Christoph Kopke (Hrsg.): Angriffe auf die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen
Rezensiert von Prof. Dr. Bernhard M. Hoppe, 26.02.2015

Christoph Kopke (Hrsg.): Angriffe auf die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen. Rechtsextremismus in Brandenburg und die Gedenkstätte Sachsenhausen. Metropol-Verlag (Berlin) 2014. 192 Seiten. ISBN 978-3-86331-189-6. D: 19,00 EUR, A: 19,60 EUR, CH: 27,50 sFr.
Thema
Im September 1992 verübten Neonazis einen Brandanschlag auf die so genannten Jüdischen Baracken in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Im September 2002 wurde auf die Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald bei Wittstock ein Brandanschlag ausgeführt. Beide Taten stehen im größeren Zusammenhang neonazistischer Angriffe auf Orte der Erinnerung an die Zeit der Nationalsozialistischen Herrschaft. Der 20. bzw. 10. Jahrestag dieser Brandanschläge war der unmittelbare Anlass zu einer erneuten Befassung mit der Thematik und zu einer Bilanzierung der Entwicklungen, die seither stattgefunden haben.
Herausgeber
Der Herausgeber Christoph Kopke ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam. Er hat vor allem zu dem Themenfeld Rechtsextremismus in Brandenburg publiziert.
Entstehungshintergrund
Die Beiträge des Bandes gehen größtenteils auf Vorträge und Diskussionsbeiträge der Tagung „Rechtsextremismus in Brandenburg – Rückblicke, Bestandsaufnahme und Perspektiven“, die im Oktober 2012 in Oranienburg und Berlin stattfand, zurück. Veranstalter der Konferenz waren die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam.
Aufbau
Der Sammelband umfasst neben einem Vorwort elf Aufsätze. Eine Auswahlbibliographie und Informationen zu den Autorinnen und Autoren beschließen den Band.
Inhalt
Die Aufsätze des Sammelbandes erinnern an die Brandanschläge von 1992 und 2002 als zeitgeschichtliche Ereignisse. Sie beleuchten aber auch die Kontexte und die Hintergründe der beiden Attentate und bilanzieren die staatlichen und die bürgerschaftlichen Reaktionen sowie deren Kontinuitäten und Veränderungen über zwei Jahrzehnte. Einen weiteren Fokus bilden Beiträge zu den Möglichkeiten der pädagogischen Arbeit gegen Rechtsextremismus.
Das Vorwort von Julius H. Schoeps macht deutlich, dass sich die beiden Anschläge in eine Folge von Gewalttaten einordnen, die in den 1990er Jahren die Orte der Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen und vor allem die Stätten der Vernichtung der europäischen Juden trafen. Nicht zufällig wurden gerade die so genannten Jüdischen Baracken in der Gedenkstätte Sachsenhausen zum Ziel.
Christoph Kopke „Rechtsextremismus in Brandenburg und die Gedenkstätte Sachsenhausen: Gewaltmobilisierung und Leugnung der NS-Verbrechen – eine Einleitung“ berichtet von den beiden Brandanschlägen, die der Ausgangspunkt der in diesem Sammelband publizierten Ausführungen sind, und fasst die folgenden Artikel zusammen.
Günter Morsch „Die Brandanschläge auf die ‚Jüdischen Baracken‘ im September 1992 und das ‚Museum des Todesmarsches‘ 2002. Taten, Täter, Folgen“ führt vor Augen, dass die beiden im Mittelpunkt stehenden Vorfälle von 1992 und von 2002 in einer Reihe mit anderen einschlägigen Ereignissen stehen. Instruktiv für den Umgang der Gesellschaft mit ihren Gedenkstätten sind die von ihm berichteten unterschiedlichen Reaktionen von Öffentlichkeit und Justiz auf die beiden Anschläge.
Gideon Botsch „‚Schluß mit dem Holocaust‘. Der Brandanschlag auf die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen im Kontext rechtsextremer Geschichtspolitik“ vermittelt einen guten Überblick über die neonazistischen Aktivitäten seit 1945. Nach dem Anschlag von 1992 entwickele die Szene eine neue Technik der „historisch-fiktionalen Gegenerzählung“ (49), der von den Gedenkstätten auf der Grundlage einer intensivierten wissenschaftlichen Forschung widersprochen wird. Dieser wiederum begegnen die Rechtsextremen mit Fälschungsvorwürfen. Historische Orte werden seither von den Rechtsextremen eher ausgeblendet. Sie verlieren im Lauf dieses Prozesses ihren Stellenwert als zentrale Feindbilder.
Christian Mentel „‚Nichts weiter als sowjetische Propaganda‘. Das Konzentrationslager Sachsenhausen und die Revisionisten“ befasst sich mit der Auseinandersetzung der Revisionisten mit Sachsenhausen und zeigt vor allem die Instrumentalisierung der zweifachen Vergangenheit Sachsenhausens als Konzentrationslager und sowjetisches Speziallager in der Argumentation der Rechtsextremen auf. Paradigmatisch wird das Konzentrationslager in dieser Weise in den Berichten des Nazis und Häftlings des Speziallagers Gerhart Schirmer von 1992 relativiert.
Heike Kleffner „Hoyerswerda, Rostock, Cottbus. Rassistische Mobilisierung und Gewalt seit 1989/90“ vermittelt, dass der Rechtsextremismus durch das politische Versagen und Sympathisieren weiter Kreise der Gesellschaft erst ermöglicht wird. Das Pogrom von Hoyerswerda im August 1991 ist ihr ein herausragendes Beispiel für ihre These. Von dort zieht sie eine Argumentationslinie, die bis zu den Taten des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) führt.
Judith Porath – Marcus Reinert „Kontinuitäten in Oberhavel und Ostprignitz-Ruppin. Rechte Gewalt im Fokus“ berichtet von den rechtsextremistischen Gewalttaten, die seit den 1990er Jahren die beiden brandenburgischen Landkreise erschüttern. Von Bedeutung ist dabei insbesondere, dass sie die Wurzeln dieser Entwicklungen bereits in ideologisch motivierten Gewalttaten der Zeit der späten DDR sehen.
Almuth Berger „Die Anfänge des ‚Toleranten Brandenburg‘. Motive und Ursachen“ referiert den schwierigen Weg bis zur Verabschiedung des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“ im Jahre 1998, das seither einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung rechtsextremistischer Ideologie und rechtsextremistisch motivierter Gewalt geleistet hat.
Christoph Kopke „‚Signal im Kampf gegen den organisierten Rechtsextremismus‘. Die Verbotsverfahren gegen rechtsextreme Vereine im Land Brandenburg“ sieht die in Brandenburg häufiger als andernorts realisierten Verbotsverfahren gegen rechtsextremistische Vereinigungen als einen wichtigen Teil der Bekämpfung des Rechtsextremismus, der allerdings durch aufklärerische und präventive Maßnahmen ergänzt werden muss.
Klaus Ahlheim „Aufgaben und Grenzen der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen in der politischen Bildung“ macht deutlich, dass Angebote der politischen Bildung Menschen mit einem gefestigten rechtsextremen Weltbild kaum mehr erreichen können. Die Möglichkeiten der politischen Bildung können aber eine wichtige Rolle spielen, wenn es zu verhindern gilt, dass diffuses rechtsextremes Gedankengut zu einer manifesten gewaltbereiten Lebenseinstellung wird.
Wilfried Schubarth – Juliane Ulbricht postulieren in ihrem Aufsatz „Rechtsextremismus als Aufgabe und Gegenstand schulischer Bildung“ eine wichtige Rolle der Schule jenseits der bloßen Wissensvermittlung in der Erziehung zu Toleranz und Mitmenschlichkeit. Gleichzeitig betonen sie aber auch, dass diese Wertevermittlung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleibt, die nicht in die alleinige Verantwortung der Schulen delegiert werden kann.
Klaus Ahlheim „Gedenkstättenarbeit und Rechtsextremismus“ fragt nach dem Beitrag, den die Gedenkstätten zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus leisten können. Sehr zu Recht kommt er zu einem ambivalenten Ergebnis: Historische Orte spielen eine wichtige Rolle bei der Auseinandersetzung mit rechtsextremem Gedankengut. Die Erwartung einer toleranten, demokratischen und emphatischen Weltanschauung als zwangsläufiges Ergebnis eines Gedenkstättenbesuchs wäre aber naiv.
Diskussion
Der Band führt erneut ein Dilemma vor Augen, das allen Verantwortlichen im Gedenkstättenwesen allzu vertraut ist: In einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommene Angriffe auf Erinnerungsorte rufen in vielen Bereichen der Gesellschaft ein besonderes Bewusstsein für die ungeminderte Aktualität dieser Einrichtungen hervor, das sich nicht nur in einer außergewöhnlichen öffentlichen Resonanz, sondern auch in demonstrativen Bekenntnissen und nicht selten in finanziellen Zuwendungen ausdrückt. Dieser Zusammenhang ist für eine geschichtsbewusste wie für eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft beschämend, weil er deutlich macht, dass die Öffentlichkeit die kontinuierliche Arbeit der Gedenkstätten zu wenig wertschätzt. Dieses Phänomen hätte wenigstens ein Aufsatz explizit ansprechen sollen. Rechtsextremisten dürften nicht die Tagesordnung des gesellschaftlichen Diskurses bestimmen.
Fazit
Der spezifische Wert des Bandes besteht darin, die neonazistischen Brandanschläge vom September 1992 und vom September 2002 auf die Gedenkstätte Sachsenhausen und die Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald in die gesellschaftlichen Entwicklungen von 1945 bis in die Gegenwart einzuordnen und sowohl das dafür ursächliche extremistische Gedankengut als auch die Möglichkeiten staatlichen wie bürgerschaftlichen Engagements als Gegenmaßnahmen über einen längeren Zeitraum zu beschreiben und zu analysieren.
Rezension von
Prof. Dr. Bernhard M. Hoppe
Hochschule Mittweida und Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
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