Caris-Petra Heidel (Hrsg.): Die Frau im Judentum - jüdische Frauen in der Medizin
Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 02.02.2015

Caris-Petra Heidel (Hrsg.): Die Frau im Judentum - jüdische Frauen in der Medizin.
Mabuse-Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2014.
299 Seiten.
ISBN 978-3-86321-221-6.
39,90 EUR.
Medizin und Judentum ; Bd. 12.
Thema
Unter der Überschrift „Die Frau im Judentum“ beleuchten die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes die Rolle jüdischer Frauen in der Medizin.
Herausgeberin und AutorInnen
Prof. Dr. med. Caris-Petra Heidel (Jahrgang 1954) ist Medizinhistorikerin und Direktorin des Instituts für Geschichte der Medizin der Medizinischen Fakultät der Carl Gustav Carus an der TU Dresden.
Die 21 an dem Werk beteiligten Autorinnen und Autoren (ein Verzeichnis mit ihren Anschriften findet sich auf den Seiten 297-299) verschiedener Disziplinen stammen aus Deutschland, Österreich, Israel, Polen, der Türkei und der Ukraine.
Entstehungshintergrund
Der Band vereint die Vorträge, die beim 12. Medizinhistorischen Kolloquium „Medizin und Judentum“ am 10. und 11. September 2013 in Dresden gehalten wurden.
Im Zusammenwirken der Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V. „HATiKVA“, dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden und dem Institut für Geschichte der Medizin der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden war 1993 unter der Leitung von Prof. Dr. med. Albrecht Scholz (1940-2013) das erste medizinhistorische Kolloquium anlässlich und in Gedenken des Novemberpogroms durchgeführt und damit zugleich die Tagungsreihe – deren Ergebnisse in der gleichnamigen Schriftenreihe veröffentlicht werden – begründet worden, der er bis zu seiner Emeritierung 2005 vorgestanden hat. Seitdem zeichnet sich Caris-Petra Heidel für die Tagung und den Tagungsband verantwortlich.
Aufbau
Nach einem Vorwort der Herausgeberin (S. 9-12) vereint das Buch die folgenden zwanzig Beiträge:
- Peter Joel Hurwitz: Jüdische Ärztinnen im Mittelalter (S. 13-21)
- Samuel S. Kottek: Volksmedizinische Kenntnisse von Frauen im Talmud (S. 23-33)
- Hubertus Hug: Die ersten Apothekerinnen in Eretz-Yisrael (S. 35-45)
- Frank Leimkugel: Dr. Friederike Ausländer et alterae – Palästinas erste Pharmaunternehmerin im Kontext der ersten jüdischen Apothekerinnen im deutschen Sprachkreis (S. 47-54)
- Verena Wulf und Frank Leimkugel: Die Frau an seiner Seite – Schwester Selma Meyer (1884-1984) und Dr. Moshe Wallach (1866-1957), Gründer des Shaare Zedek Krankenhauses zu Jerusalem (S. 55-64)
- Ekkehard W. Haring: „[…] hinter der Frauenfrage die Hysterie.“ Das Bild der jüdischen Frau im Kontext von medizinischer Wissenschaft und Kunst in der Wiener Belle Époque (S. 65-85)
- Gerald Kreft: Unter dem Deckmantel der Anonymisierung: Die Geschichte der „Ada O.“ (S. 87-103)
- Ingrid Kästner: Therese Benedek (1892-1977), die erste Psychoanalytikerin in Leipzig (S. 105-123)
- Wolfgang Kirchhoff: Sexualpolitische Aspekte im Leben von Dr. med. Charlotte Wolff (1897-1986) (S. 125-141)
- Jürgen Nitsche: Die Stadtschulärztin Dr. Frieda Freise (1886-1938) (S. 143-165)
- Kaja Marchel: Irena Krzywicka as a supporter of hygiene and sexual education between 1918-1939 (S. 167-179)
- Arin Namal: Deutschlandweit die erste Dozentin im Fach Dermatologie: Berta Ottenstein (Nürnberg, 1891-Cocord, 1956). Ihr Wirken in der Türkei (S. 181-201)
- Thomas Müller und Ludger M. Hermanns: Bronischewitz – Berlin – Jerusalem. Soziale Vernetzung, berufliche Ausbildung und Emigration der Berliner Örztin Margarete M. Brandt (S. 203-216)
- Caris-Petra Heidel und Marina Lienert: Jüdische Ärztinnen in Dresden (S. 217-237)
- Katarzyna Sudo?: Rachela Hutner (1909-2008), precuror of modern nursing (S. 239-247)
- Eduard Seidler: Lucie Adelsberger (12.4.1895 Nürnberg-2.11.1971 New York). Ärztin, Wissenschaftlerin, Überlebende des Holocaust (S. 249-251)
- Susanne Doetz und Christoph Kopke: Entlassung und Verfolgung jüdischer Ärztinnen des Berliner städtischen Gesundheitswesens 1933-1945. Biographische Rekonstruktionen (S. 253-267)
- Daniel S. Nadav: Dr. Anna Heller-Braude – Warsaw Ghetto heroine (S. 269-273)
- Bo?ena P?onka-Syroka: Jüdische Wissenschaftlerinnen an der Universität und Medizinischen Akademie in Wroc?aw nach 1945: Prof. Noemi Widgorowicz-Makower, Prof. Hanna Hirszfeld, Prof. Wanda Mejbaum-Katzenellenbogen (S. 275-290)
- Mykhailo Zabrodin: Ukraine: medicine with human eyes (S. 291-295).
Inhalt
Die Beiträge des vorliegenden Buches, die aufgrund ihres Umfangs hier nicht alle einzeln vorgestellt werden können, beschäftigen sich mit der Rolle jüdischer Frauen in der Medizin. Wie und wann erhielten sie Zugang zu medizinischen und gesundheitsbezogenen Ausbildungen? Was trugen sie zur Entwicklung ihrer jeweiligen Fachdisziplin bei? Wie erlebten und erlitten sie die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus? Neben der Beantwortung solcher Fragen werden auch zahlreiche biographische Portraits jüdischer Ärztinnen, Apothekerinnen, Pflegerinnen und Psychoanalytikerinnen vorgestellt.
Im Vorwort weist die Herausgeberin darauf hin, dass das Thema nicht gewählt wurde, weil es derzeit gerade „modern“ zu sein scheint, sich der Gender-Problematik zu widmen oder sich mal wieder kurzzeitig der Rolle der Frau in der Gesellschaft anzunehmen. „Vielmehr lag der Idee die Erkenntnis zugrunde, dass offensichtlich gerade jüdische Frauen ein eminenter Beitrag in der medizinischen Wissenschaft und wissenschaftlichen Medizin, für die Gesundheitsversorgung und Krankenpflege zuzuschreiben ist“ (S. 9).
Bislang sei aber noch wenig erforscht, ob und inwieweit gerade jüdische Frauen (im Vergleich zu ihren nichtjüdischen Geschlechtsgenossinnen) von der Hochschul- und Wissenschaftspolitik der jeweiligen Gesellschaften und Nationalstaaten partizipiert haben beziehungsweise konnten, ob und inwieweit das Judentum die kulturelle, religiöse oder sonstige Voraussetzung für die Emanzipation der Frau und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen, insbesondere wissenschaftlichen Leben und im Gesundheitswesen gebildet hat, welchen Anteil überhaupt jüdische Frauen in der Medizin hatten und inwieweit sie tatsächlich prägend für die Entwicklung der wissenschaftlichen und praktischen Medizin waren beziehungsweise sind. Von daher würden die hier vorgelegten Beiträge nicht, so Caris-Petra Heidel, den Abschluss einer thematischen Forschungsarbeit bilden, sondern seien das insbesondere den hier vertretenen Autorinnen und Autoren zu verdankende Ergebnis einer in diesem Umfang und Solidität eigentlich „gerade erst“ begonnenen fächer- und länderübergreifenden Untersuchung.
Diskussion
In aller Regel wird die Geschichte der Medizin als das Werk „großer Männer“ dargestellt; darin bildet auch die Geschichtsschreibung zum Judentum kaum eine Ausnahme. Vor diesem Hintergrund war es das Anliegen der 12. Tagung „Medizin und Judentum“, einen ersten und dennoch weitgehenden und objektiven Überblick über die Anteilnahme jüdischer Frauen an der Entwicklung der Heilkunde, der medizinischen Wissenschaft, des Gesundheits- und Fürsorgewesens zu erarbeiten und zugleich die Hintergründe zu erfragen und möglichst zu erfassen. Dieser Anspruch wurde erfüllt, indem die Beiträge des nun vorliegenden Tagungsbandes, die einen Umfang von drei bis dreiundzwanzig Seiten umfassen, insgesamt betrachtet ein breites Spektrum wissenschaftshistorischer Forschung sowohl zur Wahrnehmung, dem Bild der jüdischen Frau im Kontext gesellschaftlicher einschließlich kultureller Gegebenheiten sowie der medizinischen Wissenschaften als auch – und dies insbesondere anhand konkreter Personen und deren Lebenswege benannt und reflektiert – zum Beitrag jüdischer Frauen in und zur Entwicklung von Medizin, Pharmazie und Krankenpflege vermitteln.
In medizinhistorischen Veröffentlichungen blieb die Krankenpflege bisher weitgehend unberücksichtigt oder spielte eine stark untergeordnete Rolle. Umso erfreulicher ist es, dass in dem vorliegenden Buch gleich mit zwei Beiträgen auch die außergewöhnlichen Leistungen von Krankenschwestern -Selma Meyer (1884-1984) und Rachela Hutner (1909-2008) – eine Würdigung erfahren.
Fazit
Wer sich für „Die Frau im Judentum“ im Allgemeinen und „Jüdische Frauen in der Medizin“ im Besonderen interessiert, wird den vorliegenden Tagungsband gewinnbringend und mit großem Interesse lesen.
Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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