Andreas Glöckner: Neue Öffentliche Rechnungslegung
Rezensiert von Prof. Dr. Berit Adam, 10.02.2015

Andreas Glöckner: Neue Öffentliche Rechnungslegung. Konzeptionelle Fundamente und Spezifika eines Normensystems für Gebietskörperschaften. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2014. 714 Seiten. ISBN 978-3-8487-1413-1. D: 129,00 EUR, A: 132,70 EUR, CH: 179,00 sFr.
Thema
Die öffentliche Rechnungslegung befindet sich bereits seit Jahren im Umbruch. Während die kommunalen Gebietskörperschaften bereits Ende der 90´er Jahre ihre Haushaltsplanung und Rechnungslegung reformierten, sind auf Ebene der Bundesländer lediglich einzelne Reformvorhaben begonnen bzw. bereits abgeschlossen, während auf Bundesebene nur geringe Anpassungen erfolgten. Dies führt dazu, dass auch nach mehr als einem Jahrzehnt noch kein heterogenes Bild bei der Rechnungslegung deutscher Gebietskörperschaften zu erkennen ist.
Der Autor erarbeitet in seinem Werk „Neue Öffentliche Rechnungslegung (NÖR)“ eine Zweckkonzeption für die öffentliche Rechnungslegung aller Ebenen von Gebietskörperschaften unter Einbeziehung verschiedener bestehender Zweckkonzeptionen ausgewählter Referenzmodelle (IFRS, IPSAS und HGB). Ausgehend von dieser Zweckkonzeption entwickelt er Grundsätze für eine neue öffentliche Rechnungslegung, die einheitlich auf allen Ebenen von Gebietskörperschaften anwendbar sind. Mit diesem Werk trägt der Autor dazu bei, eine Diskussion darüber anzustoßen, auf welcher konzeptionellen Basis die Rechnungslegungsvorschriften auf allen Ebenen von Gebietskörperschaften vereinheitlicht werden sollten. Daher besitzt dieses Werk vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen europäischen Diskussion um einheitliche europäische Rechnungslegungsstandards (EPSAS) eine hohe Relevanz.
Entstehungshintergrund
Bereits im Jahr 2004 weckte ein Professor des Autors sein Interesse am öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen. So entschied er im späteren Verlauf seiner Karriere, sich in seiner Dissertation mit den konzeptionellen Grundlagen der öffentlichen Rechnungslegung auseinander zu setzen. Im Jahre 2007 legte er dem Promotionsausschuss der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften (damals Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer) sein Exposé zu dieser Arbeit vor. Nach verschiedensten Tätigkeiten als Lehrbeauftragter und Forschungsreferent am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer konnte Andreas Glöckner die Arbeit im Jahr 2013 abschließen. Die Promotion erfolgte an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften bei Prof. Dr. Holger Mühlenkamp.
Aufbau und Inhalt
Die Dissertation gliedert sich in fünf Kapitel.
Im einführenden Kapitel (Kapitel eins) wird der Untersuchungsgegenstand eingegrenzt sowie die Zielsetzung der Arbeit und die Vorgehensweise beschrieben. Im Rahmen der Einordnung des Begriffs der Neuen Öffentlichen Rechnungslegung findet eine Abgrenzung der Rechnungslegung zum Rechnungswesen und der Buchführung statt. Ferner definiert der Autor sein Untersuchungsobjekt, die kommunale und staatliche Rechnungslegung in Deutschland. Die Zielsetzung der Dissertation besteht darin, ein konzeptionelles Fundament für das neue öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen zu erarbeiten und als Nebeneffekt grundlegende Einsichten in die öffentliche Rechnungslegung zu generieren. Zu diesem Zweck geht der Autor auf drei Referenzmodelle näher ein: das deutsche Handelsrecht inkl. höchstrichterlicher Rechtsprechung, die International Financial Reporting Standards (IFRS) sowie die International Public Sector Accounting Standards (IPSAS).
Das zweite Kapitel befasst sich mit den Stakeholdern der öffentlichen Rechnungslegung. Der Autor unterteilt in wirtschaftlich begründete Stakeholder, worunter er im Wesentlichen die Steuerzahler und die Fremdkapitalgeber subsumiert, sowie politisch-(verfassungs-)rechtlich begründete Stakeholder. Hierbei zeigt er bestehende Interessenkonflikte und Überschneidungen zwischen den verschiedenen Stakeholdern auf und nimmt eine Abgrenzung zu den Stakeholdern im privatwirtschaftlichen Bereich vor. Im letzten Unterkapitel legt Andreas Glöckner theoretische Lösungsmöglichkeiten für die bestehenden Interessenkonflikte der Stakeholder dar, und weist auf die Einschränkungen der dargestellten Lösungen hin.
Im dritten Kapitel befasst sich der Autor mit der Zweckkonzeption der öffentlichen Rechnungslegung. Nach der ausführlichen Präzisierung der vorab zu klärenden Begrifflichkeiten und dem Aufzeigen der Funktionen von Rechnungslegung beschreibt der Verfasser die Ziel- und Zweckkonzeptionen der drei, von ihm betrachteten Referenzmodelle. Im letzten Unterkapitel entwickelt der Autor eine speziell auf die öffentliche Rechnungslegung in Deutschland zugeschnittene Zweckkonzeption. Ausgehend vom öffentlichen Schutzzweck in Form des (gegenwärtigen und künftigen) Individualschutzes sowie des Institutionenschutzes leitet der Autor diesem Zweck dienende Ziele (in Form des Rechenschaftsziels sowie des Kompetenzabgrenzungsziels) ab.
Das sich anschließende vierte Kapitel widmet sich der Entwicklung von Grundsätzen für die Neue Öffentliche Rechnungslegung. Anschließend an die Darlegung der Funktion einer Systematik von Rechnungslegungsgrundsätzen erläutert Andreas Glöckner den Stellenwert solcher Grundsätze in der deutschen Rechnungslegungstradition. Im letzten Unterkapitel werden die formalen Grundsätze ordnungsmäßiger Rechnungslegung für die öffentliche Rechnungslegung unverändert übernommen, da sie sektorunspezifisch sind. Daneben entwickelt der Autor eigenständige materielle Grundsätze ordnungsmäßiger öffentlicher Rechnungslegung (GoöR). Diese werden in Systemgrundsätze (Grundsatz der moderat erweiterten Pagatorik, Periodisierungsprinzip, Grundsatz der Einzelbewertung, Ewigkeitsprinzip sowie Prinzip der wirtschaftlichen Betrachtungsweise), Grundsätze bezüglich des öffentlichen Ressourcenerfolgs (Grundsatz der Abgrenzung der Zeit nach, Grundsatz der eingeschränkten Abgrenzung der Sache nach, modifiziertes Realisationsprinzip, periodenbezogenes Ausgleichsprinzip der Ressourcenströme) und Grundsätze zur verzerrungsfreien Informationsdarstellung (Prinzip der Verzerrungsfreiheit, Paritätsprinzip) unterteilt.
Hieran schließt sich als Abschluss der Arbeit im fünften Kapitel eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte der Arbeit an.
Diskussion
Die auf den unterschiedlichen Ebenen von Gebietskörperschaften in Deutschland umgesetzten Reformmodelle bauen auf unterschiedlichen konzeptionellen Grundlagen auf. Das erste, in Deutschland implementierte Modell auf kommunaler Ebene, das sog. Speyerer Verfahren, ging erstmals auf die Notwendigkeit spezifischer Grundsätze ordnungsmäßiger öffentlicher Rechnungslegung ein und grenzte diese von den privatwirtschaftlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) des Handelsrechts ab. Die im Rahmen dieses Konzepts erarbeiteten Grundsätze unterscheiden sich von den in der Folge erarbeiteten, zahlreichen anderen Reformkonzepten im kommunalen Bereich, die sich jeweils mehr oder weniger eng an den GoB des Handelsrechts orientierten. Im Jahr 2008 unternahm Holger Wirtz in seinem gleichnamigen Werk erstmals den Versuch, spezifische Grundsätze ordnungsmäßiger öffentlicher Buchführung zu erarbeiten. Andreas Glöckner geht in seiner Dissertation über diesen Ansatz hinaus. Im Anschluss an die ausführliche Darstellung der Partikularinteressen der Stakeholder versucht er, ausgehend von Interessenhierarchien ein eigenes Zweckkonzept öffentlicher Rechnungslegung zu entwickeln, was ihm überzeugend gelingt. Aus diesem Zweckkonzept entwickelt er systematisch einen Kanon an Grundsätzen ordnungsmäßiger öffentlicher Rechnungslegung (GoöR), die die Spezifika des öffentlichen Sektors berücksichtigen, und bettet diese in die übergeordneten Grundsätze ordnungsmäßiger öffentlicher Buchführung (GoöB) ein. Dieses Werk wendet sich keineswegs nur an Wissenschaftler, sondern sollte eine Pflichtlektüre für alle jene sein, die sich mit der Ausgestaltung von Rechnungslegungsregeln im öffentlichen Sektor, wie beispielsweise aktuell im Rahmen der Diskussion um europäische öffentliche Rechnungslegungsstandards, beschäftigen. Andreas Glöckner folgt mit seinem Werk ganz der deutschen Tradition des „principle-based accounting“.
Fazit
Bei dem Buch handelt es sich um ein ausgesprochen lesenswertes Werk, das sich an alle Personen richtet, die sich mit der Ausgestaltung von Rechnungslegungsvorschriften im öffentlichen Sektor befassen, unabhängig davon, in welcher Funktion und auf welcher gebietskörperschaftlichen Ebene dies geschieht.
Rezension von
Prof. Dr. Berit Adam
Professorin für Public Management, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
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