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Marc Schmid, Ute Kaiser et al. (Hrsg.): Traumapädagogik und ihre Bedeutung für pädagogische Einrichtungen

Rezensiert von Mag.a Barbara Neudecker, 20.02.2015

Cover Marc Schmid, Ute Kaiser et al. (Hrsg.): Traumapädagogik und ihre Bedeutung für pädagogische Einrichtungen ISBN 978-3-945081-02-0

Marc Schmid, Ute Kaiser, Ute Ziegenhain (Hrsg.): Traumapädagogik und ihre Bedeutung für pädagogische Einrichtungen. Ein Projekt des Universitätsklinikums Ulm mit dem CJD e.V. SchöneworthVerlag (Hannover) 2014. 152 Seiten. ISBN 978-3-945081-02-0.

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Thema

Die Traumapädagogik beschäftigt sich – aufbauend auf den Erkenntnissen der Psychotraumatologie – mit der Frage, welche Bedürfnisse Kinder und Jugendliche mit traumatischen Erfahrungen in pädagogischen Beziehungen haben und wie die pädagogische Praxis diesen Bedürfnissen gerecht werden kann. Vor allem im Bereich der Sozialpädagogik wird auffälliges oder grenzüberschreitendes Verhalten von Heranwachsenden zunehmend als Folge und Ausdruck psychischer Traumatisierung verstanden und ein spezifisch traumasensibler Umgang damit eingefordert.

Entstehungshintergrund

In einem zweijährigen Projekt setzten sich zehn sozialpädagogische Einrichtungen in Deutschland intensiv mit traumapädagogischen Konzepten auseinander, um diese in ihren Häusern zu implementieren und in der pädagogischen Praxis umzusetzen. Eine Ausgabe der Zeitschrift „Beiträge zu Theorie und Praxis der Jugendhilfe“ (6/2014) ist der Darstellung dieses von der Aktion Mensch geförderten Projektes gewidmet.

Aufbau und Inhalt

In sieben Beiträgen werden unterschiedliche Aspekte des Projektes dargestellt.

In einem einführenden Beitrag fasst Marc Schmid zusammen, warum traumapädagogische Konzepte in der Jugendhilfe erforderlich sind. Schon in diesem Beitrag wird das für das Projekt handlungsleitende Prinzip der „Versorgerkette“ erwähnt: Damit die MitarbeiterInnen sozialpädagogischer Einrichtungen die ihnen anvertrauten Heranwachsenden gut unterstützen und versorgen können, brauchen sie ihrerseits Versorgung durch FachdienstmitarbeiterInnen und LeiterInnen. Anknüpfend an diese Überlegungen werden Projektidee und Projektdesign erläutert. Kern des Projekts waren traumapädagogische Fortbildungsveranstaltungen auf Team- und auf Leitungs- bzw. VersorgerInnenebene, an die die individuelle Umsetzung in den einzelnen Wohngruppen und Einrichtungen anschloss. Dieser Implementierungsprozess wurde durch sogenannte „ProzessbegleiterInnen“ unterstützt.

Urs Kaiser vom Christlichen Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) schildert das Projekt aus Trägerperspektive, aus der es nicht nur darum ging zu hinterfragen, ob genügend Ressourcen für die Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen vorhanden sind, sondern auch darum, durch traumapädagogische Konzepte vorhandene Ressourcen anders und effektiver einsetzen zu können. Beschrieben werden die Auswirkungen des Projekts auf die teilnehmenden Einrichtungen und auf die Organisation CJD als lernender Organisation.

Birgit Lang und Marc Schmid stellen dar, nach welchen Überlegungen Aufbau und Inhalt der Schulungen für die Team-MitarbeiterInnen und für die „VersorgerInnen“ gestaltet wurden. Besondere Konzeptbausteine wie Resilienzförderung für Kinder und für Fachkräfte, das Instrument der Ampelrunde zum Kommunizieren von Rückmeldungen in Gruppen, die Suche nach dem „Guten Grund“ bei Kindern und MitarbeiterInnen oder das Konzept „Verstehen ohne einverstanden zu sein“ werden näher erläutert.

Bei der Umsetzung der von den Einrichtungen zu Projektbeginn selbst gesetzten Ziele, wie traumapädagogische Ansätze in der pädagogischen Arbeit verankert werden sollen, wurden die Einrichtungen von sogenannten ProzessbegleiterInnen unterstützt. Thomas Büchi und Kerstin Prinz berichten von dieser Arbeit, deren wesentliche Aufgabe in der Begleitung von Klausurtagen in den Einrichtungen bestand. Der Beitrag beschreibt den Prozess der Organisationsentwicklung anhand der Dimensionen Tiefung, Flächung und Verstetigung der neuen traumapädagogischen Inhalte und Haltungen.

Die wissenschaftliche Begleitung und Dokumentation des Projektes erfolgte durch das Universitätsklinikum Ulm. Annabel Zwönitzer, Ute Ziegenhain, Marc Schmid und Anne Katrin Künster referieren die Evaluation des Projekts, bei der vor allem die unmittelbaren Auswirkungen des Prozesses auf die teilnehmenden MitarbeiterInnen und die indirekten Auswirkungen auf die betreuten Kinder und Jugendlichen mit Hilfe von Interviews und Fragebögen erhoben wurden. Ihr Fazit ist, dass die Implementierung traumapädagogischer Ansätze nur dann nachhaltig gelingen kann, wenn das Vorhaben das gesamte System einer Institution umfasst, da sonst die Umsetzung schwierig ist und die Belastung der Einrichtung zusätzlich erhöhen kann.

Die beiden letzten Beiträge widmen sich speziellen Aspekten der sozialpädagogischen Arbeit mit belasteten Kindern und Jugendlichen: Beate Deidesheimer beschäftigt sich mit der Frage, wie traumapädagogische Überlegungen auch auf die Arbeit mit (möglicherweise traumatisierenden) Eltern angewendet werden können. Sie betont, dass eine respektvolle Haltung gegenüber dem Herkunftssystem nicht nur eine Frage des Wissens ist, sondern auch Unterstützung durch Beratung und Supervision benötigt.

Im letzten Beitrag schildert Margarete Kappler, wie im Rahmen des Projektes aktuelle Vorfälle in einer Einrichtung zum Anlass genommen wurden, um einen Krisenplan zu entwickeln, wie Krisensituationen nach tätlichen Angriffen auf MitarbeiterInnen in traumasensibler Weise beantwortet werden können, sodass sowohl auf die Bedürfnisse der betroffenen MitarbeiterInnen als auch auf jene der beteiligten Kinder und Jugendlichen angemessen eingegangen wird.

Diskussion

Diese Veröffentlichung hebt sich von der Fülle der traumapädagogischen Publikationen der letzten Jahre ab. Zwar werden auch hier die bekannten Schlagworte des „sicheren Ortes“ oder des „guten Grunds“ wiederholt referiert, doch geschieht dies in einem ganz spezifischen Kontext, der in anderen Veröffentlichungen nur angedeutet oder theoretisch behandelt wird: dem institutionellen Rahmen, in den traumapädagogisches Arbeiten strukturell eingebettet ist (oder, um es in traumapädagogischer Diktion zu formulieren: dem institutionellen Anteil der „pädagogischen Triade“). In den Beiträgen werden viele Aspekte, die mit der praktischen Umsetzung neuer Inhalte verbunden sind, anschaulich gemacht. Die Schilderung des Projekts macht neugierig, mehr und konkretere Beispiele über die Ausgestaltung des Projekts, die Anwendung und Umsetzung in den einzelnen Einrichtungen und auch die damit verbundenen Schwierigkeiten zu lesen. Leider bleiben die Darstellungen – was wohl dem Rahmen der Veröffentlichung als Ausgabe der „Beiträge zu Theorie und Praxis der Jugendhilfe“ geschuldet ist – manchmal allgemein und oberflächlich. Dennoch vermitteln die einzelnen Arbeiten eindrücklich, dass gutes pädagogisches Arbeiten nicht nur eine Frage der persönlichen Qualifikationen und der Inanspruchnahme von Fort- und Weiterbildung ist, sondern Ressourcen und einen unterstützenden institutionellen Rahmen braucht, in dem sich die (trauma-)pädagogische Arbeit entfalten kann.

Fazit

Für Interessierte, die sich bereits mit den Grundlagen der Traumapädagogik vertraut gemacht haben, ist dieses Buch eine anregende Ergänzung, praktisch angewandte Traumapädagogik einmal nicht mit Fokus auf die traumatisierten Kinder und Jugendlichen zu betrachten, sondern das Augenmerk auf die betreuenden Einrichtungen und die dort tätigen MitarbeiterInnen zu legen.

Rezension von
Mag.a Barbara Neudecker
MA, Psychotherapeutin (IP) und psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberaterin, Leiterin der Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche in Wien, Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Innsbruck, eigene Praxis
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Es gibt 19 Rezensionen von Barbara Neudecker.

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Zitiervorschlag
Barbara Neudecker. Rezension vom 20.02.2015 zu: Marc Schmid, Ute Kaiser, Ute Ziegenhain (Hrsg.): Traumapädagogik und ihre Bedeutung für pädagogische Einrichtungen. Ein Projekt des Universitätsklinikums Ulm mit dem CJD e.V. SchöneworthVerlag (Hannover) 2014. ISBN 978-3-945081-02-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17765.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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