Maja Storch, Wolfgang Tschacher: Embodied Communication
Rezensiert von Christoph Klein, 12.01.2015
Maja Storch, Wolfgang Tschacher: Embodied Communication. Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2014. 180 Seiten. ISBN 978-3-456-85453-3. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,50 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-456-85614-8 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Die Autoren stellen eine grundsätzlich neue Theorie dessen vor, wie Kommunikation zwischen Menschen wirkt und was berücksichtigt werden sollte, wenn sie gelingen soll. Sie begründen, warum herkömmliche Kommunikationstheorien, deren Wurzeln in der Ingenieurwissenschaft und der militärischen Nachrichtentechnik (Shannon & Weaver, 1949) liegen (und dort auch ihre Gültigkeit haben), sowohl als Modell zum Verständnis zwischenmenschlicher Kommunikation untauglich als auch in der Praxis unbefriedigend sind. Ihre eigene Kommunikationstheorie nennen sie „Embodied Communication“, (abgekürzt EC-Theorie), weil sie körperliche, emotionale Prozesse, Gedächtnisfunktionen und Erfahrungswissen in ihr Modell integrieren.
Autorin und Autor
Dr. Maja Storch: Studium der Psychologie, Philosophie und Pädagogik, Psychoanalytikerin und Psychodramatherapeutin PDH. Gründerin und Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich (www.ismz.ch). Zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Embodiment. Lebt und arbeitet als Autorin, Trainerin, Erfinderin in Süddeutschland und der Schweiz (www.majastorch.de).
Prof. Dr. Wolfgang Tschacher: Studium der Psychologie. Leiter der Abteilung für Psychotherapie (APT) an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Bern. Lebt und arbeitet als Wissenschaftler, Forscher und Autor in Bern.
Aufbau
Die ersten beiden Kapitel sind dem Theorieteil gewidmet, anschaulich, verständlich, aber ohne zu starke Vereinfachungen.
Wer nur an der Praxis interessiert ist, dem empfehlen und ermöglichen die Autoren gleich mit den Praxiskapiteln 3 und 4 einzusteigen. Anhand zahlreicher Fallbeispiele kann hier ein praktisches Grundverständnis für ihre Theorie der Embodied Communication entwickelt werden. Im Praxisteil werden anhand von sehr unterschiedlichen Alltagssituationen, die kommunikative Fertigkeiten erfordern, zahlreiche Methoden amüsant und sehr anschaulich vorgestellt, die unmittelbar nach der Lektüre umgesetzt werden können.
Mit dem Workshop genannten fünften Kapitel am Ende des Buches, richten sich die Autoren an Personen, die selbst Kommunikationskurse geben und zu einzelnen Methoden vertiefende Informationen wünschen. Ein Nachwort und das „Manifest der Embodied Communication“ runden das Buch ab. Sämtliche in diesem Buch verwendeten Grafiken werden als Open Source kostenlos zur Verfügung gestellt.
Entstehungshintergrund
Der Körper beeinflusst den Geist und umgekehrt auch der Geist den Körper. International wird hierfür der Begriff „Embodiment“ verwendet, wenn die Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist beschrieben werden bzw. das Eingebettetsein des psychischen Geschehens in den Körper Thema ist. Nicht zuletzt durch Erkenntnisse der Hirnforschung ist mittlerweile hinreichend erforscht, dass unser Geist nicht getrennt vom Körper agiert und unsere Fähigkeiten sowie die Entfaltung unserer Potentiale von einer guten Beziehung zwischen Körper und Geist abhängig sind (Hüther, 2013). Verbindungen, die ein Zusammenwirken von Körper, Seele, Geist ermöglichen, darf man sich nicht als Einbahnstraße sondern als komplexes sich wechselseitig beeinflussendes System vieler Elemente vorstellen.
Wie dieses Wissen nun aber in unsere alltägliche und gerade auch professionelle Praxis umgesetzt werden kann, das kann als aktuelle Herausforderung dieses Jahrhunderts verstanden werden. Als ein gelungenes Beispiel dafür kann das zuletzt hier vorgestellte und von András Wienands herausgegebene Buch „System und Körper. Der Körper als Ressource in der systemischen Praxis“, (Wienands, 2014 www.socialnet.de/rezensionen/17843.php) gelten.
Das Konzept der Embodied Communication erweist sich als Meilenstein für ein wirklich neues theoretisches Modell menschlicher Kommunikation. So wie die Embodimentforschung für eine Neuausrichtung der Kognitionswissenschaften sorgt (Storch, Hüther u.a., 2010), zeigen die Autoren, auf welche Weise unser Körper maßgeblich daran beteiligt ist, wenn Kommunikation gelingt und wir uns verstanden fühlen.
Inhalt
In ihrem neuen Buch plädieren Maja Storch und Wolfgang Tschacher für den Abschied von der sogenannten „Kanaltheorie“, die davon ausgeht, dass Kommunikation in der Übermittlung einer fixen Botschaft besteht, die wie eine Flaschenpost zwischen einem Sender und einem Empfänger zugeschickt und verstanden werden kann. Ihr eigenes Konzept der Embodied Communication begründen sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen vor allem aus der Embodiment-Forschung, der Systemtheorie, der Synergetik sowie dem Prinzip der Selbstorganisation und Musterbildungen lebender offener Systeme in der Biologie und Sozialpsychologie (Synchronie).
Kommunikation wird verstanden als ein offener und umfassender Prozess, in dem viele Elemente eines Systems sich andauernd wechselseitig und zirkulär beeinflussen. Gelingende Kommunikation äußere sich in der gemeinsamen Suche nach Stimmigkeit, heißt es. Eine Diskussion über die wahre Bedeutung eines Wortes oder Satzes erübrigt sich daher. Während des Kommunizierens werden wir andauernd von körperlichen Vorgängen beeinflusst, die meist unwillkürlich durch bisherige Erfahrungen, Erinnerungen und all den damit assoziierten Affekten ausgelöst werden.
Informationsverarbeitung im Gehirn bezieht den Körper stets mit ein. Jedes Wort, jeder Satz, jede Idee, die dem Gehirn als Input gegeben werden, lösen in körperbezogenen neuronalen Netzwerken Aktivität aus, die den abstrakten sprachlichen Inhalten Bedeutung verleihen. Immer sind dabei also sowohl bewusste als auch unbewusste Ebenen beteiligt.
Insbesondere dem Einfluss von Affekten auf unser kommunikatives Handeln wird viel Beachtung geschenkt. Ohne Affekte gebe es keine Motivation, keinen Antrieb, keine Handlung und eben auch keine Kommunikation. Affekte sind stark an den Körper gebundene Prozesse, sie wirken unwillkürlich innerhalb von Millisekunden, bewerten und energetisieren das Handeln einer Person, dabei sind sie aber nicht unbedingt bewusst oder sprachlich verfügbar. All dies spricht dafür, dass man sich Kommunikation nur im Zusammenhang mit einem damit aufs engste verbundenen komplexen körperlichen Geschehen vorzustellen hat. Genau das wird mit dem Konzept der Embodied Communication versucht.
Die These lautet nun, dass miteinander kommunizierende Personen ihr gegenseitiges Verstehen erzeugen und verhandeln. Für diesen Vorgang verwenden die Autoren den Begriff der „Synchronisierung“. Das Gefühl, verstanden zu werden (Stimmigkeitsgefühl), wird begriffen als Folge einer Synchronie auf körperlicher, non-verbaler und auch geistiger Ebene der beteiligten Personen. Als sichtbare Entsprechung synchroner Musterbildungen bei Tieren gelten z. B. die schönen Formationen, die Schwärme von Fischen und Vögeln hervorbringen oder auch die kollektive Schwarmintelligenz bei Bienen und Ameisen. Die Vorstellung herkömmlicher Theorien, es gebe so etwas wie ein Informationspaket und wir wüssten, was wir darin an einen Empfänger verschicken, halten die Autoren schlicht für falsch, in erster Linie aber auch für nicht hilfreich. Dem berühmten „Vier-Ohren-Modell“ (und bisherigen Theorie-Standard für Kommunikation) von Friedemann Schulz von Thun (2010) geben die Autoren seinen Platz in einer modernisierten Version der Kanaltheorie, die letztlich der Vorstellung eines Senders und Empfängers verpackter Informationen verhaftet bleibt, auch wenn mehrere Bedeutungsebenen eingeführt wurden. Es sei eine Illusion zu glauben, Kommunikation steuern und kontrollieren zu können. Entsprechende Bemühungen – ob mit guten oder bösen Absichten, privat oder amtlich – seien letztlich immer zum Scheitern verurteilt. Kontrolle sei die Illusion von Technikern simpler Maschinen. Die Autoren sind davon überzeugt, dass die nachrichtentechnische Vorstellung, aus der die Kanaltheorie entspringt, keinen Bestand haben wird. Stattdessen würden sich Synchronisationsprozesse als Grundlage und zum Verständnis menschlicher Kommunikation besser eignen. Die Empfehlung lautet daher auch, sich lieber auf das Gestalten von Randbedingungen einer Kommunikation zu konzentrieren und die Kompetenz von Selbstorganisationsprozessen zu nutzen.
Im Praxisteil des Buches werden Methoden vorgestellt, die für jede/n von uns umsetzbar sind und uns in kommunikativ anspruchsvollen Situationen handlungsfähig machen. Die Methoden haben Namen wie Affektbilanz, Pizza-Analyse, Wunderrad, Ideenkorb und werden anhand von Fallbeispielen ausführlich vorgestellt. Dieser Teil ist voller Geschichten und Situationen, die jede/r von uns kennt, die uns ärgerlich, wütend, hilflos oder traurig stimmen und zum eigenen Wohl kommunikatives Handeln erfordern. Die Methoden veranschaulichen auch denen, die sie nicht verwenden werden, wie dabei sehr differenziert vorgegangen werden kann, um günstige Rahmenbedingungen für eine stimmige und gelingende Kommunikation zu schaffen. Sie bewähren sich vor allem darin, dass sie den eigenen unbewussten Anteilen ermöglichen, unsere Handlung wirksam und hilfreich zu beeinflussen. Die Empfehlung lautet im Übrigen nicht, um das schon mal Vorwegzunehmen, dass es dabei immer nur friedlich zugehen muss.
Diskussion
Allen, denen Kommunikation am Herzen liegt, die in heiklen Situationen ihre Kommunikation verbessern und in zwischenmenschlichen Beziehungen Missverständnisse vermeiden wollen, ob nun privat oder beruflich, ist dieses Buch zu empfehlen. Die Autoren überzeugen mit ihrem interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurs ebenso wie in ihrem Praxisteil. Damit werden sie ihrem Anspruch gerecht, nicht nur theoretisch für ein anderes Verständnis von Kommunikation zu werben, sondern anschaulich, alltagsbezogen und anwendungsorientiert Methoden vorzuschlagen, wie sich jede/r selbst gerade in Konfliktsituationen eine kommunikative Handlungsfähigkeit erhalten und zum eigenen (und gemeinsamen) Vorteil nutzen kann.
Es überwiegen Beispiele und Methoden, wie mit eigenem Selbstmanagement die Rahmenbedingungen für gelingende Kommunikation verbessert werden können. Eine geglückte Kommunikationskette beginnt bei uns, lautet die Devise. Als Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich ist diese Haltung bei Maja Storch bereits Tradition. Schon in dem mit Frank Krause (Storch & Krause, 2014) entwickelten „Zürcher Ressourcen Modell“ (ZRM), legt sie Wert auf den Charakter als Selbstmanagement-Training, das heißt mit konsequent ressourcenaktivierenden Verfahren sich selbst zu befähigen, Entscheidungen zu treffen. Besserwisserei oder auch Einmischung von außen stören dabei eher, verhindern kompetente Selbstgewegungen und die Entwicklung eigener Kompetenzen.
Wie schon beim Zürcher Ressourcen Modell kümmern sich die Erfinder der Embodied Communication sehr gewissenhaft um wissenschaftliche Anschlussfähigkeit, die Umsetzung in Handlung und natürlich um zielführende zufriedenstellende Wirksamkeit.
Fazit
Was für ein Buch! Brillant und mit viel Sprachwitz geschrieben, liest es sich leicht und wirkt umwerfend. Revolutionär möchte ich sagen, was sicher im Sinne beider Autoren wäre, die ihr Buch mit dem Manifest der Embodied Communication abschließen, und sich damit bewusst einreihen in die Tradition anderer Manifeste, die die Welt zu verändern versuchten. Bescheiden ist das nicht, aber nach der teils wirklich erheiternden, niemals oberflächlichen und wissenschaftliche Erkenntnisse bündelnder Lektüre ist dieses Pathos berechtigt. Ein vortrefflicheres Grundlagenwerk für eine neue Perspektive auf etwas, das uns alltäglich betrifft, das bisher unangefochten und immer schon offensichtlich unzulänglich war, und das uns auf so sympathische Weise einlädt, unsere Gewissheiten in Frage zu stellen und neu zu orientieren, ist kaum vorstellbar.
Literatur
- Hüther, G.: Was wir sind und was wir sein könnten. Ein neurobiologischer Mutmacher. Fischer Taschenbuch (Frankfurt), 6. Aufl. 2013, 192 Seiten. ISBN 978-3-596-18850-5
- Schulz von Thun, F.: Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Rohwolt Taschenbuch (Reinbek), 48. Aufl. 2010, 320 Seiten ISBN 978-3-499-17489-6
- Shannon, C. &, Weaver, W.: The Mathematical Theory of Communication. Verlag: Combined Academic Publishers (Illinois), 1949 144 Seiten. ISBN 0-252-72548-4
- Storch, M., Hüther, G., Cantieni, B. & Tschacher, W.: Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle), 2., erw. Aufl. 2010, 180 Seiten. ISBN 978-3-456-84837-2
- Storch, M., Krause, W.: Selbstmanagement - ressourcenorientiert: Theoretische Gundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM). Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle), 5. erw. und vollst. überarbeitete Aufl. 2014, 400 Seiten ISBN 978-3-456-85440-3
- Wienands, Andra? (Hrsg.): System und Körper. Der Körper als Ressource in der systemischen Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2014. 245 Seiten. ISBN 978-3-525-40191-0.
Rezension von
Christoph Klein
Dipl- Pädagoge, Familientherapeut, systemischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Supervisor und Lehrender für systemische Therapie an der GST Berlin; Mitbegründer des PUK Berlin und Trainer für das Mehrfamilienprogramm Kinder aus der Klemme für Familien in Trennungskonflikten.
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Zitiervorschlag
Christoph Klein. Rezension vom 12.01.2015 zu:
Maja Storch, Wolfgang Tschacher: Embodied Communication. Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf. Verlag Hans Huber
(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2014.
ISBN 978-3-456-85453-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17842.php, Datum des Zugriffs 09.10.2024.
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