Jens Flassbeck: Ich will mein Leben zurück
Rezensiert von Prof. Dr. Annemarie Jost, 19.01.2015
Jens Flassbeck: Ich will mein Leben zurück. Selbsthilfe für Angehörige von Suchtkranken. Hilfe aus eigener Kraft. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2014. 153 Seiten. ISBN 978-3-608-86045-0. D: 16,95 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 23,90 sFr.
Thema und Zielgruppe
Angehörige eines Suchtkranken erleben Achterbahnen der Gefühle: Scham, Ohnmacht, Wut und Enttäuschung, aber zugleich auch Sorge um den süchtigen Partner oder Elternteil und die Hoffnung auf eine Wendung. Das Buch will betroffenen Angehörigen zu einer gesunden Distanz verhelfen und sie unterstützen, wieder zu sich selbst zu finden. Es richtet sich an Angehörige, Kollegen und Freunde von Suchtkranken, erwachsene Kinder aus Suchtfamilien und auch an Menschen, die in der Betreuung von Suchtkranken tätig sind (Laienhelfer und Professionelle).
Autor
Jens Flassbeck ist Diplom-Psychologe, Gesprächspsychotherapeut und Therapeutischer Leiter der Klinik für Suchtmedizin, LWL-Klinikum Gütersloh. Er hat bereits einige Publikationen zur Co-Abhängigkeit verfasst, z. B. das im gleichen Verlag erschienene Buch: „Co-Abhängigkeit“.
Aufbau
Das Buch „Ich will mein Leben zurück“ befasst sich mit den Ausdrucksformen der Co-Abhängigkeit und schildert die Entstehung von Verstrickungen mit Süchtigen. Es enthält Selbsttests, Reflexionsfragen, kurze Fallvignetten und Anleitungen, insbesondere:
- „Werden Sie wieder Sie selber“ und
- „Entdecken Sie das Leben wieder“
Im Schlussteil werden konkrete Hilfsmöglichkeiten und Anlaufstellen aufgezeigt, sowie Internetadressen und weiterführende Literatur aufgelistet.
Inhalt
Die Inhalte und Strategien dieses Buches basieren auf dem Therapiekonzept des Autors zur angehörigenzentrierten Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen und auf seiner praktischen Arbeit mit betroffenen Angehörigen. Der Autor betont, dass Co-Abhängigkeit ein vielschichtiges individuelles, soziales, institutionelles und gesellschaftliches Problem darstellt und moniert, dass die Institutionen und Vertreter der Suchthilfe in erster Linie den Suchtkranken unter die Arme greifen und hierbei die Angehörigen und Kinder von Suchtkranken übersehen, vernachlässigen und vergessen. Jens Flassbeck führt die Einseitigkeit der Beziehung zwischen Abhängigem und seinen Angehörigen deutlich vor Augen: es sei eine Einbahnstraße, in der der Süchtige – beherrscht von der Abhängigkeit – die Familie und sein Umfeld selbstsüchtig und rücksichtslos manipuliere, während Angehörige sich selbstlos und rücksichtsvoll aufopferten und hierbei Geld, Nerven und Gesundheit riskierten.
Die LeserInnen werden angeleitet, sich selbst in ihrem Verhalten zu reflektieren und zu hinterfragen, welche psychischen und physischen Beeinträchtigungen bei ihnen entstanden sind. Es folgt in der zweiten Buchhälfte eine Anleitung, sich Distanz und Pausen zu gönnen, sich zugewandte Gesprächspartner zu suchen und die Tabuisierung aufzugeben. Die LeserInnen werden ermutigt, „nein“ zu sagen, und bei Übergriffen zu ihrem eigenen Schutz oder zum Schutz der Kinder Maßnahmen gegen den Süchtigen zu ergreifen (bis hin zum Rauswurf aus der Wohnung oder zu Strafanzeigen). Insgesamt wahrt der Autor jedoch die Balance zwischen berechtigten Hoffnungen und dem Eingeständnis von Ohnmacht.
Weiterhin wird der Umgang mit dem Rückfall thematisiert. Der Autor geht auch kurz auf suchtkranke Menschen am Arbeitsplatz ein und thematisiert explizit und implizit die Sorge um die eigene Psychohygiene professioneller Helfer.
Diskussion
Das Buch ist verständlich geschrieben und ergreift engagiert Partei für die Angehörigen, die häufig immer wieder versuchen, mit dem Suchtkranken rücksichtsvoll umzugehen ohne selber Rücksichtnahme zu erfahren. Die Angehörigen erfahren zugleich Wertschätzung und Anregungen, sich selber weiterzuentwickeln.
Bei den Selbsttests handelt es sich weniger um echte Tests, sondern eher um aneinandergereihte Reflexionsfragen, welche durch weitere Anleitungen zur Selbstreflexion ergänzt werden.
Fazit
Es handelt sich um ein engagiertes Buch zur Unterstützung der vielen Millionen Menschen, die im Umfeld von Abhängigkeitskranken leben und sich mit ihnen verstrickt haben. Es gibt konkrete Anleitungen zur Selbstbefreiung und reflektiert die Möglichkeiten therapeutischer Unterstützung für die Angehörigen selbst.
Rezension von
Prof. Dr. Annemarie Jost
Professorin für Sozialpsychiatrie an der Fakultät 4 der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg
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Zitiervorschlag
Annemarie Jost. Rezension vom 19.01.2015 zu:
Jens Flassbeck: Ich will mein Leben zurück. Selbsthilfe für Angehörige von Suchtkranken. Hilfe aus eigener Kraft. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2014.
ISBN 978-3-608-86045-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17756.php, Datum des Zugriffs 09.10.2024.
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