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Philippe Wampfler: Generation „Social Media“

Rezensiert von Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix, 20.01.2015

Cover Philippe Wampfler: Generation „Social Media“ ISBN 978-3-525-70168-3

Philippe Wampfler: Generation „Social Media“. Wie digitale Kommunikation Leben, Beziehungen und Lernen Jugendlicher verändert. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2014. 160 Seiten. ISBN 978-3-525-70168-3. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,50 sFr.

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Thema

Im Fokus der Monographie steht die jugendliche Social Media-Nutzung, die aus verschiedenen und zeitgemäßen Perspektiven betrachtet werden soll. Der Autor berücksichtigt dabei einerseits aktuelle Forschungserkenntnisse und greift zusätzlich auf seinen eigenen großen Erfahrungsschatz als Lehrer zurück.

Autor

Philippe Wampfler ist Lehrer an einem Schweizer Gymnasium. Er hat einen kulturwissenschaftlichen Hintergrund und arbeitet außerdem als Dozent, Referent und Berater zum Thema Lernen mit Neuen Medien. Neben dem hier besprochenen hat er das Buch „Facebook, Blogs und Wikis in der Schule – Ein Social-Media-Leitfaden“ (2013) (vgl. die Rezension) verfasst. Informationen zum Autor, gibt es unter www.philippe-wampfler.ch.

Aufbau

Das Buch ist in im Folgenden aufgeführte Kapitel gegliedert. Da sich das Buch laut Autor aus Blogartikeln zusammensetzt (S. 37) sind sowohl die Kapitel als auch die einzelnen Subkapitel individuell lesbar.

  • Statt eines Vorworts: Selfies at funerals
  • 1. Einleitung
  • Intermezzo I: Eine Liebeserklärung an die Däumlinge
  • 2. Körper und Geist
  • Intermezzo II: Wie neue Praktiken entstehen
  • 3. Beziehungen
  • Intermezzo III: Japan als Beispiel
  • 4. Wie aus Neuen Medien ein neues Lernen entsteht
  • Intermezzo IV: Überwachung als Bedrohung und Versuchung
  • 5. Was tun?
  • 6. Materialien
  • 7. Literatur

Inhalt

Mit dem Beispiel der Selfies at funerals zeigt Wampfler gleich zum Einstieg die verschiedenen Perspektiven auf neue mediale und – daraus hervorgegangene – habituelle Phänomene. Darüber hinaus veranschaulicht er, welche Funktionen Selfies für Jugendliche haben und räumt mit (Vor-)Urteilen, z.B. zur Verbreitung von Selfies, auf.

Die Einleitung beginnt Wampfler mit einem historischen Rückblick. Am Beispiel des Lesens veranschaulicht er die wiederkehrenden Reaktionen auf den Umgang mit neuen Technologien. Sowohl hier als auch an späterer Stelle (vgl. S. 31) thematisiert der Autor die – aus seiner Sicht nicht haltbare – Theorie des digitalen Dualismus. Des Weiteren zeigt Wampfler kreative Nutzungsweisen von Social Media auf, die jenseits des von den Entwicklern beabsichtigten Gebrauchs liegen. Im Abschnitt „Generation Social Media“ analysiert der Autor die Merkmale dieser und zeigt auf wie problematisch es ist, eine Generation über ihr Mediennutzungsverhalten zu definieren. Abschließend plädiert Wampfler für eine „saubere Trennung von kulturhistorisch standardisierter Jugendkritik und seriöser Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Risiken digitaler Kommunikation“ (S. 30).

Im Intermezzo I eröffnet Wampfler der/m LeserIn einen philosophischen Blick auf die Generation Social Media, die hier die „Däumlinge“ (S. 39) genannt wird – angelehnt an die Bedienung von Smartphones mit beiden Daumen.

Im Kapitel Körper und Geist setzt sich Wampfler mit den entsprechenden Facetten der Medienwirkung auseinander. Zunächst zeigt er die Rolle des Journalismus bei der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Medienwirkungen auf. Im Weiteren beschäftigt er sich mit dem Konzept von Resilienz. Er führt Studien zum subjektiven Wohlbefinden (Stimmungen und Emotionen) im Kontext der Facebook-Nutzung an. Im Abschnitt „Aufmerksamkeit und Ablenkung“ geht es um Multitasking-Fähigkeit und Leistungsergebnisse. Außerdem beschäftigt sich Wampfler mit der Hirnforschung und deren Problemen bei der Messbarkeit von Medienwirkungen. Des Weiteren thematisiert der Autor die Erinnerungsfähigkeit, die Schlafqualität bei Jugendlichen und das Sexting. Auch das Thema Körperhaltung und Gesundheit greift Wampfler auf, indem er den Transfer zu inzwischen älteren Technologien herstellt. Süchtiges Nutzungsverhalten und eine Essstörung fördernde Internetseiten werden ebenfalls von Wampfler aufgegriffen. Das Kapitel schließt mit den Wirkungen auf die schulische Leistungsfähigkeit.

Das dritte Kapitel zu Beziehungen ist das umfangreichste. Wampfler stellt zunächst Beziehungen und Kommunikation in einem Dorf solchen in einer digitalen Nachbarschaft gegenüber. Im Weiteren setzt sich der Autor mit Social Media als Orten, wo die Entwicklungsaufgaben Identitätsfindung und Aufbau eines Beziehungsnetzwerkes geübt werden können, auseinander. Für ihn ist die Nutzung von Social Media eine „Ersatzhandlung für das Spiel im Freien“ (S. 84). Dazu wie Jugendliche mittels Social Media Beziehungen pflegen, hat Wampfler zehn Tendenzen herausgearbeitet. Außerdem stellt er Beispiele vor, wie die restriktiven Möglichkeiten beim Anlegen von Profilseiten kreativ und spielerisch von jungen Menschen „gehackt“ (S. 88) werden. Des Weiteren widerlegt Wampfler an Hand einer neueren Studie, die Behauptung Social Media-Nutzung mache einsam. Vereinsamung sei zwar tatsächlich ein zunehmendes Phänomen, dies sei aber nicht auf Kommunikationstechnologien zurückzuführen. Wie Partner in einer Liebesbeziehung mit Öffentlichkeit und Intimität sowie Inszenierung und Authentizität umgehen analysiert Wampfler ebenfalls. Anschließend thematisiert er den „Mythos der Freundschaftsinflation“ (Wampfler S. 96 nach Kammer 2014) und betont, dass Beziehungen schon immer Abstufungen unterlagen. Soziale Onlinenetzwerke würden diese jetzt lediglich sichtbar und verwaltbar machen.

Daran anschließend geht es um die herkömmliche, räumliche Grenzziehung, die in der „Halböffentlichkeit“ (S. 103) von Social Media nicht mehr möglich sei. Wampfler zeigt auf, dass junge Menschen ein anderes, nämlich eher ein auf Gesprächsinhalte bezogenes, Verständnis von privaten Daten entwickelt haben. Er appelliert abschließend für einen Mittelweg zwischen „paranoid oder unbekümmert“ (S. 106) und fordert dementsprechende Vorbilder für junge Menschen – auch außerhalb von Social Media. Im Weiteren werden Oberflächlichkeit und Narzissmus angesprochen. Anschließend thematisiert Wampfler, inwiefern Social Media die Asymmetrien von parasozialer Interaktion, d.h. die einseitige Beziehung zu einer meist medial vermittelten Person, hervorheben. Wie die „Angst etwas zu verpassen“ (S. 111, engl. kurz FOMO, Fear of Missing Out) das Mediennutzungsverhalten beeinflusst zeigt der Autor im Folgenden. Daran anschließend stellt Wampfler den Effekt von „Konsensillusionen“ (S. 114) vor. Das Kapitel schließt mit der Betrachtung des Wandels von Rollenbildern und damit im Zusammenhang stehend die Themen Schüchternheit und soziale Phobien.

Im Intermezzo III zeigt Wampfler auf wie sich Lebenshaltung und -einstellungen unter jungen JapanerInnen unter anderem auf Grund des demographischen Wandels ändern.

Im Kapitel Wie aus Neuen Medien ein neues Lernen entsteht dreht sich alles um die Frage „unter welchen Bedingungen Kinder und Jugendliche in einem digitalen Kontext gehaltvoll lernen können und wie sie dabei zudem pädagogisch begleitet werden können“ (S. 121). Am Beispiel des Lesens zeigt Wampfler auf, wie Lernen unter digitalen Bedingungen gestaltet und wie Lernerfolge gewertet werden können. Im Weiteren beschäftigt sich der Autor mit der Veränderung der Lebenswelt und von Arbeitsplätzen durch neue kommunikative Technologien im Allgemeinen und durch Soziale Onlinenetzwerke im Speziellen. Daran anschließend plädiert Wampfler dafür Social Media nicht mehr nur auf eine private Praxis zu reduzieren. Er fordert von den Institutionen eine regelmäßige und zeitnahe Anpassung der Kommunikationskanäle an die privaten Praxen der Zielgruppen. Im Folgenden benennt der Autor für das Lernen mit Social Media wichtige Kompetenzen. Dies sind die Kompetenz Informationen beurteilen zu können, (Lern-)Netzwerke erstellen und pflegen zu können sowie die Kompetenz zur Selbstreflexion. Im Weiteren fragt Wampfler danach, wie und inwiefern eine Didaktik durch das Design von Lernumgebungen ersetzbar ist. Dem schließt sich ein Abschnitt zu Möglichkeiten und Grenzen von kollaborativem und individuellem Lernen an. Der Autor kommt zu dem Fazit, dass Social Media nur dann produktiv genutzt werden können, wenn auch neue Regeln des Lernens gelten.

Im Intermezzo IV thematisiert Wampfler die Themen Sicherheit und Überwachung. Wobei er in Bezug auf letzteres nicht nur auf die Überwachung durch Geheimdienste anspielt, sondern auch die sogenannte „Grassroot Surveillance“ (S. 142), die Überwachung durch Mitmenschen.

Mit dem letzten Kapitel Was tun? blickt Wampfler in die Zukunft. Er fordert zu Bemühungen auf, einen angemessenen und lösungsorientierten Diskurs und Umgang mit neuen Kommunikationstechniken zu finden. Dabei sollte die Generation Social Media im Fokus stehen, denn sie sei es die „die digitale Welt bewohnen wird“ (S. 146).

Im Anhang stellt Wampfler dem Leser zahlreiche Materialien zu Verfügung, die darüber hinaus auch digital über die Webseite des Verlags zu erhalten sind. Dies umfasst:

  • eine Smartphone-Etikette
  • Hinweise zur Leistungsbeurteilung für die Arbeit mit Social Media
  • Tipps zum Aufbau eines persönlichen Lernnetzwerkes (von Howard Rheingold 2012)
  • eine Anleitung für das Erstellen sicherer Passwörter
  • Tipps zum Erkennen von Fake-Profilen
  • ein Diagnosebogen zum „Fear of Missing Out“-Phänomen

Diskussion

Wampfler möchte mit seinem Buch „Wahrnehmungen prüfen und die Frage nach den Auswirkungen von Social Media in einem nüchternen Licht betrachten“ (S. 12). Er hat sich zum Ziel gesetzt zusammenzutragen „[w]as im Jahre 2014 über Einflüsse des digitalen Wandels auf Jugendliche bekannt ist und wo lediglich reine Befürchtungen oder allenfalls Vermutungen beginnen“ (S. 12). Um diese Zusammenhänge aufzeigen zu können, beziehe er sich auf aktuelle Forschungserkenntnisse aus Soziologie, Psychologie, Medizin und Medienpädagogik (S. 37).

Man merkt dem Buch an, dass es Wampfler sehr wichtig ist, die Bedürfnisse und Perspektiven Jugendlicher ernstzunehmen. Dabei versucht er stets sowohl die positiven als auch kritischen Perspektiven auf ein Phänomen zu berücksichtigen. An einigen Stellen könnte insbesondere die Kritik noch tiefer gehen oder stringenter sein (S. 86, S. 96). Der/m LeserIn wird daher schnell deutlich, dass Wampfler selbst ein begeisterter Social Media-Nutzer ist, der auf einen großen privaten wie beruflichen Erfahrungsschatz an seinem Schweizer Gymnasium zurück greift. Was die Frage nach der Übertragbarkeit seiner Erfahrungen auf andere Zielgruppen aufkommen lässt (z.B. bezüglich der zugänglichen Medienensembles).

Wampfler behandelt das sehr komplexe Thema Mediennutzung Jugendlicher und Medienwirkung auf 160 Seiten zwar sehr zielorientiert, verzichtet zur Veranschaulichung aber nicht auf markante Beispiele, z.B. die „eigensinnige“ Nutzung von Social Media (vgl. S. 19). Mit Hilfe der Intermezzi bringt er außerdem ergänzend interessante Perspektiven ein und zeigt damit auf „wie vielfältig die Problemlagen und das Angebot an Beurteilungen und Lösungsvorschlägen letztlich sind“ (S. 37).

Leider kann Wampfler die oben angeführten Ziele nur bedingt erreichen: Er thematisiert an sich zwar sehr viele Aspekte, kann jedoch zu einigen nur bedingt fundierte wissenschaftliche Aussagen treffen, weil es entweder an Forschung fehlt oder die Korrelationen ungenügend belegt sind. Was z.B. im Subkapitel „Schulische Leistungsfähigkeit“ dazu führt, dass er hauptsächlich die Potenziale anführt, die Social Media, seiner Erfahrung nach, für den schulischen Kontext bergen (S. 74). Ebenfalls aufgefallen ist, dass an einigen Stellen unklar bleibt, ob sich das Geschriebene noch auf eine zuvor erwähnte Untersuchung bezieht oder lediglich auf den eigenen Erfahrungen des Autors basiert (vgl. S. 81; ebenso S. 86f. Pkt. 9 und 10, wo der Bezug zu den einleitend referenzierten internationalen Studien fehlt). Ein daran anschließender Kritikpunkt ist, dass Wampfler der/m LeserIn teilweise die Belege seiner Aussagen schuldig bleibt. Argumente werden nicht ausreichend belegt (vgl. S. 16). Demgegenüber stellt Wampfler auch eine Untersuchung und deren methodisches Design vor, ohne die dadurch gewonnenen Erkenntnisse auszuführen (vgl. S. 84).

Eine Verbindung zur nicht klar definierten Zielgruppe des Buchs liegt hier nahe. Während die Zielgruppe von Wampflers erstem Buch eindeutig pädagogische Fachkräfte waren, blieb die Zielgruppe des vorliegenden Buchs eher wage: Der Text und insbesondere die Materialien richten sich meiner Einschätzung nach an pädagogische Fachkräfte, aber auch an Eltern oder die/den interessierten, reflektierten LeserIn selbst. Auch die Tatsache, dass Wampfler statt Fachbegriffen Beschreibungen verwendet (vgl. S. 55) lässt auf eine solche Zielgruppe schließen. Der Hinweis auf Bezüge zu wissenschaftlichen Untersuchungen spricht außerdem MultiplikatorInnen und WissenschaftlerInnen an, die sich über den aktuellen Stand der Forschung informieren wollen. Die obige Kritik rührt vorrangig aus dieser letzten Perspektive.

Fazit

Wer die jugendliche Social Media-Nutzung besser verstehen will, ist mit Generation „Social Media“ gut beraten. Wampfler stellt immer wieder die Perspektive von Erwachsenen in Vergleich zu derer von Jugendlichen. Er versteht es, die verschiedenen Facetten des umfangreichen Themas interessant und kurzweilig aufzubereiten, in dem er Untersuchungsergebnisse, eigene Erfahrungen und markante Beispiele miteinander verschmelzen lässt. Der Fokus des Buchs liegt deutlich auf zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Beeinflussung durch Social Media. Großes Gewicht erhält daneben die Auswirkung der Social Media-Nutzung auf gesundheitliche Aspekte. Das Thema Lernen wird eher gestreift, so dass ich für eine tiefergehende Beschäftigung auf Wampflers erstes Buch (vgl. die Rezension) verweisen möchte.

Rezension von
Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix
ist Dipl.-Sozialpädagogin/-arbeiterin (FH) und Medienwissenschaftlerin (M.A.) und als Professorin für Soziale Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Themen Digitalität und Digitalisierung der Sozialen Arbeit, Natur- und Erlebnispädagogik sowie die Kinder- und Jugendarbeit.
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ORCID: https://orcid.org/0000-0001-9211-7748

Es gibt 21 Rezensionen von Daniela Cornelia Stix.

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ISSN 2190-9245