hier werden sachkundig wichtige Epochen, Schulen und Leistungen bedeutender Persönlichkeiten verständlich dargestellt. Die Geschichte der Psychologie als empirisch arbeitende Wissenschaft wird relativ knapp mit ausgewählten „highlights“ vermittelt. Im Gegensatz zu den heute verbreiteten Büchern zur Geschichte der Psychologie werden vergleichsweise wenig institutionelle, kontextualistische Bezüge herausgearbeitet. Positiv – und über die Geschichte hinausgehend – sind Ausführungen zu werten, die aktuelle Aspekte des Studiums und einige Berufsfelder von Psychologinnen und Psychologen beleuchten.
Rezension von
Prof. em. Dr. Helmut E. Lück
FernUniversität in Hagen, Fakultät für Psychologie
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